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Landwirtschaft im Dialog

Chemischer Pflanzenschutz: Wie sichern wir in Zukunft unsere Erträge?

Die Zukunft des chemischen Pflanzenschutzes ist ungewiss. Mögliche Lösungsansätze diskutierten Praktiker, Wissenschaftler und Vertreter von Industrie und UBA bei „Landwirtschaft im Dialog“.

Lesezeit: 7 Minuten

Chemischer Pflanzenschutz steht in der öffentlichen Kritik – auch wenn er weltweit die Ernten sichert. In den letzten Jahren sind viele Mittel vom Markt verschwunden, die Zulassung neuer Wirkstoffe gestaltet sich langwierig. Gleichzeitig schaffen neue Technologien mehr Präzision.

Über die Zukunft des chemischen Pflanzenschutzes diskutierten Praktiker, Wissenschaftler sowie Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA) und der Industrie bei einer neuen Ausgabe von „Landwirtschaft im Dialog“ zum Thema „Pflanzenschutz: Mit Sicherheit!“ am Dienstagabend in Berlin. Eine intensive Diskussion entwickelte sich vor allem zwischen den Vertretern des Umweltbundesamtes, der Industrie und der Praxis.

Landwirtschaft im Dialog - Pflanzenschutz: Mit Sicherheit!

Chemischer Pflanzenschutz als Teil des Werkzeugkastens

Aus der ackerbaulichen Praxis berichtete die Landwirtin und DLG-Vizepräsidentin Dr. Anna Catharina Voges. Sie ist leitende Gesellschafterin des Familienbetriebs Saatgut Plaußig in der Nähe von Leipzig. Der Großteil der 2.500 ha Ackerfläche wird konventionell bewirtschaftet, ein kleiner Teil aber auch biologisch. Der Schwerpunkt des Betriebs liegt auf der Erzeugung von Qualitätsgetreide wie Dinkel, Durum oder Hafer. Die Fruchtfolge wird aber durch weitere Kulturen wie Raps, Zuckerrüben und Silomais auf den konventionellen Flächen sowie Kleegras und Soja auf den Ökoflächen erweitert.

Denn eine weite Fruchtfolge als Werkzeug des integrierten Pflanzenschutzes ist Anna Catharina Voges ebenso wichtig wie eine angepasste Bodenbearbeitung. „Wir können alles von Pflug, Grubber bis hin zur Direktsaat“, berichtete sie. Striegel und Hackgerät haben auch auf den konventionellen Flächen ihren Platz, die Hacke kommt etwa in den Rüben und dem Raps zum Einsatz.

Trotzdem legte die Betriebsleiterin Wert darauf, dass chemische Pflanzenschutzmittel auf ihren Flächen ein wichtiger Bestandteil des ackerbaulichen Werkzeugkastens seien. Dabei spüre sie den Wegfall von Pflanzenschutzmitteln in einigen Kulturen deutlich – besonders im Raps, wo seit dem Wegfall der insektiziden Beize der Schädlingsdruck gestiegen ist. Daher seien nun mehrmalige Insektizidbehandlungen notwendig. Zudem verzögere sich die Jugendentwicklung der Kultur. Beides stufte sie unter dem Strich als sehr nachteilig ein.

Prof. von Tiedemann: „Es gibt keine Rechtfertigung für eine Reduktionspolitik“

Prof. Dr. Andreas von Tiedemann (Uni Göttingen) ordnete das Thema Pflanzenschutz aus seiner wissenschaftlichen Perspektive ein. „Die gesunde Kulturpflanze ist ressourcenschonend“, erklärte der Phytopathologe. Denn immerhin sichere der chemische Pflanzenschutz weltweit bis zu 40 % der Ernten.

Der Wissenschaftler äußerte Sorge darüber, dass durch den Wegfall von Pflanzenschutzmitteln bzw. Wirkstoffen immer weniger chemische Wirkmechanismen verfügbar seien. Das erhöhe die Gefahr von Resistenzbildung deutlich. Biologische Mittel deckten nur 1 % der Indikationen ab und neuere Biotechnologien steckten noch in den Kinderschuhen. „Gleichzeitig treten Schaderreger wie die Kirschessigfliege, die Schilf-Glasflügelzikade und der Japankäfer in immer größeren Zahlen auf. Sie könne man nur mit effizienteren Pflanzenschutzmitteln bekämpfen. „Wir müssen beim Pflanzenschutz von einer Reduktionspolitik zu einer Ermöglichungspolitik kommen“, zog von Tiedemann sein Fazit.

Dem Obstbau fehlt die Perspektive

Wie bedrohlich die Situation im Obstbau ist, berichtete Jörg Hilbers, Leiter der Fachgruppe Obstbau im Bundesausschuss Obst und Gemüse und selbst Anbauer. „Wir stehen mittlerweile in Deutschland mit dem Rücken an der Wand“, sagte er.

Denn der Obstbau sei die pflanzenschutzintensivste Kultur, die von circa 80 tierischen Schaderregern bedroht werde – darunter die Kirschessigfliege. Gleichzeitig seien der Praxis seit 2020 neun Wirkstoffe verloren gegangen. Angesichts der aktuellen Situation zeigte sich Hilbers pessimistisch: „Wenn sich nichts ändert, fehlt den deutschen Obstbauern die Perspektive für die Zukunft.“

Trotz der hohen Pflanzenschutzintensität schafften die Obstanbauer aber eine hohe Artenvielfalt: So könne man in den Plantagen rund 2.000 Insektenarten finden. Die Obstbauern im Alten Land hätten zudem bewiesen, dass sie auch sicher in der Nähe von Gewässern wirtschaften könnten. „Der Verbraucher will madenfreie Kirschen – aber ohne Rückstände. Das können wir mit unseren hohen Standards und unserem Know-how schaffen. Doch uns fehlen die Wirkstoffe“, erklärte Hilbers.

Industrie sorgt sich um Neuzulassungen

„Wir als Industrie wollen Teil der Lösung sein“, sagte Michael Wagner, Präsident des Industrieverbands Agrar (IVA) und Vice President Agricultural Solutions bei BASF. Allerdings wäre das für die Industrie zunehmend schwierig. Denn während die Hersteller weltweit jährlich ein bis zwei neue Wirkstoffe auf den Markt bringen würden, sei in der EU seit 2019 kein einziger neuer Wirkstoff neu zugelassen worden.

Denn die Hürden dafür seien enorm gestiegen, seitdem die europäische Zulassungsbehörde von einem risikobasierten zu einem gefahrenbasierten Ansatz übergegangen sei. Der gefahrenbasierte Ansatz bewertet hierbei die direkten Gefahren eines Stoffes, während der risikobasierte Ansatz auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstehen könnte, in die Bewertung einbezieht.

Gleichzeitig würden sich die verschiedenen Zulassungsbehörden in Deutschland blockieren, kritisierte Michael Wagner. So sei bspw. das Gräserherbizid Luximo in England bereits seit drei Jahren zugelassen, während seine Zulassung in Deutschland erst in drei Jahren erwartet werde.

Dr. Wogram: „Das Umweltbundesamt ist nicht das Problem“

Dass die Zulassungsbehörden sich in Deutschland blockieren würden, ließ Dr. Jörn Wogram nicht gelten. Der Fachgebietsleiter Pflanzenschutzmittel beim Umweltbundesamt (UBA) wies zudem darauf hin, dass ein Großteil der zuletzt weggefallenen Wirkstoffe in Europa die Zulassung wegen ihrer Gesundheits- und Arbeitschutzgefährdung verloren hätten.

Lediglich die Neonikotinoide hätten ihre Zulassung wegen ihrer Auswirkung auf die Biodiversität verloren. „Die Gesundheit steht im Mittelpunkt“, sagte er. Auch Dr. Wogram sieht, dass die Minderungsmaßnahmen im Obstbau mittlerweile sehr herausfordernd seien. Allerdings gebe es seiner Ansicht nach im Ackerbau noch Potenzial zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.

Aktuell sei man beim UBA besonders gespannt auf die ersten Zulassungsanträge der neuen RNAi-Technologie. Die präzise auf einen Schädling zugeschnittenen Mittel könnten besonders interessant für die Bekämpfung von Schädlingen wie der Schilf-Glasflügelzikade sein, die viele Kulturen bedrohe. Hier zeigten Notfallzulassungen, wozu sie geschaffen wurden: eine passende Lösung, um die Zwischenzeit bis zur Zulassung modernerer Verfahren und Mittel zu überbrücken.

Der IVA-Präsident Michael Wagner dämpfte allerdings die Erwartung, dass diese Technologie kurz oder mittelfristig zur Verfügung stehe. Er sah einen Zeitraum von „eher zehn Jahren“ für realistischer.

NABU fordert: Ergebnisse der ZKL umsetzen

Um einen Brückenschlag zur Landwirtschaft bemühte sich Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes (NABU) und wie Michael Wagner auch Mitglied der ZKL. Allerdings ist für ihn auch klar: „Jede Anwendung, die vermieden werden kann, ist eine richtige und gute Anwendung.“ Der Zustand der Biodiversität müsse dringend weiter verbessert werden

Pflanzenschutzreduktion allein könne das aber nicht leisten. Stattdessen müsse es gelingen, Ökosysteme zu reaktivieren und Artenvielfalt wieder in die Fläche zu bringen. Hecken, Saumstrukturen und Blühstreifen könnten etwa Habitate für Feldvögel und Insekten schaffen. Krüger machte auch deutlich, dass sich diese Maßnahmen für die Landwirte rechnen müssten. „Wir müssen die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft umsetzen“, sagte er. Dazu gehöre auch die Entlohnung gesellschaftlicher Leistungen wie z.B. Artenschutz.

Ungräser präzise per Drohne erfassen

Wie sich Pflanzenschutz in der Praxis noch effektiver einsetzen lässt, berichtete Landwirt und Drohnenpionier Konrad Harbort. Auf Betrieben in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sammelte er Erfahrungen als Leiter von Ackerbaubetrieben. Ein wichtiges Thema dort waren die Folgen von herbizid-resistenten Ungräsern – trotz der drei- bis sechsgliedrigen Fruchtfolgen. Gleichzeitig beschäftigte er sich privat mit Drohnen, um die Feldarbeiten aus der Luft zu filmen. „Da stellte ich mir die Frage: Kann man Drohnen nicht auch sinnvoll einsetzen?“, berichtet er.

Konrad Harbort machte sich mit dem Startup corvus consulting selbstständig, mit dem er Betriebe bei der Digitalisierung berät. Er nutzt die Luftbilder seiner Drohne heute, um daraus für seine Kunden Applikationskarten zu erstellen oder Ungras- sowie Unkrautnester zu erfassen. Mit klassischen Drohnen kam Harbort auf den großen Flächen im Osten Deutschlands aber schnell an seine Grenzen.

Daher nutzt er eine flugzeugähnliche Starrflügler-Drohne, die bis zu zwei Stunden in der Luft bleiben kann. Für Harbort ist Spot-Spraying die Technik der Zukunft, um Herbizide hochpräzise einzusetzen. Derzeit ist es aber noch sehr anspruchsvoll, einzelne Unkräuter genau zu treffen. Momentan sieht er deshalb noch mehr Potenzial im Patch-Spraying, bei dem verunkrautete Bereiche von circa 100 m² behandelt werden. „Das ist heute schon mit jeder Spritze möglich“, schloss er.

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