Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Züchten mit Crispr

Crispr/Cas: Mutationen sind natürlich

Über Crispr/Cas diskutiert zurzeit die ganze Welt. Das gezielte Verändern von DNA bringt riesige Chancen mit sich. Doch die Technik ist komplex und die Kritiker laut. Hier eine Analyse.

Lesezeit: 9 Minuten

Der Begriff „Genome editing“ erbringt bei der Googlesuche gut 56 Mio. Ergebnisse, rund 16 Mio. Suchergebnisse gibt es für „Crispr“ – so der derzeitige Stand. Täglich werden es mehr, denn mit dem zielgenauen Genomwerkzeug arbeitet die ganze Welt.

Deshalb rumort es in der EU und in Deutschland: Wissenschaftler, Verbände und Landwirte wollen teilhaben an dieser Technik. Sie sehen sich stark eingeschränkt durch ein Urteil des EuGH, welches diese Züchtungstechnologie als Gentechnik einstuft und dessen Einsatz für mittelständische Züchter damit fast unmöglich macht. Sie schrieben offene Briefe und diskutierten auf einer internationalen Konferenz. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hielt sogar eine Verbraucherkonferenz zu diesem Thema ab. Doch was steckt hinter diesen Begriffen, warum sind Befürworter verärgert und was sagen die Kritiker?

Das Wichtigste zum Thema Ackerbau dienstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Die Technik: Genome editing und Crispr – was ist das?

Mit den neuen molekularbiologischen Züchtungsmethoden – dem Genome editing – können Forscher sehr präzise die DNA verändern. Dieses sogenannte Editieren funktioniert wie eine Textbearbeitung: Entweder bearbeitet man einzelne Buchstaben, das sind die Basen (DNA-Bausteine) oder gleich ganze Wörter, demnach eine Abfolge von Basen.

Die jüngste Methode des Genome editing ist Crispr oder auch Crispr/Cas. Das steht für „Clustered regularly interspaced short palindromic repeats“. In Deutschland ist Crispr auch als Genschere oder Genchirugie bekannt. In der Natur nutzen Bakterien dieses Werkzeug zur Immunabwehr gegen Viren. Um Crispr in der Pflanzenzüchtung einsetzen zu können, muss die Pflanzen-DNA bekannt, also das Genom vollständig sequenziert sein. Wie die Übersicht zeigt, besteht Crispr/Cas aus zwei Teilen:

Die Ribonukleinsäure, kurz RNA: Sie leitet das Werkzeug zu der Stelle im Genom, die die Forscher editieren wollen. Ein kurzer Teil der Crispr-RNA ist die zielspezifische DNA-Sequenz. Diese ist so programmiert, dass sie zu einer ganz bestimmten Basenabfolge in der Pflanzen-DNA passt. Die Crispr-RNA bindet sich erst an die Pflanzen-DNA, wenn sie dort die Andocksequenz erkennt, das sogenannte Protospacer Adjacent Motif, kurz PAM.

Das Schneideprotein Cas9: Es transportiert die RNA. Cas steht für „Crispr associated“. Sobald sich die RNA an die Pflanzen-DNA gebunden hat, funktioniert das Protein wie eine Schere und zerteilt den Doppelstrang.

Die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle fügen die getrennte DNA wieder zusammen. Weil dabei einige Basen verloren gehen und andere hinzukommen, können Punktmutationen entstehen. In diesem Rahmen ließen sich zudem neue Genabschnitte einfügen.

Crispr/Cas9 ist das am häufigsten verwendete Werkzeug. Inzwischen entwickelten Forscher das noch effizientere Protein Cas12. Weitere Werkzeuge, die auch unter Genome editing fallen und sehr gezielt Mutationen in der DNA auslösen, sind Zinkfingernukleasen, die Talen-Technik oder das ODM-Verfahren.

Da Crispr und Co. gezielt Punktmutationen erzeugen, fallen diese Techniken unter den Fachbegriff „gerichtete Mutagenese“. Ungerichtete Mutagenese bedeutet hingegen, dass Züchter die DNA mit radioaktiver Strahlung oder Chemie bearbeiten. Dabei entstehen Mutationen nach dem Zufallsprinzip.

Punktmutationen kommen in der Natur vor. UV-Strahlung kann diese z.B. in Zuckerrüben auf dem Feld auslösen. Durch Crispr/Cas entstandene Mutationen lassen sich häufig weder von natürlichen noch von den Mutationen der ungerichteten Mutagenese unterscheiden.

SO FUNKTIONIERT GENOME EDITING MIT CRISPR/CAS9

Die Risiken: „Off-Target-Effekte“ und „Gene Drive“

Bei aller Präzision von Crispr befürchten Kritiker auch Risiken. Fest steht, dass es zu sogenannten Off-Target-Effekten kommen kann. Dabei schneidet das Protein an der falschen Stelle im Genom, die dem eigentlich Ziel sehr ähnlich ist – mit unbekannter Wirkung. In der Pflanzenzüchtung lassen sich solche Effekte herausselektieren.

Zudem könnten sich veränderte Genome auch auf Wildpflanzen übertragen und sich dort durch den „Gene drive“ so stark verbreiten, dass ganze Populationen das neue Gen aufweisen – mit unbekannter Wirkung auf das Ökosystem. Den Mechanismus Gene drive setzen Forscher ein, um einen veränderten DNA-Abschnitt gezielt an jeden Nachkommen zu vererben. Nach den Mendel‘schen Gesetzen der Vererbung ist das nicht möglich.

EuGH: Alles Gentechnik

Dass alle Methoden der gerichteten Mutagenese wie Crispr/Cas unter das Gentechnikrecht fallen, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 25. Juli 2018. Die Richter begründeten, dass sie nach dem Vorsorgeprinzip zu urteilen hätten: Demnach seien durch Crispr/Cas gezüchtete Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen, kurz GVO, anzusehen – unabhängig davon, ob fremde DNA eingefügt wurde oder nicht. Wie auch andere GVO fallen Crispr-Pflanzen nun unter die Vorschriften der Freisetzungsrichtlinie 2001/18. Demnach müssen Züchter sich das Inverkehrbringen genehmigen lassen, entsprechende Untersuchungen vorlegen und die Produkte auch im Handel als GVO kennzeichnen – mit Kosten von ca. 7 bis 30 Mio. €.

Die Richter des EuGH urteilten zudem, dass auch die Methoden bzw. Produkte aus ungerichteter Mutagenese unter das Gentechnikrecht fallen – bislang war das nicht der Fall. Weil diese chemischen bzw. radioaktiven Methoden aber bereits seit Jahrzehnten durchgeführt werden – so der EuGH – seien so gezüchtete Pflanzen sicher. Somit könne man sie von der Kennzeichnungspflicht befreien.

Die Wissenschaftler: „Europa hängt sich ab“

Das Urteil zu Crispr/Cas durch den EuGH führt derzeit zu heftigen Debatten. Rund 200 Teilnehmer diskutierten im Juni an der niederländischen Universität Wageningen auf der internationalen Konferenz CrisprCon über Genome editing bei Pflanzen, Tieren und Menschen. Hier einige Meinungen von Befürwortern und Kritikern über das Potenzial der Technik:

Der österreichische Biolandwirt Alfred Grand begrüßte das Urteil des EuGH. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte er Angst, dass nur noch wenige Arten den Markt dominieren und die Biodiversität verloren gehe. Auch Alejandro Argumedo aus Peru ist dagegen, Genome editing eher unreguliert zu nutzen: „Unsere genetische Variabilität ist bereits groß genug, wir brauchen das nicht“, sagte Argumendo während einer Diskussion.

Die nigerianische Landwirtin Patience Koku forderte hingegen, auch außerhalb von Europa den Nutzen zu erkennen. „Wir brauchen Crispr, um die Menschen satt zu bekommen. Zu diesem Thema kann Afrika für sich selbst sprechen“, so Koku.

Der Niederländer Prof. Dr. John Van der Oost meinte: „Wir sind alle das Ergebnis von Mutationen. Angst ist hier fehl am Platz.“

„Aktuell regulieren Politiker den Zuchtprozess von Pflanzen. Und das ohne Fachwissen“, kommentiert Prof. Louise O. Fresco. Sie forderte, stattdessen das Produkt zu bewerten. Gleichzeitig sollten Forscher ihre Arbeit besser kommunizieren.

„Wir brauchen eine neue Debatte darüber“, forderte auch Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Dem schlossen sich im Juli dieses Jahres 118 europäische Wissenschaftsinstitute an. In einem offenen Brief forderten sie, das Gentechnikrecht zu überprüfen und an den aktuellen Kenntnisstand anzupassen.

„Nachbessern“ forderten Anfang November auch 23 Verbände der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft in einem offenen Brief. Ihre Sorgen: Wissenschaftler und große Zuchtunternehmen forschen nur noch außereuropäisch, zumal die Produkte aus Crispr in den meisten Drittstaaten nicht als GVO gelten. Wie eine Mutation in Pflanzen entstanden ist, lässt sich nicht unterscheiden. Wie sollen dann Überwachungsbehörden solche Pflanzen rechtssicher identifizieren? Zudem gehe die Chance verloren, durch widerstandsfähigere Sorten Pflanzenschutz einzusparen.

Anders sehen das die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, kurz BUND, und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Sie warnen vor „Gentechnik durch die Hintertür“. Die Risiken durch Genome editing-Verfahren seien unerforscht.

Die Verbraucher: Experten beraten, Verbraucher fordern

Um ein Meinungsbild von Verbrauchern in Deutschland einzuholen, hielt das Bundesinstitut für Risikobewertung, kurz BfR, eine Verbraucherkonferenz ab. Während der Konferenz informierten sich 20 ausgewählte Verbraucher und Verbraucherinnen zum Thema Genome editing. Für einen Großteil der Teilnehmer war das Thema bis dahin unbekannt.

Informationen bekamen sie von 13 Experten, u. a. von Prof. Dr. Urs Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Dr. Jens Boch vom Institut für Pflanzengenetik an der Leibniz Universität Hannover und Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Abschließend stellten die 20 Teilnehmer in ihrem Verbrauchervotum Chancen und Risiken fest und forderten u. a. dieses:

Gene Drive soll bei wilden Arten ausgeschlossen sein, solange nicht Methoden vorliegen, um den Ausbreitungsbereich abzugrenzen. Bei Schlüsselspezies soll ein generelles Verbot bestehen.

Aufgrund des Vorsorgeprinzips sollte man bei Genome editing mit Punktmutationen auf eine schematische Regelung nach Gentechnikgesetz und -verordnung verzichten. Ist Genome editing nicht von natürlicher Mutagenese zu unterscheiden, sei das Produkt und nicht die Technik zu bewerten. Andere Genome-Editing-Verfahren, bei denen fremde DNA eingebracht wird, sollten als GVO gekennzeichnet sein.

Bei Zulassungsverfahren sollte man neben dem Risiko auch Umweltauswirkungen bewerten sowie den Einfluss z. B. auf Nachhaltigkeit, Artenvielfalt, Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, Bodenqualität, Tierwohl und Klima.

Statt Patenten für natürliche Eigenschaften sollte lediglich ein Sortenschutz gelten. Patente dürften zudem kein komplettes genetisches Merkmal beinhalten, da dies dann auch konventionelle Züchtungen mit diesem Merkmal betreffen würde.

Einige Teilnehmer wollen Wahlfreiheit für diejenigen, die sich gentechnikfrei ernähren möchten. Sie fordern dazu z. B. ein Zertifikat für Saatgut, das ohne Genome editing bzw. ohne Verfahren der ungerichteten Mutagenese gezüchtet ist.

-----------------

Kommentar: Crispr/Cas – wir brauchen diese Chance!

Crispr/Cas ist eine Technologie für eine nachhaltige Zukunft. Denn damit lassen sich schnell und gezielt widerstandsfähige Sorten züchten. Das spart Pflanzenschutzmittel, ist im Sinne des Integrierten Pflanzenschutzes und schont die Biodiversität.

Doch die Kritik an der Methode ist groß. Wer weiß schon, was Forscher in den Laboren machen und welche Gene sie wie bearbeiten? Was, wenn tatsächlich mal eine super-mutierte Pflanze daraus hervorgeht, die sich unkontrolliert ausbreitet? Zudem seien die Langzeitfolgen auf die Ökosystem gar nicht abzuschätzen, so die Bedenkenträger.

In diesem Fall überwiegen allerdings die Chancen. In Zeiten verstärkter Extremwetterlagen und vermehrt auftretender Resistenzen sind zügige Lösungen erforderlich. Diese könnten mit Crispr/Cas auch kleine und mittelständische Züchter bieten. Leider würgt das Urteil des EuGH diese Chance für europäische Zuchtunternehmen ab. Innovationen gehen damit an EU-Landwirten vorbei, während andere Länder davon profitieren. Eine Folge davon wird sein, dass viele Züchterhäuser im globalen Crispr-Markt abgehängt werden.

Weil man durch Crispr/Cas entstandene Punktmutationen nicht von anderen Mutationen unterscheiden kann, wirkt sich das EuGH-Urteil auch auf den Handel aus. Viele Händler haben Angst, sich unwissentlich strafbar zu machen, wenn sie Saatgut aus Drittstaaten einführen.

Das heißt: Wir müssen das Gentechnikgesetz endlich an den Stand der Wissenschaft anpassen! Die Abgrenzung zur Gentechnik könnte wie folgt aussehen: Gelangt Fremd-DNA in die Pflanze, gelten die GVO-Auflagen – andernfalls nicht. Wir benötigen nun einen ehrlichen Dialog. Wer Crispr/Cas nur aus gefühlter Gründen ablehnt, setzt die Zukunft der Pflanzenzüchtung leichtfertig aufs Spiel.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.