Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
Ausgerechnet kurz vor der anstehenden Getreideernte kocht der Streit zwischen Agrarhändlern, Bauernverband und Züchtern ums „Erntegut-Urteil“ wieder auf voller Flamme. Entzündet hat er sich wieder an der Bescheinigung der Saatgut-Treuhandverwaltung, kurz STV.
„Ährensache“ legal erzeugt
Zwar sollte es für die meisten Landwirte „Ährensache“ sein, dass sie ihren Nachbau fristgerecht jedes Jahr bis zum 30. Juni melden, aber wie überall gibt es „Schwarze Schafe“. Immerhin fehlen den Züchtern jährlich rund 13 Mio. € Nachbaugebühren. In einem besonders krassen Fall von Sortenschutzverletzungen klagte die STV im November 2023 mit Erfolg vor dem Bundesgerichtshof, kurz BGH. In dem besagten Fall hatte ein Agrarhändler Erntegut eines Landwirts aus Schwarznachbau in den Verkehr gebracht.
Mit dem „Erntegut-Urteil“ (Az. X ZR 70/22) stellte der BGH dann fest, dass der Agrarhandel vor Annahme der Ernte durch „geeignete Maßnahmen“ sicherstellen muss, dass die Landwirte das Erntegut ordnungsgemäß und legal erzeugt haben, also entweder durch den Anbau von Zertifiziertem Saat- und Pflanzgut oder durch fristgerecht gemeldeten Nachbau. Die Richter am BGH ließen allerdings offen, wie der Nachweis erfolgen muss.
Viele Erfasser versuchten, das Problem unkompliziert mit sogenannten „Selbsterklärungen“ zu lösen. Diese reichten der STV nicht. Sie selbst bietet seit dem 15. Juli 2024 ein Online-Meldesystem zur Erstellung einer Erntegut-Bescheinigung an. Das System erntete heftige Kritik, unter anderem, weil es zum Teil sensible Betriebsdaten abfragt. Daraufhin entwickelten die Züchter das System weiter und verschlankten es. Angeblich dauert es jetzt keine 15 Minuten mehr, um die Bescheinigung zu erstellen.
„Sicherste Variante“
Inzwischen verwenden immer mehr Händler und Landwirte die STV-Bescheinigung, weil es die „sicherste Variante“ ist. „Bei falschen Angaben drohen pro Fall Strafen im fünfstelligen Eurobereich“, erklären der Deutsche Raiffeisenverband und der Agrarhandel. Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband, der selbst Erntegut-Bescheinigungen für die Mitglieder erstellt, und der Deutsche Bauernverband sind anderer Meinung. „Die STV versucht unverändert den Agrarhandel mit Abmahnungen unter Druck zu setzen.“ Inakzeptabel ist für sie vor allem, dass den Landwirten, die ordnungsgemäßen Nachbau betreiben oder Z-Saatgut einsetzen, bürokratische und datenschutzrechtlich fragwürdige Prozeduren aufgezwungen werden.
Die STV wiederum stellt klar, dass es sich nach wie vor um ein freiwilliges Angebot handelt und eine eigene Prüfung durch die Erfasser grundsätzlich denkbar ist. Jedoch sagt die STV auch, dass sie bei der Anwendung ihres Systems keine Ansprüche gegenüber dem Erfasser geltend macht, wenn die Ware doch nicht astrein ist.
Somit ist das Hickhack um die Erntegut-Bescheinigung auch jetzt im zweiten Jahr nach dem Grundsatzurteil nicht beigelegt. Eine Klärung dürfte nur ein weiteres Urteil mit juristisch wasserdichten Vorgaben zur Nachbauregelung bringen.