Roggen galt lange Zeit als Kultur der Grenzstandorte und war selbst als Futtergetreide nicht immer gern gesehen. Gefürchtet war von vielen Anbauern Mutterkorn, einst als Krankheit „Antoniusfeuer“ verschrien.
Problematisch sind die in Mutterkorn enthaltenen Toxine – die Ergotalkaloide. Sie können bei Verzehr bis zum Tod führen. Dank eingeführter Grenzwerte für Sklerotien sind Körner, Schrote und Mehle heute ungefährlich. Auch verbesserte Anbauempfehlungen haben das Infektionsrisiko gesenkt. So hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirschaft (BMEL) z. B. eine Handlungsempfehlung herausgegeben, wie man dem Problem entgegentreten kann.
Grenzwerte gesenkt
Letztes Jahr wuchs Roggen in Deutschland auf 588.000 ha, rund 50.000 ha weniger als in den beiden Vorjahren. Im Durchschnitt ernteten die Landwirte 2022 rund 53 dt/ha des robusten Getreides. Von der gesamte Erntemenge werden rund 30 bis 40 % als Backroggen genutzt. Dass man daraus sogar Kekse herstellen kann, zeigt die Reportage hier unten in unserem Lesetipp.
Um die Lebensmittelsicherheit weiter zu erhöhen, will die EU neue Grenzwerte für den Besatz mit Mutterkorn und Ergotalkaloiden festlegen (Verordnung (EU) 2021/1399). Bislang durften in unverarbeiteten Roggenkörnern 0,5 g/kg Mutterkornsklerotien enthalten sein, ab dem 1. Juli 2025 sind nur noch 0,2 g/kg erlaubt.
Auch in Roggenmahlerzeugnissen (Roggen, der für den Endverbraucher in Verkehr gebracht wird) wird der Höchstgehalt an Ergotalkaloiden herabgesetzt. Bislang sind noch 500 µg/kg zugelassen, ab dem 1.7.2028 sind es nur noch 250 µg/kg. Dabei gelten Grenzwerte für Ergotalkaloide auch z. B. für Mahlerzeugnisse aus Gerste, Weizen, Dinkel und Hafer.
Wie stark Mehle und Schrote Ergotalkaloide aufweisen, unterscheidet sich – denn nicht alle Sklerotien enthalten gleichviel Toxin. Wie sich der Mutterkorn-Pilz entwickelt und man Infektionen vermeiden kann, erfahren Sie jetzt von Dr. Ute Kropf.
Mutterkorn: Ein Erreger, viele Wirtspflanzen
Unsere Autorin: Dr. Ute Kropf, Fachhochschule Kiel
Der Mutterkornpilz Claviceps purpurea infiziert neben Roggen noch viele weitere Pflanzen. Zu den gut 400 Wirtspflanzen zählen Zier- und Wiesengräser, aber auch Ackerfuchsschwanz, Quecke, Jährige Rispe, Trespe oder auch Weizen und Triticale. Aufgrund von zwei möglichen Infektionswegen sind ackerbauliche Maßnahmen gegen den Pilz herausfordernd.
Blüteninfektion durch Askosporen
Die Ausgangsinfektion von Mutterkorn beginnt im Frühjahr durch überwinternde Sklerotien. Diese keimen im feuchten Boden, wenn sie vernalisiert sind – also mindestens 25 Tage lang Temperaturen zwischen 0 und 10 °C ausgesetzt waren. Aus bis zu 2 cm Tiefe bilden sich dann mehrere gestielte runde Fruchtkörper, die Perithezien. Nach einer kurzen Reifezeit quellen sie auf und entlassen am Tag danach, in der Rücktrocknung, flugfähige Askosporen (geschlechtlicher Zyklus).
Die vom Wind verbreiteten Askosporen infizieren meist schon vor der Roggenblüte andere blühende Wirtsgräser. Die Sporen landen auf der noch unbefruchteten Narbe einer offenen Gräserblüte. Dort keimen sie – dann wächst das Myzel in den Fruchtknoten hinein und bildet dort ein dichtes Myzelstroma. Dieses Stroma produziert eine klebrige, gelbbraune Sporenmasse: den sogenannten Honigtau.
Erst Honigtau, dann Sklerotien
Die im Honigtau enthaltenen Sporen (Konidien) leiten einen sekundären (ungeschlechtlichen) Infektionszyklus während der Vegetation ein. Der zuckerhaltige Honigtau wird auch durch Insekten verbreitet und infiziert weiter offene Blüten der Kultur von Wildgräsern. Weitere Verbreitungswege sind Wind, Regenspritzer, direkter Ährenkontakt oder Maschinenverschleppung (z. B. in den Fahrgassen).
In der Ähre produziert das Myzelstroma ein bis zwei Wochen lang den Honigtau mit den darin enthaltenen Konidien. Dann wächst aus dem stark komprimierten Myzel im Ährchen ein Sklerotium heran – statt eines Korns. Zunächst ist die Überdauerungsform durch ihre helle Farbe weniger auffällig. Erst wenn sie in der äußeren Rinde dunkle Pigmente zum Schutz vor der Witterung einlagern und wachsen, sind die leicht gebogenen Sklerotien deutlich sichtbar. Gelegentlich sind auch Mischinfektionen mit Fusarium zu sehen.
So lässt sich der Infektionsdruck Eindämmen
Man geht davon aus, dass Honigtau von früher blühenden Gräsern mehr Roggenblüten infiziert, als Askosporen oder Honigtau innerhalb eines Roggenfeldes. Das erschwert vor allem die pflanzenbaulichen Ansätze, um den Infektionsdruck zu mindern.
Offene und noch nicht befruchtete Blüten sind am empfänglichsten für eine Infektion, sowohl durch die geschlechtlichen Askosporen als auch durch die ungeschlechtlichen Konidiosporen. Daher ist Roggen als offen abblühender Fremdbefruchter eine gefährdete Kultur, gefolgt von Triticale. Wichtig ist auch die Pollenmenge: Reicht sie nicht aus, um die Blüten zügig zu befruchten, bleiben die Spelzen geöffnet und damit infektionsfähig.
Beeinflusst wird die Pollenmenge durch Spätfröste, Kälte und Hitze – sie können Pollen devitalisieren und zerstören. Regen beeinträchtigt den Pollenflug. Für Nachschosser, Zwiewuchs und Durchwuchsroggen ist generell nicht genug Pollen zur Bestäubung vorhanden – diese Pflanzen sind durch Mutterkorn besonders gefährdet.
Empfehlung: Wichtig ist, einen gleichmäßigen Bestand hinzubekommen. Minimieren Sie also Pflanzenstress. Dazu zählt Stress durch Herbizid- und Wachstumsreglermaßnahmen, aber auch eine ungleichmäßige Tiefenablage des Saatgutes. Denn je ungleicher die Bestandesentwicklung ist und je länger die Blühdauer anhält, desto stärker ist der Befall durch Mutterkorn.
Kontrollieren Sie vor der Ernte Ihre Bestände. Bei der Ernte ist es sinnvoll, stärker befallene Feldränder und Fahrgassen separat zu dreschen.
Weil die vorjährigen Sklerotien die höchste Keimquote haben, empfiehlt es sich, nach einem starken Befallsjahr zu pflügen, wenn dort oder in der Nachbarschaft wieder Roggen oder Triticale stehen soll.