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Getreide: Vom Zellhaufen zur Ähre

Wie sich Getreide entwickelt, läuft weitgehend im Verborgenen ab. Tageslänge, Temperaturen und Bewirtschaftung beeinflussen den Ertrag.

Lesezeit: 16 Minuten

Unsere Autoren: Dr. Ute Kropf, FH Kiel und Dr. Hansgeorg Schönberger, N.U. Agrar

Wie sich Pflanzen entwickeln, wann sie z.B. Wurzeln und Ährchen bilden, hat die Evolution festgelegt. Mit Saatzeit, Düngung und Pflanzenschutzmaßnahmen greifen wir in diesen Ablauf ein. Um die Standortressourcen optimal zu nutzen und gezielt die Anlage- und Reduktionsprozesse der Pflanzen zu unterstützen (und Stress zu minimieren), hilft es, die Entwicklungsabschnitte zu kennen und beurteilen zu können.

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Wann genau welche Prozesse im Getreide ablaufen und wie das im Detail aussieht, lesen Sie in diesem Fachwissen-Ratgeber – von der Keimung bis zur Ernte. Wichtige Begriffe finden Sie ausführlicher erklärt in der Zusatzinfo „Glossar“ ganz unten.

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Morphologie: Getreideevolution im ­Schnelldurchlauf

Die äußere und innere Gestalt (Morphologie) der einkeimblättrigen Pflanzen, wie z. B. Gräser, Getreide, Mais, Sorghum, unterscheidet sich wesentlich von denen der Zweikeimblättrigen (Raps, Rüben, Leguminosen, Sonnenblumen).

Doch beide beginnen mit der vegetativen Entwicklung: Wurzeln, Blätter und Stängel. Mit der vegetativen Mindestentwicklung im 6-Blatt-Stadium steuern sie in die Anlage generativer Organe (Ährchen, Blüten) um. Durch die Samenbildung sichern die Pflanzen das Überleben der Art.

Im Laufe der Evolution hat sich die Massenproduktion von kleinen Grassamen mit schwach ausgebildetem Mehlkörper durchgesetzt, wie man am Ackerfuchsschwanz eindrucksvoll sieht. Auch die Wild- und Urformen unserer Getreidearten hatten noch sehr kleine Körner, dafür meist sehr lange Halme, um die Nachkommen weit weg von den Gefahren in Bodennähe in luftige und sonnige Höhen zu heben. Die mangelnde Standfestigkeit war im schütteren Bestand kein Problem. Feste Spelzen, brüchige Spindel und ausgeprägte Keimruhe bewahrten die reifen Samen lange genug vor dem Keimen, damit nicht jeder nasse Sommer ein vorzeitiges, zu frühes Auflaufen verursachte.

Heute muss das Kulturgetreide kurz und standfest sein, 20.000 bis 30.000 Körner/m² mit einem großen Mehlkörper und angemessenen Proteingehalten produzieren. Die Körner sollen sich leicht dreschen lassen, eine sichere Keimruhe bzw. stabile Fallzahl aufweisen und dennoch kurz nach der Ernte schon wieder gleichmäßig auflaufen können.

Damit Pflanzen hohe Kornerträge erzielen, muss die vegetative (source) und generative (sink) Entwicklung so aufeinander abgestimmt sein, dass die Pflanze nicht mehr Reserveassimilate produziert, als die Speicherorgane (Körner) aufnehmen können – und sie muss die Vegetationszeit voll nutzen können. Die Tageslänge (verlässlichster Standortfaktor) bestimmt den vegetativen (Blätter, Triebe) und den generativen Entwicklungsrhythmus (Ährenanlage, Blüte).

Im Kurztag bestocken die Pflanzen, im Langtag strecken sie sich und blühen. Organe, die bei genetisch fixierter Tageslänge nicht vital und weit genug entwickelt sind, werden durch Assimilatauslagerung reduziert (Nebentriebe), bzw. nicht weiter ausgebildet und vertrocknen (Blüten, Ährchen).

Eine frühe Saat und eine hohe, frühe N-Düngung verlängern vor allem die vegetative Phase. Für eine GPS-Kultur bedeutet das mehr Biomasseaufwuchs. Soll die Kultur aber gedroschen werden, geht eine überzogene vegetative Entwicklung zulasten der Ährenausbildung und der Kornfüllung. 

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Saat und Keimung: Größere Körner, ­bessere Triebkraft

Mehlkörper und Embryo werden von der Frucht- und Samenschale umhüllt. Bei Gerste und Hafer ist das Korn zusätzlich mit Deck- und Vorspelze verwachsen. Direkt unter der Samenschale liegt eine nur aus den Aleuronproteinen bestehende Zellschicht, die bei der Produktion von Weißmehlen mit der Kleie entfernt wird. Das Aleuronprotein macht etwa 10 % des gesamten Proteins aus.

Die Stärke des Mehlkörpers ist in eine Proteinmatrix eingebettet. Diese Kleberproteine sind ein Qualitätsmerkmal für Backweizen, stören dagegen beim Mälzen. Im Embryo sind bereits die ersten zwei Laubblätter und drei bis fünf Wurzeln angelegt.

Der Embryo liegt mit dem Skutellum (Schildchen) am Mehlkörper an. Dieses wird auch als Saugblatt bezeichnet, weil es die bei der Keimung durch die Amylase verzuckerte Stärke an die embryonalen Zellen weitergibt. Botanisch gesehen ist es das verdeckt bleibende Keimblatt der Monokotylen.

Ist die Keimruhe beendet, werden 24 Stunden nach Beginn der Quellung die ersten Phytohormone im Embryo aktiviert. Gibberelline wandern aus dem Embryo durch den Mehlkörper in die Aleuronschicht. Dort aktivieren sie Hydrolasen, die wiederum die Bildung von Cytokininen zur Zellteilung und Auxine zur Zellstreckung in Gang setzen.

Die Wurzelanlage erscheint zuerst. Die zentrale Wurzel schiebt sich der Schwerkraft folgend (Geotropismus) nach unten in Bodenporen oder Hohlräume. Triazolhaltige Beizwirkstoffe hemmen die Gibberellinsynthese und können den Feldaufgang um Tage verzögern.

Mit den Reserven des Mehlkörpers können die im Embryo angelegten Organe ausgebildet werden. Nach dem 2-Blattstadium muss sich die Pflanze durch Photosynthese sowie Wasser- und Nährstoffaufnahme über die Wurzel selbst versorgen. Bei kleinen Samen bleiben die ersten beiden Blätter kleiner und kürzer, wie auch die Wurzeln.

Große Körner haben mehr Triebkraft und größere Primärorgane, benötigen aber auch mehr Quellwasser zur Keimung. Das Saatgut für trockene Sandstandorte sollte daher kleinkörniger sein als die für feuchte, schwere Böden.

Der Wurzeltiefgang der zentralen Keimwurzel hat Vorrang vor den beiden seitlichen Wurzeln (Foto oben). Die zentrale Wurzel wächst nach dem Auflaufen 8 bis 10 cm nach unten. Stößt sie dabei auf ein Hindernis (Ernterückstände, Stein, Arbeitshorizont, Verdichtung), treiben die seitlichen Wurzeln aus. Stoßen diese an mechanische Grenzen, versuchen zwei weitere seitliche Wurzeln ihr Glück.

Pflanzen, die z. B. über einem Kreiseleggenhorizont wachsen, haben deshalb oft ein flaches Wurzelsystem mit wenig Tiefgang. Bei ausreichender Bodenfeuchtigkeit läuft ein 2 cm tief abgelegtes Getreidekorn nach einer Woche bzw. 90 °C Temperatursumme auf.

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Bestockung: Blatt- und Triebanlage nach ­Gradtagen

Die Ausbildung der späteren Bestockungsknoten, also die Blattansätze der ersten sechs bis acht Blätter, werden durch Licht ausgelöst. Befindet sich der Samen tief im Dunkeln, bildet sich erst ein Halmheber, um mit wenig Ressourcenverschwendung erst 2 cm unter der Oberfläche die Blattansätze zu entwickeln.

Ist die Oberfläche verschlämmt, bildet sich der Blattansatz erst beim Durchbrechen der Kruste. Bildet die Pflanze einen Halmheber, geht das zulasten der Bestockungsdauer und der Vitalität. Je Zentimeter Halmheber geht ein Nebentrieb bzw. mindestens 10 % Ertrag verloren. Zu tief (über 5 cm) abgelegte Samen bringen nur noch eintriebige Pflanzen hervor.

Durch Wechselfrost kann der Halmheber reißen und die Pflanze von den Keimwurzeln trennen. Hat sie noch keine Kronenwurzeln ausgebildet, stirbt die Pflanze ab. Jedes Laubblatt benötigt 70 (bis 100) Gradtage (°Cd) für die Entwicklung.

Ab dem vierten Blatt entwickelt sich aus der Blattachsel des ersten Blattes ein Seitentrieb. Die Bestockung beginnt ab 300 °Cd nach der Aussaat.

Mit jedem neuen Blatt, das vom Apikalmeristem gebildet und aus dem Herz des Triebes geschoben wird, erscheint ein weiterer Nebentrieb aus der jeweils nächst-jüngeren Blattachsel.

Blatt- und Triebanlage laufen in unseren Breiten bei allen Getreidearten und -sorten anfangs synchron. Mit jedem neuen Blatt erscheint ein neuer Trieb. Eine Pflanze im 6-Blatt hat drei (primäre) Nebentriebe. Der älteste Nebentrieb hat dann drei Blätter, der nächste zwei Blätter usw. Mit dem nächsten Blatt am Haupttrieb erreicht der älteste Nebentrieb das 4-Blatt und beginnt seinerseits mit der Bildung von eigenen (sekundären) Nebentrieben. Sie werden auch als Nebentriebe 2. Ordnung bezeichnet.

Stehen von Aussaat bis Vegetationsende im Herbst 450 °Cd für die Entwicklung zur Verfügung, werden am Haupttrieb sechs Blätter mit drei Nebentrieben gebildet. Durch den kürzeren Tag und insbesondere die schlechte Einstrahlung bei nasser, bewölkter Herbstwitterung, ist der Temperaturbedarf in Norddeutschland höher. Weizen benötigt dort pro Blatt etwa 100 °Cd. Eine Weizenpflanze steht bei 700 °Cd seit der Saat im 6-Blattstadium.

Primäre Nebentriebe, die im Herbst wenigstens das 2-Blatt erreicht haben, bilden meist eine gute Ähre aus. Aus der Dauer der Herbstentwicklung und der angestrebten Ährendichte lässt sich die erforderliche Pflanzendichte berechnen.Triebe, die während einer schleichenden Wintervegetation oder gar erst im Frühjahr gebildet werden, bilden meist keine (gute) Ähre aus. Sie werden im Schossen reduziert. Durch die Bestockungsknoten werden deren Assimilate in den Haupttrieb geleitet.

Überzählige Nebentriebe bilden eine Assimilate- und Nährstoffquelle für die verbleibenden Triebe, mit der Versorgungslücken überbrückt werden können, wenn nicht ausreichend Nährstoffe und Assimilate zur Verfügung stehen. 

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Kronenwurzelbildung: Versorgung und Verankerung der Triebe

Ab dem dritten Blatt bildet jeder Seitentrieb, der am Haupttrieb ansetzt, sein eigenes Wurzelsystem: die Adventiv- bzw. Kronenwurzeln. Diese versorgen den Nebentrieb, nachdem er sich vom Haupttrieb am Bestockungsknoten im Laufe des Schossens getrennt hat.

Wie vital die Kronenwurzeln sind, beeinflusst das Durchhaltevermögen während der Kornfüllung und der Proteineinlagerung. Die Anzahl der Kronenwurzeln bestimmt der Kurztag. Im Langtag wachsen sie vor allem in die Tiefe. Spätsaaten und späte Bestockungstriebe haben weniger vitale Nebentriebe und weniger Wurzeln. Nebentriebe 2. Ordnung (setzen an Nebentrieben 1. Ordnung an), bilden im geschlossenen Bestand keine eigenen Kronenwurzeln. Werden sie nicht reduziert, sind sie später „Mitesser“.

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Beginn der Ährenanlage: Vom Meristem zum Doppelring

Die Laubblätter bildet die Pflanze im Kurztag am Vegetationskegel (Apikalmeristem). Hat der Haupttrieb mindestens sechs sichtbare Blätter und ist die Pflanze vollständig vernalisiert (siehe Glossar unten), beginnt die generative Phase.

Statt der Blattanlagen bilden sich nun am Vegetationskegel „Doppelringe“ aus, die den Beginn der generativen Phase einleiten: Der Vegetationskegel wird zur Ährenanlage umgebildet. Das letzte angelegte Blatt ist bereits das Fahnenblatt und die maximal mögliche Blattzahl des Triebes ist erreicht.

Der Haupttrieb hat dann meist 12 bis 14 Blätter angelegt, von denen aber sechs noch nicht geschoben sind (Foto 12). Die Pflanze befindet sich in BBCH 25 bis 29.

Je früher das Doppelring-Stadium eintritt und je länger die Ährenanlage dauert, umso größer ist die Anzahl der Ährchen je Ähre. Spätsaaten haben deshalb kürzere Ähren. Für späte Aussaaten sind Einzelährentypen mit genetisch höherem Ährenertrag besser geeignet. Hybridgetreide entwickelt sich schneller und wächst noch bei + 4 °C, während Linien- und Populationssorten nur bis + 5 °C wachsen.

Hybridsorten sind deshalb spätsaatverträglicher. Frühsaaten legen bis zum Doppelring-Stadium mehr Blätter und somit meist ein Internodium mehr an. Frühsaaten sind deshalb lageranfälliger als Spätsaaten. Ein langes Wachstum im Herbst und ein früher Vegetationsbeginn begünstigen lange Halme. 

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Schossen: Wer zieht den ­Kürzeren?

Ab Ende März, mit Beginn des 13- bis 14-Stunden-Langtages (einschließlich der bürgerlichen Dämmerung, siehe Glossar), beginnt die Streckung. Aus den Vorstufen der Gibberelline werden durch den längeren Tag streckungsaktive Gibberelline gebildet.

Das gerade geschobene Blatt nimmt den Lichtreiz auf. In BBCH 30 wird in einem „Normaljahr“ mit einigen Wochen Vegetationsruhe das viertletzte Blatt (F-3) geschoben. Aus F-3 streckt sich das erste, unterste Internodium. Danach folgen in BBCH 31 F-2, in BBCH 32 F-1, in BBCH 37 spitzt das Fahnenblatt (F) und ab BBCH 51 schiebt die Ähre. Der Halm hat dann fünf Internodien.

Ohne oder nur bei kurzer Vegetationsruhe wird bei Septembersaaten zu BBCH 30 erst F-4 geschoben, sodass der Halm sechs Internodien ausbildet. Die Internodien sind unten kurz und kräftig und werden nach oben hin länger und dünner. So bleiben die Pflanzen wie ein Teleskop unten standfest und oben geschmeidig, um bei Wind und Wetter nachgeben zu können – ohne zu knicken oder zu brechen.Der älteste Trieb hat den höchsten Gibberellinpegel und das größte Streckungspotenzial.

Je jünger der Nebentrieb, umso geringer das Längenwachstum und desto eher wird er von den älteren Trieben mit den größeren Blättern beschattet und reduziert bzw. nicht vollständig ausgebildet (Strohtrieb). Triebe, die zu Streckungsbeginn noch keine Kronenwurzeln, aber bereits drei bis vier Blätter gebildet haben, werden nur eine unterständige Ähre bilden. Triebe mit weniger als drei Blätter werden reduziert.

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Differenzierung der Ähre: Wie viele Ährchen ­werden es?

Im Schossen werden die Spindelstufen (Ährchen) an der Ährenanlage ausgebildet. Weizen, Roggen und Triticale beenden diese mit dem Aufstellen des Spitzenährchens (siehe Fotos 17 bis 19). Die Pflanze befindet sich dann zwischen BBCH 31 und 32.

Die Ausbildung der mehrblütigen Ährchen geht weiter, bis die Streckung der Ährenspindel („Große Periode“) ab etwa BBCH 32 beginnt. Die Ähre ist jetzt 1 cm lang und die Grannen beginnen zu wachsen. Gerste hat ein Spitzenmeristem, das immer weitere Ährchen ausbildet (siehe Fotos 20 bis 22).

Durch den großen Entwicklungsunterschied zu den älteren Ährchen bleiben sie in der Großen Periode auf der Strecke. Wie viele dieser labilen Ährchen reduziert werden, hängt von den Umweltbedingungen und der Nährstoffversorgung ab. Kühle Witterung und hohe Versorgung mit Stickstoff verzögern diese Entwicklung und unterstützen den Erhalt der jüngeren Ährchen.

Mit Beginn der Großen Periode ist die maximale Blütenzahl erreicht. Danach beginnt die Reduktionsphase. Nicht weit genug entwickelte (labile) Blüten und Ährchen reduzieren die Pflanzen. Je langsamer sich in den folgenden zwei bis drei Wochen die Pflanze bei guter Wasser- und Nährstoffversorgung entwickelt, desto geringer fällt die Reduktion aus.

Die Hormongruppe der Gibberelline ist an der Spindelstreckung und der Anbindung der Blüten an das Phloem beteiligt. Stören Wachstumsregulatoren die Gibberellinsynthese oder verschiebt sich das Auxin/Gibberellin-Verhältnis durch auxinwirksame Herbizide (z. B. Wuchsstoffe, auch synthetische Wuchsstoffe wie Fluroxypyr), ist auch die Ährenbildung gestört. Daher sollte man phytohormonell-wirkende Substanzen während der 14-tägigen Großen Periode, insbesondere bei zusätzlichem Trocken- oder Nachtfroststress, nicht einsetzen.

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Blüte: Fremd- und ­Selbst­befruchter

Mit dem Ährenschieben sind alle Pflanzenorgane ausgebildet. Es reifen noch die Blütenpollen, die weibliche Narbe und die Fruchtknoten. Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt können diese Prozesse bis hin zum Blütenverlust stören. Bei Gerste führt das zur Laternenblütigkeit und bei Roggen zu Schartigkeit. Bei Weizen und Triticale sind frühe Blütenverluste erst später durch die fehlenden Körner der Ährchen zu erkennen.

Als erste Kultur blüht Wintergerste ab Anfang Mai, manchmal sogar schon im Halm. Dann erst blühen die anderen Kulturen, wie Übersicht 1 oben zeigt. Roggen ist Fremdbefruchter und blüht bei offenen Spelzen vollständig offen ab. Offene, nicht befruchtete Blüten sind anfällig für Pilzinfektionen durch Sporen von Mutterkorn (Claviceps purpurea) und Fusarium (Fusarium ssp.).

Bei nasser Witterung, Nachtfrost oder Hitze-/Trockenstress blühen auch die Selbstbefruchter (Gerste, Weizen, Triticale) mit leicht geöffneten Spelzen, was das Infektionsrisiko verstärkt. Während Roggen unter günstigen Bedingungen (warm, trocken, hohe Thermik, Wind) an einem Vormittag abblüht, benötigen alle anderen Getreidearten vier bis fünf Tage, bis die jüngsten Blüten einer Ähre bestäubt sind. In Beständen mit hohem Anteil an unterständigen, späten Ähren kann sich die Blüte des Weizens bis zu 14 Tage hinziehen. Dadurch steigt auch das Zeitfenster für Infektionen durch Fusarium.

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Kornbildung: Einlagerung von Protein und Stärke

Nachdem die Blüten der Ährchen befruchtet sind, initiieren Cytokinine die Bildung von Endospermzellen. Zunächst werden die „Silozellen“ mit bis zu 200.000 Einzelzellen angelegt.

In der frühen Milchreife (BBCH 73), etwa zehn Tage nach der Befruchtung, beginnt die Einlagerung der Aleuronproteine in die Aleuronschicht (Foto 24), die sich unter der Samenschale befindet. Diese einlagige, bei Gerste dreilagige, Zellschicht wird zügig mit Proteinen gefüllt. Parallel dazu entwickelt sich der Embryo. Dieser ist bis Ende der Milchreife (BBCH 77) vollständig ausgebildet und bereits keimfähig.

Danach lagert die Pflanze Stärke und Kleberproteine in die Endospermzellen ein (Foto 25). Während der Teigreife (BBCH 83 bis 87) wird die Einlagerung fortgesetzt und es baut sich die Keimruhe im Embryo durch den Anstieg der Abscisinsäure (ABA) auf. Die Keimruhe unterbindet Auswuchs und vorzeitiges Auskeimen vor der Ernte. Nasse Witterungsbedingungen während der Abreife verhindern den Aufbau der Keimruhe und führen zu Auswuchs. Je dichter die Stärke gepackt wird, umso höher wird das Hektolitergewicht (HLG). Hitze und Trockenheit können die Einlagerung abrupt beenden (niedriges HLG).

Bei Gerste, Hafer, auch beim Spelzweizen (Dinkel) sind Deckspelze und Vorspelze mit dem Korn verwachsen und werden mitgeerntet. Es gibt auch Nacktformen von Gerste und Hafer, die aber ein geringeres Ertragspotenzial haben als bespelzte Formen.

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Ertragsstruktur: Es zählen Ähren, Körner und Gewicht

Die Ertragsstruktur des Getreides ist kalkulierbar: Sie setzt sich zusammen aus der Pflanzenzahl je m², der Zahl der Ähren je Pflanze, der Anzahl Körner je Ähre und der Tausendkornmasse (TKM). Die Ährenzahl je m² ausmultipliziert mit der Kornzahl je Ähre ergibt die Korndichte – die Anzahl der je m² geernteten Körner.

Ist die Ährendichte nicht bekannt, lässt sich die Korndichte auch aus dem Ertrag (dt/ha), dividiert durch die Tausendkornmasse (g), errechnen – das Ergebnis multipliziert man mit 10.000.

Beim Getreide ist der Fruchtstand meist eine Ähre, Hafer hingegen trägt eine Rispe. Beim Dinkel ist die Spindel brüchig und wird zusammen mit den Spelzen gedroschen und erst später geschält. Die Ährchen mit anhängendem Spindelstück sind die Vesen.

Die Kornzahl je Ähre ergibt sich aus der Anzahl der Ährchen, auch Spindelstufen genannt und der ausgebildeten Körner je Ährchen. Die Anlage der Ährchen wird durch das Aufstellen des Spitzenährchens begrenzt oder bleibt am Spitzenmeristem offen (Gerste). Die Ährchen sind mehrblütig, bei Gerste nur einblütig. Beim Roggen werden nur zwei Körner je Ährchen ausgebildet.

Bei Weizen, Triticale, Dinkel und Hafer werden je nach Versorgungszustand und Witterung die jüngsten Blüten reduziert. Gerste legt immer drei einblütige Ährchen an einer Spindelstufe an, von denen aber bei der Zweizeiligen nur die mittlere Blüte ausgebildet wird. Ganze Spindelstufen, die nicht versorgt werden können, z. B. durch Hitze, Trockenstress oder Nährstoffdefizite, werden an der Ährenbasis (Weizen, Triticale, Dinkel, Hafer) oder der Ährenspitze (Gerste, Roggen) reduziert. Auch Frost kann nachträglich den Ertrag reduzieren.

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Glossar: Begriffe einfach erklärt

Apikal: An der Spitze (Blatt-, Spross-, Wurzelspitze) gelegen, zur Spitze gerichtet. Der Gegensatz ist basal: zur Basis gerichtet.

Bürgerliche Dämmerung: Zeitraum von Sonnenuntergang auf Horizonthöhe bis 6 ° unter dem Horizont, bzw. Sonnenaufgang ab 6 ° unter Horizonthöhe. Die Dämmerung wirkt sich bereits auf die Photomorphogenese aus.

Gradtage: Die Wachstumsgradtage (°Cd) sind ein gängiges Maß, um die Entwicklung von Pflanzen zu beschreiben. Die Temperatursumme ergibt sich aus der Tagesdurchschnittstemperatur. Zehn Tage à 10 °C ergeben 100 °Cd. Berücksichtigt werden nur die kulturspezifischen Vegetationstage (Getreide + 5 °C, Hybridgetreide + 4 °C).

Halmheber: Gewebeabschnitt zwischen Embryo und Stängelbasis, der nur bei den Gräsern und nur bei zu tiefer Ablage ausgebildet wird.

Kurztag, Langtag: Für das Getreide in Mitteleuropa beginnt (1. April) und endet (10. September) der Langtag bei 14 Stunden Tageslänge einschließlich der bürgerlichen Dämmerung. Die Daten beziehen sich auf Frankfurt/M. Im Norden beginnt er fünf Tage früher (27. März) und endet vier Tage später (14. September). Die Tageslänge steuert alle photomorphogenetischen Prozesse.

Meristem: Teilungsfähiges Gewebe, das neue Organe hervorbringen kann.

Photomorphogenese: Licht steuert die Gestaltbildung (Keimung, Schossen, Ährenentwicklung, Blüte). Es genügen 100 Lux Lichtleistung, die etwa einer klaren Vollmondnacht entsprechen oder mit Beginn der bürgerlichen Dämmerung erreicht werden. Bei einigen Prozessen (z. B. Keimung) spielt auch die Wellenlänge ein Rolle.

Vernalisation: Einwirkung von Kälte im Kurztag, die für die Umsteuerung von der Blattanlage auf die Ährenanlage bei Langtagspflanzen nötig ist. Bei Getreide ist der Temperaturbereich zwischen - 1 und + 9 °C wirksam. Winterweizen benötigt 40 bis ­50 Tage, Roggen und Triticale 30 bis 40 Tage Vernalisation. Sommerformen kommen mit einer Woche Ver­nalisation aus.

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