Im vergangenen Winter gab es wegweisende Entscheidungen im Pflanzenschutz: Das EU-Parlament erteilte der sogenannten SUR-Verordnung eine Absage und die EU-Kommission hat den Wirkstoff Glyphosat für weitere zehn Jahre zugelassen.
Aufgrund der Zulassungsverlängerung auf EU-Ebene konnte das BMEL das geplante Glyphosatverbot zum 1.1.2024 nicht halten und veröffentlichte eine Eilverordnung, die das Anwendungsverbot bis zum 30.6.2024 aussetzt.
Ende April kam dann die Nachricht, dass sich die Bundesregierung mit ihrem Beschluss zur novellierten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung offiziell von einem vollständigen Glyphosatverbot verabschiedete.
Was passiert mit Glyphosat in Deutschland?
Für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sollte Glyphosat nur als letztes Mittel genutzt werden; so wie es die gute fachliche Praxis und der Integrierte Pflanzenschutz schon längst vorsehen.
Auch sonst setzt Özdemir weiter auf eine Reduzierung der Glyphosatanwendung oder sogar den Totalverzicht. Diese Strategie ist ebenfalls Teil vom im März gestarteten „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“.
Konsequenterweise heißt ein Kapitel des vom BMEL dazu vorgelegten Diskussionspapiers „Auf Anwendung des Totalherbizids Glyphosat verzichten“. Statt mit Zwang soll hier nach jetzigem Stand aber vor allem mit Beratung, Forschung und Förderung gearbeitet werden. Vorbild sind beispielsweise der „Niedersächsische Weg“ und dessen Pendant in Baden-Württemberg.
10 % der Fläche ohne Pflanzenschutz
Wer Glyphosat in diesem Frühjahr anwenden wollte, musste auf die sogenannten NT-Auflagen achten, die einige Präparate im Zuge der Zulassungen vom BVL erhalten haben. Ein Beispiel dafür ist die NT 307-90. Sie besagt, „dass zum Schutz der nicht zu bekämpfenden Arten der Ackerbegleitflora als Lebensraum und Nahrungsgrundlage für Arthropoden und Wirbeltiere die Anwendung des Pflanzenschutzmittels nur auf höchstens 9/10 des für die Anwendung vorgesehenen Schlages erfolgen darf“.
Das heißt im Umkehrschluss: Mittel mit dieser Auflage dürfen auf 10 % der Fläche nicht angewendet werden. Zudem muss man beim Einsatz betroffener Präparate zu angrenzenden unbehandelten Teilflächen einen mindestens 20 m breiten Streifen mit verlustmindernden Düsen (Abdriftminderungsklasse 90 %) behandeln. Generell soll man laut dieser NT-Auflage die unbehandelte Teilfläche vorzugsweise als Randstreifen mit einer Mindestbreite von 5 m anlegen. Auf diesem soll der Düngereinsatz reduziert erfolgen.
Es bleiben Anwendungsverbote für Glyphosat
Zu berücksichtigen sind auch die nach wie vor generell geltenden Anwendungsbeschränkungen und -verbote für Glyphosat. Grundsätzlich verboten sind:
Anwendungen in Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten sowie in Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten (egal in welcher Kultur),
Spätanwendungen vor der Ernte (Sikkation) in allen Kulturen und
Einsätze in Naturschutzgebieten, Nationalparks, nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und gesetzlich geschützten Biotopen – ebenfalls in allen Kulturen.
Was vom Green-Deal in Brüssel übrig ist
Dass europäische Landwirte überhaupt noch Glyphosat einsetzen dürfen, liegt nicht zuletzt an der EU-Kommission. Die hat im November 2023 einsam entschieden, dass das Herbizid für weitere zehn Jahre in der EU zugelassen bleibt. Damit folgte die Kommission dem Bericht der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die in ihrer ausführlichen Beurteilung „keine kritischen Problembereiche“ feststellen konnte.
Die 27 EU-Mitgliedstaaten konnten keine gemeinsame Position finden und ließen die EU-Kommission entscheiden. In den vergangenen Monaten hat die ihren agrar- und umweltpolitischen Kurs umgedreht. Nachdem das Europaparlament mit seinem Votum die EU-Pflanzenschutzverordnung (sustainable use regulation, SUR) zu Fall brachte, hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Gesetzesvorschlag offiziell aus dem Spiel genommen.
Die SUR war bis zuletzt umstritten. Umweltschützer sahen in ihr den einzigen wirksamen Hebel, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der EU bis 2030 zu halbieren. Vor allem Landwirte konnten mit den drohenden Einsatzverboten in sogenannten „sensiblen Gebieten“ und neuer Bürokratie nicht leben.
Gestartet war EU-Kommissionschefin von der Leyen 2019 mit dem Green Deal und dem Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Viele Krisen später ist zumindest von der Farm to Fork-Strategie, dem agrarpolitischen Teil des Green Deal, nicht viel übrig. Das gestand die EU-Kommission kürzlich sogar in einem internen Dokument selbst ein. Der Eindruck vieler EU-Beobachter: Die Kommission ist unter ihrem ehemaligen Vizepräsidenten Frans Timmermans sehr ambitioniert, zu ambitioniert, mit dem Green Deal gestartet.
Das brachte vor allem Landwirte und den ländlichen Raum auf die Palme. Nach Timmermans Abgang aus Brüssel, massiven Bauernprotesten und kurz vor der EU-Wahl kam die Kehrtwende von der Leyens, die das SUR-Aus besiegelte und Auflagen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) abschwächte.
Europawahl entscheidet, wie es weiter geht
Das Schreckgespenst SUR ist zurück in der Kiste, aus der es kam. Doch vom Tisch ist das Thema Pflanzenschutz in der EU sicher nicht. Denn eine Befragung unter 26.411 Europäern im Auftrag des EU-Parlamentes hat jüngst gezeigt, dass die Agrarpolitik auch bei der EU-Wahl am 9. Juni eine Rolle spielen dürfte. Immerhin 30 % der EU-Bürger sehen demnach Ernährungssicherheit und Landwirtschaft als wichtigstes Thema für die EU-Politik der nächsten Jahre.