Die Glyphosat-Gegner haben einen Pyrrhussieg errungen. Zwar ist die zehnjährige Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat - wie von der EU-Kommission vorgeschlagen - vom Tisch, aber ein gleichzeitiges definitives Schlussdatum ist nicht in Sicht.
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Die Glyphosat-Gegner haben einen Pyrrhussieg errungen. Zwar ist die zehnjährige Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat - wie von der EU-Kommission vorgeschlagen - vom Tisch, aber ein gleichzeitiges definitives Schlussdatum ist nicht in Sicht. Zu diesem Ergebnis gelangten die 28 EU-Mitgliedstaaten bei ihren Beratungen im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Lebens- und Futtermittel (PAFF) am Mittwoch in Brüssel. Eine Abstimmung über eine Verlängerung fand nicht statt und wurde auf ein noch zu bestimmendes Datum in der ersten Novemberhälfte vertagt.
Als Konsequenz der mit großer Mehrheit gefassten Entschließung im Europäischen Parlament (EP) am Dienstag, Glyphosat ab 2022 völlig vom Markt zu nehmen, hatte der belgische Landwirtschaftsminister Denis Ducarme am Mittwoch im PAFF-Ausschuss gefordert mit einer Entscheidung über eine weitere Zulassung gleichzeitig auch ein Schlussdatum (phasing out) festzulegen.
Die EU-Kommission erklärte darauf hin, dass im derzeitigen Verfahren eine Entscheidung für eine weitere Zulassung oder eine Nichtzulassung anstehe, aber nicht über eine Verlängerung mit fixem Schlussdatum entschieden werden könne. „Der EU-Kommission stehen keine rechtlichen Mittel im laufenden Verfahren zur Verfügung über einen phasing out-Termin zu entscheiden“, sagte eine Sprecherin von EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis gegenüber top agrar. Die EU-Kommission zeige allerdings Flexibilität und werde alle Anstrengungen unternehmen, um mit den Mitgliedstaaten bis zum 15. Dezember vor Auslaufen der Genehmigung von Glyphosat in der landwirtschaftlichen Anwendung zu einer Einigung zu kommen.
EU-Gesundheitskommissar will mit Flexibilität Konsens erreichen
Der mit dem Dossier beauftragte EU-Gesundheitskommissar hatte sich am Dienstag bei der Kommissionssitzung in Straßburg die Rückendeckung vom Kollegium aller 28 EU-Kommissare für eine flexible Verhandlungsführung mit den Mitgliedstaaten im Streit um Glyphosat gesichert. So wolle die EU-Kommission sich flexibel bei der Zeitachse einer Verlängerung zeigen. Derzeit sind die Optionen fünf oder sieben Jahre als Zeitraum für eine Genehmigungsverlängerung im Gespräch. Frankreich könne mit einer befristeten Verlängerung von fünf Jahren politisch leben, ließ ein französischer EU-Diplomat durchsickern.
Das Treffen habe in einer sehr konstruktiven und fruchtbaren Atmosphäre stattgefunden, versicherte eine Kommissionssprecherin. EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis sei es sehr daran gelegen, einen Konsens mit allen Mitgliedstaaten bis Mitte Dezember zu finden. Als Stolperstein, dass dieser Wunsch noch vor Weihnachten in Erfüllung geht, könnte die juristische Weigerung darstellen, noch vor Ende des Jahres auch den Einstieg in den Ausstieg zu verhandeln. „Dies erfordert ein neues Gesetzgebungsverfahren“, erklärte Andriukaitis Sprecherin gegenüber top agrar, was in diesem Jahr nicht mehr zu bewerkstelligen sei.
Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling, wertete die „Gescheiterte Wahl, als eine gute Wahl“. Zu Recht habe die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU-Kommission heute die Zustimmung für eine Wiedergenehmigung von Glyphosat für zehn Jahre verweigert. Der Kommissionsvorschlag verkenne den Stand der Wissenschaft und die Erwartungen der Menschen an ein vertrauenswürdiges Risikoprüfungsverfahren. „Die EU-Kommission ist hoffentlich jetzt schlau genug, die Zeichen der Zeit zu deuten und in ihrem nächsten Abtimmungsvorschlag dafür zu sorgen, dass Glyphosat vom Markt und von den Feldern genommen wird“.
Die stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft und SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Hagl-Kehl forderte in einer Presseerklärung, dass der Expertenstreit um den Wirkstoff Glyphosat beendet werden müsse. „Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) hat wertvolle Zeit verstreichen lassen. Das von der SPD-Bundestagsfraktion geforderte Ausstiegskonzept für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel könnte längst vorliegen. Stattdessen wird der Schwarze Peter der EU-Kommission zugeschoben“, sagte Hagl-Kehl. Ein schrittweiser Glyphosatausstieg schaffe Chancen für eine zukunftsfähige , innovative und nachhaltige Landwirtschaft. „Wir fordern deshalb, dass in einem nationalen Ausstiegsplan verstärkt auf die Forschung für alternative Bewirtschaftungsmethoden und ökologisch verträglicher Pflanzenschutzmittel gesetzt wird“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende.
Tackmann sieht Glaubwürdigkeit der EU-Zulassungspolitik in Gefahr
Für Kirsten Tackmann von den Linken ist die Verschiebung ein Offenbarungseid. Für eine Wiederzulassung dieses Wirkstoffes fehlten die Grundlagen.Sie kritisiert, dass in Stellungnahmen von Zulassungsbehörden ganze Passagen von den antragstellenden Konzernen auftauchen - ohne Angabe der Quelle. Der Verweis auf die Üblichkeit dieser Praxis nährt ihrer Meinung nach nur noch mehr Zweifel an der Neutralität des Zulassungsverfahrens selbst und an der Ernsthaftigkeit, den Vorsorgegrundsatz tatsächlich durchzusetzen.
„Vor diesem Hintergrund ist klar, dass es bei diesem Streit auch um den Einfluss von Monsanto und Co auf politische Entscheidungen geht. Hier muss auch Deutschland ein klares Signal der Unabhängigkeit senden, soll nicht weiter Vertrauen verspielt werden", so Tackmann.
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Die Glyphosat-Gegner haben einen Pyrrhussieg errungen. Zwar ist die zehnjährige Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat - wie von der EU-Kommission vorgeschlagen - vom Tisch, aber ein gleichzeitiges definitives Schlussdatum ist nicht in Sicht. Zu diesem Ergebnis gelangten die 28 EU-Mitgliedstaaten bei ihren Beratungen im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Lebens- und Futtermittel (PAFF) am Mittwoch in Brüssel. Eine Abstimmung über eine Verlängerung fand nicht statt und wurde auf ein noch zu bestimmendes Datum in der ersten Novemberhälfte vertagt.
Als Konsequenz der mit großer Mehrheit gefassten Entschließung im Europäischen Parlament (EP) am Dienstag, Glyphosat ab 2022 völlig vom Markt zu nehmen, hatte der belgische Landwirtschaftsminister Denis Ducarme am Mittwoch im PAFF-Ausschuss gefordert mit einer Entscheidung über eine weitere Zulassung gleichzeitig auch ein Schlussdatum (phasing out) festzulegen.
Die EU-Kommission erklärte darauf hin, dass im derzeitigen Verfahren eine Entscheidung für eine weitere Zulassung oder eine Nichtzulassung anstehe, aber nicht über eine Verlängerung mit fixem Schlussdatum entschieden werden könne. „Der EU-Kommission stehen keine rechtlichen Mittel im laufenden Verfahren zur Verfügung über einen phasing out-Termin zu entscheiden“, sagte eine Sprecherin von EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis gegenüber top agrar. Die EU-Kommission zeige allerdings Flexibilität und werde alle Anstrengungen unternehmen, um mit den Mitgliedstaaten bis zum 15. Dezember vor Auslaufen der Genehmigung von Glyphosat in der landwirtschaftlichen Anwendung zu einer Einigung zu kommen.
EU-Gesundheitskommissar will mit Flexibilität Konsens erreichen
Der mit dem Dossier beauftragte EU-Gesundheitskommissar hatte sich am Dienstag bei der Kommissionssitzung in Straßburg die Rückendeckung vom Kollegium aller 28 EU-Kommissare für eine flexible Verhandlungsführung mit den Mitgliedstaaten im Streit um Glyphosat gesichert. So wolle die EU-Kommission sich flexibel bei der Zeitachse einer Verlängerung zeigen. Derzeit sind die Optionen fünf oder sieben Jahre als Zeitraum für eine Genehmigungsverlängerung im Gespräch. Frankreich könne mit einer befristeten Verlängerung von fünf Jahren politisch leben, ließ ein französischer EU-Diplomat durchsickern.
Das Treffen habe in einer sehr konstruktiven und fruchtbaren Atmosphäre stattgefunden, versicherte eine Kommissionssprecherin. EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis sei es sehr daran gelegen, einen Konsens mit allen Mitgliedstaaten bis Mitte Dezember zu finden. Als Stolperstein, dass dieser Wunsch noch vor Weihnachten in Erfüllung geht, könnte die juristische Weigerung darstellen, noch vor Ende des Jahres auch den Einstieg in den Ausstieg zu verhandeln. „Dies erfordert ein neues Gesetzgebungsverfahren“, erklärte Andriukaitis Sprecherin gegenüber top agrar, was in diesem Jahr nicht mehr zu bewerkstelligen sei.
Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling, wertete die „Gescheiterte Wahl, als eine gute Wahl“. Zu Recht habe die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU-Kommission heute die Zustimmung für eine Wiedergenehmigung von Glyphosat für zehn Jahre verweigert. Der Kommissionsvorschlag verkenne den Stand der Wissenschaft und die Erwartungen der Menschen an ein vertrauenswürdiges Risikoprüfungsverfahren. „Die EU-Kommission ist hoffentlich jetzt schlau genug, die Zeichen der Zeit zu deuten und in ihrem nächsten Abtimmungsvorschlag dafür zu sorgen, dass Glyphosat vom Markt und von den Feldern genommen wird“.
Die stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft und SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Hagl-Kehl forderte in einer Presseerklärung, dass der Expertenstreit um den Wirkstoff Glyphosat beendet werden müsse. „Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) hat wertvolle Zeit verstreichen lassen. Das von der SPD-Bundestagsfraktion geforderte Ausstiegskonzept für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel könnte längst vorliegen. Stattdessen wird der Schwarze Peter der EU-Kommission zugeschoben“, sagte Hagl-Kehl. Ein schrittweiser Glyphosatausstieg schaffe Chancen für eine zukunftsfähige , innovative und nachhaltige Landwirtschaft. „Wir fordern deshalb, dass in einem nationalen Ausstiegsplan verstärkt auf die Forschung für alternative Bewirtschaftungsmethoden und ökologisch verträglicher Pflanzenschutzmittel gesetzt wird“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende.
Tackmann sieht Glaubwürdigkeit der EU-Zulassungspolitik in Gefahr
Für Kirsten Tackmann von den Linken ist die Verschiebung ein Offenbarungseid. Für eine Wiederzulassung dieses Wirkstoffes fehlten die Grundlagen.Sie kritisiert, dass in Stellungnahmen von Zulassungsbehörden ganze Passagen von den antragstellenden Konzernen auftauchen - ohne Angabe der Quelle. Der Verweis auf die Üblichkeit dieser Praxis nährt ihrer Meinung nach nur noch mehr Zweifel an der Neutralität des Zulassungsverfahrens selbst und an der Ernsthaftigkeit, den Vorsorgegrundsatz tatsächlich durchzusetzen.
„Vor diesem Hintergrund ist klar, dass es bei diesem Streit auch um den Einfluss von Monsanto und Co auf politische Entscheidungen geht. Hier muss auch Deutschland ein klares Signal der Unabhängigkeit senden, soll nicht weiter Vertrauen verspielt werden", so Tackmann.