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topplus Wertvoller Dünger

Gülle und Gärreste plötzlich gesucht!

Hohe Kosten für die Gülleverwertung sind ein massiver Wettbewerbsnachteil in viehdichten Regionen. Doch nun dreht sich der Wind. Gülle und Gärreste sind plötzlich gesucht.

Lesezeit: 9 Minuten

Seit Jahrzehnten kennen die Verwertungskosten für Wirtschaftsdünger eigentlich nur eine Richtung. Denn strengere Düngeregeln, steigende Flächenkonkurrenz durch Biogasanlagen und höhere Transportkosten trieben den Aufwand für Viehhalter von Jahr zu Jahr weiter in die Höhe. Doch seit einigen Monaten entspannt sich die Lage am Nährstoffmarkt spürbar.

Schon im Sommer berichteten Händler von Wirtschaftsdünger, dass in vielen Regionen die Verwertungskosten um einige Euro pro Kubikmeter gesunken sind. Was sind die Gründe und wie sollten sich Betriebe verhalten, die im nächsten Frühjahr Gülle abgeben wollen? top agrar hat sich umgehört.

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Abgabepreise sinken

Die Kosten für die Verwertung von Wirtschaftsdünger lassen sich nicht pauschal beziffern, weil sie von vielen Faktoren abhängen. Der saisonale Verlauf der Kosten bzw. Preise ist hingegen seit Jahren identisch. „Normalerweise steigen die Verwertungskosten für Schweinegülle und Gärreste zum Herbst bzw. Winter an“, berichtet Andreas Wissing vom Nährstoffvermittler Odas aus dem westfälischen Dorsten. In diesem Jahr seien die Preise, um Gülle oder Gärreste zu verwerten, allerdings seit dem Sommer sogar teilweise gesunken, berichtet er.

Diesen Trend bestätigt auch Kathrin Albers. Sie ist Geschäftsführerin der Naturdünger-Verwertungs GmbH, deren Gesellschafter unter anderem die beiden Kreislandvolkverbände Cloppenburg und Vechta in Niedersachsen sind. Aufnehmer von Geflügelmist müssten schon länger dafür zahlen, nun sei es bei Schweine- und Rindergülle auch so weit, sagt Albers.

„Früher war es üblich, dass der abgebende Betrieb die Einarbeitungskosten übernimmt“, berichtet sie. Sie könne sich aber gut vorstellen, dass im nächsten Jahr, je nach Region, der aufnehmende Betrieb das zahlt und sich sogar an den Transportkosten beteiligen müsse. Was die Verwertung nun konkret kostet oder vielleicht sogar an Erlösen bringt, ließ Albers offen. Das sei regional sehr unterschiedlich und hänge letztlich auch vom Wetter ab.

Julia Lambers vom Landesverband der Maschinenringe in Westfalen-Lippe e.V. sieht das ähnlich. „Bei den Verwertungskosten ist momentan ein leichter Rückgang zu verzeichnen“, sagt sie. Die Abgabebereitschaft sei momentan aber noch nicht sehr hoch, da viele Landwirte die Entwicklungen im Frühjahr abwarten wollten.

Immer weniger Gülle

Grundsätzlich geht das Nährstoffangebot aus Wirtschaftsdünger schon seit einigen Jahren zurück. Verlässliche Statistiken dazu gibt es nur wenige, aber die Ergebnisse der letzten großen Landwirtschaftszählung 2020, die sich auf 2019 beziehen, zeigen den Abwärtstrend.

Und die Güllemengen dürften seit dieser Zählung noch weiter gesunken sein. Denn laut der Viehzählungsergebnisse sind die Rinderbestände seit 2019 um rund 4 % und die der Schweine um rund 5 % zurückgegangen. Vor allem bei Schweinehaltern beschleunigt sich der Strukturwandel derzeit sogar. „Hinzu kommt, dass Schweinemäster ihre Ställe wegen schlechter Preise zeitweise leer stehen lassen“, berichtet ­Albers. Außerdem sei die Belegdichte durch die Vorgaben der Initiative Tierwohl auf vielen Betriebe reduziert.

Abgesehen davon lässt auch der Nährstoffdruck aus dem Ausland nach. Die Niederlande halten nach staatlich finanzierten Ausstiegsprogrammen und der Einführung einer Phosphorquote nun deutlich weniger Tiere als noch vor ein paar Jahren und müssen entsprechend weniger Wirtschaftsdünger exportieren, berichten Beobachter.

Ackerbauern interessiert

Neben dem sinkenden Gülleangebot, steigt gleichzeitig die Nachfrage spürbar. Hanna Varnhorn, die bei Mischfutterhersteller GS-agri in Niedersachsen die Nährstoffvermittlung organisiert, beobachtet spürbar mehr Anfragen nach Gülle und Gärsubstraten. „Auch Ackerbauern in 150 bis 200 Kilometer Entfernung haben nun Interesse an Wirtschaftsdünger“, berichtet sie.

Hauptgrund für das plötzliche Interesse an Gülle ist sicherlich der teure bzw. nicht vorhandene Mineraldünger. Die Preise haben sich binnen weniger Wochen vervielfacht und viele Händler geben keine Garantie, dass im Frühjahr zur Andüngung ausreichend Ware vorhanden ist. Kein Wunder also, dass sich die Ackerbauern nun stärker für Gülle, Mist und Co. interessieren.

Experten erklären seit Jahren, dass Wirtschaftsdünger ein super Mehrnährstoffdünger ist und mineralische Ware problemlos ersetzt. Außerdem fördert er das Bodenleben. Bei aktuellen Harnstoffpreisen von rund 800 € je t hat durchschnittliche Schweine- oder Rindergülle nach Berechnung der Landwirtschaftskammer einen Nährstoffwert von 10 bis 13 € pro Kubikmeter. Davon muss man natürlich noch Transport und Ausbringungskosten abziehen.

Ein weiterer Grund für mehr Interesse der Ackerbauern ist das verbesserte Management bei Wirtschaftsdünger. Von der Gülleaufbereitung über die Analyse bis hin zu Logistik und Ausbringungstechnik ist das System heute so weit, dass sich Gülle fast so bodenschonend, effizient und exakt ausbringen lässt wie Mineraldünger.

Politische Unsicherheit

Die Entspannung am Nährstoffmarkt ist regional allerdings sehr unterschiedlich. In vielen Regionen Deutschlands darf wegen der neuen Düngeverordnung (DÜV) bzw. der roten Gebiete weniger Stickstoff ausgebracht werden. Außerdem ist Düngen zur Zwischenfrucht nicht erlaubt. Beides führte beispielsweise 2021 dazu, dass der „Gülledruck“ punktuell sogar noch anstieg.

Und die Diskussionen um die DÜV gehen weiter, denn Brüssel wirft Deutschland aktuell vor, es habe die roten Gebiete kleingerechnet. Wie dieser Streit ausgeht, ist offen. Im schlimmsten Fall könnten sogar weitere Verschärfungen drohen, heißt es. Außerdem könnte auch die Debatte um Phophor­überschüsse mittelfristig neue Probleme mit sich bringen.

Wie reagieren?

Kurzfristig hängt die Preisentwicklung beim Wirtschaftsdünger wohl stark vom Energie- bzw. Düngermarkt ab. Wie verfügbar und teuer Mineraldünger im Frühjahr 2022 ist, kann derzeit niemand vorhersehen. „Die Meinungen zu den dann gültigen Verwertungskosten gehen extrem weit auseinander“, erklärt Wissing von Odas. Während sich einige Tierhalter mit ihrer Gülle schon reich rechneten, sind etliche Ackerbauern weiterhin der Meinung, sie nehmen ihren Berufskollegen eine Last, wenn sie Gülle aufnehmen. „Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen”, meint Wissing.

Wegen dieser Unsicherheit rät Varnhorn von GS-Agri ihren Kunden derzeit davon ab, langfristige Verträge mit festen Preisen zur Gülleabnahme abzuschließen. „Dafür ist der Markt zu sehr in Bewegung“, erklärt sie. Tierhalter sollten den Markt für Wirtschaftsdünger aber im Auge behalten.

Ohnehin ist es für die Preisfindung aktuell wohl noch zu früh. Üblicherweise findet sich der Markt meist Ende Dezember bzw. Anfang Januar. Aufgrund der unsicheren Lage könne es in dieser Saison aber auch länger dauern, meinen Marktbeobachter.

Grundsätzlich sollten Tierhalter versuchen bis zum Frühjahr die Gülle selbst zu lagern. „Gebraucht werden die Nährstoffe im Frühjahr, dann ist je nach Preisentwicklung auch ein weiterer Kostenrückgang für die Abgabe denkbar“, erklärt Julia Lambers. Durch geringere Tierzahlen ist möglicherweise auch in der Nachbarschaft Lagerraum frei geworden.

Landwirte in entfernten Ackerbauerregionen sollten sich nach Expertenmeinung schon jetzt die Mengen sichern. „Im Idealfall ist in der Nähe ­Lagerraum frei, wo der Wirtschaftsdünger überwintern kann“, sagt Wissing. Wer erst im Frühjahr nach Ware sucht, geht 2022 vermutlich leer aus, so seine Meinung.

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Gülle und Biomethan

Geld für THG-Quoten

Wer Biogas aus Wirtschaftsdünger erzeugt, spart viel Treibhausgas (THG) bzw. CO2 ein. Durch die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II), die nun in deutsches Recht umgesetzt wird, bekommt diese THG-­Minderung praktisch einen Wert. Denn wer Biomethan als Kraftstoff verkauft, kann eine entsprechende THG-Minderung in Form einer Quote an Mineralöl­unternehmen verkaufen. Diese haben ein großes Interesse an dem Gas aus Gülle und Mist bzw. an der damit erzeugten THG-Quote, weil sie damit ihrer THG-Minderungspflicht einfacher nachkommen können.

Die Pflicht zur Minderung liegt aktuell bei 6 % und steigt bis 2030 auf 25 %, weshalb z. B. Tankstellenbetreiber immer mehr Treibhausgase einsparen müssen. Die hohe Nachfrage nach THG-Quoten führt schon jetzt dazu, dass hohe Preise von 250 € pro t CO2-Einsparung und mehr bezahlt werden. Rechnet man das in ct pro kWh um, so erhält jemand, der Biomethan aus Abfall oder Reststoffen wie Stroh verkauft, rund 6,5 ct/kWh. Der Preis setzt sich zusammen aus Quotenerlös und reinem Gaspreis. Bei Biomethan aus Gülle oder Mist liegt der Preis dagegen bei über 12 ct/kWh.

Kurzum: RED II führt dazu, dass Biogasanlagen, die Biomethan ver­kaufen können, künftig weniger Mais und mehr Wirtschaftsdünger vergären. Marktteilnehmer berichten, dass der Bedarf vor allem an Rinder- und Hähnchenmist steigt. Die Preisbildung ist ­dabei regional sehr unterschiedlich. Die Substrate kosten aber definitiv Geld.

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K O M M E N T A R

Vom Reststoff zum Wertstoff

Auf dem Güllemarkt geht es um viel Geld. In den Hotspots mussten Tierhalter in vergangenen Jahren 20 € pro Kubikmeter und mehr für die „Entsorgung“ zahlen. Flächenarme Tierhalter fühlten sich oft regelrecht erpresst. Diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein.

Doch der „Gülle-Hype“ kommt nicht ganz freiwillig. Er hat vor allem mit dem aktuellen Versorgungsengpass bei Mineraldünger zu tun. Goldgräber­stimmung ist daher genauso unangebracht wie die Hoffnung einiger Ackerbauern, der Tierhalter bringt weiterhin mit der Gülle auch noch Geld mit.

Niemand sollte jetzt vorschnell funktionierende Nährstoffketten aufkündigen, nur um den letzten Euro aus dem Markt zu quetschen. Notlagen auszunutzen, hat noch nie lange funktioniert. Das bedeutet nicht, dass man gar nicht über Modalitäten sprechen darf. Im Gegenteil, in langjährigen Partnerschaften sollte neben Termin, Menge und Nährstoffgehalt auch der faire Preis selbstverständlich diskutiert werden dürfen.

Sicher ist: Die Mineraldüngerpreise werden wieder fallen und spätestens dann haben Ackerbauern wieder die Wahl. Gut, wenn sie sich dann an gute Erfahrungen mit Gülle- und Gärresten erinnern. Sowas stärkt nachhaltig die Nachfrage. Tierhalter und Biogasanlagen sollten diese Chance nutzen.

Klar ist aber auch, der Wert der Gülle steigt langfristig. Dafür sorgen nicht nur die knapper werdenden Nährstoffe, sondern auch die Energiewende. In Gülle steckt grüne Energie. Es ist gut, dass Wirtschaftdünger endlich als das gesehen wird, was er ist: Ein Wertstoff aus Pflanzennährstoffen und Energieträger.

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