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Bayer-Chefin: Wirkstoffverluste im Pflanzenschutz treiben Betriebsaufgaben voran

Bayer CropScience-Chefin Karin Guendel Gonzalez spricht im Interview über Wirkstoffverluste, über notwendige Änderungen im Zulassungsprozess und ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung.

Lesezeit: 7 Minuten

Karin Guendel Gonzalez ist seit März 2023 Geschäftsführerin der Bayer CropScience Deutschland GmbH, der Länderorganisation für Deutschland und Österreich der Division CropScience der Bayer AG. Seit Mai 2024 ist sie zudem die Vizepräsidentin des Industrieverbandes Agrar (IVA) und Vorsitzende des IVA-Vorstands Pflanzenschutz.

Im Interview mit AGRA Europe hat die Geschäftsführerin der Bayer CropScience Deutschland GmbH, Karin Guendel Gonzalez, Veränderungen am Zulassungsprozess von Pflanzenschutzmitteln gefordert.

Frau Guendel Gonzalez, bei der letzten Agrarministerkonferenz (AMK) wurde die „prekäre Zulassungssituation bei Pflanzenschutzmitteln“ thematisiert. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Guendel Gonzalez: Es sind immer weniger Pflanzenschutzmittelwirkstoffe verfügbar. 2019 wurde der letzte neue chemische Wirkstoff genehmigt. Seither sind aber 76 weggefallen und in den nächsten zehn Jahren könnten weitere 40% vom Markt verschwinden. Das stellt uns vor enorme Herausforderungen. Speziell bei den Sonderkulturen sind die Wirkstoffverluste dramatisch. Vor allem bei den Insektiziden, wo wichtige Produkte aus dem Markt verschwinden werden.

Viele Kulturen wie Hopfen, aber auch der Gemüse- oder der Obstbau werden ein sehr großes Problem mit der Schädlingsbekämpfung bekommen. Das wird wahrscheinlich in den kommenden Jahren zum Großteil nur noch über Notfallgenehmigungen zu decken sein. Aber auch bei Fungiziden stehen wir mit dem Rücken an der Wand. Wir laufen beispielsweise Gefahr, dass der Erdbeeranbau in Deutschland schlicht und ergreifend nicht mehr möglich ist.

Notfallzulassungen können aber nicht ihre favorisierte Lösung sein?
Guendel Gonzalez: Für uns sind sie eher ein Problem, weil wir nicht planen können. Wir erhalten die Zulassungen kurzfristig und müssen dann die Produkte vorhalten. Auch für die Landwirte ist das schwierig. Zudem ist der Bürokratieaufwand enorm.

Leider sind Notfallzulassungen bei Sonderkulturen mittlerweile die Regel, aber sie nehmen auch im Ackerbau zu. Obstbaubetriebe stellen sich tatsächlich die Frage, ob es noch Sinn macht, den Betrieb an die nächste Generation weiterzugeben, wenn sie keine Planungssicherheit mehr habe, was die Blattlaus- oder Milbenbekämpfung betrifft. Das kann zum Betriebssterben im Obstbau führen.

Eine Mehrheit der Bundesländer hat bei der letzten AMK zudem gefordert, in der europäischen Regulierung künftig eine „wissenschaftsbasierte Nutzen-Risiko-Abwägung“ anstatt einer gefahrenorientierten Bewertung von Wirkstoffen vorzunehmen. Wäre das aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz?
Guendel Gonzalez: Absolut! Im Moment werden nur die gefahrenbasierten Kriterien betrachtet und nicht genug, wie das Pflanzenschutzmittel der Landwirtschaft nützt. Es gibt lediglich ein kurzes Dossier zur Wirkung des Produktes.

Die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko des Pflanzenschutzmittels muss mehr in den Vordergrund gestellt werden. Und wir müssen schneller werden. Daher müssen wir die Rolle und die Handlungsspielräume des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als zentrale Risikomanagementbehörde stärken.

Die FDP wollte das Umweltbundesamt (UBA) abschaffen. Was halten Sie von der Idee?
Guendel Gonzalez: Wir würden das UBA nicht abschaffen wollen. Die Aufgabe des UBA ist eine Prüfung der Umweltsicherheit des Pflanzenschutzmittels. Und das muss passieren. Aber das UBA hat hierzulande andere Rechte als vergleichbare Behörden in anderen Staaten, zum Beispiel ein Vetorecht. Und das ist aus unserer Sicht nicht hilfreich, sondern es behindert den ganzen Registrierungsprozess und macht ihn auch unausgewogen.

Was schlagen Sie alternativ vor?
Guendel Gonzalez: Nicht alle Behörden sind gut genug ausgestattet und haben das nötige Personal. Das merken wir schmerzhaft in den Entscheidungsprozessen. Auch Klagen und Widersprüche binden Kapazitäten, die wir aber eigentlich für die Genehmigung von Produkten oder Digitalisierungsprojekte bräuchten. Ich würde mir daher wünschen, dass das BVL eine übergeordnete Funktion ausübt, wie sie der Behörde eigentlich per Gesetz zugeschrieben ist.

Die anderen Behörden sollten dem BVL zuarbeiten. Dafür muss das BVL die nötigen Ressourcen erhalten. Und natürlich wünschen wir uns eine Entpolitisierung der Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel in Deutschland. Dies kann zum Beispiel erreicht werden, indem Politikberatung und Umweltbewertung institutionell getrennt werden.

Wie bewerten Sie die im Koalitionsvertrag zwischen der Union und SPD gefundenen Kompromisse?
Guendel Gonzalez: Erst mal begrüße ich, dass wir so schnell zu einem Koalitionsvertrag gekommen sind. Es wird viel kritisiert. Aber ich finde, viele Punkte darin machen wirklich Hoffnung, dass sich für uns, für die Wirtschaft, etwas bewegt. Dass Prozesse vereinfacht und beschleunigt werden. Und dadurch auch Innovationen schneller auf den Markt kommen oder Produkte auf den Märkten gehalten werden können.

Ich erhoffe mir auch künftig mehr Verständnis für die Wirtschaft. Wir brauchen die Wirtschaft und die Landwirtschaft. Wir wollen Produkte in Deutschland erzeugen. Ich begrüße in dem Kontext beispielsweise, dass die Koalition den Selbstversorgungsgrad mit Obst und Gemüse erhöhen will. Der Koalitionsvertrag ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Welche Erwartungen haben sie an die kommende Bundesregierung?
Guendel Gonzalez: Ich glaube, man muss sich auf die größten Stellschrauben fokussieren, die wir jetzt bewegen müssen. Wie arbeiten die Behörden in Zukunft zusammen? Wie arbeitet auch das Landwirtschaftsministerium mit dem Umweltministerium zusammen? Ich würde mir eine starke Partnerschaft der Ressorts wünschen, und dass sich die Dinge in eine für die Wirtschaft, für die Landwirtschaft, konstruktive Richtung bewegen.

… und an die neue EU-Kommission?
Guendel Gonzalez: Agrarkommissar Hansen ist an der Praxis interessiert und das ist ein gutes Signal. Man sieht, dass er sich wirklich mit Betrieben auseinandergesetzt und sich deren Nöte und Probleme angehört hat. Gleichzeitig hat sich der Druck auf Europa erhöht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Landwirtschaft hier funktioniert und wir uns im Notfall selbst versorgen können. Die Kommissare für Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt müssen an einem Strang zu ziehen, um das zu erreichen.

Und ich sehe, dass sich bereits verändert, wie wir zum Beispiel über Pflanzenschutz und insgesamt über Landwirtschaft in Europa reden. Sie sehen, ich habe Hoffnung. Aber die Rolle von Deutschland ist nicht zu unterschätzen. Was wir denken, wie wir agieren, wie wir abstimmen in den jeweiligen Gremien, spielt eine Riesenrolle auf europäischer Ebene. Und deswegen ist es eben auch wichtig, welche Entscheidungen wir national treffen und welche Landwirtschaft wir möchten.

Im Moment werden nur die gefahrenbasierten Kriterien betrachtet und nicht genug, wie das Pflanzenschutzmittel der Landwirtschaft nützt."
Guendel Gonzalez

Glyphosat ist ein Produkt, das stark kritisiert wird. Ein Argument von Bayer für das Herbizid ist, dass keine wendende Bodenbearbeitung nötig ist, damit weniger Diesel verbraucht und CO2 ausgestoßen wird. Dringen Sie mit dieser Gleichung eigentlich durch?
Guendel Gonzalez: Ich glaube, wir müssen in Deutschland mehr aufklären, was die Vorteile sind – auch im Vergleich zu anderen Herbiziden. Es ist eine sehr emotionale Debatte, bei der auch Falschinformationen kursieren. Allerdings braucht man ein gewisses landwirtschaftliches Verständnis, zudem sind die Prozesse oft sehr komplex und technisch und daher nicht einfach vermittelbar. Wir werden mit Emotionen angegriffen und müssen mit Fakten antworten. Aber Fakten helfen auch nicht immer.

Wo stellen sie ihre Produkte her?
Guendel Gonzalez: Vor allem in Europa, aber wir produzieren auch einige Wirkstoffe in anderen Ländern, zum Beispiel in den USA. Im Sonderkulturbereich werden die Produkte hauptsächlich in Deutschland und Frankreich formuliert. Es sind die gleichen Standorte, wo wir auch Pflanzenschutzprodukte für Ackerbaukulturen herstellen.

Können Sie schon abschätzen, wie sich die aktuelle Zollentwicklung auf ihr Geschäft auswirken wird?
Guendel Gonzalez: Grundsätzlich lehnen wir als Wirtschaftsunternehmen natürlich jede Art von Handelsbarrieren ab, weil es eigentlich immer eine Lose-Lose-Situation ist. Im Moment sieht man bereits, dass es der Wirtschaft dadurch nicht besser geht. Alles hängt aber davon ab, welche Zölle und Gegenzölle am Ende von verschiedenen Ländern erhoben werden und wie lange sie greifen. Deswegen kann man nicht pauschal beantworten, wie hart uns das treffen wird. Aber sie sind ganz klar eine Belastung.

Was mich jedoch viel mehr umtreibt, ist die Situation der Landwirtschaft in den USA, und die Gefahr, dass sich Warenströme verschieben. Wenn beispielsweise Mais oder Soja nicht mehr so leicht von den USA nach China exportiert werden können und sie in Zukunft aus Brasilien kämen, dann verschieben sich plötzlich Handelsströme in der Welt und das hat natürlich Konsequenzen für die Landwirte in den jeweiligen Staaten. Das kann von Jahr zu Jahr sehr schwanken, aber wir können unsere Produktionsressourcen nicht so schnell von einem Ort zum anderen verlagern.

Im Herbst letzten Jahres wurde bekannt, dass Bayer Probleme hat, hier produzierte Pflanzenschutzmittel, die in Deutschland nicht zugelassen sind, in bestimmte Länder zu exportieren. Grund waren fehlende Ursprungszeugnisse. Droht noch immer eine Verlagerung der Produktion ins Ausland?
Guendel Gonzalez: Wir haben sehr gute Unterstützung von der nordrhein-westfälischen Landesregierung bekommen, mit der wir pragmatische Lösungen für den Moment gefunden haben. Das kann auch zu mittel- und langfristigen Lösungen beitragen. Zumindest kann die Produktion in unseren Hauptproduktionsstätten in Nordrhein-Westfalen weitergehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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