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Grüne Woche

IVA entkräftet Berichte, es gebe heute mehr Pflanzenschutzmittel

Rein von der Zahl her gibt es mehr Pflanzenschutzmittel, diese beruhen aber oft auf den gleichen Wirkstoffen. Welche dramatischen Folgen die Einschränkung der Wirkmechanismen hat, erfahren Sie hier.

Lesezeit: 6 Minuten

Diese Meldung in der Süddeutschen Zeitung vom 19. Oktober 2019 schien den Verdacht von Umweltschützern zu bestätigen. „Die Zahl der in Deutschland zugelassenen Pestizide hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. 2018 waren mit 872 Produkten 40 % mehr Pflanzenschutzmittel registriert als 2008“, berichtete die Zeitung unter Berufung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag. Als "alarmierend" wertete damals Renate Künast von den Grünen direkt diese Entwicklung.

Dass eine korrekte Zahl jedoch zu falschen Schlussfolgerungen geführt hat, erklärte am Donnerstag Dr. Manfred Hudetz, Präsident des Industrieverbandes Agrar der Presse. Es gebe in der Tat 872 zugelassene Pflanzenschutzmittel, diese basieren aber auf nur 285 verschiedenen Wirkstoffen. Für Futter- und Lebensmittel zugelassen sind letztlich 217 Produkte, schilderte Hudetz. Davon seien 93 Herbizide, 40 Insektizide und 87 Fungizide.

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Diese wiederum werden in Wirkmechanismen zusammen eingesetzt, es gibt heute 24 Wirkmechanismen bei den Herbiziden, 21 bei den Insektiziden und 47 bei den Fungiziden. Mit den kommenden Verschärfungen könnte sich diese Anzahl nochmals halbieren. „Dann wird es auf dem Acker wirklich eng, da es im Ackerbau wichtig ist, die Wirkmechanismen zur Vermeidung von Resistenzen zu rotieren“, so der Präsident weiter.

Rapsöl und Kartoffeln aus Übersee statt aus der Region

Stärkere Importabhängigkeit, engere Fruchtfolgen und die Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion in andere Weltregionen – das könnten schon bald die unerwünschten Nebenwirkungen der restriktiven Regulierung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland und Europa sein, so Hudetz zu den Folgen weiter.

„Während die Agrarpolitik – wie zuletzt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in ihrer Ackerbaustrategie 2035 – Ziele wie vielfältige Fruchtfolgen, Klimaschutz und Regionalität der Lebensmittel ausgibt, nimmt sie den Landwirten bei vielen Kulturen die pflanzenbaulichen Möglichkeiten, in Deutschland zu produzieren“, sagte er auf der Grünen Woche zusammen mit Vertretern der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e. V. (UFOP) und der Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft e. V. (UNIKA).

Durch den Wegfall relevanter Lösungen und Wirkstoffe im Pflanzenschutz würden sich bei Kartoffeln, Raps und Körnerleguminosen, Hopfen und vielen Gemüsesorten Behandlungslücken auftun, die den Anbau für die Betriebe verlustreich machen.

Raps: Saatgutaufbereitung ins Ausland verlagert

Was das in der Praxis bedeutet, erläuterte Dietmar Brauer, stellvertretender Vorsitzender der UFOP: "Vom Wegfall beziehungsweise dem Verbot relevanter Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe sei das gesamte in Deutschland eingesetzte Winterrapssaatgut betroffen.

Bereits durch ein 2013 beschlossenes Verbot neonikotinoider Beizen ist die Kleine Kohlfliege nicht mehr bekämpfbar, und gegen den Rapserdfloh müssen zum Teil mehrfach Spritzungen erfolgen. Durch die eingeschränkte Wirkstoffauswahl machen sich Resistenzen breit. Ein alternativer insektizider Beizwirkstoff befindet sich seit Jahren in Deutschland im Zulassungsprozess, wobei die Rapszüchter bereits mehrfach erfolglos auf die Erteilung der Zulassung zur nächsten Saatgutsaison gewartet haben.

Seit 2019 steht auch kein Schutz gegen Auflaufkrankheiten mehr zur Verfügung, da für eine Beizung in Deutschland kein Mittel zugelassen ist. Bodenbürtige Erreger können lediglich mit einer Saatgutbeizung bekämpft werden", so Brauer.

Im Ergebnis würden sich immer mehr Rapszüchter entscheiden, ihr Saatgut außerhalb Deutschlands aufbereiten zu lassen, um den Landwirten in Form von importiertem Rapssaatgut dennoch eine möglichst hochwertige Beizausstattung zur Verfügung zu stellen. Dies verteuere die Saatgut-Logistik und verschlechtere damit die Wettbewerbsfähigkeit des Anbaus, während gleichzeitig moderne und zertifizierte Beizanlagen in Deutschland stillstehen.

„Die UFOP fordert daher von den Zulassungsbehörden, im Rahmen des Pflanzenschutzrechts der deutschen Landwirtschaft wirksame Pflanzenschutz-Lösungen zur Verfügung zu stellen, unter Einhaltung geltender Fristen für die Zulassung. Dabei darf es keinen Sonderweg in der nationalen Bewertung geben, der die Wettbewerbsfähigkeit des Anbaus in Deutschland in Frage stellt.“

Kartoffel: Anteil der Importware wird steigen

Auch für den heimischen Kartoffelanbau hat die schrumpfende Auswahl an Lösungen im Pflanzenschutz dramatische Folgen, wie Dr. Holger Hennies, Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen, darstellte:

"Beginnend bei der Produktion des für den Kartoffelanbau erforderlichen Pflanzguts bedarf es zuverlässig wirksamer Pflanzenschutzverfahren, um überhaupt das Ausgangsmaterial für den Aufwuchs von Speisekartoffeln zu erhalten, das die staatlichen Prüfungen erfolgreich durchlaufen muss. Denn nur gesunde Pflanzkartoffeln liefern verwertbare Kartoffeln. Dies gilt auch für landwirtschaftliche Betriebe, die nach ökologischen Standards produzieren, auch hier stammt das Ausgangsmaterial aus einer konventionellen Pflanzgutproduktion", sagte der Landwirt.

Ähnlich wie Stechmücken bei der Übertragung von Malaria seien im Kartoffelanbau Blattläuse Überträger von Pflanzenviren. Nach dem Wegfall bewährter Wirkstoffe gebe es bei Kartoffeln keine ausreichende Mittelpalette mehr zur nachhaltigen Blattlausbekämpfung. Dieser Engpass stehe auch der Vermeidung von Resistenzen der Schaderreger frontal entgegen. Denn nur über die zeitversetzte Kombination verschiedener Wirkmechanismen wäre ein fachlich gebotenes Resistenzmanagement möglich.

Lösungen sind nach dem Verbot verschiedener Insektizide im Freiland dringend notwendig, da eine Anti-Resistenzstrategie zur Bekämpfung von Blattläusen als Virusvektoren in der Pflanzkartoffel-Produktion kaum noch möglich sein wird, so Hennies vor den Agrarjournalisten weiter.

Die Konsequenz daraus sei eine folgenschwere Schwächung bereits zu Beginn der Wertschöpfungskette bei Kartoffeln: "Fehlende Pflanzenschutzmittel führen nach Jahren mit einem höheren Läusedruck zu deutlichen Engpässen in der Pflanzgutversorgung. Mehr nicht zertifizierte Pflanzknollen kommen zum Einsatz. Qualität und Ertrag der Ernte leiden aber nicht nur darunter, sondern auch wegen fehlender Pflanzenschutzverfahren in anderen Bereichen. So gibt es zum Beispiel bis heute kein zugelassenes Mittel zur Bekämpfung von Drahtwürmern. Am Ende kommen weniger regional erzeugte Kartoffeln auf den Markt und müssen durch Importe unterschiedlichster Herkünfte ausgeglichen werden", schildert Hennies.

„Auf die gesellschaftspolitische Forderung, den chemischen Pflanzenschutz deutlich zurückzufahren, kennen die Kartoffelbauern in Zeiten sich verändernder Schadbilder sowie neu auftretender Schädlinge keine Antwort. Gemeinsam müssen Antworten und tragfähige Übergangslösungen gefunden werden. Sonst droht die Kartoffelproduktion aus Deutschland abzuwandern, mit den entsprechenden negativen Folgen auf die lokalen Märkte, auf die Wertschöpfung in den ländlichen Gebieten sowie die mittelständisch geprägte Kartoffelwirtschaft. Nicht zuletzt fehlt mit der Hackfrucht Kartoffel ein wichtiges Glied in der Fruchtfolge und die Anbau- und Sortenvielfalt würde weiter reduziert. Dies gilt es zu verhindern und dem wertvollen Nahrungsmittel Kartoffel auch zukünftig einen festen Platz in einer vielfältigen Fruchtfolge zu geben“, so Hennies.

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