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Kampf ums Grünland: Wildgänse und Feldmäuse werden zur Plage

Gänse und Feldmäuse fressen Flächen kahl. Den Bauern fehlt das Futter. Erste Betriebe bangen um ihre Existenz. Jetzt rückt auch noch der Wolf vor.

Lesezeit: 10 Minuten

Melf Melfsen schaut besorgt auf seine Grünlandflächen: Tausen­de von Nonnengänsen (auch Weißwangengänse genannt) fressen auf den Wiesen und Weiden Gras, das eigentlich für seine Kühe gedacht war.

Das ist zwar nicht neu für den Landwirt und Vorsitzenden des Kreisbauernverbandes Nordfriesland aus Bordelum (Schleswig-Holstein): Seit Jahren fallen die Vögel von November bis Mai auf den Flächen ein. Sie nutzen die Rast auf ihrem Zug, um sich mithilfe der jungen Wintergetreidepflanzen und vor allem dem Gras über Winter ein Fettpolster anzufressen. Im Frühjahr ziehen sie dann weiter Richtung Skandinavien oder Sibirien ins Sommerquartier.

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Was ihn und andere Berufskollegen an der Küste von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen aber in diesem Jahr besonders beunruhigt: Es droht jetzt im vierten Jahr in Folge Futterknappheit. Seit dem Jahr 2017 haben Nässe oder starke Trockenheit manchen Schnitt zunichte gemacht, viele Betriebe müssen Futter zukaufen.

Der Schaden für die Landwirte wird jedes Jahr größer: „Allgemein nehmen die Bestände von Gänsen exponentiell zu, und bei den meisten gibt es kein Anzeichen dafür, dass diese Entwicklung aufhört“, zitiert die Süddeutsche Zeitung den Gänseforscher Jasper Madsen von der dänischen Universität Aarhus. Er geht von 10 % jährlichem Wachstum aus. Auf eine parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion antwortete das Umweltministerium in Niedersachsen jedoch, dass ein exponentielles Wachstum nicht bei jeder Art pauschal an­genommen werden könne. Denn die Bestandsentwicklung hänge von Faktoren wie Nahrungsangebot, Brutmöglichkeiten oder Anzahl der Räuber ab.

Allerdings räumt das Ministerium ein, dass in den letzten 25 Jahren die Bestände von Nonnen- und Blässgänse, aber auch der Graugänse stark zugenommen haben. Das Problem bei der Nonnengans: Sie hat einen sehr kurzen Schnabel und frissst die Grasnarbe tief ab. „Einzelne Flächen sind komplett kahl, da wächst auch nichts mehr“, hat Melfsen festgestellt.

Aber nicht nur der Fraß macht dem Landwirt Sorge:

  • Im Jahr 2019 hat Melfsen mit dem fehlenden Aufwuchs von 40 ha einen Verlust von rund 17.000 € errechnet. Hinzu kommt eine ständige Verschlechterung der Narbe durch den Verbiss.
  • Der fehlende, ertragreiche 1. Schnitt macht den Bauern Schwierigkeiten bei der Düngebilanz und -bedarfsermittlung nach der neuen Düngeverordnung.
  • Seit 2018 gilt für Dauergrünland die Bedingung, dass Flächen nur alle fünf Jahre umgepflügt werden dürfen, z. B. zur Narbenerneuerung. Auf Melfsens Flächen ist die Belastungsgrenze der Grasnarbe wegen des Gänsefraßes aber bereits nach drei Jahren erreicht.

Keine Entschädigung in Sicht

Während die Schäden mit weiteren Folgen immer mehr zunehmen, warten die Landwirte in Schleswig-Holstein seit Jahren auf eine praktikable Lösung der Entschädigung. Bislang ist davon jedoch nichts in Sicht. Im Gegenteil: Die Landesregierung will diese an Bedingungen knüpfen.

„Die Vorschläge sind zu kompliziert. Insbesondere sind keine Vorbedingungen zu stellen hinsichtlich Gebietskulisse, Vergrämung und bereitzustellender Duldungsflächen, da die Schäden inzwischen nicht nur räumlich begrenzt auftreten, die Vergrämung stattfindet, aber wirkungslos bleibt und das Konzept der Duldungsflächen schon jetzt nicht funktioniert“, heißt es dazu in einer Resolution des Bauernverbandes Schleswig-Holstein.

„Es würde auch schon helfen, wenn wir die riesigen Vorlandflächen zwischen Deich und Küste beweiden dürften. Das würde die Gänse von den wertvollen Grünlandflächen wieder außendeichs locken“, ist Melfsen überzeugt. Ebenso fordern die Landwirte, die Nonnengans ins Jagdrecht zu überführen. Ihr Bestand sei schon lange nicht mehr als gefährdet einzustufen.

Vergrämen hilft nicht

Den niedersächsischen Berufskollegen im ostfriesischen Rheiderland geht es ähnlich. Hier besiedeln tausende Gänse Acker- und Grünland bis zu 10 km hinter dem Deich. Das Rheiderland an der Emsmündung und an der Grenze zu Holland ist typisches Rastgebiet für Gänse, die hier in der Regel von Oktober bis Anfang Mai überwintern.

Versuche, sie zu vergrämen, sind wenig erfolgreich. „Nach zwanzig Minuten sind sie alle wieder da“, sagt Klaus Borde, Landwirt aus dem ostfriesischen Ditzum. Auch an Fahnen, Fuchsattrappen oder andere Vergrämungsmittel gewöhnen sie sich schnell.

Auch hier ist die Entschädigung noch nicht endgültig geklärt. Auf Ackerland erhalten die Landwirte vom Land Niedersachsen einen Ausgleich der Verluste über das Rastspitzenmodell. In den Hauptrastgebieten der Gänse bietet das Land seit dem Jahr 2000 mit Unterstützung der Europäischen Union Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) an. Landwirte, die sich an den AUKM beteiligen, erhalten für Biomasseverluste und den entstehenden Mehraufwand in der Flächenbearbeitung einen finanziellen Ausgleich. Aktuell werden ca. 25.000 ha Acker- und Grünlandflächen mit AUKM für Gänse bewirtschaftet. Dafür wendet das Land Niedersachsen mit Unterstützung der Europäischen Union (EU) derzeit einen Finanzbetrag von ca. 7,0 Mio. € auf, teilt das Umweltministerium mit.

Vertrag gescheitert

Die Landwirte stört aber, dass die Entschädigung nur auf ausgewiesene Vogelschutzgebiete begrenzt ist. „Der bisherige Ansatz, in festgelegten Schutzgebieten über Vertragsnaturschutz und Ruhezonen das Gänseproblem räumlich zu begrenzen, ist nach unserer Auffassung gescheitert“, erklärte der Präsident des Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Ostfriesland, Manfred Tannen im Jahr 2019.

„Zudem erhalten wir für den Verlust auf den Grünlandflächen nichts“, ergänzt Borde. Derzeit läuft ein Versuchsprojekt, bei dem das Rastspitzenmodell auch auf Grünland ausgeweitet werden soll. Beteiligt sind der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Dabei sollen Gitterkörbe aufgestellt werden, unter denen die Pflanzen ungestört wachsen können.

Im Vergleich zu den rundherum abgefressenen Beständen wollen die Gutachter Biomasseverluste abschätzen und eine ökonomische Bewertung vornehmen. Ziel ist ein nachvollziehbares und belastbares Erhebungs- und Honorierungsmodell, das jetzt in der Praxis erprobt wird.

Das Umweltministerium arbeitet jetzt jedenfalls gemeinsam mit dem Arbeitskreis „Gänsemanagement“ an einer niedersächsischen Gänsestrategie. „Wich­­tig wä­re uns, dass es nicht wie bislang ein Vertragsnaturschutz ist, bei dem wir für fünf Jahre einen pauschalen Betrag pro Hektar erhalten. Wir wollen, dass die Verluste konkret ausgeglichen werden“, betont der Landwirt.

Neues Problem: Mäuse

In diesem Jahr ist die Lage in Ostfriesland besonders dramatisch. Denn in der Region, in der in normalen Jahren der erste und zweite Grasschnitt meist ausreicht für die Kühe, waren viele Siloplatten schon zum Ausgang des Winters leergefegt, der Futterzukauf ist in vielen Betrieben mittlerweile Usus. „Gras übrig hat hier seit 2017 keiner mehr“, sagt Borde.

Nach der Nässe und der Trockenheit 2017/2018 und dem üblichen Gänsefraß kam im Jahr 2019 ein bis dahin völlig neues Problem dazu: Ab Juli vermehrten sich aufgrund der trockenen Witterung Feldmäuse so rasant, dass sie ebenfalls zur Plage wurden. „Wir haben im August das letzte Mal mähen können, danach waren die Wiesen braun, als hätten wir sie gespritzt“, schildert Borde. Nur auf den Weiden waren die Mäuse nicht zu finden, der regelmäßige Tritt der Kühe hat sie wahrscheinlich von dort ferngehalten. Auch Borde war stark betroffen: Wegen der fehlenden Futtergrundlage musste er für 70.000 € Mais, Grassilage, Heu und Stroh kaufen.

In Niedersachsen waren nach Angaben des Landvolks rund 150.000 ha von starkem Mäusebefall betroffen. Die Nager fraßen Gras und Wurzeln ab, ­sodass die Pflanzen bei der Trockenheit sofort eingingen. Auf den vielen kahlen Flächen breitete sich Unkraut aus.

Die Mäuse wüteten besonders stark auf den Grünlandflächen der Wesermarsch. Schon der dritte und vierte Schnitt waren vielfach ein Totalausfall, wie Dr. Karsten Padeken, 1. Vorsitzender des Kreislandvolkverbandes Wesermarsch, schildert: „Wir hatten bereits im Sommer bei einigen Betrieben Ausfälle von 80 bis 90 %.“ Nach seiner Beobachtung befinden sich auf jeder zweiten Wiese oder Weide Tausende von Mäusen, die Gänge wühlten.

Schon wieder Trockenheit

Im August gelang es einigen Milchviehhaltern dank der günstigen Witterung, die befallenen Flächen zu pflügen und nachzusäen. Die Grassaat wuchs zunächst gut an, viele waren zumindest für das Jahr 2020 wieder optimistisch. Doch wegen der trockenen und frostfreien Witterung kamen die Mäuse im November und Dezember zurück und zerstörten die Reparatursaat vielfach komplett. Damit waren nicht selten 5.000 bis 10.000 € pro Betrieb buchstäblich in den Sand gesetzt.

Auch im Frühjahr 2020 fehlte der Regen. Bei vielen sonnenreichen Tagen mit Wind trockneten die Böden stark aus. Besonders betroffen sind Betriebe mit Moorflächen. Auf den von Mäusen befallenen Flächen wuchs kein Weidegras für die Kühe, sodass sie bereits im Mai mit zugekaufter Silage gefüttert werden müssen. „Wir würden ja gern einen Teil der Flächen umbrechen und zumindest für ein Jahr Mais säen, um die größte Not zu lindern. Denn Mais ist triebstärker als Grassaat und kann mit den Wurzeln in tiefere Bodenschichten vordringen“, sagt der Landwirt. Aber förderrechtlich ist das unmöglich, hat das Landwirtschaftsministerium mitgeteilt.

Und damit nicht genug: Auf den befallenen Flächen ist die Mäusepopulation zwar inzwischen zusammenge­brochen. Nur die Kahlstellen sind noch vorhanden. Doch jetzt stellen die Milchviehhalter starken Befall mit Tipulalarven fest, die gerade auf den Mäuseflächen den restlichen Aufwuchs dezimieren. Weil parallel dazu die Milchpreise aufgrund der Coronakrise sinken, sehen erste Berufskollegen keine Perspektive mehr und denken über das Abstocken der Bestände bzw. über die Betriebsaufgabe nach.

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Weidetiere als Beute: Wolf wandert ­Richtung Küste

Neben Gänsen und Mäusen bedroht auch der Wolf die Existenz der Weidetierhalter in Niedersachsen. Das Land gehört neben Brandenburg und Sachsen zu den Bundesländern mit der höchsten Wolfsdichte.

Nach Zahlen der Landesjägerschaft gab es im Mai 2020 24 Wolfsrudel, fünf Wolfspaare und einen sesshaften Einzelwolf. Die Zahl der Wolfsterritorien wächst hierzulande mit 60 % pro Jahr doppelt so schnell wie im Bundesschnitt.

Grund ist, dass in Niedersachsen die Zahl der eingewanderten Wölfe sehr hoch ist. Besonders viele Rudel gibt es im Südosten, vor allem in der Lüneburger Heide und in angrenzenden Landkreisen. Doch der Wolf breitet sich weiter nach Nord-Westen aus: Risse gibt es auch an Deichen und in den Weidegebieten im Landkreis Friesland. Hier, wo Deichschafe zum Küstenschutz und weidende Milchkühe zum Alltag gehören, sind die Tierhalter alarmiert. Im Wolfsjahr 2013/14 gab es noch 80 getötete Tiere, im Wolfsjahr 2019/20 (Stand: 22. April) lag die Zahl der Nutztierrisse bereits bei 474.

Am häufigsten tötet der Wolf Schafe, aber auch Rinder, Pferde, Gatterwild und Ziegen. Noch steht der Wolf unter Artenschutz, nur in Ausnahmefällen ist ein Abschuss möglich. Ein fester, mindestens 1,20 m hoher Zaun mit fünf oder mehr stromführenden Litzen ist in den Grünlandregionen weder finanziell noch arbeitstechnisch möglich.

Daher fordert nicht nur das bundesweite „Aktionsbündnis Forum Natur“ (AfN) Ausschlussareale für den Wolf. Hierzu zählt das AfN Siedlungsgebiete, aber auch Regionen mit intensiver Weidetierhaltung wie Deiche, Almen oder Grünlandregionen.

Das hat auch das Niedersächsische Umweltministerium erkannt und im Mai 2020 eine Verordnung für den Umgang mit Problemwölfen vorgelegt. „Es geht uns darum, die Art Wolf zu schützen, nicht jedes Individuum. Wir wollen eine Lösung finden, wie Weidetierhaltung und der Schutz des Wolfes möglich sind. Wir können aber nicht das ganze Land einzäunen oder jedes Tier in den Stall sperren“, sagte Umweltminister Olaf Lies.

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