Landwirte, die nicht wissen, was es mit dem Versuchsblock in einem Weizenfeld in Schleswig-Holstein auf sich hat, würden sicherlich vermuten, dass hier bei der Bestandsführung etwas schief gelaufen ist. Keine Frage, für die Region um die Ortschaft Reinfeld, in der 10 t/ha Weizen keine Seltenheit sind, ist ein lichter Getreidebestand, aus dem dann noch Kamille oder blühender Klee schauen, tatsächlich ungewöhnlich.
Bewirtschafter dieses Schlages ist Klaas Röhr. Er nimmt an dem Modellvorhaben „Weite-Reihe-Getreide mit blühender Untersaat“ teil. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert und von Dr. Rainer Oppermann und seinem Team vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität (ifab) in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL) wissenschaftlich begleitet. Ziel ist es, die Artenvielfalt zurück in die Nutzfläche zu bringen.
So sieht Röhrs Strategie aus
Für die Teilnahme am Projekt sprach für Klaas Röhr in erster Linie die Möglichkeit, damit die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und gleichzeitig etwas für die Artenvielfalt zu tun. Erste Erfahrungen mit der weiten Reihe sammelte er 2020 in Sommergerste. Aus seiner Sicht blieb der Erfolg aber aus. „Wir haben es nicht geschafft, die Untersaat vernünftig zu etablieren. Und um einen bedeckten Boden geht es mir nun mal hauptsächlich“, so der Ackerbauer.
Der nächste Versuch sollte vielversprechender sein. Am 21. September säte Röhr auf einem halben Hektar seinen Weizen mit 30% geringerer Aussaatstärke (170 statt 240 Körner pro m²) und einem Reihenabstand von 37,5 cm. Dazu schloss er an seiner mechanischen Säkombination immer zwei nebeneinanderliegende Säschieber.
Auf der einen Hälfte dieses Versuchsblocks streute er einige Tage später – vor angekündigtem Regen – mit einem Quad und Schneckenkornstreuer eine leguminosenreiche Untersaatmischung. Aufgrund seiner Erfahrung aus der Sommergerste wählte Röhr eine um ca. 30% höhere Aussaatmenge. Für einen besseren Bodenschluss walzte er das Saatgut anschließend an.
Bei der Düngung der „weiten Reihen“ verzichtet Röhr auf die dritte Gabe und düngt auch in den ersten beiden weniger. In Summe kommt er so auf ca. Zweidrittel des normalen N-Düngebedarfs. „Auch wenn es schwer zu beziffern ist, etwas Stickstoff liefern mir ja auch die Leguminosen“, ist sich der Landwirt sicher.
Auch wenn Klaas Röhr den Eindruck hatte, dass die Parzellen mit der weiten Reihe – und gerade die mit der Untersaat – in der Vegetation etwas vitaler aussahen, hat er sie bei anstehenden Fungizid- oder Wachstumsreglermaßnahmen genauso behandelt wie den Rest des Schlages. Anders ist es beim Herbizideinsatz. Hier verlangen sowohl die Teilnahmebedingungen des Projektes, als auch die Untersaat selbst einen Verzicht. Dies weiß gerade die Kamille für sich zu nutzen. „Die Unkräuter im Griff zu halten, das ist die größte Herausforderung in diesem System“, ordnet Röhr diesen Aspekt ein.
Sein Zwischenfazit: Weil sich die Untersaat in dieser Saison gut entwickelt hat, spricht Röhr der Maßnahme eine bodenverbessernde Wirkung zu. Den Effekt für die Biodiversität kann er uneingeschränkt bestätigen: „Wenn ich durch den Bestand ging, hat es überall gesummt, es waren sehr häufig Hasen und Rehe zu beobachten und viele Vögel kamen zur Nahrungssuche auf die Versuchsparzelle.“ Wenn die Versuchsblöcke geerntet sind, möchte Röhr sie anhand der Ertrags- und Qualitätsdaten ökonomisch auswerten.
In Nauen läuft es anders
Etwas anders geht die Agro-Farm Nauen aus Brandenburg bei der Anlage der weiten Reihe vor. „Wir schließen jede zweite Tülle an der Sämaschine, wodurch wir die Getreidereihen in einem Abstand von 22 cm säen“, berichtet Stefanie Peters, die die weite Reihe und weitere Biodiversitätsmaßnahmen im Betrieb verantwortet. Die Aussaatstärke des Getreides beläuft sich, in den bis zu 10 ha großen Blöcken, auf 70% der normalen Menge (140 statt 200 Körner je m²). Die Untersaat wird dann in einer zweiten Überfahrt mit der gleichen Maschine in die Zwischenräume, gesät.
Die „Nauener“ nehmen genau wie Röhr an dem Modellvorhaben „Weite-Reihe-Getreide mit blühender Untersaat“ teil, sammeln aber auch abseits des Projektes bereits seit 2017 Erfahrungen mit dem Anbau von Getreide in weiter Reihe. Somit düngen sie heute die Flächen mit der weiten Reihe mit etwa 70 bis 100% der normalen Menge.
Fungizid- und Wachstumsreglermaßnahmen führen die Nauener – genau wie Berufskollege Röhr – schlageinheitlich durch. Weniger gut waren hier aber die Erfahrungen mit dem Herbizidverzicht. Der Unkrautdruck ist auf den Flächen so hoch, dass sich Stefanie Peters gemeinsam mit Ihrem Vater Dirk Peters, Geschäftsführer der Agro-Farm Nauen, dazu entschieden hat, die weite Reihe künftig nicht mehr mit Untersaat anzulegen. Ein aufwendigerer Drusch mit geringeren Erträgen von bis zu 20% sowie schlechtere Qualitäten und ein feuchtes Korn zur Ernte untermauern die Entscheidung.
Das Zwischenfazit: Auch wenn auf der Agro-Farm künftig keine Untersaat im Getreide stehen wird, so möchte Stefanie Peters dennoch am Verfahren der weiten Reihe festhalten – und das auch außerhalb von Projekten oder Förderungen. „Was wir selbst beobachten konnten und uns vom ifab bestätigt wurde ist, dass die Anzahl an Feldvögeln durch die Maßnahme gestiegen ist“, so Stefanie Peters.
Ausblick
Die Erfahrungen der Praktiker zeigen, dass Insekten, Feldvögel und Boden von der Maßnahme profitieren. Sie berichten aber auch, dass Bestände, die mit weiter Reihe und Untersaat gesät wurden, sehr herausfordernd sind. Damit sich das Verfahren wirtschaftlich darstellen lässt, und auch andere Landwirte auf den Zug aufspringen, müsse es laut der Pioniere eine adäquate Förderung geben.
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I N T E R V I E W
Mehr Arten dank weiter Reihe
Getreide in weiter Reihe anbauen und damit die Biodiversität fördern – wie gut das funktioniert, wird aktuell im Rahmen eines Modell- und Demonstrationsvorhabens durch das Institut für Agrarökologie und Biodiversität erforscht. Details zum Projekt nennt Dr. Rainer Oppermann.
Woher stammt die Idee, mit weiten Reihen im Getreide und blühender Untersaat die Biodiversität zu erhöhen?
Oppermann: Die Idee stammt aus Überlegungen zum Schutz von Feldvögeln und Ackerwildkräutern: Viele Feldlerchenbruten sind erfolglos, weil die Getreidebestände viel zu dicht stehen und keine Sonne und keine Wärme bis auf den Boden gelangt. Dann erfrieren Jungvögel oftmals, weil sie nach Regenschauern nicht mehr abtrocknen und klamm sind. Problematisch ist aber auch, dass das Angebot an Insekten und Bodentieren durch fehlende Ackerwildkräuter sehr gering ist. Somit suchten wir eine Maßnahme, die einerseits für lichtere Getreidebestände sorgt und gleichzeitig ein höheres Nahrungsangebot für Insekten bietet. Getreidebestände mit weitem Reihenabstand und mit einer blühenden Untersaat erfüllen diese Anforderungen.
Welche Arten profitieren am stärksten von dieser Maßnahme?
Oppermann: Von dieser Maßnahme profitieren eine Vielzahl von Arten, insbesondere Feldvögel wie Feldlerchen, Wachteln, Rebhühner und andere. Die weite Reihe mit Untersaat kommt aber auch Feldhasen, Insekten und einer Vielzahl von kleinen unproblematischen Ackerwildkräutern zugute. So kommen z.B. Feldlerchen und Insekten in den Weite-Reihe-Flächen zwei- bis fünfmal häufiger vor als in konventionell bewirtschafteten Normalsaatflächen.
Da die Untersaat als Zwischenfrucht stehen bleibt, bietet sie unmittelbar im Anschluss an die Ernte ein Herbst- und Winterhabitat mit Nahrung und Deckung. Gerade Rebhühner haben im konventionellen Ackerbau das Problem, dass sie bis zum Aufwachsen der Zwischenfrüchte ohne ausreichende Deckung sind und vielen Beutegreifern zum Opfer fallen. Ein weiterer Vorteil ist, dass auch das Bodenleben von der Maßnahme profitiert.
Wie ermittelt das ifab, ob sich die Artenanzahl und die Zahl innerhalb einer Art tatsächlich erhöhen?
Oppermann: Wir bonitieren die Flächen regelmäßig. Das heißt insgesamt fünfmal während der Vegetationsperiode werden die Weite-Reihe-Flächen mit und ohne Untersaat sowie die konventionell bewirtschafteten Normalsaatflächen untersucht. Wir analysieren die Artenzusammensetzung und die Artenzahl, die Individuenzahlen und viele weitere Parameter, wie z.B. Deckung der Wildkräuter, Blütenvielfalt sowie Blütenzahl und vergleichen die Ergebnisse dieser Erhebungen. Zudem werden Insekten gefangen und ihr Vorkommen in den Varianten verglichen.
Was muss ein Betrieb mitbringen, um die Maßnahme integrieren zu können? Welche Standorte eignen sich nicht?
Oppermann: Im Prinzip kann jeder Getreideanbauer die Maßnahme durchführen. Nicht geeignet sind lediglich Flächen mit starkem Unkrautdruck oder auf denen als unmittelbare Vorkultur Kleegras oder Luzerne stand. Und natürlich gibt es gewisse Dinge zu beachten, wie z.B. eine gute Bestandsführung der Untersaat und den Saattermin dieser – im Wintergetreide nicht nach Anfang Oktober – sowie die reduzierte Düngung.
Können Sie Landwirten die Anlage der weiten Reihe in Getreide mit blühender Untersaat nach Ihren bisherigen Erfahrungen empfehlen? Oder sind die Herausforderungen zu hoch?
Oppermann: Im Prinzip können wir die weite Reihe in Getreide mit blühender Untersaat empfehlen. Zum einen, um damit Effekte für die Biodiversität zu erzielen, aber auch, um das Bodenleben zu fördern, sich den Umbruch der Stoppel im oftmals trockenen Sommer zu sparen und gegebenenfalls noch den Biomasseaufwuchs zu ernten. Zum anderen aber auch, um Erfahrungen mit dieser Art der herbizidfreien Bewirtschaftung zu sammeln.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass der Getreideertrag nur ca. 80% des konventionellen Ertrags erreicht. Ein Teil der Kosten fällt aber durch den extensiveren Anbau, z.B. bei der Düngung oder bei Herbiziden, weg.
Gibt es Förderungen in den Bundesländern?
Oppermann: Derzeit gibt es nur in einigen Bundesländern Förderungen für die Bewirtschaftung mit „doppeltem Saatreihenabstand“ über den Vertragsnaturschutz. Möglicherweise wird die Maßnahme ab 2023 über Agrarumweltprogramme in einem oder mehreren Bundesländern angeboten.
Das Interview führte Daniel Dabbelt