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Prof. Dr. Finckh: „Eine Reduktion chemischer Pflanzenschutzmittel muss sein“

Eine falsche Zusammensetzung des Mikrobioms führt zu dem Krankheitsbild der Dysbiose. Neue Erkenntnisse der Wurzel-Bodenmikrobiom-Zusammenhänge zeigt die Folgen des Spritzmitteleinsatzes.

Lesezeit: 4 Minuten

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. Maria R. Finckh, Uni Kassel:

Die molekularbiologische Forschung hat in den letzten Jahren unser Verständnis von individuellem Leben grundlegend verändert. So erbt der Mensch ca. 22.000 Gene von seinen Eltern, aber mehr als 8 Mio. Gene von den Mikroorganismen, die ebenfalls mit vererbt werden. Ohne diese Mikroorganismen könnte kein Mensch existieren.

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Dasselbe gilt für Tiere und Pflanzen und so ist das biologische System als Gesamtlebewesen, der „Holobiont“, anstatt dem Individuum in den Fokus gerückt.

Jeder Landwirt weiß um die zentrale Bedeutung des Mikrobioms bei den Wiederkäuern, jeder Imker bei den Bienen, deren Immunsystem auf der Darmmikroflora beruht. Eine falsche Zusammensetzung des Mikrobioms führt zu dem immer mehr anerkannten Krankheitsbild der „Dysbiose“.

Auch das Bodenleben, vor allem in unmittelbarer Umgebung der Wurzel, wird immer mehr als den Pflanzen zugehörig akzeptiert. Viele aktuelle Forschungsprojekte zielen darauf ab, die Wurzel-Bodenmikrobiom-Zusammenhänge besser zu verstehen und damit neue Wege unter anderem im Pflanzenschutz zu entwickeln. Gemeinsam ist all diesen Bemühungen der Fokus auf die Mikroorganismen, von deren Vielfalt wir maßgeblich abhängen.

Höchst komplexes Umfeld

Der negative Zusammenhang zwischen intensivem Pestizideinsatz und der Artenvielfalt von Beikräutern, Insekten, Vögeln und vielem mehr ist hinreichend bekannt. Weit weniger bekannt ist allerdings, dass viele Pestizide, vor allem fast alle Herbizide, auch Antibiotika sind (Glyphosat ist sogar als solches patentiert).

Pflanzen ernähren das Bodenleben, indem sie einen Großteil des assimilierten Kohlenstoffes durch die Wurzeln in den Boden abgeben. Die Abgabe inkludiert auch systemisch applizierte Pestizide bzw. deren Metabolite, vor allem Herbizide, die in Deutschland bis in 4,5 m Tiefe nachgewiesen wurden. Dies rückt den Einsatz von Herbiziden und ihre Abdrift in die Gewässer in ein anderes Licht.

Eingeschränktes Bodenleben führt zu Strukturproblemen und letztendlich zu reduzierter Wasserhaltefähigkeit und Erosion – den Kernproblemen der Landwirtschaft der Zukunft. Dass antibiotikaresistente Keime in allen norddeutschen Gewässern gefunden wurden, wurde bisher vor allem der Tierhaltung angelastet.

Allerdings sind die Antibiotika, gegen die Resistenzen nachgewiesen wurden, dieselben, gegen die auch Glyphosat Kreuzresistenzen verursacht. Antibiotikaresistente Keime grassieren schon seit Jahrzehnten und fordern jährlich eine Unzahl an Menschen- (und Tier-)leben   – schon lange vor der aktuellen COVID-19 Pandemie. Die Zusammenhänge zwischen pestizidbasiertem Pflanzenschutz und dem Auftreten von neuartigen Viruskrankheiten werden auch immer offensichtlicher.

In der Geschichte wurden Nebenwirkungen meist erst einige Zeit nach der Einführung von Pestiziden ersichtlich. Beispiele sind die Giftigkeit der Schwermetalle, Krebsrisiken organischer Chemikalien, hormonaktive Nebenwirkungen und Einflüsse auf das Verhalten bzw. indirekt das Überleben von Insekten.

Das katastrophale Insektensterben beeinträchtigt die Bestäubung und die natürliche Biokontrolle von Schadinsekten massiv. Daneben geht es aber auch und vornehmlich um das Mikrobiom des Bodens, der Pflanzen und der Tiere inklusive der Menschen. So gibt es den Verdacht, dass die massive Zunahme der Unverträglichkeit von Weizen in Nordamerika auf Dysbiosen im Magen-Darmtrakt, das heißt falsch zusammengesetzte Mikroorganismengesellschaften z. B. infolge von Pestizid­residuen verursacht sein könnten.

Diese Erkenntnisse zeigen die Notwendigkeit einer massiven Pestizidreduktion. Auch wenn Agrarumweltmaßnahmen sich leicht positiv auf die Vielfalt der Wildkräuter, Vögel und Insekten auswirken, reichen sie nicht aus. Die Tatsache, dass Pestizide überall in der Luft und im Boden zu finden sind, auch in großem Abstand von landwirtschaftlichen Flächen, und das europaweit, ist höchst bedrohlich.

Nur eine konsequente Reduktion des Pestizideinsatzes kann solche flächendeckenden Kontaminationen auf Dauer reduzieren und damit verhindern, dass wir systematisch die Lebensgemeinschaften in Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen beeinträchtigen.

Diese Aufgabe kann und darf nicht auf die Landwirtschaft abgewälzt werden, sondern muss gesamtgesellschaftlich angegangen und getragen werden.

Hinweis: Gastkommentare geben nicht in allen Bereichen die Meinung der Redaktion wieder. Wir veröffentlichen sie dann, wenn wir sie für einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft halten. Wie stehen Sie dazu? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar unten.

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