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Prof. Gattinger: „Der CO2-Saldo ist entscheidend“

Für nicht wissenschaftlich fundiert und damit für riskant hält Prof. Dr. Andreas Gattinger von der Uni Gießen die Aussagen der Autoren Breitschuh zum CO2-Saldo in der top agrar 9/2021.

Lesezeit: 6 Minuten

In dem top agrar-Artikel "Carbon Farming: Der CO2-Saldo ist entscheidend" beschrieben Prof. Dr. Gerhard Breitschuh (ehem. Präsident der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft, Jena) und Thorsten Breitschuh (BELANU Werdershausen), dass die deutsche Landwirtschaft aktuell mehr Treibhausgase (THG) fixiert als emittiert, dadurch also als Senke für THG angesehen werden kann. Prof. Dr. Andreas Gattinger1) von der Justus-Liebig-Universität Gießen sieht das anders. Sein Kommentar:

"Eigentlich könnten uns Agrarier die Aussagen, dass die deutsche Landwirtschaft aktuell mehr Treibhausgase (THG) fixiert als emittiert, eher glücklich stimmen - tun sie aber nicht. Vielmehr stehen diese Behauptungen im krassen Widerspruch zur wissenschaftlichen Evidenz und zu den Daten, die jährlich im Rahmen der verpflichtenden Nationalen Emissionsberichterstattung für die Landwirtschaft und anderen Sektoren publiziert werden.

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Wo liegt der Haken?

Der „CO2-Saldo“ beinhaltet neben Emissionen aus dem Einsatz von Betriebsmitteln und direkten Emissionen aus dem Anbau auch das durch Photosynthese fixierte CO2 in den Ernteprodukten. Dies führt dazu, dass alle Ackerbaubetriebe deutlich positive Salden aufweisen, ebenso wie viele Gemischtbetriebe.

Dem steht der wissenschaftlich akzeptierte Ansatz von THG-Bilanzen (Carbon footprints) gegenüber, zu denen auch der Berechnungsstandard „Einzelbetriebliche Klimagasbilanzen (BEK)“ gehört, in dem gemäß den international abgestimmten Kriterien der kurzfristige CO2-Umsatz als nicht klimarelevant betrachtet und daher nicht mit berechnet und so auch nicht in der Nationalen Emissionsberichterstattung Landwirtschaft ausgewiesen wird.

Dieser kurzfristige CO2-Umsatz umfasst alles in den Pflanzen fixierte CO2, das durch kurzfristige C-Umsetzungen im Boden, die Verdauung/Veratmung von Futter- und Nahrungsmitteln oder die energetische Nutzung innerhalb kurzer Zeit wieder freigesetzt wird.

Klimawirksam wird dagegen nur langfristig gebundener Kohlenstoff (mindestens 20 Jahre), der entweder im Bodenhumus und/oder im Holzvorrat von Baumbeständen oder in Holzprodukten zur stofflichen Nutzung langfristig gebunden ist.

Die Autoren Breitschuh und Breitschuh sagen:

"Der intensive und umweltverträgliche Landbau ist aus klimapolitischer Sicht eindeutig dem Ökolandbau überlegen…"

Auch dieses Statement steht auf äußerst wackeligem wissenschaftlichem Fundament - nicht nur aufgrund der fehlerhaften Methodik zur Ausweisung der C-Fixierung. Idealerweise sollte nämlich der Ökolandbau genau das beinhalten, nämlich „ökologisch-intensiv".

Dabei bezieht sich „intensiv“ nicht auf die Höhe der eingesetzten externen Betriebsmittel, sondern wie intensiv die Nutzbarmachung interner Betriebsmittel und naturbasierter Prozesse und Ökosystemdienstleistungen (symbiontische N-Fixierung, C-Ab-/Umbau im Boden, Bestäubung) im landwirtschaftlichen Betrieb ausgeprägt sind (= eco-functional intensification, s. Skinner, Gattinger et al.) und dadurch die pflanzliche und tierische Produktion im Sinne einer Kreislaufwirtschaft unterstützen. Auch ein konventioneller Betrieb kann demnach „ökologisch-intensiv“ wirtschaften (Titonell, 2014).

Und schließlich weicht die oben aufgestellten Behauptung „Der intensive und umweltverträgliche Landbau ist aus klimapolitischer Sicht eindeutig dem Ökolandbau überlegen“ stark von der wissenschaftlichen Evidenz ab. Wissenschaftlich begutachtete Studien zeigen nämlich, dass im Ökolandbau gegenüber der konventionellen Landwirtschaft bezogen auf 1 ha Fläche signifikant weniger und bezogen auf Ertrag (wahrscheinlich) gleich viel THG emittiert wird, wie in der konventionellen Landwirtschaft (s. Thünen Report 65).

Beim Ökolandbau kommt noch hinzu, dass aufgrund des stärker verankerten Systemgedankens weitere Aspekte wie Anpassung an den Klimawandel, Bodenfruchtbarkeit und Biodiversitätsschutz gemäß einiger Meta-Studien zusätzlich positiv zu Buche schlagen.

Klimarelevanz der Landwirtschaft

Breitschuh und Breitschuh fordern in dem eingebetteten Kommentar ihres Beitrags: „Als Maßstab zur Bewertung der Klimaeffekte der Landwirtschaft muss der THG-Saldo gelten.

Eine einseitige Betrachtung der Emissionen - wie sie zu Zeit erfolgt - führt zu falschen Schlussfolgerungen.“ Auch hier lautet meine Antwort aus wissenschaftlicher Sicht: Wenn die dem THG-Saldo zugrundeliegende Methodik zur Errechnung der klimarelevanten Treibhausgase fehlerhaft ist, so kann dieser auch nicht Einzug in die verpflichtende und international abgestimmte Emissionsberichterstattung Landwirtschaft halten. Daran ändern auch die Erhebungen auf über 900 Praxisbetrieben mit dem KUL-THG-Bilanzierungswerkzeug nichts.

Das Gegenteil ist nämlich Fall: Viel eher führt der Ansatz von Breitschuh und Breitschuh zu irritierenden Schlussfolgerungen, die klar an der wissenschaftlichen Evidenz vorbeigehen. Wenn die deutsche Landwirtschaft im Sinne anerkannter wissenschaftlicher Standards dauerhaft Kohlenstoff z.B. in ihren Agrarböden speichern würde, wäre dies in den Emissionsinventaren oder der einzelbetrieblichen Klimabilanz entsprechend ausgewiesen. Jedoch wissen wir spätestens seit der deutschlandweiten Bodenzustandserhebung Landwirtschaft und den angelehnten Modellszenarien (Thünen Report 64), dass die Böden unter Ackernutzung eher Kohlenstoff freisetzen als anreichern.

Wichtig ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Landwirtschaft im Vergleich zu den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr in bzw. mit biologischen Systemen arbeitet, bei denen Treibhausgase entstehen, die sich nur bedingt vermeiden lassen. Dies ist u.a. auch der Grund, warum die Landwirtschaft bislang nicht Bestandteil des Europäischen Emissionshandels ist und für sie in den Europäischen Mitgliedsländern inkl. Deutschland im Vergleich zu den anderen volkswirtschaftlichen Sektoren bislang geringere Minderungsziele gelten.

Nichtsdestotrotz gilt die deutsche Landwirtschaft als Quelle von Treibhausgasen. Im Jahr 2020 war die deutsche Landwirtschaft entsprechend einer ersten Schätzung durch das Umweltbundesamt somit insgesamt für 60,4 Mio. t CO2-Äquivalente verantwortlich Das sind 8,2 % der gesamten ⁠Treibhausgas⁠-Emissionen des Jahres. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es wahrscheinlich heute schon vereinzelt Betriebe und Bewirtschaftungsformen gibt, die auch nach den gültigen wissenschaftlichen Standards der Emissionsberichterstattung im Sinne des Klimaschutzes „klimapositiv“ wirtschaften.

Aussagen nicht wissenschaftlich fundiert

Weiteres Zitat:

"Wissenschaftliche Robustheit des CO2-Saldos: Effekthascherei statt einer wissenschaftlich fundierten Berichterstattung!"

Hierin sehe ich das größte Problem, dass von dem o.g. Beitrag von Breitschuh und Breitschuh in einem landwirtschaftlichen Fachmagazin, wie z.B. top agrar ausgeht. Warum? Spätestens, wenn im Falle von Gerhard Breitschuh Professoren- und Doktortitel in der Autorenzeile ausgewiesen werden, gehen wahrscheinlich die meisten Leser/innen von top agrar davon aus, dass der entsprechende Beitrag und die zugrundeliegende Methodik wissenschaftlich fundiert und robust sind.

Das ist hier jedoch mitnichten der Fall. Prof. Dr. Breitschuh mag aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit an der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft ein ausgewiesener Experte der praktischen Landwirtschaft mit Schwerpunkt Pflanzenbau sein, kann jedoch keinerlei wissenschaftliche Expertise im Bereich von Klimaschutz und Emissionen aufweisen.

Im Wissenschaftsbetrieb gelten nämlich nur solche Methoden und Ergebnisse als fundiert und robust, wenn diese, wie bei internationalen Fachjournalen üblich, einem Begutachtungsprozess meistens durch mehrere Gutachter/innen, standhalten (= Peer-Review-Begutachtung). Nach diesen Grundsätzen orientieren sich auch die bereits erwähnte „Nationale Emissionsberichterstattung Landwirtschaft“ und die „Einzelbetrieblichen Klimabilanzen (BEK)“, der CO2-Saldo von Breitschuh und Breitschuh jedoch nicht.

1)Prof. Dr. Andreas Gattinger von der Justus-Liebig-Universität Gießen ist Autor von über 70 wissenschaftlich begutachteten Artikeln in internationalen Fachzeitschriften, ehemaliger Sekretär des Internationalen Runden Tisches zu Ökolandbau und Klimawandel (RTOACC), Mitglied in den Arbeitsgemeinschaften „Ökologischer Landbau“ und „Emissionen und Klimaschutz“ des KTBL. Ortslandwirt in Selters/Taunus.

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