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Realistisch eingeordnet, haben Biostimulanzien ein großes Potenzial

Prof. Verreet forscht seit 15 Jahren zum Thema Biostimulanzien. Er sieht große Potenziale, prangert aber den Umgang der Firmen mit diesen Produkten an.

Lesezeit: 8 Minuten

Wir sprachen mit Prof. Dr. Joseph-Alexander Verreet von der Uni Kiel über Biostimulanzien.

Biostimulanzien werden als die neues Wundermittel gegen alle Probleme gehandelt, die durch den Wegfall oder die Einschränkung anderer Produktionsmittel entstehen. Können sie das leisten?

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Verreet: Wir sehen aktuell einen regelrechten Hype zu diesen Produkten. Bevor wir deren Potenzial bewerten können, müssen wir uns erst klar machen, um was es sich dabei handelt.

Zuallererst möchte ich klarstellen, dass es „Biostimulanzien“ nicht gibt. Genauso sind „Biologicals“ und „Biostimulants“ keine Produktkategorie. Mit der Düngeprodukteverordnung 2019/1009 wurde in der Produktfunktionskategorie 6 (PFC 6) die neue Klasse „Pflanzen-Biostimulans“ (engl. „plant-biostimulant“) geschaffen.

Leider habe ich aktuell das Gefühl, dass einige Marktteilnehmer die verworrene Situation und die unklare Sprachwahl nutzen, um Produkte der PFC 6 „Pflanzen-Biostimulans“ zuzuordnen, obwohl diese dort nicht hingehören.

Die Düngeprodukteverordnung 2019/1009 gibt klare Vorgaben, welche Funktionen und Eigenschaften diese Produkte aufweisen müssen. Dort heißt es, dass ein Pflanzen-Biostimulans „… dazu dient, pflanzliche Ernährungsprozesse unabhängig vom Nährstoffgehalt des Produkts zu [stimulieren] …“. Dabei wird „ausschließlich auf die Verbesserung eines oder mehrerer der folgenden Merkmale […] abgezielt …“:

  • Effizienz der Nährstoffverwertung
  • Toleranz gegenüber abiotischem Stress
  • Qualitätsmerkmale oder
  • Verfügbarkeit von im Boden oder in der Rhizosphäre enthaltenen Nährstoffen.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass Pflanzen-Biostimulanzien weder ein Düngemittel noch ein Pflanzenschutzmittel sind. Wir müssen uns also von diesen Kategorien lösen und diese Produkte als etwas völlig Eigenständiges betrachten.

Wo liegt also das Potenzial dieser Produkte?

Verreet: Wenn wir realistische Ansprüche an die Pflanzen-Biostimulanzien stellen, sehe ich zukünftig ein sehr hohes Potenzial dieser Produkte. Leider begegnet mir allzu oft der Gedanke: „Auf meinen Gunststandorten habe ich diese Produkte nicht nötig.“ oder „Das ist nur eine Reparaturmaßnahme“.

Das ist der falsche Denkansatz. In unseren eigenen langjährigen Versuchen an Gunststandorten in Schleswig-Holstein (die auch in der topagrar 8/2019 publiziert wurden) konnten wir beachtliche Erfolge bei Nährstoffeffizienz, Wurzelwachstum und abiotische Stressresistenz erzielen. Aus meiner Sicht sind Pflanzen-Biostimulanzien ein geeignetes Werkzeug, um Erträge und Qualitäten zu optimieren.

In normalen Jahren spiegelt sich dies in Form von Mehrerträgen wider, bei schwierigen Bedingungen (z.B. Trockenheit oder reduzierte Nährstoffversorgung) können Sie das Ertragsniveau absichern.

Gibt es klare Unterschiede in der Wirksamkeit von Pflanzen-Biostimulanzien?

Verreet: Um diese Frage umfassend beantworten zu können, muss weitaus mehr Forschung in diese Richtung betrieben werden. In unseren Versuchen haben wir vorab Produkte mit den vermeintlich selben Eigenschaften und Inhaltsstoffen (im Pflanzenschutz würden wir mit denselben Wirkstoffen sagen) verglichen. Ziel war es, den potentesten Vertreter zu finden, um damit weitere Untersuchungen anzustellen.

Hier konnten wir schon deutliche Unterschiede zwischen den Produkten feststellen. Wir vermuten, dass die Produktqualität und Formulierung einen großen Einfluss auf die Effektivität der Pflanzen-Biostimulanzien haben.

Damit Effekte verlässlich eintreten, müssen wir uns außerdem den Einsatzzeitpunkt und das Kulturstadium genau ansehen. Produkte, die gegen abiotischen Stress wirken sollen, müssen zumeist vor dem Stressereignis ausgebracht werden. Tritt der Stress nicht ein, ist auch kein positiver Effekt zu erwarten. Dies erschwert die Anwendung von Pflanzen-Biostimulanzien.

Produkte, die lebenden Organismen enthalten beruhen zumeist auf Bakterien und Pilze. Diese haben im Laufe der Evolution genetisch fixierte Ansprüche insbesondere an die Witterung entwickelt. Nur wenn diese Ansprüche zum Zeitpunkt der Anwendung und im Folgenden erfüllt werden (wir sprechen hier von der Koinzidenz), kommt es zur Wirkungsentfaltung. Ist dies nicht der Fall, dann ist auch kein Effekt zu erwarten.

Unter gut kontrollierbaren Bedingungen (z.B. Gewächshaus, mehrjährige Spezialkulturen) kann die Koinzidenz gezielt beeinflusst werden. Deshalb sind Versuchsergebnisse aus z.B. Gewächshausversuchen bei solchen Präparaten immer mit Vorsicht zu genießen. Unter den standort- und jahresspezifisch variierenden Bedingungen auf dem Acker sind verlässliche Effekte häufig nicht nachweisbar.

Im Gegensatz zu den genannten biologischen Produkten treten Effekte von chemischen (anorganische, „tote“) Produkten unabhängig von der Witterung auf. Sie sind unter den Bedingungen der Kulturführung im Freiland verlässlich anwendbar.

Müssen Firmen die Wirksamkeit eines Produktes eindeutig nachweisen können?

Verreet: Ja, auch dies ist in der Düngeprodukteverordnung geregelt. Alle Angaben die Firmen zu Eigenschaften und Wirkung machen „…müssen sich auf überprüfbare Faktoren beziehen“. Zukünftig soll es Konformitätsbewertungsstellen geben, bei denen Produkte zur Überprüfung eingereicht werden müssen. Wenn diese erfolgreich abgeschlossen wird, können Pflanzen-Biostimulanzien mit dem CE-Zeichen gekennzeichnet werden.

Wie intensiv beschäftigen sich die Universitäten mit unabhängigen Versuchen zu Pflanzen-Biostimulanzien?

Verreet: Meiner Ansicht nach wurde das Thema lange verschlafen. Kritisch sehe ich auch, dass immer noch viele Untersuchungen mit dem klassischen Versuchsansatz angelegt werden. Vergleichende Tests mit Pflanzenschutzmitteln oder Düngemitteln sind jedoch nicht zielführend und Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Solche Versuchsergebnisse liefern uns und der praktischen Landwirtschaft kaum einen Erkenntniszugewinn.

Ich würde mir wünschen, dass mehr Anstrengungen in eine ordentliche Versuchsanstellung und vernünftig formulierte Versuchsfragen unternommen würden. Häufig war die Versuchsfrage (sowohl von Firmen als auch von öffentlichen Stellen) von Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn echte Pflanzen-Biostimulanzien dürfen laut Definition keine direkte Pflanzenschutzwirkung zeigen.

Sie forschen selber in dem Bereich. Worauf legen Sie den Fokus?

Verreet: Wir beschäftigen uns nunmehr seit über 15 Jahren intensiv mit der Thematik. Unsere Versuche beinhalten eine praxisübliche optimale Bewirtschaftung. Das heißt die Düngung wird nach der aktuell geltenden Düngeverordnung durchgeführt und der Pflanzenschutz wird nach den Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes appliziert. Nur so können wir uns sicher sein, dass die Versuchsergebnisse auch für die praktische Landwirtschaft relevant sind.

Im Raps konnten wir so zum Beispiel durch den Einsatz eines Pflanzen-Biostimulans im Durchschnitt der Versuchsjahre einen Mehrertrag von fast 2,5 dt/ha messen. In der Vergangenheit bedeutete dies für den Landwirt einen Mehrerlös von etwa 56 €/ha und Jahr. Bei den aktuellen Preisen sprechen wir sogar über etwa 130 €/ha Netto-Mehrerlös.

In den letzten Jahren beschäftigten wir uns vermehrt mit dem Thema Nährstoffeffizienz und konnten zeigen, dass durch den Einsatz eines Pflanzen-Biostimulans Stickstoff besser ausgenutzt wurde. Ebenfalls konnten wir feststellen, dass eine gewisse Stickstoffreduktion (Stichwort „rote Gebiete“) so kompensiert werden kann. Wenn wir diese Erkenntnisse im immer komplexer werdenden Umfeld der Landwirtschaft einbetten, bieten uns Pflanzen-Biostimulanzien die Chance unser hohes Ertrags- und Qualitätsniveau abzusichern.

Worauf müssen Landwirte achten, die Pflanzen-Biostimulanzien einsetzen wollen?

Verreet: Ich würde Landwirten raten, auf mindestens 2, besser 3-jährige Ergebnisse desselben Standorts zu achten. Nur weil in zwei Produkten vermeintlich dasselbe enthalten ist, heißt das noch nicht, dass beide gleich gut funktionieren. Wie auch bei Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gibt es große Qualitätsunterschiede.

Was muss die Politik hinsichtlich Klassifizierung nachholen?

Verreet: Nachdem die eigenständige Kategorie der Pflanzen-Biostimulanzien definiert wurde, muss diese auch als solche betrachtet werden. Wir stehen hier noch am Anfang und müssen jetzt auf eine saubere Bezeichnung und Kommunikation achten. Allzu oft lese ich in den Medien die Begriffe „Biologicals, Biostimulanzien, Biostimulants, …“.

All diese Produktbezeichnungen gibt es nicht! Jeder stellt sich darunter etwas anderes vor und das führt nur zur Verwirrung. Dabei haben wir doch einen exakten Rechtsrahmen und eine exakte Definition. Also lassen Sie uns mit dieser arbeiten.

Was sehen Sie besonders kritisch an der aktuellen Entwicklung?

Verreet: Mittlerweile verkaufen eine Vielzahl von Firmen Produkte, die auf lebenden Organismen basieren. Es wird den Landwirten eine hohe Wirkungseffektivität suggeriert und durch begleitendes Marketing untermauert. Leider haben Sie in der Landwirtschaft damit leichtes Spiel, denn nur die wenigsten Landwirte überprüfen den Erfolg, bzw. Misserfolg dieser „lebenden Produkte“. Dies wäre jedoch sinnvoll und notwendig, um so die Effizienz der Maßnahme beurteilen zu können.

Besonders kritisch sehe ich Produkte, bei denen biologische und chemische Komponenten kombiniert werden. Eine Beurteilung, auf welchem Stoff die beobachteten Effekte beruhen, ist nur schwer möglich. Jedoch kann ich mit Überzeugung dem Landwirt mitteilen, dass die Effekte, im Zusammenhang mit den eben beschriebenen Gegebenheiten, bei dieser Kombination aus Chemie und Biologie vorwiegend aus den chemischen Bestandteilen resultiert.

Wenn man Leiter der vertreibenden Firmen, fragt, warum sie solche Produkte anbieten, erhält man die Antwort: „Wenn der Verbraucher das so will...“. Und das sagt eigentlich alles aus.

Ich habe selbst in unzähligen Versuchen an der Universität miterleben dürfen, dass Produkte mit lebenden Organismen unter Gewächshausbedingungen sehr gut funktioniert haben. In anschließenden Untersuchungen auf dem Acker unter Freilandbedingungen konnten wir keine Effekte mehr feststellen. Ich finde das die Diskrepanz der Ergebnisse der praktischen Landwirtschaft, viel stärker kommuniziert werden muss. Die Anbieter sollten verpflichtet werden dies dem Kunden, also dem Landwirt, auch ehrlich mitzuteilen; insbesondere aus dem Grunde heraus, da sie dies ja alles auch selbst wissen.

Mit diesem Statement will ich meinen Beitrag dazu leisten die Landwirtschaft für solche Produkte zu sensibilisieren und deren Grenzen aufzuzeigen. Wissenschaftlicher Fortschritt ist im Rahmen unserer zukünftigen Herausforderungen mehr nötig denn je, aber nicht jede Veränderung ist auch eine wertvolle Innovation.

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