Können Algorithmen genauso gut Ackerbau betreiben wie der Mensch? Mit dieser Frage beschäftigt sich das innovative Forschungsprojekt Smartfield, das derzeit an der Technischen Universität München (TUM) läuft. Um dies herauszufinden, überlassen Malte von Bloh, Leiter des Projekts, und Prof. Senthold Asseng (beide von der TUM) sowie Prof. Thomas Ebertseder von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) sämtliche für den Anbau von Winterweizen relevanten Entscheidungen einer Künstlichen Intelligenz (KI) mit vollautonomen Algorithmen.
Die von der KI vorgeschlagenen Arbeitsschritte werden in einem randomisierten Parzellenversuch umgesetzt. Um die KI-Strategie bewerten zu können, vergleicht man sie mit Entscheidungen von erfahrenen Praktikern. Dabei stellen die Wissenschaftler sowohl den Ertrag des angebauten Weizens als auch die Kosten der eingesetzten Betriebsmittel gegenüber. Das übergeordnete Ziel ist die Ertragsmaximierung unter Erreichung einer B-Weizenqualität (12 % Protein).
Aktuell stehen zwei Versuche kurz vor der Ernte. Einer in Dürnast bei Freising (Bayern) und einer in Kerpen in Nordrhein-Westfalen, der dort von den Kammermitarbeitern Gregor Heine und Thomas Ludwicki betreut wird. Die Aussagen in diesem Beitrag beziehen sich auf die Erkenntnisse aus dem Versuch in Dürnast aus dem Jahr 2023/24 und auf die Ergebnisse vorangegangener Forschung.
Generell wird Smartfield von einem breiten Konsortium aus Universitäten, Landwirtschaftskammern und Landesämtern getragen (siehe Kasten) und vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus gefördert.
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Im Projekt Smartfield wird untersucht, inwieweit Künstliche Intelligenz Ackerkulturen führen kann.
Verschiedene Modelle zur Aussaat, zur Düngung und zum Pflanzenschutz geben konkrete Handlungsempfehlungen. Die Basis sind umfangreiche Datensätze, Wetterdaten und Satellitenbilder.
Erste Erkenntnisse aus einem Versuch in Winterweizen zeigen, dass die KI genau so gut ist wie der Mensch – oder besser.
Zur Aussaat 2025 sind Versuche an neun Standorten in ganz Deutschland geplant.
Wann und wie Landwirte von diesem Ansatz profitieren können, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss.
„Es geht nicht darum, den Menschen zu ersetzen“
Entstanden ist das Projekt aus von Blohs Doktorarbeit, in der er intensiv zum KI-gesteuerten Pflanzenbau geforscht hat. Er und weitere Mitstreiter haben sich zum Ziel gesetzt, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis zu bringen. „Uns geht es dabei nicht darum, ein System zu entwickeln, das den Ackerbauern oder Betriebsleiter ersetzt. Vielmehr möchten wir die Entscheidungsträger entlasten und verhindern, dass auf einigen Ackerflächen Ertrag verschenkt wird“, sagt von Bloh.
Sein Ziel ist es nicht, besser als der Mensch zu sein, schon aber das Niveau der 5 % besten Landwirte zu erreichen. Dieses hohe Niveau im pflanzenbaulichen Management möchte er mithilfe der Smartfield-KI auf alle Flächen eines Betriebes skalieren. In der Praxis gebe es laut dem Wissenschaftler immer einige Flächen, die nicht die volle Aufmerksamkeit erhalten – sei es aufgrund einer großen Entfernung zum Betrieb, einer geringen Größe oder schlichtweg, weil dem Betriebsleiter die Zeit fehlt. „Mit einem autonomen Entscheidungsfinder, der rund um die Uhr das ganze Jahr arbeiten kann, können wir dieses Problem umgehen“, so von Bloh.
Insgesamt geht es aber nicht darum, eine weitere Entscheidungshilfe zu entwickeln, sondern die Algorithmen als vollwertige Entscheidungsträger zu etablieren. Die Idee zur völligen Automatisierung entstand aus der Erkenntnis, dass KI-Modelle, die kontinuierlich lernen und sich anpassen, in der Lage sein könnten, beständig intelligente Entscheidungen zu fällen.
Partner im Projekt Smartfield
Entstanden ist das Projekt aus einer Doktorarbeit an der Technischen Universität München (TUM). Zudem sind folgende Partner beteiligt:
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT),
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL),
Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie Sachsen,
Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (LTZ),
Dienstleistungszentrum ländlicher Raum (DLR) Rheinland-Pfalz,
Landwirtschaftskammer Niedersachsen,
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
Zentralstelle der Länder für EDV-gestützte Entscheidungshilfen und Programme im Pflanzenschutz (ZEPP),
Informationssystem Integrierte Pflanzenproduktion e. V. (ISIP).
Was entscheidet die KI auf welcher Basis?
Während der Projektlaufzeit sollen KI-Algorithmen entwickelt und optimiert werden, die alle pflanzenbaulich relevanten Entscheidungen für die Produktion eines B-Weizens treffen können. Das umfasst die Aussaat, die Düngung und den Pflanzenschutz.
Die Algorithmen operieren hierbei auf Grundlage umfangreicher Datensätze, die sich aus unzähligen Versuchsdaten, wie denen der Landessortenversuche, aber auch aus vielen anderen anbautechnischen Versuchen sowie aktuellen Feldinformationen (Wetter- und Bodendaten) zusammensetzen.
Die Datenbasis, die für die KI-Modelle verwendet wird, stammt vor allem von den Landwirtschaftskammern und Landesämtern. Sie umfasst Versuchsdaten zu Sorten, Düngung und Fungizidbehandlungen von über 100.000 Parzellen. Im Rahmen des Projekts wurden diese Datensätze in ein maschinenlesbares Format übertragen, das die Grundlage für fortschrittliche Analyseverfahren bildet. „Man kann sich das im Prinzip wie eine sehr große Excel-Datei vorstellen, die sämtliche Parameter für einen Standort beinhaltet“, beschreibt es von Bloh. Wie der Übersicht schematisch dargestellt, zählen dazu auch Wetterdaten, Satellitenfotografiedaten und das komplette Anbaumanagement. Dieser Datensatz dient dann als Basis für die folgenden verschiedenen Modellansätze.
Aussaat und Sortenwahl:
von Bloh beschreibt das Modell der Sortenwahl als wenig komplex. Dennoch ist es sehr viel dynamischer als z. B. die Landessortenversuche, die sich an den Grenzen der Klimaregionen orientieren. Es erstellt ein Profil eines Standortes, das den Klimaverlauf über die Vegetationsperiode und die Bodeneigenschaften berücksichtigt. Im nächsten Schritt folgt die Prüfung des Datensatzes, um einen möglichst ähnlichen Standort herauszufiltern. Dieser kann eine Versuchsstation ganz in der Nähe oder aber auch ein Standort irgendwo in Deutschland mit einem ähnlichen Profil sein.
Sind die Standorte abgeglichen, wird als nächstes eine Sorte ausgewählt, die z. B. besonders gut für die B-Weizenproduktion geeignet ist, eine gute Resistenzausstattung hat bzw. sehr ertragsstabil ist. An diesen Entscheidungsprozess sind zudem die Aussaatstärke und das Saatdatum gekoppelt, die die KI ebenfalls mit ausgibt.
Fungizide:
Etwas komplexer ist der Ansatz bei Fungiziden. Laut von Bloh gibt es hier nicht genug Versuche, um daraus ein gut funktionierendes KI-Modell zu erstellen. Daher greifen die Wissenschaftler auf sogenannte hybride neuronale Netze zurück. Diese können Prozessmodelle, wie sie z. B. hinter dem Prognosetool ISIP stecken, nachlernen bzw. kopieren. Den Forschenden stehen somit alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung, die sich der Mensch im Laufe der Jahre erworben hat. Ein Beispiel: Besteht drei Tage Blattnässe gepaart mit Temperaturen von über 20 °C, herrscht ein hohes Septoria-Risiko.
„Unser Fungizidmodell verfeinert diese Prozesse im Hintergrund mit tatsächlich gemessenen Felddaten, die wir unter anderem von der LfL bekommen“, so von Bloh. „Das sind z. B. Wetterdaten und Infos über den tatsächlichen Befall von z. B. Septoria, Gelbrost, Braunrost und Co. an dem bestimmten Standort.“ Die Kombination eines Prozessmodells und gesammelten Daten bezeichnen die Wissenschaftler als hybriden KI-Ansatz.
Herbizide:
Wohl am schwierigsten in eine KI zu gießen sind Herbizidempfehlungen. Zwar gibt es auch hier den Ansatz der „Nachbarschaftsanalyse“, bei dem man schaut, welcher Betrieb in der Nähe die beste Strategie genutzt hat, von Bloh sieht aber größeres Potenzial in kamerabasierten Systemen. Aktuell laufen Versuche, wie gut sich Informationen über am Schlepper installierte Kameras sammeln lassen und wie man diese in Entscheidungsprozesse integrieren kann. Interessant könnte es z. B. sein, wenn die Kamera ein Ackerfuchsschwanznest erfasst. Diese Information ist auch für die Folgejahre wertvoll, da das Nest ortsgebunden und oft von langer Dauer ist.
Düngung:
Vor dem Hintergrund, dass das Ziel bislang darin bestand, die Erträge zu maximieren und definierte Qualitäten zu erreichen, handelt es sich bei der Dünge-KI um ein Ertragsprognosemodell, das eine Düngeempfehlung ausgibt. Es erfasst dazu sämtliche Parameter, die es braucht, um die Erträge zu modellieren und zu prognostizieren, wie z. B. die Bodenqualität, das vorangegangene Ackerbaumanagement, die vergangene und zukünftige Witterung, Satellitenbilder und Qualitätsanforderungen (Protein). Das Modell berücksichtigt derzeit Stickstoff und gibt Empfehlungen zur Art des Düngers, zum Düngetermin und zur Düngermenge.
Wie gut ist diese KI nun?
Wie bei jeder KI können auch die im Smartfield-Projekt entwickelten Algorithmen nur so gut sein, wie die Datenbasis, auf der sie beruhen. Frühere Tests haben gezeigt, dass veraltete Daten zu unpraktikablen Entscheidungen führen können – ein Problem, das mit regelmäßigen Updates zu beheben sei.
Eine der bemerkenswertesten Feststellungen aus den bisherigen Versuchen ist laut Malte von Bloh, dass die KI ähnliche Erträge wie die besten 5 % der Landwirte erzielen kann – und das bei geforderter B-Weizenqualität (12,1 %). Diese Tendenz bestätigt die Übers. 2, die die erzielten Erträge der drei menschlichen Entscheidungsträger und der KI gegenüber stellt. Gut abgeschnitten hat die KI zudem beim Einsatz der Betriebsmittel und somit beim Deckungsbeitrag (Übers. 3).
Es bleibt spannend, ob die Versuchsauswertungen der Standorte in Bayern und NRW in diesem Jahr sowie die für die kommende Aussaat geplanten Versuche die bisherigen Ergebnisse bestätigen. Während der Fertigstellung dieses Beitrags, „verhielt“ sich die KI sehr zurückhaltend, was den Einsatz von Fungiziden angeht. In Bayern erfolgte bis Ende Mai noch keine Fungizidmaßnahme, in NRW eine.
Eine Frage des Ziels
Eine entscheidende Rolle für die Entscheidungsfindung, und damit am Ende auch für das betriebswirtschaftliche Ergebnis, nimmt die genaue Zielformulierung ein. Bislang lautete das Ziel, den Ertrag zu maximieren und eine B-Weizenqualität zu erreichen. von Bloh sagt dazu selbst, dass Ansätze wie das ökonomische Maximum oder die Realisierung von viel Output mit möglichst wenig Input vor dem Hintergrund der Ressourceneffizienz besser in die heutige Zeit passen würden. Allerdings seien diese auch komplexer. „Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht umzusetzen sind, es bedarf lediglich einer Weiterentwicklung des Systems“, so von Bloh. Das Ziel der Ertragsmaximierung hatte sich aus der Startphase des anfänglich kleinen Projekts mit überschaubarem Budget heraus entwickelt.
Das größte Potenzial der KI sehe ich darin, effizienter zu werden.
Ausblick und Vision
Im kommenden Jahr planen die Smartfield-Verantwortlichen das Projekt auf sieben weitere Standorte in vier Bundesländern auszuweiten. Zudem hoffen sie auf eine Förderung für ein umfangreiches Folgeprojekt, das die Weiterentwicklung der KI in Bezug auf Ressourceneffizienz sowie deutschlandweite Feldexperimente ermöglichen würde. „Wir möchten auch den Menschen, also den Landwirt oder den Berater, mehr integrieren, um unsere KI-Modelle mit Beobachtungen aus dem Feld zu verknüpfen“, so von Bloh. „Hat ein Berater beispielsweise Septoria im Bestand gesehen, sollten wir dem Modell das sagen.“
Auch wenn derzeit noch nicht geplant ist, die KI für weitere Kulturen einzusetzen, sollen sich die Modelle und die Softwarearchitektur relativ einfach auf Gerste, Raps, Kartoffeln usw. übertragen lassen. Bleibt die Frage, wie man als Praktiker den Ansatz für sich nutzen kann. Langfristig ist es denkbar, dass Berater und Landwirte auf der Smartfield-Plattform direkt auf die automatisierten Empfehlungen zugreifen können. Unter www.smartfield.ai können interessierte Nutzer einen ersten Einblick in die Plattform erhalten, die sich derzeit im Beta-Stadium befindet.
Laut von Bloh zeigen sich auch Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft interessiert. Für sie könnte der Ansatz insbesondere vor dem Hintergrund relevant sein, bestimmte Qualitäten mit höherer Wahrscheinlichkeit zu produzieren. Auslöser des Interesses sind die in den vergangenen Jahren stetig sinkenden Proteingehalte im Getreide.
Das Projekt hat laut Malte von Bloh auch das Potenzial, den Dialog über gesetzliche Anpassungen zu eröffnen: „Wenn eine solche KI mit den hinterlegten Algorithmen gut und sicher funktioniert, kann überlegt werden, ob starre Regelungen wie die Düngeverordnung noch nötig sind.