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SWR 2

Spritzen oder schützen - Können Bauern auf Chemie verzichten?

top agrar-Chefredakteur Guido Höner vertrat bei einer am Montag ausgestrahlten Radiodiskussion des SWR die Seite der Landwirtschaft. Es ging um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Lesezeit: 9 Minuten

Berichte über ein mögliches Insektensterben haben in den letzten Jahren für aufgeladene Diskussionen gesorgt. In der Folge formulierten Volksbegehren und Gesetze das Ziel, die Landwirtschaft deutlich "insektenfreundlicher" zu machen. Doch selbst Bio-Bauern warnen vor zu viel Insekten- und zu wenig Pflanzenschutz.

Doch was ist das richtige Maß? Das wollte SWR 2 wissen und diskutierte in seiner Hörfunksendung FORUM mit Prof. Holger Deising - Agrarwissenschaftler, Universität Halle-Wittenberg, Prof. Dr. Maria Finckh - Expertin für ökologischen Pflanzenschutz und top agrar- Chefredakteur Guido Höner.

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Deising stellte eingangs klar, dass Pflanzenschutzmittel dazu da seien, Schadinsekten zu bekämpfen. Das strenge Zulassungssystem gewährleiste, dass die Mittel keine negative Wirkung auf Mensch und Umwelt hätten. Man müsse aber ggf. darüber reden, ob es in der Umgebung der behandelten Felder Rückzugsräume für die Insekten geben müsse. Was die ausgebrachte Menge angeht, so sei es bereits das Bestreben, diese durch neue Techniken weiter zu senken. In Zukunft würden Mittel punktgenau ausgebracht.

Finckh von der Uni Kassel-Witzenhausen bedauert, dass es auch im ökologischen Pflanzenbau heute nicht ohne Hilfsmittel geht. Bei den Sorten gebe es immer noch zu wenig Resistenzen und die Bauern seien auf den Markt angewiesen, was dieser bietet. D.h. auch wenn es bessere Sorten gibt, sind sie nicht ohne weiteres verfügbar. Und drittens beeinflusse die Anbaumethode stark, wie sich Schädlinge und Krankheiten ausbreiten, also die Fruchtfolge und Schlaggröße. „Das ist in der konventionellen Landwirtschaft so, aber teilweise auch in der ökologischen“, so die Professorin.

Höner: Diskussion auf beiden Seiten verhärtet und unsachlich

Dass Pflanzenschutz in der Öffentlichkeit so ein Reizthema ist, hat laut Guido Höner auch mit der Entkoppelung der Land- und der Stadtbevölkerung zu tun. „Ich glaube, dass heute viele Menschen nicht mehr wahrnehmen, dass Pflanzen eben geschützt werden müssen. Die sehen das eher als Gewinnmaximierung, als Agrarchemie. Vielen fehlt das Verständnis, dass Pflanzen von Pilzen, von Viren, von Schadinsekten angegriffen werden.“

Höner sagt aber auch, dass es sicherlich Themen gab, wo man näher hinschauen und Details verbessern muss. Die Landwirte seien es aber gleichzeitig leid, immer als Umweltverpester und Brunnenvergifter dargestellt zu werden. „Und dementsprechend haben wir verhärtete Fronten heute. Ich glaube, wir müssen zurückkehren zu einem sachorientierten Dialog und der Landwirtschaft muss es irgendwann gelingen, zu erklären, was wir da genau machen und wie und warum wir das machen.“

Glyphosat ist da laut Höner zu einem Stellvertreterkrieg geworden. Es sei ein Mittel, das viel eingesetzt wird und gut getestet ist. Der Einsatz sei seiner Meinung nach auch gut vertretbar. Da Glyphosat aber ursprünglich vom Lieblingsgegner der Kritiker - dem US-Unternehmen Monsanto - kommt, der auch gentechnisch veränderte Maissorten entwickelt hatte, sei es inzwischen völlig egal, was Glyphosat ist. „Und da springen alle mit auf: Keiner ist mehr bereit – und zwar auf beiden Seiten -, sich sachlich damit auseinanderzusetzen.“

Finckh: „Glyphosat ist auch ein Antibiotikum!“

Prof. Finckh wertet das als Unterstellung, die Fachwelt habe sich sehr sachlich mit Glyphosat auseinandergesetzt. Fest stehe, dass Monsanto Daten unterschlagen habe und das inzwischen klar sei, dass Glyphosat viel mehr ist als ein Herbizid. „Glyphosat ist auch ein Antibiotikum. Unsere ganzen Antibiotika-Kreuzresistenzen hängen auch mit den Herbiziden zusammen, nicht bloß mit Glyphosat. Das darf einfach nicht unter den Tisch gekehrt werden“, so die Vertreterin des Ökolandbaus.

Höner verweist auf das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und bedauert, dass soviele Zahlen und Fakten „durch die Gegend geschossen“ werden, dass keiner mehr den Überblick hat.

Medien sollten sachlicher berichten

Sachlichkeit vermisst auch Prof. Deising. Sobald in den Abendnachrichten das Wort Glyphosat fällt, gebe es den Nachsatz, „das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen.“ Das sei nicht so, stellt er klar und verweist auf Metastudien. Es sei nicht realistisch, dass es Wissenschaftler über Jahre hinweg nicht schaffen, besagtes Krebsrisiko zu zeigen. Daher sollten Medien zur Versachlichung der Diskussion auf solche Zusätze verzichten.

Finckh kontert, dass ihren Informationen nach das BfR 70 % seiner Studieninhalte von Monsanto „abgeschrieben“ habe. Sie bekomme dagegen seit vielen Jahren und von allen Seiten neue Studien, die eindeutig das Gegenteil belegten. „Würde Glyphosat nicht in diesen unendlichen Mengen eingesetzt, dann hätten Sie sicherlich recht, dann hätten wir keine so großen Probleme. Es ist das meistgenutzte Pestizid überhaupt auf der Welt, es ist auch eine Mengenfrage“, so die Wissenschaftlerin.

Zum Thema Sachlichkeit hat Höner noch ein ärgerliches Beispiel: Denn sobald es in gedruckten Medien um das Thema Glyphosat gehe, werde eine Spitze in blühendem Raps- oder Kartoffelbestand gezeigt. „Da fehlt mir die Sachlichkeit: Wenn ein Redakteur ein Bild auswählt, um über Glyphosat zu schreiben, und ein Landwirt zeigt, wie er seine blühende Rapskultur gerade angeblich mit einem Totalherbizid totspritzt, da fehlt mir die Sachkenntnis.“

Der top agrar-Chefredakteur erinnert an die Kraut- und Knollenfäule in Irland vor 150 Jahren, mit der folgenden Hungersnot und Auswanderungswelle in die USA. Und auch der Biolandwirt müsse heute im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen Krankheiten zu Felde ziehen. Und deshalb bräuchten wir Pflanzenschutz, um die Ernährung zu sichern. „Und ich bin ja voll bei Prof. Finckh: Wir müssen uns anschauen, wo können wir etwas einsparen, wie können wir über andere Sachen – also Anbauverfahren, resistente Sorten, Fruchtwechsel u.ä. den Pflanzenschutz zurückfahren.“

Es sei aber auch bedenken, dass ebenso die mechanische Unkrautbekämpfung einen wiederholten Eingriff in den Boden und das Feld darstellt, z.B. die Nester der Bodenbrüter zerstört. Es müsse darum gehen, die Belastung möglichst gering zu halten und die Kultur so gut wie möglich zu schützen. „Und da müssen wir auch über Toleranzen reden, also wo bin ich bereit, bestimmte Schadschwellen höher zu setzen und zu sagen, wir kriegen das so besser im Einklang mit der Natur hin.“

Verbot der Neonikotinoide: Richtig oder falsch?

Finckh prangert an, dass es heute keine Fruchtfolgen mehr gebe, sondern allenfalls Früchtefolgen. „Es gibt Regionen in Deutschland, die zu 60 % nur noch mit Mais bebaut sind. Die Fruchtfolge werde hier durch Pflanzenschutzmittel ersetzt. „Ich erinnere mich noch an Zeiten, wo PSM nicht zugelassen wurden, weil man sagte, dass kann man auch mit der Fruchtfolge regeln. Solche Mittel sind inzwischen zugelassen. Der Mais leidet unter dem Stängelbohrer und man nimmt heute ein Pflanzenschutzmittel statt einer Fruchtfolge.“

Finckh zweifelt auch an, dass die Pflanzenschutzmittel wirklich alle so harmlos sind, wie die Zulassungsbehörden sagen. Als Beispiel nennt sie die Neonikotinoide und ihre Folgen. Sie habe kein Verständnis dafür, dass auch die Landwirtschaftsministerin weiter dafür kämpft.

Höner widerspricht, dass sich da sehr viel in der Praxis ändere, die Bauern öffneten sich beim Thema Fruchtfolge und auch die Agrarpolitik greife dies viel deutlicher auf als früher. „Es muss aber auch die Vermarktung stimmen. Wenn Sie Ackerbohnen oder Hafer machen sollen, dann müssen sie das aber auch verkaufen können. Teilweise fehlen da die Märkte noch, um wieder mit mehreren Früchten zu arbeiten.“

Dass die Neonikotinoide so in Misskredit gekommen seien, habe an schlechten Beizen gelegen. Aufgrund erheblicher Ertragsrückgänze bei den Zuckerrüben habe Frankreich die Mittel nun per Notzulassung wieder erlaubt. „Es fehlen halt Ersatzstoffe, man kann nicht einfach per Fingerschnipp wichtige Mittel verbieten.“ Inzwischen seien die Beizverfahren, Beizen und Ausbringtechniken deutlich besser geworden. Leider habe das nicht gereicht, um das Verbot zu verhindern. Der gelernte Landwirt appelliert, den Bauern Zeit zu lassen, altes Wissen neu anzuwenden, wieder zu Fruchtfolgen zurückzukehren, statt nur zu verbieten.

Finckh wünscht sich in dem Zusammenhang ein Erkennen, dass Methoden der letzten Jahrzehnte für den Preisverfall gesorgt hätten. Wenn die Bauern zu alter Landbewirtschaftung zurückkehren, die die Ökologie schützt, dann dürften sie dabei nicht allein gelassen werden. Sie berichtete von Raps-Erbsen Mischkulturen oder Ackerbohnen als Untersaat im Raps, bei denen sich Probleme mit Insekten von vornherein erübrigen. Die Erträge seien dabei gleich oder zumindest stabilisiert.

Immer weniger Fläche bei steigendem Bedarf

Auf die Neonikotinoide zurückkommend berichtete Prof. Deising, dass die Bauern nach deren Verbot auf Insektizide ausgewichen seien. Das könne aber nicht die Lösung sein. „Gerade der Vorteil der Beizen ist, dass eine punktgenaue Applikation besteht und keine großflächige Verbreitung der Insektizide. Und im Moment haben wir das genaue Gegenteil.“

Er erinnert daran, dass Deutschland nur 81 % seiner Agrarprodukte selbst anbaue, der Rest werde importiert. Daher bleibe ein hoher Ertrag schon sehr wichtig. Fachleute gehen davon aus, dass sich Deutschland beim Getreide zu einem Nettoimporteur entwickeln wird. Gleichzeitig gebe es einen täglichen Flächenverlust von 66 ha durch Straßen und Wohnbebauung. Und der Ökolandbau dürfe nicht verkennen, dass er auf den konventionellen Anbau angewiesen ist, weil dieser durch PSM Schadinsekten kurz hält. „Wenn es diese Regulation nicht gäbe, hätten wir eine dramatische Vermehrung, so wie damals im Mittelalter. Und dann kann auch der Ökolandbau nichts mehr erreichen.“

Höner plädierte im weiteren Gespräch dafür, die Beratung der Bauern deutlich auszuweiten und die Bürokratie erheblich abzubauen. „Und Diversität muss als Betriebszweig etabliert werden, warum nicht Diversität als Fruchtfolgeglied?“, fragt er und meint, dass es Geld für die Erfüllung des gesellschaftlichen Anspruchs für mehr Umweltschutz gibt. Ganz wichtig sei, dass alle an einem Strang ziehen und bei einem Umbau teilnehmen, das könnten nicht allein die Bauern stemmen. Der Agrarjournalist verweist auch auf die Tatsache, dass es seit zehn Jahren bei den konventionellen Bauern eine Öffnung gibt und diese von ihren ökologisch wirtschaftenden Kollegen lernen wollten. Er warnte vor einem Lagerdenken, dass längst überwunden sei. Es gelte, Lösungen frei von ideologischen Hürden bewerten zu können. Dabei müsse die Bevölkerung mitgenommen werden.

Für Finckh ist es dagegen eine Bankrotterklärung der Landwirtschaft, dass sie angeblich nicht mehr ohne PSM wirtschaften könne. Ein weiteres Problem sei, dass viel zu viel gedüngt wird.

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