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Notfallzulassungen

Systemrelevante Lücken beim Pflanzenschutz

Sehen wir die Zukunft des chemischen Pflanzenschutzes zu düster? Die Anzahl zugelassener Mittel gibt eine Schwarzmalerei jedenfalls nicht her. Aber die „Knackpunkte“ liegen woanders.

Lesezeit: 5 Minuten

Seit Jahren reden Pflanzenschutzindustrie und Berater von einer „demnächst“ rasant sinkenden Mittelauswahl. Aber die BVL-Statistik weist in den wesentlichen „Disziplinen“ mehr Mittel aus als zehn Jahre zuvor.

363 Herbizide waren Ende 2019 in Deutschland zugelassen (2010: 238), 280 Fungizide (2010: 166) und 115 Insektizide (2010: 95). Die Zahl der Wirkstoffe zeigt das gleiche Bild: 288 Substanzen für 2019 und 249 für 2010. Kein Abschied von der Chemie also, sondern eher eine ungebrochene Innovationskraft der Pflanzenschutz-Industrie?

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Innovationskraft ja, aber mit neuen Akzenten

Ein wesentlicher Teil von Innovation ist die Neukombination und -formulierung bekannter (zugelassener) Wirkstoffe. Immer mehr Geld (wenn auch nicht der Löwenanteil) geht in biologische Pflanzenschutzmittel oder solche mit geringem Risiko. Es werden vermehrt Zulassungserweiterungen gesucht. So ist das derzeit einzige Getreidefungizid, das an mehreren Stellen wirkt und deshalb als nicht resistenzgefährdet gilt, ein recht altes Kontaktmittel aus dem Weinbau.

Automatisiert werden aber auch Tausende „alter“ Substanzen unter besonderen Blickwinkeln neu untersucht. Mittlerweile haben die Unternehmen aber auch den Entwicklungsprozess für neue Wirkstoffe rationalisiert. Toxizität und Umweltwirkungen werden sehr früh bewertet, um das Risiko gering zu halten, später daran zu scheitern. Und so kommen doch nach wie vor neue Wirkstoffe auf den Markt, wie aktuell eine neue Generation von Azol-Fungiziden oder in ein paar Jahren auch neue Getreideherbizide. Allerdings fehlen weithin neue Wirkstoffmechanismen, die eine echte Innovation bedeuten würden. Vor allem bei den Insektiziden sieht es ganz dunkel aus.

Notfallzulassungen können nicht die Regel werden

Zunehmend gibt es Notfallzulassungen von Wirkstoffen, die es eigentlich gar nicht mehr geben soll: Cruiser in der Beize gegen Schädlinge in Zuckerrüben, Folpet gegen Ramularia in Gerste, aber auch Attracap gegen Drahtwurm in Kartoffeln und (nur im Ökolandbau) Aluminium- Silikat gegen den Rapsglanzkäfer...

Aktuell sollen mehr als 150 Produkte in der Notfallbeantragung sein. Auf der Grundlage solcher Zulassungen, die Jahr für Jahr erteilt werden, nur 120 Tage für eine begrenzte Menge gelten und auch das nur in bestimmten Gebieten, lässt sich für viele, gerade „kleine“ Kulturen keine leuchtende Zukunft aufbauen.

Kritisch sind aber auch die Aussichten in Kulturen, die mehr als andere auf Insektizide angewiesen sind: Raps, Rüben und mit Einschränkungen auch Kartoffeln.

Getreidefungizide: Resistenzgefahr!

Selbst die Fungizide im Getreide, bei denen die Auswahl doch so groß scheint, werfen Fragen auf. Deutlich wird das nicht nur an der bereits erwähnten Ramularia, sondern auch bei der Septoria-Blattdürre, der in Europa wichtigsten Pilzkrankheit. 2021 durften 41 Mittel dagegen eingesetzt werden. Rechnet man die Cut-off-Kandidaten heraus, bleiben 28 Wirkstoffe übrig. Ohne die Mehltaumittel, die gegen Septoria zugelassen sind, aber kaum wirken, sind es 25.

Eigentlich sollte auch dies noch komfortabel reichen. Neue Daten aus dem Resistenzmonitoring, über die Dr. Bernd Rodemann vom JKI berichtete, zeigen aber ein beunruhigenderes Bild. Dass von den Strobilurinen kaum mehr eine Wirkung zu erwarten ist, weiß man. Dass die Carboxamide resistenzgefähdet sind, weiß man seit Langem grundsätzlich auch – aber auch ganz konkret nimmt die Anpassung der Septoria gegenüber dieser Wirkstoffgruppe zu. Selbst die Prothioconazole zeigten in den letzten Jahren schleichend Ausfallerscheinungen, wenngleich die Anpassung der Erreger vorerst gestoppt sein könnte. Es bleiben das neue Mefentrifluoconazol sowie das alte Folpet. Vielleicht verläuft die Resistenzbildung mal schneller, mal langsamer – in den letzten Jahren wurden witterungsbedingt ja auch deutlich weniger Fungizide im Getreide ausgebracht, und auch das Sortenspektrum wandelt sich in Richtung geringerer Anfälligkeit.

Deutlich wird aber, dass Pflanzenschutzmittel nicht mehr „ohne weiteres“ ausgebracht werden können, selbst wenn ein hohes Schaderregeraufkommen dies nahelegt.

Konsequente begleitende Maßnahmen

Frühe Prognosen (Gelbschale bei Raps, Blattlausmonitoring auf Wirtspflanzen bei Rüben) und auch Blühstreifen in jedem Betrieb und womöglich entlang jeder Fläche werden künftig die Voraussetzungen eines intensiveren Anbaus bestimmter Kulturen sein. Besonders deutlich wird das bei den Rapsinsektiziden, mit denen in der Vergangenheit auch mal vorbeugend umgegangen wurde: Künftig spielen die Bekämpfungsschwellen eine entscheidende Rolle und natürlich die immer unübersichtlicher werdenden Bienenauflagen.

Es treten Nützlinge in Form von Schlupfwespen ins Bild, die durchaus eine Insektizidspritzung ersetzen können. Aber für eine sichere Anwendung, soweit diese überhaupt möglich ist, fehlen noch viele Erkenntnisse. Bei all dem wird der Beobachtungsaufwand deutlich steigen. Automatisierte Prognosen z. B. über Drohnen sind noch früh im Versuchsstadium.

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Das Wirkstoff-Paradox

Den deutschen Landwirten fehlen Mittel, obwohl immer mehr davon auf den Markt kommen? Dieses Paradox ist leicht zu erklären: Die bloße Mittelanzahl sagt gar nichts aus, denn es gibt jede Menge Mittel mit identischen oder ähnlichen Wirkstoffen.

Vor allem gibt es aber einzelne Wirkstoffe, die in bestimmten Kulturen quasi „systemrelevant“ sind. Das sind gerade Insektizide in Raps, Rüben und Kartoffeln, die Schritt für Schritt wegfallen und bei denen keine Nachfolgeprodukte zu erwarten sind. Hier „wirkt“ cutoff tatsächlich. Wenn die Flächen dieser Kulturen einbrechen (oder zunehmen), hat das sicherlich in erster Linie mit der Preisentwicklung zu tun.

Schlechte Preise und Probleme bei der Schädlingsbekämpfung gleichzeitig ist aber ein Faktor zu viel. Kulturen geraten in Gefahr, die man unter dem (auch von der Ackerbaustrategie geforderten) Gesichtspunkt einer vielfältigen Fruchtfolge braucht. Wobei dieses Argument allerdings auch umgekehrt gilt: Sind Kulturen wirtschaftlich attraktiv, werden sie in vergleichsweise großer räumlicher Dichte angebaut.

Das wiederum verstärkt die Pflanzenschutz-Probleme: Immer weniger Mittel werden immer häufiger ausgebracht. Resistenzerscheinungen verstärken diese Spirale nach unten und führen zum Ergebnis, dass irgendwann „gar nichts mehr geht“.

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