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Ungeeignete Modellrechnungen

Überdüngung mit Phosphor: Gewässerexperte entlastet Bauern

Hessischer Gewässerexperte: „Beitrag der Landwirtschaft an Überdüngung der Fließgewässer mit Phosphor nur gering – bisherige Modellrechnungen methodisch ungeeignet.“

Lesezeit: 10 Minuten

Im vergangenen Jahr wurde eine wissenschaftliche Studie des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie bekannt, die sich mit dem Phosphoreintrag in Gewässer durch Kläranlagen befasst und bestehende Modellrechnungen in Frage stellt. top agrar sprach darüber mit Dr. Peter Seel, der bei diesen Arbeiten die Federführung hatte. Dr. Seel ist seit einigen Monaten im Ruhestand und stand uns nun als „Privatperson“ für ein Interview zur Verfügung.

Ist es aus Ihrer Sicht gerechtfertigt, dass die Landwirtschaft als Hauptverursacher der Nährstoffprobleme in den Gewässern gilt?

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Dr. Seel: Bei dieser Frage muss man zunächst unterscheiden zwischen Phosphor und Stickstoff.

Wir haben für die hessischen Fließgewässer anhand von aufwendigen Messungen und erfolgreichen Maßnahmen bewiesen, dass deren Überdüngung durch Phosphor trotz aller Maßnahmen in früheren Jahrzehnten weit überwiegend durch die Kläranlagen verursacht wurde. Die Landwirtschaft hat dagegen nur eine geringe Bedeutung. Dies schließt nicht aus, dass es lokal an einem kleinen Bach auch anders sein kann. Die Phosphor-Modellrechnungen, die zu anderen Ergebnissen kommen, halte ich für methodisch ungeeignet.

Stickstoff ist aus zweierlei Gründen ein Problem: In Der Nitratgehalt im Grundwasser überschreitet in bestimmten Regionen den Grenzwert, der zum Schutz der Trinkwassergewinnung festgelegt wurde. Hierbei gilt die landwirtschaftliche Düngung als wesentliche Ursache. Ein zweites Problem ist der zu hohe Stickstoffeintrag in Nord- und Ostsee über die Flüsse und die Luft, der dort zu schädlichen Algenblüten führt. Für die Mündungen deutscher Flüsse in diese Meere gelten gesetzliche Zielwerte. Diese sind viermal so streng wie die Trinkwasserwerte. Auch hier gilt die Landwirtschaft als Hauptursache und erst danach kommen die Kläranlagen. Viele von ihnen haben seit den 90er-Jahren mit hohem Kostenaufwand ihre Reinigung um eine Stufe zur Stickstoffentfernung erweitert. Ich habe keine Hinweise, dass die Aussagen zu Stickstoff falsch sind, habe aber persönlich keine eigenen Untersuchungen dazu.

Wie konnten Sie denn bei Phosphor den Beweis führen?

Dr. Seel: Wir hatten schon vor Jahren die Theorie, dass die Phosphorkonzentration in den hessischen Flüssen und Bächen zum großen Teil davon abhängt, wie stark die Abwässer der Kläranlagen dort verdünnt werden. Und das andere Eintragsquellen nicht so relevant sind. Das „Verdünnungsprinzip“ ist nicht neu, sondern in der Wasserwirtschaft seit Jahrzehnten genutzt. Durch die Maßnahmen an den Kläranlagen in Hessen, die in den letzten Jahren zur Reduzierung der Einleitungen geführt haben und die noch fortgesetzt werden müssen, konnten bereits an Dutzenden Fließgewässern die Zielkonzentrationen unterschritten werden. Gleichzeitig gewann man dabei die Daten, die den rechnerischen Zusammenhang zwischen Kläranlageneinleitungen und Gewässerkonzentrationen aufzeigen. Setzt man davon ausgehend die Kläranlagenabläufe rechnerisch auf Null, bleibt für die anderen Eintragsquellen wie Mischwasserentlastungen, Grundwasser und eben auch die Einträge der Landwirtschaft nicht mehr viel übrig. Bäche ohne Kläranlageneinleitung sind zudem in der Regel nur gering belastet.

Warum ergeben dann die Modellrechnungen, auch die in unserer Dezemberausgabe dargestellten Zahlen des Umweltbundesamts, Ergebnisse, dass der Beitrag der Landwirtschaft bei Phosphor genauso hoch sei wie der der Kläranlagen, in einigen Landesstudien sogar höher?

Dr. Seel: Es gibt drei Gründe, die zusammengenommen zu einer deutlichen Unterschätzung des Beitrags der Kläranlagen und zu einer Überschätzung des Landwirtschaftsbeitrags führen:

1. Die Modelle, egal, ob sie MONERIS, MePhos oder MoRe heißen, errechnen nur Jahresmengen an Phosphor, die in einen Fluss gelangen sowie die entsprechenden Beiträge der verschiedenen Eintragsquellen. Das gesetzliche Ziel ist aber die mittlere Konzentration. Denn die Algen und Wasserpflanzen reagieren nur auf Konzentrationen. Eine einfache Umrechnung von Jahresmenge auf Jahreskonzentration ist nicht möglich: Hauptsächlich im Winter kommt es regenbedingt zu Zusatzeinträgen aus der Abwasserentsorgung und der Fläche. Diesen steht aber eine größere Wassermenge zur Verdünnung gegenüber. Daher steigen die Phosphorkonzentrationen in dieser Zeit nicht an. Dagegen sind die Konzentrationen in den Sommermonaten deutlich höher, wenn auch bei trockenem Wetter die Kläranlagen kontinuierlich einleiten und durch Niedrigwasser in den Flüssen Verdünnungswasser fehlt.

Diese Argumentation gilt aber nur für typische Fließgewässer und nicht für Seen oder Meere, wo sich der Phosphoreintrag des Jahres sammelt und nach Durchmischung die mittlere Konzentration erhöht. Für Seen und Küstengewässer gibt es andere Zielwerte. Derzeit geht man davon aus, dass die Vorgaben für Binnengewässer ausreichend streng sind, um auch Nord- und Ostsee zu schützen.

2. Gerade in den Mittelgebirgsregionen errechnen die Modelle hohe Einträge von Ackerboden durch Erosion bei starken Regenfällen. Dabei geht der gesamte Phosphorgehalt im Boden in die Rechnung ein. Bei der entsprechenden Labormethode wird der Phosphor durch starke Säuren aus dem Boden gelöst. Die Algen können im Fließgewässer dagegen nur den Teil des Phosphors nutzen, der innerhalb von Stunden oder Tagen aus den im Gewässer transportierten Bodenpartikeln herausgelöst wird. Dieser Anteil lässt sich z. B. durch die Analyse von CAL-Phosphor abschätzen, eine Methode, die jeder Ackerbauer kennt und nutzt, wenn er den Düngebedarf seines Ackers ermitteln will.

In Hessen beträgt der CAL-Phosphor aber im Mittel nur ca. 10% des gesamten Phosphors. Dementsprechend überschätzt ist die Düngewirkung durch Erosion. Ein weiterer Teil des Phosphors im Boden ist als Biomasse im Humus enthalten und nicht mit der CAL-Methode erfasst. Dieser Anteil setzt nach länger andauerndem biologischem Abbau gelösten Phosphor frei. Dies wird aber i. d. R. erst in Stehgewässern relevant, wo keine Strömung mehr herrscht und sich die feinen Bodenpartikel dauerhaft ablagern können.

Es gibt aber noch einen je nach Region erheblichen Anteil des Phosphors, der so fest mineralisch gebunden ist, dass Pflanzen in auch nach Jahren nicht nutzen können. In Hessen gibt es z. B. sehr hohe Konzentrationen dieses Phosphors in Böden, der aus Gesteinen vulkanischen Ursprungs gebildet wurde.

3. Die Modellergebnisse bei Phosphor sind zwangsläufig sehr ungenau, weil die Eintragsmechanismen sehr kompliziert sind und die benötigten Daten, die der Modellierer für seine Rechnung braucht, nur unzureichend verfügbar sind. Daher wird oft mit Schätzwerten gearbeitet.

Bei Modellergebnissen aus dem süddeutschen Raum haben wir zudem festgestellt, dass die fiktiv laut Modell eingetragenen Phosphormengen eines Jahres viel höher waren als durch jahrelange intensive Messungen festgestellt werden konnte. Da die Kläranlageneinleitungen durch die vorgeschriebenen Messungen gut bekannt sind, reduziert sich automatisch rein rechnerisch und fiktiv deren prozentualer Anteil.

Durch unsere Messungen konnten wir aber feststellen, dass vor Beginn der Maßnahmen in Hessen ca. zwei Drittel der Jahreseinträge auf die Kläranlagen entfallen, in abwasserreichen Gewässern waren es über 80%. Dabei sind die o. g. Effekte durch die unterschiedliche Pflanzenverfügbarkeit noch nicht berücksichtigt.

Inwieweit lassen sich die hessischen Ergebnisse auf andere Bundesländer übertragen?

Dr. Seel: Ich bin mir recht sicher, dass sich die Ergebnisse auf die Mittelgebirgsregionen gut übertragen lassen. Aber auch im deutschen Tiefland wäre es möglich, relativ leicht abzuschätzen, welcher Anteil der Gewässerkonzentration auf die Kläranlagen entfällt, falls die Einträge der Kläranlagen und die Wassermengen im Fluss bekannt sind. Dann würde sich zeigen, ob andere Einträge, z. B. durch Drainagen und Grundwasser, wirklich so bedeutend sind, wie die Modellergebnisse unterstellen.

Klar ist, dass der o. g. Kritikpunkt bezüglich der Erosion von Ackerböden in den Regionen Deutschlands unterschiedliches Gewicht hat. Wenn es im Tiefland weniger Erosion von Ackerboden gibt, weil das Wasser mangels Hangneigung nicht so leicht abfließt, ist auch der Fehler, der bei diesem Modellierungsbeitrag errechnet werden kann, geringer.

Wenn der Boden zudem nur geringe Anteile an fest mineralisch gebundenem Phosphor hat, was vermutlich in den sandigen Böden von Mecklenburg-Vorpommern der Fall ist, verringert sich dieser Fehler weiter.

Klar ist auch, dass die hessischen Ergebnisse nicht 1:1 auf Flussseen, wie sie z. B. in Brandenburg häufig sind, übertragen werden können. Hier münden viele Flüsse in Seen, deren Ablauf wieder zum Fluss wird. Viele Seen reagieren im Übrigen so empfindlich auf Phosphoreinträge, dass auch geringe Einträge aus der Landwirtschaft zum Problem werden können.

Welche Konsequenzen sehen Sie für die Landwirte und ihre Wirtschaftsweise?

Dr. Seel: Keine Wesentlichen. Maßnahmen zum Erosionsschutz sind ohnehin sinnvoll, sei es zum Bodenschutz oder um eine schädliche Verschlammung der Gewässer zu vermindern. Abstandsflächen zu Gewässern sind sinnvoll, um den ökologisch besonders wertvollen Lebensraum zu schützen und andere Schadstoffeinträge zu vermeiden.

Ein mit Nährstoffen gut versorgter Boden sollte nicht weiter gedüngt werden; schließlich ist Phosphor ein endlicher Rohstoff. Mit ihm muss schonend umgegangen werden. Bei Ackerflächen, die eine Mangelversorgung mit CAL-Phosphor haben, sollte allerdings zunächst geprüft werden, ob das Gewässerproblem nicht durch Maßnahmen an Kläranlagen und generell bei der Abwasserentsorgung gelöst werden kann, bevor ein Düngeverbot erwogen wird.

Sind die Maßnahmen an Kläranlagen sehr teuer? Warum werden sie nicht überall ergriffen?

Dr. Seel:Nein, im Gegenteil. Die Zusatzkosten bewegen sich im Bereich von 1 € pro Einwohner und Jahr. Viele Kläranlagen haben überhaupt keine Zusatzkosten, da der Betrieb optimiert wurde und Zusatzaufwendungen durch eine geringere Abwasserabgabegebühr an das Land kompensiert werden. Nur bei ganz strengen Vorgaben ist eine größere Investition für eine Filtration des Abwassers notwendig. Aber auch diese Kosten sind pro Einwohner bei großen Anlagen sehr gering.

Grundsätzlich ist die Situation in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Baden-Württemberg und NRW z. B. haben früher als Hessen bei den Kläranlagen angesetzt. Sie haben derzeit die besten Phosphorablaufwerte der Kläranlagen gemäß der Statistik der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) für 2018. Aber auch in diesen Ländern gibt es noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Schlusslichter in Deutschland sind Bayern, Sachsen und Thüringen. Dort sind die mittleren Ablaufkonzentrationen achtmal höher als die Konzentrationen, die zukünftig für die größeren Kläranlagen in Berlin und seinem Umland in Brandenburg geplant sind.

Für so manchen Entscheidungsträger in Wasserwirtschaftsverwaltung und Politik war es bisher sehr bequem, mit dem Finger auf die Landwirtschaft zu zeigen. So muss er nicht selbst tätig werden. Genauso wie die Landwirte sich gegen höhere Umweltauflagen wehren, reagieren auch oft fast reflexhaft abwehrend die Kommunen als Kläranlagenbetreiber, wenn das Land ihnen schärfere Auflagen machen will. Da braucht es einen festen Willen, gute Fachkenntnisse und viel Überzeugungsarbeit, um diese Widerstände zu überwinden.

In Hessen ist das weitgehend gelungen. In anderen Ländern fehlt manchmal der Mut. In Rheinland-Pfalz hat man z. B. ein Förderprogramm aufgelegt, um die Kommunen freiwillig zu Verbesserungen zu bewegen. Die hessischen Ergebnisse zeigen aber klar, dass es ohne verbindliche Vorgaben, die rechtlich geboten sind, nicht funktionieren wird. Viele Betreiber warten, bis sie etwas vorgeschrieben bekommen. Im Extremfall muss deshalb Deutschland ggf. mit einer weiteren Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof rechnen, weil es die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nicht umsetzt.

Ein Problem ist auch, dass in den letzten 15 Jahren in den Wasserwirtschaftsverwaltungen der Länder Personal abgebaut wurde, während die Aufgaben durch die WRRL massiv gewachsen sind. Viele Landesämter haben gar nicht das Personal, um die meist von außen eingekauften Modellergebnisse kritisch zu prüfen oder anhand eigener Daten die hessische Sichtweise nachzuvollziehen. Auch daher läuft der Diskussionsprozess zu dem Thema sehr langsam und zäh.

Das Interview führte Anne Katrin Rohlmann

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