Das Umweltbundesamt (UBA) bedauert, dass es nach gültiger Rechtslage wenig Mitspracherecht bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln hat. Denn viele der in der EU zugelassenen Mittel würde die grün dominierte Behörde nicht erlauben.
Anders als die Behörden in anderen EU-Ländern stuft das UBA die Umweltrisiken von Mitteln höher ein, so dass sie nach fachlichen Kriterien nicht oder nur mit strengen Auflagen zulassungsfähig wären. Dennoch hätten die Herstellerfirmen die Zulassungen für Deutschland ohne solche Auflagen vor Gericht durchsetzen können, ärgert sich das Amt in einer Mitteilung. Um das zu verstehen, hier die aktuelle Praxis:
So läuft aktuell die Zulassungspraxis in der EU
Pflanzenschutzmittel (PSM) müssen in jedem Land der EU zugelassen sein, in dem sie vermarktet werden sollen. Hersteller eine Zulassung in mehreren EU-Ländern benötigen, können sie einen Staat auswählen, der das Mittel dann auf seine Wirksamkeit und seine Risiken für Umwelt und Gesundheit prüft. Diese Bewertung kann das Unternehmen dann in weiteren Staaten der EU einreichen. Diese müssen das Mittel ebenfalls zulassen, sofern keine landesspezifischen Gründe, wie bestimmte Landschafts- oder Klimabedingungen oder landwirtschaftliche Besonderheiten dagegensprechen.
Die EU-Pflanzenschutzmittelverordnung ermöglicht es allerdings laut UBA, den Rahmen dafür so eng auszulegen, dass praktisch keine Abweichung in der Zulassungsentscheidung möglich ist, auch wenn es handfeste fachliche Argumente dafür gibt.
Das Bundesamt beklagt nun, dass eine eigene nationale Bewertung - auch wenn sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht - dem Ziel eines harmonisierten Binnenmarktes für Pflanzenschutzmittel zuwider laufe. Die deutschen Behörden seien deshalb an das Fachurteil des erstbewertenden Mitgliedstaates gebunden – auch dann, wenn dieser erkennbar gegen Bewertungsleitlinien verstoßen habe oder seine Bewertung aus heutiger Sicht fehlerhaft sei.
Beispiele, wo das UBA anders entscheiden würde
In seiner Mitteilung nennt das Amt einige Mittel, wo man anders entschieden hätte: So entsteht beim Zerfall des Unkrautvernichters Flufenacet der Stoff Trifluoracetat (TFA), der sich nicht abbaut und schnell im gesamten Wasserkreislauf verteilt. Er sei zwar bislang nicht als toxisch aufgefallen, das Amt stört sich aber daran, dass er in die Natur gelangt.
Oder das Maisherbizid S-Metolachlor: Es baut im Boden zu mehreren Stoffen ab, von denen einer noch eine ähnliche Wirksamkeit besitzt wie der Wirkstoff selbst, heißt es weiter. Für beide Fälle habe das UBA ein hohes Eintragspotenzial in das Grundwasser nachgewiesen und bereits erhöhte Konzentrationen in vielen Grundwasserkörpern deutschlandweit festgestellt. Dennoch durften die deutschen Behörden nicht regulierend eingreifen: Sowohl eine Verweigerung der Zulassung als auch Maßnahmen zur Eintragsminderung wurden für unzulässig erklärt. Demnach hätte das UBA sich der Entscheidung des erstbewertenden Staats anschließen sollen, die allerdings nicht dem aktuellen Wissensstand entspricht und nicht die spezielle Belastungssituation in Deutschland berücksichtigt.
Das Umweltbundesamt sieht sich in seiner Kritik gestärkt durch die Wasserversorger. Sie würden schon Alarm schlagen, weil die Abbauprodukte der oben genannten Stoffe bereits jetzt die Schwellenwerte im Rohwasser überschreiten und dessen Vermarktbarkeit beeinträchtigen würden. Die derzeitigen Zulassungsbedingungen für Flufenacet und S-Metolachlor stellten daher den hohen nationalen Schutzstandard für das Grundwasser infrage und könnten zu einer Verschlechterung der Grundwasserqualität insgesamt führen – auch mit Blick auf andere Stoffe.
„Der Konflikt um die landwirtschaftliche Nutzung von Trinkwassereinzugsgebieten wird verschärft, wenn der sachgemäße Einsatz von Pestiziden zu enormen Grund- und Trinkwasserbelastungen führt“, so das Amt in seiner Mitteilung weiter.
Das UBA hat noch weitere Beispiele. So würden Pflanzenschutzanwendungen mit dem Wirkstoff Fluazinam so hohe Wirkstoffgehalte im Boden hinterlassen, dass schädliche Effekte auf Regenwürmer zu erwarten seien. Da diese Pilzmittel aber in anderen Mitgliedstaaten ohne Berücksichtigung aktueller Studien zugelassen worden waren, musste die Zulassung auch in Deutschland erteilt werden.
Hersteller gehen gezielt in Länder mit schwachen Hürden
Die Herstellerfirmen können selbst auswählen, in welchem Staat sie ihr Produkt zur erstmaligen Bewertung und Zulassung einreichen. Dadurch könnten sie ihre Zulassungsanträge gezielt in solchen EU-Staaten einreichen, die in ihren Bewertungen einen niedrigeren Schutzstandard ansetzen als Deutschland, so das UBA weiter.
Da alle anderen EU-Staaten an die Schlussfolgerung aus dieser Bewertung gebunden sind, setze sich in Europa nach und nach der niedrigste Standard durch. Während 2011–2013 noch 46 % aller Zulassungen in Deutschland bewertet wurden, waren es in den Jahren 2019/2020 nur noch 9 %. Damit könnten bei über 90 % aller Zulassungen in Deutschland die deutschen Behörden nicht mehr eigenständig über Bewertung und Zulassung entscheiden, heißt es.
Das Amt bedauert außerdem, dass die Personalausstattung und Arbeitsroutinen in den Ländern sehr unterschiedlich seien. Einige Staaten würden sich etwa nur auf Daten und Studien stützen, die zum Zeitpunkt der letzten Wirkstoffgenehmigung vorlagen – auch wenn zwischenzeitlich neue Erkenntnisse gewonnen wurden, die deutlich höhere Risiken anzeigen. Dadurch könnten neue Daten und Erkenntnisse mitunter schon jahrelang vorliegen, würden aber trotzdem nicht verwendet.
Das UBA hingegen bewerte die Risiken von Pestiziden nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik, so wie es auch in der Pflanzenschutzmittelverordnung vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass alle relevanten Daten und Erkenntnisse in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Forderungen
Man hofft in Berlin nun auf den „Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“, die Farm-to-Fork-Strategie und die Zero Pollution Ambition der EU-Kommission. Darin sei der gesetzliche und politische Auftrag formuliert, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und deren Risiken für Mensch und Umwelt zu verringern.
Aus Sicht des UBA können die dargestellten Problemfelder nur auf europäischer Ebene geregelt werden. Die EU-Pflanzenschutzmittelverordnung müsse so umgesetzt werden, dass das Schutzniveau steigt anstatt zu sinken. Ein großer Schritt wäre getan, wenn alle Wirkstoffe in ihrer vorgegebenen Frist neu geprüft und genehmigt würden und damit ein relativ aktueller Stand verpflichtend für die Zulassung von Produkten wäre. Zulassungsanträge sollten außerdem zukünftig von unabhängiger Stelle auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Auf europäischer Ebene müsse geklärt werden, in welchem Maße es den Mitgliedstaaten möglich ist, in ihrer nationalen Zulassung auf besonders empfindliche Ökosysteme und nachgewiesene Vorbelastungen einzugehen.
Auch sollte auf EU-Ebene entschieden werden, ob die Mitgliedstaaten die Anwendung der jeweiligen Produkte an Maßnahmen der Risikominderung binden können, wenn dies fachlich notwendig ist. Nicht zuletzt sind bestehende Bewertungslücken, wie Auswirkungen auf das Nahrungsnetz und die Biodiversität, zu schließen.