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"Darum ist das Volksbegehren ´Rettet die Bienen BW` schlecht gemacht!"

„Sehr gut gemeint, aber schlecht gemacht“: Wissenschaftler der Uni Hohenheim beklagen falsche Prioritäten, Maximalforderungen und fehlenden Dialog beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in BaWü.

Lesezeit: 6 Minuten

Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern war das erfolgreichste der Landesgeschichte und soll nun 1:1 Gesetz werden. Seit vergangener Woche läuft auch in Baden-Württemberg ein Volksbegehren unter gleichem Namen der Initiative „proBiene. Doch die Forderungen zum Stopp des Insektensterbens gehen nach Ansicht von Experten der Universität Hohenheim deutlich über das bayerische Vorbild hinaus. Entsprechend größer sei auch der Widerstand der Landwirte.



Die Forderungen im Überblick:

  • Der Anteil der ökologischen Landwirtschaft soll bis 2035 auf 50 % erhöht werden
  • In Naturschutzgebieten sollen Pflanzenschutzmittel verboten werden
  • Flächen, auf denen PSM eingesetzt werden, sollen sich bis 2025 halbieren
  • Streuobstwiesen sollen geschützt werden

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„Gut gemeint, schlecht gemacht“

Aus Sicht von Prof. Dr. Johannes Steidle, Fachgebiet Tierökologe der Uni Hohenheim, ist das Volksbegehren sehr gut gemeint, aber schlecht gemacht. „Ich werde den Text in der vorliegenden Form nicht unterschreiben. Die Forderungen sind zu sehr auf die Pestizide verengt. Sie sind sicherlich ein Faktor für das Artensterben. Aber sie zum Kern des Problems zu erklären, das gibt die Datenlage nicht her“, kritisiert der Professor.



Ein wirklich entscheidender Faktor wird seiner Meinung nach im Volksbegehren hingegen quasi gar nicht berücksichtigt: Damit Insekten überleben können, benötigen sie Lebensräume: Fraßpflanzen, Pflanzen, an denen sie ihre Eier ablegen können, Lücken im Boden, blühende Wildpflanzen, Hecken…



„Monokulturen mit Nutzpflanzen sind für Insekten hingegen in etwa so attraktiv wie eine geteerte Fläche. Ob man auf dieser ‚geteerten Fläche‘ dann auch noch Pflanzenschutzmittel ausbringt oder nicht, spielt letztendlich keine so große Rolle mehr“, erläutert Steidle seine Gründe.



Der erste Schritt wäre also etwas gegen die Strukturarmut unserer Landschaft zu unternehmen: Beispielsweise ein verpflichtender Grünstreifen am Rande großer Äcker, schreibt er weiter. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist seiner Ansicht nach auch ein anderer Umgang mit Grünland, das in immerhin 50% der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ausmacht. Es sollte erheblich seltener gemäht werden, so Steidles Rat.



„Mein zweiter Kritikpunkt ist das geforderte Pauschal-Verbot sämtlicher Pflanzenschutzmittel und Biozide in Schutzgebieten. So wie ich die entsprechenden Gesetzestexte verstehe fallen darunter auch die biologische Schädlingsbekämpfung und andere umweltfreundliche Methoden, ohne die biologische Landwirtschaft nicht möglich wäre. Erfolgreiche und bewährte Strategien, die dabei helfen, den Einsatz chemischer Gifte zu reduzieren, wären dann auch verboten.“



Im Nachhinein für jedes einzelne biologische Mittel eine Sondergenehmigung auf den Weg zu bringen hält der Fachmann für einen nicht leistbaren bürokratischen Aufwand. „Mein Eindruck ist: Das bayerische Volksbegehren war so erfolgreich, weil vorab ein intensiver Dialog mit allen betroffenen Gruppen stattgefunden hat. In Baden-Württemberg wurde diese Auseinandersetzung hingegen offensichtlich versäumt.“

Alle ökologischen Hilfsmittel nicht mehr erlaubt

Das Gegenteil der gewünschten Wirkung erwartet auch Dr. Sabine Zikeli, Leiterin des Zentrums für ökologischen Landbau. „Der Text des Volksbegehrens suggeriert, dass im ökologischen Landbau keinerlei Pflanzenschutzmittel eingesetzt würden. Auf den ökologischen Ackerbau trifft dies weitgehend zu: Hier gibt es alternative Strategien der Schädlingsbekämpfung: z.B. über die mechanische Bekämpfung von Beikräutern oder über die Fruchtfolge, um Pilzkrankheiten und Schädlinge zu vermeiden. Im Obst- und Weinbau können jedoch weder Pilze noch Insekten auf diese Weise bekämpft werden. Auch beim Kartoffelanbau müssen Maßnahmen gegen den Kartoffelkäfer ergriffen werden“, schildert Zikeli.



Zwar kämen keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, dafür aber Kupfer, pflanzliche Präparate oder biologische Mittel, wie z.B. Viren, die auf bestimmte Insekten wirken. All dies wäre gemäß den Forderungen des Volksbegehrens jedoch nicht mehr erlaubt.



„Jeder Kleingärtner weiß aber, dass man unter unseren Klimabedingungen zwar Äpfel kultvieren kann, diese aber ohne biologische Schädlingsbekämpfung eben nicht immer schön aussehen, sondern Schorfflecken zeigen oder von den Raupen des Apfelwicklers befallen sind. Wir müssten den Apfelanbau also in Landschaftsschutzgebieten einstellen oder die Apfelbäume einhausen, das heißt unter Folie und Netz kultivieren. Ich vermute jedoch, dass die Initiatoren des Volksbegehrens keine großflächige Folien-Plantagen am Bodensee im Sinn hatten“, führt Zikeli vor Augen.



Auch der Plan, die biologische Landwirtschaft bis 2025 auf 25% und bis 2030 auf 50% zu erhöhen erscheint ihr unrealistisch. Für die Erzeugnisse müsse schließlich auch ein Markt da sein. Der Bio-Markt wächst zwar, aber eben nicht so schnell. Die Konkurrenz unter den biologischen Landwirten würde also erheblich zunehmen, so dass der Ökolandbau an Attraktivität verlieren würde.



„Nicht zuletzt lebt der ökologische Landbau davon, dass die Landwirte diesen Weg aus Überzeugung gehen. Würde man den Umstieg gewissermaßen erzwingen, ist von deutlich mehr schwarzen Schafen auszugehen. Richtlinien müssten vermutlich noch viel schärfer kontrolliert werden und die Glaubwürdigkeit der Branche könnte in Gefahr geraten“, argumentiert die Professorin.



Verbände wie Demeter BW oder Naturland BW unterstützen das Volksbegehren. Zikeli vermute allerdings, dass hier vor allem die Stimmen von Mitgliedern gehört wurden, die Ackerbau betreiben und die Konsequenzen für Sonderkulturen nicht in vollem Umfang wahrgenommen wurden. „Der Verband Bioland BW hat sich aus den genannten Gründen daher gegen das Volksbegehren ausgesprochen.“

Weltbevölkerung könnte nicht mehr ernährt werden

Einen anderen Aspekt führt Prof. Dr. Ralf Vögele, Dekan der Fakultät Agrarwissenschaft und Direktor des Instituts für Phytomedizin, an. Er sei zwar überzeugt, dass die Bauern den

Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel erheblich reduzieren können. Eine pauschale Verteufelung bringe uns hingegen nicht weiter.



„Man darf nicht vergessen: Würden wir von heute auf morgen auf Pflanzenschutzmittel verzichten, könnten wir die Weltbevölkerung nicht mehr ernähren. Für viele deutsche Betriebe würde es das Aus bedeuten. Kartoffeln oder Äpfel müssten wir z.B. nahezu komplett aus dem Ausland importieren. Auch Weinbau wäre in Deutschland nicht mehr möglich“, warnt der Dekan.



Nicht außer Acht lassen dürfe man an dieser Stelle auch, dass eine Reduktion der einsetzbaren Pflanzenschutzmittel zu großen Resistenzproblemen führen kann. „Eine Reduktion der Aufwandmenge kann sehr schnell zur Unterschreitung des nötigen Schwellenwertes führen, was den Einsatz der Mittel wirkungslos macht. Eine Reduktion des Spektrums der Mittel führt dagegen aufgrund der Verwendung nur eines Wirkstoffs gegebenenfalls schnell zur Entwicklung von Resistenzen bei den Erregern – ähnlich der derzeit beobachtbaren zunehmenden Antibiotika-Resistenz bei Krankenhauskeimen.“



Ein vernünftiges und zukunftsweisendes Management des Pflanzenschutzmitteleinsatzes wäre hier also weitaus zielführender. Für sehr vielversprechend hält er auch einen Ansatz, der versucht, Vorteile der konventionellen und der ökologischen Landwirtschaft miteinander zu vereinen und deren jeweiligen Nachteile so weit wie möglich zu reduzieren. „Ziel sind Anbausysteme, die auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichten, nicht aber auf Mineraldünger.“

Prof. Vögele bedauert, dass viele Menschen heute offensichtlich eine romantisch verklärte Sicht auf die Landwirtschaft hätten, aber keine Vorstellung von der Realität der Betriebe. Diese fühlten sich durch das Volksbegehren zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Der Wunsch nach Verzicht auf Pflanzenschutzmittel steht zudem in krassem Widerspruch zu dem tatsächlichen Verhalten der Verbraucher. Solange im Supermarkt ausschließlich optisch makelloses Obst und Gemüse nachgefragt wird, wird die Reduktion von Pflanzenschutzmittel nur schwer gelingen“, so Vögele.

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