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topplus Umdenken im Pflanzenbau

Weniger chemischer Pflanzenschutz erfordert mehr Erfindungsreichtum im Ackerbau

Je höher die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ausfällt, desto teurer wird es. Positive Effekte liefern geeignete Vor- und Zwischenfrüchte.

Lesezeit: 5 Minuten

Ob Pflanzenzüchtung, eine erweiterte Fruchtfolge und alternative Wirkstoffe den zunehmend eingeschränkten Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel im Ackerbau ausgleichen und die Entwicklung nachhaltiger Anbausysteme begünstigen können war Thema auf der 20. Pflanzenbautagung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK).

25 % der Pflanzenschutzmittel bis 2030 einsparen

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„Gesellschaft und Politik streben danach, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren“, berichtete Kammerpräsident Gerhard Schwetje mit Blick auf die Reduktionsstrategie, die die Partner des Naturschutzbündnisses „Der Niedersächsische Weg“ erst Mitte Februar 2023 vorgestellt hatten.

Das Ziel, mindestens 25 % der Pflanzenschutzmittel bis 2030 einzusparen, sei ambitioniert, sagte Schwetje. „Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen und die Betriebe haben sich bereits auf den Weg gemacht, um dieses Ziel auch zu erreichen.“

Gesellschaftspolitische Fehlbewertung des Pflanzenschutzes

Eine weitergehende Einschränkung des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel führt aber nicht nur in Teilen der ackerbaulichen Praxis zu intensiven Debatten, sondern ist auch in der Wissenschaft ein Thema: Die jüngsten Pläne der Europäischen Union basierten auf einer gesellschaftspolitischen Fehlbewertung des Pflanzenschutzes, betonte Prof. Dr. Andreas von Tiedemann von der Georg-August Universität Göttingen in seiner Analyse.

Tiedemann, Leiter der Abteilung Pflanzenpathologie und Pflanzenschutz im Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Fakultät für Agrarwissenschaften, vermisst wissenschaftliche Belege, die etwa die Argumentation stützen, dass chemischer Pflanzenschutz die Artenvielfalt einschränkt: Moderne Pflanzenschutzmittel hätten weder das Ziel, noch das Potenzial, Arten zu eliminieren, so der Forscher.

„Das Konzept des chemischen Pflanzenschutzes, die Herunterregulierung von Schaderregerpopulationen unter die wirtschaftliche Schadensschwelle, und zwar nur bis zur Ernte, wird offenbar nur von den Wenigsten verstanden“, folgerte der Pflanzenschutzexperte der Uni Göttingen. Pflanzenschutz sei die falsche Stellschraube zur Regulierung von Biodiversität.

Pflanzenschutzpolitik sei seit Jahren eine Getriebene von Kampagnen, sagte Tiedemann weiter. „Wir haben Kampagnen auch gegen grüne Gentechnik oder Corona-Impfungen erlebt, in letzterem Fall hat die Politik klug und sachgerecht gehandelt – dies wäre ein gutes Beispiel zur Beherzigung auch in den beiden anderen Technologiefeldern.“

Reduktion im Idealfall mit Kosten von 10 bis 20 €/ha

Nach Einschätzung von Dr. Marcel Dehler vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft in Braunschweig betreffen die bisherigen EU-Vorschläge zur Pflanzenschutzmittel-Reduktion rund ein Drittel der deutschen Ackerfläche. Gemessen am Pesticide Load Indicator – einem Risikomodell, das die gesundheitlichen und ökologischen Risiken und das Umweltverhalten einzelner Wirkstoffe einbezieht – zeigte Dehler anhand einer Modellrechnung für die Region Südhannover, dass eine Risikoreduktion um 25 % im Idealfall mit Kosten von 10 bis 20 €/ha vergleichsweise günstig zu erreichen ist.

Eine Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes könne hingegen zu Anpassungskosten von bis zu 125 €/ha führen, rechnete Dehler den Gästen der Pflanzenbautagung vor. „Anpassungskosten entstehen unter anderem durch Ertragseinbußen, höhere Arbeitserledigungskosten etwa durch mechanische Unkrautregulierung oder auch höhere Kosten für Pflanzenschutzmittel in Folge einer veränderten Wirkstoff- und Produktauswahl.“

Um die Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes politisch durchzusetzen, seien verschiedene Wege denkbar, führte Dehler weiter aus: etwa einzelbetriebliche Obergrenzen über das Ordnungsrecht, eine Pflanzenschutzmittel-Steuer, ein Prämienmodell sowie ein Lizenzmodell mit handelbaren Nutzungsrechten. „Kern der Lizenz-Idee ist, dass es eine fixe Anzahl an Nutzungsrechten in Deutschland gibt, die Landwirtinnen und Landwirte untereinander handeln können; der Preis setzt sich aus Angebot und Nachfrage zusammen.“

Neue Sorten reduzieren Fungizidbehandlungen

Dr. Johannes Schacht, Weizenzüchter bei der Limagrain GmbH in Peine-Rosenthal, berichtete zu den Möglichkeiten und Grenzen der Weizenzüchtung bei reduzierten Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz: „Bereits heute stehen Weizensorten mit guter Resistenzausstattung zur Verfügung, die einen Verzicht auf die frühe beziehungsweise die späte Fungizidbehandlung erlauben“, so Schacht. Der „genetische Pflanzenschutz“ einiger Sorten könne den chemischen Pflanzenschutz schon heute partiell ersetzen.

Auch im Hinblick auf eine effizientere Verwertung der Stickstoffdüngung seien bereits praxistaugliche Lösungsansätze aufgezeigt worden, fügte Schacht hinzu. „Herausforderungen für die Züchter bleiben die Resistenzen gegen Virosen, Insekten und samenbürtigen Krankheiten wie zum Beispiel Steinbrand.“ Der Produktionsfaktor Sorte und zertifiziertes Saatgut müsse aufgewertet werden um die Forschungs- und Entwicklungskosten der Zuchtunternehmen zu refinanzieren, sagte der Weizenexperte.

Zwischenfrüchte werden immer wichtiger

Durch die Integration von Kulturen, die in der Regel weniger Pflanzenschutzgaben benötigen als andere Kulturen, in die Fruchtfolge könne der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel im Schnitt reduziert werden, berichtete Kai-Hendrik Howind, Leiter des Sachgebiets Anbausysteme, Fruchtfolgen, Digitales im LWK-Fachbereich Pflanzenbau.

Doch es bleibe die Frage, ob solche Kulturen auch bei größerer Anbaubedeutung beim Pflanzenschutz extensiv blieben, fuhr Howind fort. Für weitere positive Effekte beim Einsparen chemischer Pflanzenschutzmittel könnten geeignete Vor- und Zwischenfrüchte in den etablierten Kulturpflanzen sorgen.

„Diesen und weiteren Fragen geht die Landwirtschaftskammer unter anderem in einem groß angelegten Feldversuch an der Elbmündung nach – die ersten Ergebnisse sind vielversprechend“, hob Howind hervor. „Doch die Fruchtfolgegestaltung ist ein langwieriger Prozess, der viele weitere Einflussfaktoren einbeziehen muss – dadurch werden die Betriebe die ideale Fruchtfolge zukünftig noch individueller entscheiden müssen als bisher.“

Biostimulanzien hochinteressant

Die diskutierten Reduktionsziele sowohl im Pflanzenschutz als auch in der Düngung befeuern die Suche nach Alternativen, die einerseits die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft reduzieren, andererseits aber auch weiterhin die Erzeugung von qualitativ hochwertigen, sicheren Lebensmitteln ermöglichen sollen.

„Vor diesem Hintergrund sind die Produktgruppen der Biostimulanzien, Biologicals oder auch Biologischen Pflanzenschutzmittel stark ins Gespräch gebracht worden“, berichtete Caroline Benecke, Leiterin des Sachgebiets Düngung, Pflanzenernährung und Nährstoffmanagement im LWK-Fachbereich Pflanzenbau.

„In ersten Versuchen mit Biostimulanzien konnte noch nicht klar herausgearbeitet werden, unter welchen Bedingungen ein positives Ergebnis, bezogen auf den Ertrag oder die Qualität des Ernteproduktes, sicher eintreten kann“, sagte Benecke. Sie forderte die Hersteller und Vertriebler dieser Produkte auf, Anwendungsbedingungen genauer zu definieren. „Bei Biostimulanzien können wir nicht mit der Dosis-Wirkungs-Beziehung rechnen, die wir aus dem Pflanzenschutz kennen.“ ´

Aus diesem Grund müsse die Erwartungshaltung der Landwirte realistisch gehalten werden, empfahl Benecke: „Eine adäquate Alternative beispielsweise zur klassischen Düngung sind Biostimulanzien nach ersten Erfahrungen in Versuchen nicht – weitere Versuchsjahre sollen hier umfassendere Erkenntnisse liefern.“

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