Die Chemikerin Prof. Dr. Carolin Huhn forscht am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Uni Tübingen. Eines ihrer Forschungsthemen ist die Gewässerbelastung mit dem Stoff Glyphosat.
Das Interview wurde bereits am 20. April 2025 geführt. Anlässlich des gesteigerten Leserinteresses haben wir den Artikel neu veröffentlicht.
Bisher galt der Pflanzenschutzmitteleinsatz als Hauptursache für Glyphosat-Rückstände in Gewässern. Was hat Sie daran zweifeln lassen?
Huhn: Wir haben einige Zeit im Raum Tübingen untersucht, was passiert, wenn Glyphosat über Regen vom Feld abgeschwemmt wird und so in Flüsse gelangt. Die ersten Messergebnisse der Glyphosatkonzentrationen in den Fluss-Sedimenten haben uns verwirrt. Denn in einigen Sedimenten fanden wir so viel Glyphosat wie im Feld, einige Tage nach dem Einsatz. In anderen landwirtschaftlich geprägten Flüssen trat hingegen so wenig Glyphosat auf, dass wir es nicht nachweisen konnten.
Wir haben sie dann noch mit vielen weiteren Daten abgeglichen, vor allem aus Deutschland, aber auch aus Frankreich, Luxemburg und den USA. Dabei wurde uns klar, dass die Eintragsmuster in Europa völlig anders sind als in den USA.
Was ist Ihnen beim Vergleich der Daten aufgefallen?
Huhn: In den USA sehen wir das meiste Glyphosat nach Regenereignissen, wie man das erwarten würde. In Europa gibt es aber eine sehr starke Saisonalität: Im Winter sind die Konzentrationen niedrig, im Sommer sehr hoch. Wenn wir hier nun die unterschiedliche Verdünnung im Sommer und Winter rausrechnen, dann sehen wir im Fluss relativ ähnliche Mengen über das gesamte Jahr.
Das passt nicht zu Einträgen aus der Landwirtschaft. Wir kennen solche Profile in der Umweltforschung jedoch von Medikamenten in Abwässern. Damit war klar, dass Abwasser eine wichtige, für manche Flüsse dominante Glyphosat-Quelle ist. Dieser Eintragspfad war in Teilen bekannt, wurde aber mit dem Glyphosat-Einsatz in Städten begründet. Nur: Auch hier würden wir keinen ganzjährigen Einsatz erwarten, weil auch hier Regen das Glyphosat ins Kanalsystem schwemmen sollte.
Wie sind Sie auf Waschmittel als Ursprung von Glyphosat gestoßen?
Huhn: Vor zwei Jahren habe ich ein Seminar zu perfluorierten Stoffen besucht – also zu synthetisch hergestellten organischen Stoffen – und zu den damit kontaminierten landwirtschaftlichen Flächen. Diese Stoffe sollten längst aus den Böden ausgewaschen sein. Sie sind aber noch da, weil sie sich immer wieder neu aus verwandten Stoffen bilden.
Das war für mich der Schlüssel für Glyphosat: Es war bereits lange bekannt, dass sich das wichtigste Abbauprodukt von Glyphosat, AMPA, auch aus sogenannten Aminopolyphosphonaten bildet. Einer der wichtigsten Stoffe aus dieser Gruppe trägt den Kurznamen DTPMP. Dieser Stoff ist in Deutschland unter anderem Bestandteil von vielen Waschmitteln.
Können Sie das genauer erklären?
Huhn: Das Abbauprodukt AMPA kommt in Europa immer gemeinsam mit Glyphosat vor. Wenn sich aber Glyphosat und AMPA in der Umwelt überall gleich verhalten, dann darf man annehmen, dass sie dieselbe Quelle haben. Mit dieser Idee lassen sich viele unserer Fragen beantworten:
Den dauerhaften Eintrag, die Einträge über Kläranlagen und sogar die Unterschiede zwischen Europa und den USA. Denn in den USA wird DTPMP (fast) nicht in Waschmitteln verwendet. Und für uns Chemiker ist es von den Strukturen her grundsätzlich möglich, dass sich Glyphosat aus DTPMP bildet.
In einer neuen Studie haben Sie nachgewiesen, dass sich im Klärschlamm neues Glyphosat aus dem Stoff DTPMP bilden kann. Wie groß ist das Problem in der Praxis?
Huhn: Wir haben frischen Klärschlamm mit ins Labor genommen und DTPMP zugesetzt. Man sieht dort sehr gut, wie sich über die Zeit immer mehr Glyphosat bildet. Für uns ist das tatsächlich die Verbindung, die eine bisher nicht beachtete Quelle mit den Gewässerprofilen verknüpft. Und es ist eine Quelle, die die meisten unserer Fragen beantworten kann. Aber unsere Laborergebnisse zeigen nur sehr geringe Glyphosat-Mengen, die sich im Klärschlamm bilden.
Wir haben nun mangels Daten abgeschätzt, wie viel DTPMP in Deutschland überhaupt verwendet wird und wie viel Glyphosat sich daraus neu im Klärschlamm bilden könnte. Diese Rechenwerte sind aber deutlich niedriger als das, was aus Studien bekannt ist. Wir können diese Ergebnisse also noch nicht quantitativ erklären. Wir müssen deshalb versuchen, die von uns vermutete Bildung im Kanalsystem zu verstehen. Außerdem wollen wir die Dynamik einer Kläranlage besser abbilden. Ich bin überzeugt, dass wir auf der richtigen Spur sind, wir müssen aber noch weiterforschen.
Kann man erfassen, welcher Anteil dieser Einträge in Deutschland aus den Haushalten und welcher aus der Landwirtschaft stammt?
Huhn: Eine Abgrenzung, wie viel Glyphosat aus DTPMP oder aus anderen Stoffen gebildet wird, ist mit den vorliegenden Daten schwierig. Wir sehen in abwasserbelasteten Flüssen klare Eintragsmuster, die eher zu Nicht-Herbizid-Quellen passen. In aktuellen Arbeiten an einer Kläranlage in Bayern sehen wir z. B. vor der Einleitstelle der Kläranlage kein Glyphosat im Gewässer oder Sediment; danach sind die Werte relativ hoch. Hier ist der Eintrag über die Kläranlage dominant.
DTPMP wird neben Wasch- und Reinigungsmitteln für Haushalte auch zu vielen anderen Zwecken eingesetzt. So z. B. in der industriellen Reinigung, der Lebensmittel-, Kosmetik- und Textilindustrie, aber auch bei der Trinkwasseraufbereitung. Lokal kann es also noch weitere Quellen für DTPMP und damit für Glyphosat geben.
Wie wirken sich diese Einträge auf die Gewässer und Umwelt aus?
Huhn: Glyphosat ist in die Kategorie „Schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“ eingestuft. Wir zeigen nun eine weitere Quelle dafür auf. Es gibt nur sehr wenige Umweltdaten für DTPMP, was mit der herausfordernden Analytik dieses Stoffes zu tun hat.
In Sedimenten findet man den Stoff aber in Konzentrationen, die um einen Faktor 100 höher sind als Glyphosat. Sie werden schlecht abgebaut und scheinen sich dort anzureichern. Da ist die Frage angebracht, ob wir nicht – wo möglich – Ersatzstoffe nutzen sollten, die weniger persistent bzw. beständig sind. Es gibt z. B. bereits Waschmittel auf dem Markt, die ohne Stoffe wie DTPMP auskommen.
Die Diskussion um Glyphosat ist sehr aufgeheizt. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Ergebnisse Gehör finden?
Huhn: Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen. Im Privaten höre ich manchmal die Sorge, dass die Untersuchungen Landwirte zu der Aussage animieren könnte: „Jetzt kann ich Glyphosat wieder intensiv nutzen.“ Das war aber nie die Reaktion, die ich aus der Landwirtschaft höre. Da ist es viel stärker ein: „Wir sind nicht immer schuld“. Bei den Phosphonat-Herstellern sind die Reaktionen sehr unterschiedlich, ein Hersteller hat sogar mit uns zusammengearbeitet. Die Waschmittelindustrie hält sich noch bedeckt.
Wir sind außerdem intensiv in Kontakt mit verschiedensten Behörden im deutschsprachigen Raum. Dort wird das Thema sehr ernst genommen. Regulatorisch ist dieser Bereich aber komplex, da wir ein Abbauprodukt einer Großchemikalie haben, das „zufällig“ auch unter die Pflanzenschutzverordnung fällt. Es gibt aber erste Reaktionen im Gewässermonitoring und es gibt neue Messstellen, um die Abwasser-Einträge besser zu untersuchen.