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„Wir stehen auch im Ackerbau am Scheideweg!“

Niedersachsen braucht eine eigene Ackerbaustrategie. Sie hilft den Landwirten, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Davon ist die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast überzeugt.

Lesezeit: 8 Minuten

Frau Ministerin, warum ist die Ackerbaustrategie so wichtig?

Otte-Kinast: Weil wir dringend klären müssen, wo wir mit unserem Ackerbau hinwollen. Die vergangenen Jahre zeigen, dass wir am Scheideweg stehen. Wir diskutieren heftig über den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel, Nährstoffüberschüsse und die Abnahme der Biodiversität. Zudem ist der Klimawandel mit den zunehmenden Extremwetterereignissen immer deutlicher zu spüren. Das sind nur die vier größten Problembereiche. Sie belegen den gewaltigen Handlungsbedarf.

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Was bringt da eine Ackerbaustrategie?

Otte-Kinast: Sie gibt eine Richtung vor und entwickelt Leitplanken – gemeinsam mit den Landwirten und anderen Akteuren im ländlichen Raum.

Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner muss laut Koalitionsvertrag eine solche Strategie vorlegen? Reicht das nicht?

Otte-Kinast: Nein, weil die Verhältnisse und Probleme in Niedersachsen andere sind als z. B. in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Das kann eine nationale Strategie allein nicht differenziert genug abbilden. Wir brauchen zudem mehr Tempo bei der Lösung der Zukunftsfragen. Die Debatte der vergangenen Monate zeigt doch: Uns läuft die Zeit weg. Deshalb kann und will ich in Niedersachsen nicht länger warten. Ich will Klarheit schaffen. Das bin ich unseren Landwirten schuldig.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass die deutsche und niedersächsische Strategie am Ende zusammenpasst?

Otte-Kinast: Unsere Fachleute arbeiten auch in den Gremien des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit. So können wir unsere Ideen nach Berlin tragen und gleichzeitig die Überlegungen des Bundes auf Niedersachsen runterbrechen. Und wir tauschen uns natürlich auch zwischen den Bundesländern aus. Entscheidend ist, dass wir uns gegenseitig gut informieren.

Was haben die Landwirte von Ihrer Ackerbaustrategie?

Otte-Kinast: Der eigentliche Gewinn eines solchen Prozesses ist, dass die Ackerbauern ihre zukünftigen Rahmenbedingungen mitgestalten. Dabei geht es zum Beispiel darum, früh genug zu diskutieren, was denn eine Alternative zu Glyphosat sein kann. Dafür will ich die Bauern sensibilisieren.

Bei vielen ist die Botschaft „wir müssen uns verändern“ schon angekommen, aber noch nicht bei allen. Die will ich wachrütteln. Wenn sich der Berufsstand nicht aktiv und offensiv in die Lösung der Probleme einbringt, entscheiden andere über die Zukunft der Landwirtschaft. Für die Beteiligung der Landwirte an der Lösungssuche will ich eine Plattform schaffen.

Was muss dafür geschehen?

Otte-Kinast: Wir müssen die zusammenbringen, die bisher eher nebeneinander und weniger miteinander arbeiten, z. B. Landwirte und Naturschützer, Bauern und Bürgermeister oder konventionell und ökologisch wirtschaftende Bauern. Ich sehe überall im Land viele gute Ideen, Ansätze und Projekte, z. B. beim nachhaltigen Pflanzenschutz, bei der Bodenbearbeitung, Fruchtfolge oder Biodiversität. Aber wir schaffen es bisher nicht, diese bekannt zu machen, systematisch zu vernetzen und gezielt weiterzuentwickeln. Mit unserem Netzwerk Ackerbau, das wir gerade nach dem Vorbild anderer Netzwerke aufbauen, haben wir dafür einen ersten Schritt gemacht. Mit der Ackerbaustrategie soll der nächste folgen.

Was heißt das konkret?

Otte-Kinast: Wenn wir die Ackerbau- strategie so hinbekommen, wie ich mir das vorstelle, wirkt diese in zwei Richtungen: Zum einen bietet sie den Landwirten Hilfestellungen, wie diese neue rechtliche Rahmenbedingungen, z. B. im Pflanzenschutz oder in der Düngung, effizienter umsetzen können. Zum anderen liefert sie auch Ansatzpunkte für eine praxisgerechte Ausgestaltung des Ordnungsrechts in der Zukunft.

Die Ackerbaustrategie ist also keine Zwangsjacke, die bestehendes Ordnungsrecht weiter verschärft?

Otte-Kinast: Nein, sie ist ein Hilfsmittel für eine bessere Umsetzung und Weiterentwicklung des Ordnungsrechts. Der niedersächsische Tierschutzplan ist dafür die Blaupause.

Wirkt die Strategie nur nach innen?

Otte-Kinast: Den Fehler dürfen wir nicht machen. Wir wollen die Inhalte, die wir diskutieren, von Anfang an öffentlich machen. Wir werden aktiv informieren, analog und digital. Und wir wollen auch etwas zeigen. So bieten wir im Sommer eine Fahrradtour an, bei der Interessierte sich darüber informieren können, wie die Ackerbauern arbeiten, wo die Probleme liegen und wie sie diese lösen wollen.

Welche Themen muss eine Ackerbau- strategie abdecken?

Otte-Kinast: Wir haben zunächst neun Themenblöcke definiert. Dazu zählen die Bereiche Bodenfruchtbarkeit und Bodenschutz, Fruchtfolge, Düngung, Pflanzenschutz, Pflanzenzüchtung, Biodiversität, Klimaschutz und Klimaanpassung, aber auch die Möglichkeiten der Digitalisierung über Precision Farming sowie der Themenbereich Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Akzeptanz. Diese Agenda ist aber nicht abschließend. Wenn im Laufe des Diskussionsprozesses neue Themen hinzukommen oder bestehende erweitert werden müssen, ist das möglich. Es darf und es wird keine Denkverbote geben. Alles muss auf den Tisch.

Um welche Fragen geht es vor allem?

Otte-Kinast: Die kann ich an dieser Stelle nicht alle aufzählen. Die zentralen Fragen ergeben sich aus der aktuellen Debatte: Welche Pflanzenarten können zusätzlich in die Fruchtfolgen eingebaut werden? Wie kommen wir künftig mit weniger chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln aus? Wie ackern wir auf Moorstandorten? Wie können die Pflanzen effizienter ernährt werden? Welche klimaschonenden Maßnahmen sind im Ackerbau möglich? Welchen Beregnungsbedarf haben wir in Zukunft und wie stellen wir die Wasserversorgung sicher? Wie verbessern wir den Artenreichtum? Aber auch: Wie lässt sich die Wirtschaftlichkeit des Ackerbaus erhöhen?

Ökologie und Ökonomie sind kein Gegensatz?

Otte-Kinast: Nein, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn ein Landwirt zum Beispiel 10 % seiner Flächen für Hecken und Blühstreifen zur Verfügung stellt, dann muss er auf den übrigen 90 % seiner Flächen so intensiv wirtschaften dürfen, dass er den Verlust kompensieren kann. Alternativ müssen wir die Leistungen, die er für den Klimaschutz und mehr Biodiversität erbracht hat, vergüten. Ich bin sicher, dass die Mehrzahl der Landwirte bereit ist, mehr zu tun. Kürzlich hat mir ein Landwirt gesagt: Ich mache gerne auch einen Betriebszweig Klimaschutz auf. Es muss sich für mich aber rechnen. So denken viele. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen und es den Bürgern und Verbrauchern auch vermitteln.

Die berufsständischen Organisationen haben schon vor einem Jahr einen Vorschlag für eine Ackerbaustrategie vorgelegt. Können Sie darauf aufbauen?

Otte-Kinast: Das werden wir tun. Aber wir dürfen nicht bei einer Branchenstrategie stehenbleiben, sondern müssen auch die Nicht-Agrarier einbeziehen.

Ist der Berufsstand dazu bereit?

Otte-Kinast: Den Eindruck habe ich. Wir müssen Landwirte und Nicht-Landwirte mitnehmen. Ich möchte verhindern, dass wir in Niedersachsen eine Frontstellung Landwirte gegen Naturschützer bekommen, wie es beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern der Fall war.

Wie wird die Arbeit organisiert?

Otte-Kinast: Wir wollen mit fünf Arbeitsgruppen starten: Acker- und Pflanzenbau, Pflanzenzüchtung (AG 1), Pflanzenschutz (AG 2), Umwelt, Ressourcen und Biodiversität (AG 3), Gesellschaft, Akzeptanz und ländlicher Raum (AG 4) sowie Ökonomie und Markt (AG 5). In jeder Arbeitsgruppe wird übergreifend der konventionelle und ökologische Landbau abgedeckt.

Wer soll mitarbeiten?

Otte-Kinast: Alle, die mit Ackerbau und Bewirtschaftung von Agrarflächen zu tun haben. Dazu gehören die Bauern- und Bioverbände, die Landwirtschaftskammer, die Pflanzenzüchter, der Raiffeisenverband, die Maschinenringe und die Lohnunternehmer. Darüber hinaus werden sich die Agrarwissenschaftler aus Göttingen, Hannover und Osnabrück einbringen, sowie Vertreter des Julius Kühn- und des Thünen-Instituts. Und natürlich sind auch die kommunalen Spitzenverbände, die Umweltverbände und die Kollegen aus dem Umweltministerium dabei.

Wer hat die Federführung?

Otte-Kinast: Mein Haus. Wir werden die Sitzungen moderieren und die Ergebnisse zusammenfassen.

Wie viel Zeit wollen Sie sich für die Erarbeitung Ihrer Strategie nehmen?

Otte-Kinast: Anfang nächsten Jahres wollen wir die Eckpunkte der Strategie vorstellen und dann gemeinsam mit allen Beteiligten das weitere Vorgehen beraten. Mein Ziel ist es, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode 2022 möglichst viel von dem, was notwendig ist, auf den Weg zu bringen.

Mit einer neuen Regierung ist die Ackerbaustrategie dann am Ende?

Otte-Kinast: Das darf nicht passieren. Die Ackerbaustrategie muss längerfristig wirken. Deshalb werde ich alle Abgeordneten des Agrarausschusses im Landtag permanent auf dem Laufenden halten und einbinden, um möglichst alle Parteien von der Notwendigkeit des Ansatzes zu überzeugen.

Wie verbindlich ist die Strategie? Wollen Sie daraus eine Verordnung oder ein Gesetz machen?

Otte-Kinast: Das habe ich nicht vor. Noch einmal: Die Ackerbaustrategie ist keine rechtliche Zwangsjacke, sondern ein Hilfsmittel, das es den Landwirten erleichtert, ihren Ackerbau zu optimieren. Von der Praxis für die Praxis.

Aber ins Kabinett gehen Sie schon?

Otte-Kinast: Selbstverständlich. Mehrere Kabinettskollegen sind fachlich und finanziell an der Umsetzung der Ackerbaustrategie beteiligt. Mit dem Umweltminister gibt es sicherlich den größten inhaltlichen Abstimmungsbedarf. Das ist unstrittig. Deshalb werden Herr Lies (Anm. der Red.: SPD) und seine Mitarbeiter von Anfang an eng einbezogen. Mit der Kabinettsbefassung machen wir auch deutlich, dass die gesamte Landesregierung an der Seite der Landwirtschaft steht.

Erwarten Sie, dass bei der Erarbeitung der Strategie Zielkonflikte aufbrechen?

Otte-Kinast: Ganz sicher wird das passieren. Zum Beispiel bei der Frage Minimalbodenbearbeitung versus Glyphosatverzicht, zwischen ökologisch und konventionell wirtschaftenden Betrieben – oder ganz generell zwischen Ökonomie und Ökologie.

Wie wollen Sie diese auflösen?

Otte-Kinast: Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten bereit sind, ihre bisherigen Positionen und Verhaltensweisen kritisch zu hinterfragen und offen sind für neue Ansätze.

Was erwarten Sie von den Teilnehmern?

Otte-Kinast: Vor allem Offenheit und Ehrlichkeit. Jeder, der einbezogen ist, soll seine Argumente und Bedenken klar und deutlich in die Diskussionen einbringen. Für mich ist es nicht akzeptabel, wenn sich jemand in der Arbeitsgruppe nicht zu Wort meldet, aber anschließend den Prozess und die Beschlüsse lauthals kritisiert. Ich erwarte Kompromissbereitschaft. Es gibt nie nur die eine Lösung. Das muss sich jeder vor Augen führen.

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