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Bleibt Milch aus Anbindeställen bald stehen?

Lesezeit: 8 Minuten

Die ganzjährige Anbindehaltung von Milchkühen steht massiv unter Beschuss. Was kommt auf die Branche zu? Wie sollte der Berufsstand reagieren?


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Ein Blick nach Österreich treibt manchem deutschen Milcherzeuger die Sorgenfalten auf die Stirn: Im Nachbarland erfasst die Molkerei Ennstal Milch seit Januar 2018 keine Milch mehr von Betrieben mit ganzjähriger Anbindehaltung von Kühen. Die Salzburg Milch plant diesen Schritt für das Jahresende. Und weitere österreichische Molkereien feilen derzeit an ähnlichen Strategien.


Druck von allen Seiten:

In dieser Deutlichkeit hat zwar noch keine deutsche Molkerei Milchviehbetriebe mit ganzjähriger Anbindehaltung ausgeschlossen. „Aussitzen lässt sich diese Thematik aber nicht“, sagt Christian Schramm von der Molkerei Zott. Denn der Druck steigt von mehreren Seiten:


Gleich mehrere Tierärzteverbände fordern ein Verbot der Anbindehaltung bzw. einen schrittweisen Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindung. Das sind z.B. die Bundestierärztekammer, der Bundesverband beamteter Tierärzte sowie die Tierärztliche Vereinigung Tierschutz. Auch Dr. Siegried Moder vom Bundesverband praktizierender Tierärzte (BpT) hält die ganzjährige Anbindehaltung aus Sicht des Tierwohls und Tierschutzes für nicht zukunftsfähig.


Dieses Argument greifen Tierschutzverbände gerne auf. Mit teilweise drastischen Formulierungen bzw. Kampagnen plädieren zum Beispiel Animals Angels oder ProVieh für ein Verbot der (ganzjährigen) Anbindehaltung. Die Organisation PETA hat bereits Anzeige gegen Anbindestallbetriebe erstattet. Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) fordert eine Haltungsverordnung für Milchkühe, die konkrete Mindeststandards definiert. „Dazu zählt der Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung“, sagt Daniela Schrudde von der WTG. Sie hat direkt eine Idee, wie sich das umsetzen lässt: „Der Handel kann diesen Wandel bereits jetzt unterstützen, indem er bei den Molkereien bevorzugt Milch einkauft, die nicht aus ganzjähriger Anbindehaltung stammt.“


Das scheint der deutsche Lebensmittelhandel ernst zu nehmen. Zumindest haben alle großen Handelshäuser schon Fragebögen zur Haltung der Kühe an die Molkereien verschickt. Daraus lassen sich konkrete Zahlen zur (ganzjährigen) Anbindehaltung von Kühen ableiten. Auf top agrar-Nachfrage verdeutlichen zwei Discounter ihr Ziel: Lidl will künftig die reine Anbindehaltung von Kühen vermeiden, Aldi will den Anteil von Kühen in ganzjähriger Anbindehaltung kontinuierlich senken.


Und nicht zuletzt die Politik bringt Milcherzeuger mit Anbindeställen in Zugzwang. So hat sich der Bundesrat im April 2016 mehrheitlich für ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung mit einer Übergangsfrist von zwölf Jahren ausgesprochen. Die Bundesregierung lehnte diesen Antrag im Juli 2016 zwar ab. Allerdings hat die aktuelle Regierung im Koalitionsvertrag formuliert, „Lücken in den Haltungsnormen im Tierschutzrecht zu schließen.“


Das könnten konkrete Vorgaben für Rinder in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sein. Bisher gibt es nur für Rinder bis sechs Monate spezifische Haltungsvorgaben, beispielsweise ist die Anbindehaltung für diese Altersgruppe explizit verboten. Für Rinder älter als sechs Monate gelten das Tierschutzgesetz und die allgemeinen Anforderungen der Tierschutz-Nutztierhalteverordnung.


Der Europarat empfiehlt aber beispielsweise, dass Kühe und Färsen im Sommer die Gelegenheit haben, sich so oft wie möglich – vorzugsweise täglich – im Freien aufzuhalten. Deshalb ist sich Uwe Eilers vom Landwirtschaftlichen Zentrum Aulendorf (BadenWürttemberg) sicher: „Das Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Kühen kommt wieder auf den Tisch!“


25000 Anbindestallbetriebe:

Wie viele Kühe bzw. Landwirte davon betroffen wären, weiß selbst die Bundesregierung nicht.


In einer top agrar-Anfrage verweist sie auf alte Zahlen aus dem Jahr 2010. Da stand noch etwa jede vierte Kuh im Anbindestall (Übersicht Seite R19). 2004 war es noch jede dritte Kuh (35,5%). Bis heute dürfte der Anteil weiter deutlich abgenommen haben.


Wie viele Betriebe noch in Anbindung melken, lässt sich nur schätzen. 2013 waren es 18300 Betriebe mit Milchleistungsprüfung (MLP) plus alle Anbindeställe, die nicht in der MLP sind.


Im Mai 2018 gab es insgesamt knapp 64000 Milcherzeuger in Deutschland. Branchenvertreter schätzen, dass davon noch über 25000 in Anbindung melken. Das ist ein Anteil von 40% und mehr. Unstrittig ist, dass es in Süddeutschland die meisten Anbindestallbetriebe gibt. Uwe Eilers geht von folgenden Zahlen aus:


  • Von den knapp 32000 Milcherzeugern in Bayern melken noch 19000 (60%) im Anbindestall. Davon wirtschaften über 15000 Landwirte in ganzjähriger Anbindehaltung, also knapp jeder zweite bayerische Milcherzeuger.
  • In Baden-Württemberg haben noch etwa 2500 Betriebe (35%) einen Anbindestall. Rund 1600 Betriebe halten ihre Kühe ganzjährig in Anbindung.


Allein in diesen beiden Bundesländern sind es somit 21500 Anbindestallbetriebe, von denen 16600 ganzjährige Anbindung haben. Zum Vergleich: Das Deutsche Milchkontor (DMK) mit 6200 Mitgliedern in zehn west-, ost- und norddeutschen Bundesländern hat 1500 Betriebe mit Anbindehaltung. Davon melken aber nur 150 Betriebe in ganzjähriger Anbindehaltung.


Mehr Milchgeld bei Laufstall:

Auch diese Betriebe möchte das DMK motivieren, den Kühen zumindest Weidegang zu ermöglichen. Dazu bietet die Molkerei spezielle Beratungen an. Zudem fördert sie Alternativen zur ganzjährigen Anbindung. So verteilt sie bei ihrem Nachhaltigkeitsmodul Milkmaster mehr Punkte an Betriebe mit Laufstall bzw. Anbindestall plus Weidegang. Letztlich bekommen diese Landwirte so einen höheren Milchpreis.


Mit ähnlichen Werkzeugen arbeiten auch süddeutsche Molkereien: Einige Unternehmen bieten Gutscheine für die Beratung an. Und beispielsweise die Molkerei Berchtesgadener Land zahlt Milchpreiszuschläge für Weide, Auslauf und Laufstall.


Vorgeprescht sind die beiden Privatmolkereien Gropper und Bechtel. Zusammen mit dem Deutschen Tierschutzbund bieten sie bei Aldi bzw. Lidl Milch mit dem Label „Für mehr Tierschutz“ an. Dabei ist die Anbindehaltung generell verboten. Zwar sollen die Abatzmengen Branchenvertretern zufolge sehr gering sein, dennoch hat der Vorstoß für Unruhe unter Milcherzeugern und Molkereien gesorgt.


Dr. Hans-Jürgen Seufferlein vom Verband der Milcherzeuger Bayern befürchtet, dass sich aus einer Nische mit Wertschöpfung schnell ein neuer Standard „Laufstall-Milch“ etablieren könnte – ohne zusätzliche Vergütung. Die Goldsteig Käsereien haben ihre Lieferanten informiert, dass sie reagieren müssten, sobald der Handel das verlangt. Denkbar wäre eine getrennte Erfassung von Laufstall- sowie Anbindestallmilch.


Getrennte Erfassung:

Das stößt allerdings auf Kritik. „Wir haben bereits ausreichend Nischen, die unsere Tankwagen einzeln sammeln müssen. Hinsichtlich Nachhaltigkeit ist es jetzt schon fragwürdig, wie häufig ein Lkw in einen Ort fahren soll, wenn es rein nach Wünsch-Dir-Was-Aspekten geht“, sagt Dr. Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband.


Und die getrennte Erfassung schädigt trotzdem dem Image der Milchviehhaltung, sagt Dr. Jan Harms von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. „Denn in den bestehenden Anbindeställen verbessert sich das Tierwohl ja allein durch die getrennte Erfassung nicht.“


Wichtiger als ein Ausschluss oder ein Ausstiegsdatum aus der ganzjährigen Anbindehaltung sind für ihn klare Vorgaben zur Verbesserung der bestehenden Anbindeställe. Das bringe auch dem Tierwohl mehr. „Aber sowohl Handel als auch Tierschutzverbände lassen sich nur schwer darauf ein, da sie sich weniger profilieren können“, bemängelt Dr. Harms. Aufgrund der Vielzahl an Betrieben sei eine sachliche Herangehensweise aber sehr wichtig.


Strukturbruch droht!

Auch andere Branchenvertreter kritisieren ein mögliches Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung durch Politik oder Handel scharf. Es würde einen massiven Strukturbruch im ländlichen Raum auslösen, heißt es in der „Süddeutschen Erklärung zur Anbindehaltung“ von Januar 2018. Darin heben die Bauernverbände aus Bayern und Baden-Württemberg im Schulterschluss mit den Landwirtschaftsministerien die hohe gesellschaftliche Bedeutung der kleinen Betriebe mit Anbindehaltung hervor.


Der Deutsche Bauernverband teilt diese Einschätzung. Statt Verbote fordert er von der Politik eine gezielte Förderung zur Umstellung auf Laufstall oder zur Verbesserung des Tierwohls im Anbindestall. Erforderlich sei eine bundesweite Basis- und Premiumförderung sowie ein Zuschlag bei der erstmaligen Umstellung vom Anbindestall.


Milchreferent Ludwig Börger appelliert aber auch an die Milcherzeuger: „Bei ihrer Zukunftsplanung sollten sie sich mit der Weiterentwicklung weg von der ganzjährigen Anbindehaltung auseinandersetzen. Das kann insbesondere über die verstärkte Umstellung auf Laufställe, aber auch über die Kombination aus Anbindeställen mit Bewegungsmöglichkeiten erfolgen. Das sind z.B. Weidegang, befestigte Auslauffläche, Laufbox für Trockensteher oder im Abkalbebereich.“


Anbindung nur mit Auslauf!

Zustimmung für diese Kombilösung erhält er von der Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM), in der sich die Molkereien Arla, Bayerische Milchindustrie, Deutsches Milchkontor, Hochwald, Ammerland, FrieslandCampina und Uelzena zusammengeschlossen haben. „Die IGM-Mitglieder wollen die Anzahl der Kühe in Anbindehaltung in den nächsten fünf Jahren sowie in den darauffolgenden fünf Jahren um jeweils 25% reduzieren“, sagt Sprecher Thomas Stürtz. Sein Wunsch ist, dass sich die ganze deutsche Milchbranche darauf verständigt.


Mit der Kombilösung können selbst Kritiker vorerst leben. „Bei der saisonalen Anbindehaltung sollte jede Kuh mindestens 120 Tage pro Jahr mindestens sechs Stunden täglich Weidegang haben. Im Winter sollte sie mindestens jeden zweiten Tag für mindestens zwei Stunden Auslauf in einem Laufhof haben“, sagt Daniela Schrudde von der Welttierschutzgesellschaft.


Gleichzeitig fordert sie aber auch: „Langfristig muss der Gesetzgeber auch die zeitweise Anbindehaltung verbieten!“ Damit dürfte das Thema noch lange in der Diskussion bleiben.


Kontakt: patrick.liste@topagrar.com

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