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„Das Ehrlichste ist, es dem Markt zu überlassen“

Lesezeit: 7 Minuten

Meistern die Molkereien den nächsten Preissturz besser? Was hilft gegen das Diktat des Handels? Ist die Intervention noch das richtige Kriseninstrument? Peter Stahl bezieht Stellung.


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Herr Stahl, sieben Genossenschaften gründen eine eigene Interessengemeinschaft, der Chef von Deutschlands größter Molkerei DMK fordert eine einheitliche Milch-Strategie: Wie geschlossen sind die Molkereien in Ihrem Verband noch?


Stahl (lacht): Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass Ingo Müller vom Deutschen Milchkontor erst uns informiert, bevor er mit seiner Forderung nach einer „Sektor-Strategie Milch“ an die Öffentlichkeit geht. Die deutsche Milchwirtschaft ist vielfältiger als z.B. die irische. Denken Sie nur an die Anbindestallbetriebe und die Großbetriebe oder an Molkereien mit Marken oder mit Exportprodukten. Entsprechend unterschiedlich sind die Meinungen. Wir greifen den Ball aber auf: Im Februar haben unsere 17 Vorstandsmitglieder beschlossen, bis Juli die Positionen zu definieren, die deutsche Molkereien gemeinsam vertreten. Im Oktober wollen wir das allen MIV-Mit-gliedern vorstellen und anschließend mit anderen Verbänden diskutieren.


Dem Handel spielt die Zersplitterung in die Karten. Er diktiert neben dem Preis jetzt auch, wie Landwirte produzieren müssen. Wie lässt sich gegenhalten?


Stahl: Ich weiß nicht, ob gegenhalten der richtige Weg ist. Der Handel versucht, First Mover zu sein, also einen bestimmen Trend als erster im Regal zu haben. Einfach zu sagen „Machen wir nicht – oder nur für mehr Geld“ wird nicht klappen. Denn etwa 80 deutsche Molkereien beliefern den Handel. Jede versucht verständlicherweise, die eigenen Stärken zu nutzen. Und wenn es keine deutsche Molkerei macht, liefert ein Unternehmen aus einem der Nachbarländer. Deshalb bringt Blockade nichts.


GVO-frei gab es zum Nulltarif. Wie kann es gelingen, für höhere Auflagen auch höhere Milchpreise zu bekommen?


Stahl: Nein, der Handel hat GVO-frei nicht umsonst bekommen. Er zahlt einen Zuschlag. Für die Erzeuger ist diese Anforderung ganz unterschiedlich hoch: Einige Landwirte produzieren schon immer GVO-frei, andere mussten umstellen und haben Mehrkosten. Einige Molkereien zahlen Zuschläge für GVO-freie Milch. Klar ist aber, dass wir als Branche die Anforderung des Handels erfüllen mussten – sonst hätte er nach anderen Partnern gesucht.


Oder müssen ausländische Molkereien erst den deutschen Markt aufräumen? Die Investitionen von FrieslandCampina, Arla und Lactalis könnten zumindest diesen Eindruck erwecken.


Stahl (lacht): Fragen Sie mal FrieslandCampina und Arla, wie glücklich sie mit dem deutschen Markt sind. Ausländische Molkereien kommen meist aus konsolidierten Heimatmärkten und sind dann über den scharfen Preiskampf im deutschen Kühlregal erschrocken. Unsere Lebensmittelpreise sind niedrig, die Molkereien verdienen wenig. Die Umsatzrendite liegt laut einer Studie der HSH Nordbank im Schnitt nur bei 1,8%.


Für den Export zapfen einige Staaten die EUAbsatzförderung an und bekommen 80% des Geldes. Warum rufen die deutschen Molkereien dieses Geld nicht ab?


Stahl: Die Förderung beträgt nur selten 80%. Das gilt nur für Mehrländerprogramme, wenn also z.B. Deutschland, Österreich und die Niederlande gemeinsam werben. Die teilnehmenden Länder haben große nationale Budgets, gespeist durch gesetzliche Umlagen. Doch diese gibt es seit dem Ende der CMA in Deutschland nicht mehr. Es scheitert somit an der Kofinanzierung. Außerdem ist die Wirkung von sogenannter generischer Werbung in unserem Verband umstritten.


Die Bundesregierung fordert gerechtere Lieferbeziehungen. Wie reagieren Sie?


Stahl: Unsere Position ist eindeutig: Wir brauchen keine Änderungen bei den Lieferbeziehungen. Und wir wollen auch keine Eingriffe von außen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass geänderte Lieferbeziehungen den Milchpreis erhöhen. Deshalb haben wir auch die Untersuchung des Kartellamtes zu den Lieferbeziehungen kritisiert. Es gibt genug Wettbewerb um Milch. Das zeigen DMK und Omira: Beide haben schlecht ausgezahlt, etliche Mitglieder haben gekündigt, die Milch fließt jetzt zu anderen Molkereien.


Auch die EU macht Druck auf die Lieferbeziehung und hat den Artikel 148 der Marktordnung geändert. Was ist neu?


Stahl: Jeder Erzeuger kann jetzt einen schriftlichen Vertrag von seiner Molkerei verlangen, egal ob Genossenschaft oder Privatunternehmen. Darin müssen u.a. Angaben zu Preis und Menge enthalten sein. Genossenschaften sind davon befreit, sofern deren Satzungen Preis, Menge usw. regeln.


Was heißt das für die Umsetzung?


Stahl: Genau das ist strittig. Beispielsweise ist unklar, ob die bei Genossenschaften übliche Andienungspflicht und Abnahmegarantie eine ausreichende Mengendefinition ist. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sagt Ja. Allerdings will ein Erzeugerverband alle Lieferbeziehungen unter dem neuen EU-Recht prüfen lassen. Es droht ein langer Rechtsstreit. Wir meinen: Molkereien und Erzeuger sollten ihre Lieferbeziehung gemeinsam diskutieren. Wenn Anpassungen sinnvoll sind, können sie diese umsetzen. Aber bitte kein Diktat von oben.


Der Bauernverband fordert, dass Preissignale schneller bei den Erzeugern ankommen. Wie kann das gelingen?


Stahl: Auch das müssen Molkerei und Erzeuger ganz individuell besprechen und regeln. Beispielsweise lässt sich dieser Wunsch über A/B-Preise umsetzen. Allerdings ist das System deutlich schwieriger als ein Einheitspreis. Letztlich geht es aber nur über den Milchpreis. Denn fast alle Milcherzeuger kennen die Großwetterlage auf dem Milchmarkt. Die Reaktion erfolgt aber erst, wenn der Auszahlungspreis spürbar steigt oder fällt.


Weil in der Intervention noch über 370000 t Magermilchpulver liegen, will die EU 2018 kein Magermilchpulver aufkaufen. Was heißt das für den Markt?


Stahl: Der Preisdruck bei Eiweiß hält an. Die Notierung für Magermilchpulver liegt unter dem Preisniveau der Intervention von 1,69 €/kg. Und die EU verkauft mit 1,10 €/kg sogar unter Einstandspreis.


Ist die Intervention dann überhaupt noch das richtige Werkzeug?


Stahl: Vor zwei Jahren hätte ich auf jeden Fall Ja gesagt, jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Zuletzt hatte die EU immer ein gutes Händchen, bei Marktverwerfungen das Milchpulver günstig einzukaufen und später behutsam und gleichzeitig gewinnbringend wieder auszulagern. Total ungewöhnlich ist aber die starke Spreizung zwischen der Fett- und Eiweißverwertung und, dass der Preis für Magermilchpulver seit Jahren am Boden liegt.


Kommen wir zurück zu einer Mengensteuerung? Schließlich fordert neben dem European Milk Board auch der CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Kees de Vries eine Mengendeckelung.


Stahl: Das Ehrlichste ist, es dem Markt zu überlassen. Mittel- und langfristig regelt nur der Preis die Milchmenge – auch wenn es manchmal etwas länger dauert. Das Marktverantwortungsprogramm des European Milk Board und das AblieferbareMilchkontingent vom Abgeordneten de Vries sollen den EU-Milchpreis vom Weltmarkt abkoppeln. Das kann nicht funktionieren, weil wir in der EU einen Selbstversorgungsgrad von 115% haben und somit exportieren müssen. Wenn unsere Preise zu hoch sind, bedienen Neuseeland und USA den Weltmarkt, die EU-Produkte bleiben stehen. Diese Modelle der Mengensteuerung würden nur funktionieren, wenn wir die Menge in der EU um 15% drosseln und gleichzeitig die Schotten an der EU-Außengrenze dichtmachen. EU-Agrarkommissar Phil Hogan plant aber genau das Gegenteil: Er will einen Freihandel mit Ozeanien.


Also alles laufen lassen – oder was sind Ihre Vorschläge für stabilere Preise?


Stahl: Wer Milchpreisausschläge verhindern will, plant bei den derzeitigen Rahmenbedingungen die Quadratur des Kreises. Einzelne Molkereien versuchen, die Volatilität zumindest zu glätten, indem sie ihren Lieferanten Festpreise oder back to back-Verträge anbieten. Auch über Warenterminbörsen lässt sich das erreichen. Milcherzeuger sollten aber immer bedenken, dass die Dienstleister des Börsengeschäfts auch verdienen wollen und am Ende des Tages kein höherer Milchpreis steht. Auf lange Sicht wird es deshalb am besten sein, in guten Milchjahren Geld zurückzulegen, um für schlechte Milchjahre gerüstet zu sein.


Interview: Patrick Liste

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