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„Die Marke Raiffeisen ist so stark wie Coca-Cola“

Lesezeit: 8 Minuten

Durch Unternehmenspleiten, hohe Prüfkosten und die Diskussion um Milchlieferverträge stehen die Genossenschaften in der Kritik. top agrar-Südplus sprach darüber mit demPräsidenten des Genossenschaftsverbands Bayern, Dr. Jürgen Gros.


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Herr Dr. Gros, die Genossenschaften haben in der Vergangenheit für die Bauern sehr segensreich gewirkt. Doch aktuell bröckelt das Image der Genossenschaften bei vielen Landwirten. Was tun Sie dagegen?


Dr. Jürgen Gros: Ich sehe keinen Imageverlust der Genossenschaften. Wo auch immer ich in Bayern hinkomme, treffe ich auf Mitgliedsgenossenschaften von uns, sei es eine Volks- und Raiffeisenbank, ein Raiffeisenmarkt, eine ländliche Genossenschaft oder eine Molkereigenossenschaft. Beim Gespräch mit den Menschen stelle ich fest, dass der Name „Raiffeisen“ noch tief verankert ist und eine ähnlich starke Marke wie Coca-Cola und McDonald‘s ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass Genossenschaften nach wie vor hoch angesehen sind.


Wo es spektakuläre Pleiten von Genossenschaften gab und die Bauern viel Geld verloren haben, z.B. bei der Pleite der EVG Erkheim oder dem Niedergang der Allgäuland Käsereien, ist doch ein deutlicher Imageverlust spürbar. Betroffene Landwirte kritisieren, die Prüfer des Genossenschaftsverbands hätten die wirtschaftliche Lage der Unternehmen beschönigt.


Gros: Das höre ich zum ersten Mal. Ich bekomme vielmehr häufig die Rückmeldung, dass der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) sehr genau hinschaut, und werde dann gefragt, ob eine Prüfung in der erlebten Form sein muss. Dabei tun wir schlichtweg das, was von einem Wirtschaftsprüfer zu erwarten ist. Allerdings prüfen wir nicht nur den Jahresabschluss, sondern auch die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und die Vermögenslage des Unternehmens, wie es das Genossenschaftsgesetz nun mal vorsieht. Das ermöglicht es uns zugleich, frühzeitig mit den Verantwortlichen der Genossenschaft über deren Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sprechen, wenn es erforderlich sein sollte.


War das auch bei der EVG der Fall?


Gros: Der GVB hat sehr frühzeitig unmissverständliche Hinweise an die Verantwortlichen gegeben. Unsere Prüfer haben die Finger in die Wunde gelegt und auch in den Vertreterversammlungen umfangreich informiert. Ob das von den Vertretern auch an die EVG-Mitglieder kommuniziert wurde, lasse ich dahingestellt. Der GVB ist jedenfalls seinen gesetzlichen Pflichten nachgekommen.


Andererseits klagen viele Landwirte, die Ehrenämter in Genossenschaften bekleiden, über die hohen Prüfungskosten.


Gros: Dass über die Kosten geklagt wird, gehört dazu. Fairerweise sollte man aber unsere Prüfkosten mit denen von Wirtschaftsprüfern auf dem freien Markt vergleichen, und da sind wir deutlich günstiger. Ein Wirtschaftsprüfer bei uns kostet in der Stunde rund 106 €. Laut Honorartabelle der Wirtschaftsprüferkammer liegt der Stundensatz für einen vergleichbaren Prüfer bei 134,50 €. Da liegen wir mehr als 20% drunter. Ähnlich groß ist der Kostenvorteil für einen Verbandsprüfer, der die Prüfung vor Ort macht. Wir verlangen dafür rund 87 € pro Stunde, laut Tabelle kostet ein Prüfer dieser Gruppe 110 €. Als GVB sind wir eine Einrichtung unserer Mitglieder und das spiegelt sich auch in den im Marktvergleich günstigen Gebührensätzen wider.


Gibt es für die Genossenschaften noch Möglichkeiten, die Kosten zu begrenzen?


Gros: Seit der kürzlich umgesetzten Reform des Genossenschaftsgesetzes können Kleinstgenossenschaften von erleichterten Prüfungsmodalitäten profitieren. Dazu zählen Genossenschaften mit einer Bilanzsumme von unter 350000 €, mit Umsatzerlösen unter 700000 € oder mit weniger als zehn Angestellten. Bei diesen kann jede zweite Pflichtprüfung in einem vereinfachten Modus durchgeführt werden. So ist es denkbar, dass die Genossenschaft den Jahresabschluss an uns sendet und wir die Unterlagen bei uns prüfen. Das wird zu Kostenerleichterungen führen, weil der Prüfer nur alle vier Jahre vor Ort sein muss. Davon können auch viele Genossenschaften im ländlichen Bereich oder auch die Energiegenossenschaften profitieren. Letztere sind mit 261 Stück mittlerweile zahlenmäßig die größte Gruppe im GVB vor den Volksbanken und Raiffeisengenossenschaften. Von denen werden zum Jahresende 244 Mitglied in unserem Verband sein.


Warum entscheiden sich diese Unternehmen für die Rechtsform Genossenschaft?


Gros: Die Genossenschaft bietet einen Rahmen dafür, gemeinsam Dinge zu erreichen, die ein Einzelner nicht schaffen kann. Ein Paradebeispiel sind Nahwärmegenossenschaften, in denen Hausbesitzer miteinander ein Wärmenetz betreiben und mit einem lokalen Energielieferanten kooperieren. Oder nehmen Sie das Verhältnis von Landwirtschaft und Lebensmittelhandel: In einer Marktsituation, in der wir es auf der Absatzseite mit großen Akteuren mit viel Macht zu tun haben, können Genossenschaften den Landwirten helfen, Interessen gemeinsam durchzusetzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Genossenschaften nicht gegen den Willen ihrer Mitglieder übernommen werden können.


Wie wichtig ist das Prinzip, wonach jedes Mitglied das gleiche Stimmrecht hat?


Gros: Das ist ein zentrales Wesensmerkmal einer Genossenschaft. Es bedeutet, dass jedes Mitglied über eine Stimme verfügt – unabhängig von der Höhe des eingebrachten Kapitals. Die Mitglieder haben es damit in der Hand, ihr Verhältnis zur Genossenschaft zu bestimmen. Das umfasst übrigens auch die Lieferbeziehungen bei den Molkereigenossenschaften. Der Kritik an den Lieferbeziehungen halte ich deshalb stets entgegen, dass die Mitglieder einer Genossenschaft selbst wissen, welche Lieferverträge für sie am besten sind. Die letzten Jahre war der Milchmarkt von großen Volatilitäten geprägt. Das ist es doch hilfreich, wenn man sich auf stabile Lieferverträge verlassen kann.


Braucht es da nicht Instrumente, um diese Ausschläge zu begrenzen?


Gros: Ja, und es wäre auch klug. Die Frage ist nur, wer legt die Instrumente fest? Der Gesetzgeber? Das Kartellamt? Oder entscheiden die Genossenschaftsmitglieder? Man könnte z.B. darüber nachdenken, dass mit jedem überlieferten Liter Milch der Auszahlungspreis fällt, um die Anlieferung zu begrenzen. Oder die Molkerei setzt auf einen intelligenten Mix aus langfristigen und kurzfristigen Verträgen. Pauschal das Modell der genossenschaft-lichen Lieferbeziehungen infrage zu stellen und stattdessen auf staatliche Eingriffe zu vertrauen, ist jedenfalls nicht zielführend.


Alles so weiterlaufen lassen wie bisher, ist aber auch keine Lösung. Der Wegfall der Quote hat die Rahmenbedingungen verändert.


Gros: Das ist der Punkt. Ich habe das Gefühl, dass mancher, der heute lamentiert, das immer noch vor dem Hintergrund der alten Erfahrungswelt tut. Er sucht sich dann Instrumente aus der Vergangheit, die nicht für die Zukunft taugen. Die alten Absatzkonzepte funktionieren in der Form nicht mehr. Der russische Markt ist durch Sanktionen verriegelt, die Zeiten des großvolumigen Rohmilchexports nach Italien sind auch vorbei. Und es gibt Trends in der Bevölkerung, die man sensibel aufnehmen sollte, um seine Produkte abzusetzen. Genossenschaften haben doch einen großen Standortvorteil: Sie sind regionale Unternehmen. Und Regionalität wird von den Verbrauchern honoriert. Zusätzlich sollten sich die Genossenschaften natürlich darauf einstellen, den Kunden ihre Produkte noch besser zu erklären. Da stellt sich dann die Frage nach dem Management und den Strukturen in den Genossenschaften. Man kommt mit den stark ehrenamtlich geprägten Strukturen womöglich nicht mehr zurande, weil das Management mittlerweile Vollzeitstellen erfordert. Sie brauchen einen Blick für Marktentwicklungen und ausgefeilte Kenntnisse über Marketingstrategien. Das leisten Sie nicht mehr nebenbei, nachdem Sie die Melkmaschine abgestellt haben. Da brauchen Sie ein professionelles Management.


Wie unterstützt der GVB die Professionalisierung in den Genossenschaften?


Gros: Durch die intensive Prüfung der Geschäftsführung, die mögliche wunden Punkte offenlegt und durch eine umfassende Betreuung, die den Unternehmen praktische Hilfe gibt. Zudem schulen wir in unseren Bildungseinrichtungen und vor Ort auch das Ehrenamt.


Werfen wir einen Blick auf die Trocknungsgenossenschaften. Der Wegfall der Beihilfe vor fünf Jahren war für diese Unternehmen ein schmerzhafter Einschnitt. Wie stehen sie heute da?


Gros: Die Trocknungen und die Brennereien sind ein Musterbeispiel dafür, wie sich Genossenschaften wandeln müssen, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Sie müssen sich im Markt bewähren. Und manchmal verändern sich die Rahmenbedingungen sogar so stark, dass sich der Geschäftszweck der Genossenschaft komplett überholt. Nehmen Sie die Kühlhausgenossenschaften, die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden sind, aber irgendwann nicht mehr gebraucht wurden, weil in jedem Haus ein Kühlschrank stand.


Trifft das auch auf die Trocknungen zu?


Gros: Nein. Bei den Trocknungsgenossenschaften ist das anders. Viele von ihnen haben den Wandel ganz gut hinbekommen. Sie nutzen neue Trends, haben daraus Geschäftsmodelle entwickelt und bedienen zum Beispiel die steigende Nachfrage nach gentechnikfreien Produkten aus der Region. Zudem haben viele Trocknungen investiert, um ihre Energiekosten zu begrenzen, z. B. indem sie regenerative Energien nutzen. Andere Trocknungen haben fusioniert, um Synergieeffekte zu heben. Einige der 26 bayerischen Trocknungsgenossenschaften befinden sich derzeit allerdings in der geordneten Abwicklung. Am Ende werden dann noch etwa 20 Betriebe übrig sein, für die der GVB eine gute Prognose sieht.


Im Landhandel verändert sich zurzeit viel. Die Baywa setzt auf Internationalisierung und mit der Agravis drängt ein weiterer Konzern auf den bayerischen Markt. Was bedeutet das für die Warengenossenschaften?


Gros: Der Umsatz der 96 bayerischen Raiffeisen-Warengenossenschaften ist seit Jahren relativ stabil. Sie haben sich konsolidiert, sind in ihren Geschäftsgebieten gut verankert und bieten in ihren Märkten ein breites Produktsegment. Wir sehen die aktuelle Entwicklung deshalb entspannt. Zudem stehen die Warengenossenschaften mit Baywa und Agravis nicht nur im Wettbewerb. Beide Unternehmen sind auch Großhändler für unsere Raiffeisenmärkte. Das stärkt den Wettbewerb im vorgelagerten Bereich der Raiffeisen-Warenmärkte. Interview: Klaus Dorsch

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