Was während eines Migräneanfalls in der betroffenen Person vorgeht, ist für das Umfeld schwer zu verstehen. Eine betroffene Bäuerin berichtet.
Plötzlich sehe ich nur noch Blitze vor meinen Augen. Es geht wieder los – das Gewitter in meinem Kopf. Fluchtartig verlasse ich den Melkstand, rufe meiner Schwiegermutter noch kurz zu, dass „es“ wieder so weit ist. Zum Glück wissen inzwischen alle auf dem Hof über meine Krankheit Bescheid – obwohl ich nicht gerne darüber rede. Denn jeder Anfall bedeutet für mich, einen körperlichen Aussetzer zu haben. Ich habe mich dann selbst kaum noch im Griff – und schäme mich dafür.
Schon von Kindesbeinen an:
Ich war etwa 10 Jahre alt, als ich die ersten Migräne-Anfälle hatte. Zunächst sorgten meine körperlichen Aussetzer für Ratlosigkeit. Ein Neurologe diagnostizierte dann: Migräne mit Aura – eine besonders schwere Form, bei der sich die eigentlichen Kopfschmerzen mit Sehstörungen oder einem Taubheitsgefühl in Armen, Beinen oder dem Gesicht ankündigen. Ich habe beides. Die Sehstörungen, bei denen es bunte Punkte und Blitze unmöglich machen, zu lesen oder Dinge genau zu erkennen. Und das Kribbeln. Meist zunächst in den Händen oder den Armen, dann zieht es seine Bahn durch meinen kompletten Körper. Von den Armen in die Beine, ins Gesicht und in die Zunge. Das führt dazu, dass ich kaum noch sprechen kann. Wenn dann nach etwa einer halben Stunde die Kopfschmerzen wie ein Hammer zuschlagen, lassen die Sehstörungen nach, das Taubheitsgefühl zieht aber weiter seine Bahnen. Meist fühle ich mich während eines Migräne-Anfalls völlig hilflos, weil ich mich wegen meiner Seh- und Sprachstörungen und dem Taubheitsgefühl kaum noch orientieren kann. Wenn es anfängt, muss ich so schnell wie möglich ins Bett – in einem abgedunkelten Raum.Ich kann nicht sagen, was das Schlimmste an den Migräne-Anfällen ist. Die vorausgehende Aura ist unangenehm. Die Intensität der Kopfschmerzen kaum zu beschreiben. Etwa acht bis 15 Stunden halten die pochenden Kopfschmerzen, die meist auf einer Seite des Kopfes auftreten, an. Häufig sind die Schmerzen so intensiv, dass mir übel wird und ich mich übergeben muss. Beängstigend sind jedoch nicht die Schmerzen, sondern die Tatsache, dass meine Migräne plötzlich, von einer Minute auf die andere, auftritt. Morgens ahne ich noch nicht, dass ich den Nachmittag im Bett verbringen muss.
Das hat mich vor allem belastet, als ich noch jünger war. Von jetzt auf gleich musste ich von der Schule nach Hause, Treffen mit meinen Freunden abbrechen oder einen geplanten Ausflug absagen. Auch wenn ich mich auf etwas gefreut habe, konnte es vorkommen, dass ich vor lauter Aufregung einen Migräne-Anfall bekam. Auch schöne Momente, wie an Heiligabend oder während Urlauben sind vor solchen Anfällen nicht sicher.
Meine Umwelt hat anfangs mit Unverständnis reagiert. Manchmal war ich ein Simulant, der seine Kopfschmerzen nur vorschiebt, um früher von der Stallarbeit wegzukommen oder der Drückeberger, der einfach keine Lust auf die Familienfeier hat.
Bevor ich zu meinem Mann auf den Hof gezogen bin, habe ich bei meinen Eltern gelebt. Für sie war es kaum zu verstehen, was bei einem Anfall mit mir passiert. Auch mein Mann ist mit der Situation häufig überfordert. Vor allem dann, wenn er mal wieder im abgedunkelten Raum neben mir auf dem Bett sitzt, ich einfach nur meine Ruhe haben möchte, mich wegen meiner tauben Zunge aber kaum noch ausdrücken kann. Seine Hilflosigkeit ist dann auch meine.
Was während einer Migräne-Attacke in einem vorgeht, verstehen wahrscheinlich nur die Betroffenen selbst richtig. Wie man sich fühlt, wenn man sich mit den Worten „Ich bekomme einen Migräne-Anfall“ ins Bett verabschiedet.