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Gegen Ödemkrankheit impfen?

Lesezeit: 10 Minuten

Die Ödemkrankheit verursacht bei Absetzferkeln große Verluste. Ursache ist eine Infektion mit Shigatoxin-bildenden Colibakterien. Wie man die Ferkel schützen kann, erläutert Prof. Dr. Rolf Bauerfeind, Justus-Liebig-Universität Giessen.


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Die Ödemkrankheit gehört weltweit zu den häufigsten Erkrankungen bei Ferkeln. Betroffen sind hauptsächlich Tiere in den ersten ein bis zwei Wochen nach dem Absetzen, also 5 bis 15 kg schwere Ferkel. In den letzten Jahren werden aber auch immer häufiger Ausbrüche bei älteren Tieren und Läufern beobachtet.


Die Erkrankung beginnt oft unspektakulär. Die betroffenen Tiere verweigern das Futter. Wenig später bilden sich an den Augenlidern, auf dem Nasenrücken und in der Magen-Darm-Wand Flüssigkeitsansammlungen, die Ödeme. Sie treten meist bei den am besten entwickelten Ferkeln auf. Bei schwächeren Tieren sind sie dagegen eher unscheinbar oder fehlen ganz.


Bei manchen Tieren ist die Kehlkopfschleimhaut verdickt. Die Schreie dieser Ferkel klingen deshalb mitunter hoch und schrill. Bei anderen wirkt die Stimme heiser und tonlos.


Zentralnervöse Störungen:

Noch häufiger treten bei den erkrankten Ferkeln zentralnervöse Ausfallerscheinungen auf. Die Ferkel wirken schreckhaft, ihr Gang ist steif, sie halten den Kopf schief und laufen im Kreis. Akut erkrankte Tiere liegen auf der Seite und vollführen Ruderbewegungen oder kraftlose Aufstehversuche. Einige zittern am ganzen Körper.


Durchfall und Fieber sind bei der klassischen Ödemkrankheit eher die Ausnahme. Wenn zusätzlich zu den Ödemen Durchfall auftritt, ist dieser in der Regel die Folge einer zusätzlichen Infektion mit Durchfallerregern.


Meist verläuft die Ödemkrankheit akut bis perakut und ist lebensbedrohlich. In manchen Betrieben versterben sogar alle daran erkrankten Ferkel. Allerdings gibt es auch den weniger schweren Verlauf, bei dem die charakteristischen Symptome fehlen. Manchmal äußert sich die Krankheit einzig und allein in verminderten Zunahmen. Die betroffenen Ferkel bleiben später auch dann in ihrer Entwicklung zurück, wenn die Erkrankung bereits überwunden ist.


Bakteriengifte als Auslöser:

Lange glaubte man, dass die Ödemkrankheit ein reines Fütterungsproblem bzw. allein die Folge eines zu hohen Eiweißgehaltes im Futter sei. Inzwischen weiß man, dass die Erkrankung auf eine Darminfektion mit ganz bestimmten E. coli-Keimen zurückzuführen ist. Es handelt sich dabei um so genannte EDEC-Stämme (Endema Disease E. coli), die perfekt an das Leben im Schweinedarm angepasst sind. Bei anderen Wirbeltieren findet man sie selten, beim Menschen bisher gar nicht.


E. coli sind extrem anpassungs- und wandlungsfähige Darmbakterien. Die meisten leben als harmlose „Mitesser“ im Dickdarm warmblütiger Tiere. Andere haben im Laufe ihrer genetischen Entwicklung zusätzliche Eigenschaften erworben, durch die sie ihre Wirte in unterschiedlicher Weise schädigen können.


Einige setzen z. B. Bakteriengifte frei, so genannte Exotoxine. Andere besitzen Haftorgane, mit denen sie sich unter anderem an die Zellen der Dünndarmschleimhaut ihres Wirtes anheften können. Oder es gelingt ihnen mithilfe so genannter Invasine, in die Darmzellen ihres Hausherren einzudringen.


Beim Schwein sind neben den bereits genannten EDEC vor allem die ETEC- (enterotoxische E. coli) und EPEC-Stämme (enteropathogene E. coli) bedeutsam (siehe Übersicht 1). Beide E. coli-Pathotypen sind Durchfallerreger. ETEC sind Ursache der Colidiarrhö, die besonders bei Ferkeln in der ersten Lebenswoche und in den ersten Tagen nach dem Absetzen zu großen Verlusten führt. EPEC lösen nach bisherigem Wissen Durchfälle vorwiegend bei Absetzferkeln aus.


Hochgiftiges Shigatoxin:

Die für die Ödemkrankheit verantwortlichen EDEC-Stämme verfügen über einige Merkmale, an denen man sie eindeutig von den anderen E. coli-Bakterien unterscheiden kann. Die wichtigste Eigenschaft ist die Fähigkeit, den Giftstoff „Shigatoxin 2e“ (Stx2e) zu bilden.


Shigatoxine sind hochgradig giftig. Sie gehören zu den giftigsten Substanzen überhaupt. Bereits 1 Milligramm Stx2e reicht aus, um etwa 400 Ferkel mit 10 kg Lebendgewicht erkranken zu lassen! Bereits kleinste Mengen führen zu irreparablen Organschäden.


Ein weiteres typisches Unterscheidungsmerkmal der EDEC-Stämme sind die so genannten Fimbrien. Das sind haarähnliche Fäden, mit denen sich das Bakterium an bestimmte Rezeptoren der Dünndarmoberfläche anheftet. Die Anheftungsorgane der EDEC-Stämme werden als F18-Fimbrien bezeichnet.


Beim Entstehen der Ödemkrankheit spielen das Shigatoxin und die Fimbrien eine Schlüsselrolle, wie Übersicht 2 verdeutlicht. Die Ferkel infizieren sich, indem sie den Erreger über das Maul aufnehmen. Oft passiert dies bereits während der Säugezeit bei der Mutter, an kotverschmutzten Buchten, Treibebrettern oder über die Einstreu.


Die aufgenommenen EDEC-Bakterien gelangen in den Dünndarm der Ferkel und heften sich dort mithilfe ihrer F 18-Fimbrien an die Epithelzellen des Darmes an. Die Zahl der Erreger und die Toxinmenge sind zunächst noch gering. In diesem Stadium sind noch keine Krankheitsanzeichen erkennbar.


Erst nach dem Absetzen der Ferkel von ihrer Mutter steigt die Zahl der EDEC-Keime im Darm dramatisch an. Und mit wachsender Erregerzahl werden auch immer größere Shigatoxin-Mengen in das Darminnere freigesetzt. Das Gift wird über die Darmwand aufgenommen und in die Blutbahn abgegeben.


Lecks in den Gefäßwänden:

Mit dem Blut wird das Stx2e dann zu den eigentlichen Zielzellen transportiert, den Endothelzellen kleinerer Blutgefäße. Sie kleiden die Blutgefäße aus und regeln den Stoffaustausch zwischen Blut und umliegendem Gewebe. Gehen die Zellen aufgrund des Toxins zugrunde, entstehen Lecks in den Blutgefäßen, und es tritt Blutflüssigkeit ins benachbarte Gewebe aus. Es kommt zur Ödembildung.


Zusätzlich bilden sich an den lädierten Stellen Blutgerinnsel, die das Gefäß ein-engen oder sogar verschließen. Die Folge: Das betroffene Organ wird schlechter mit Sauerstoff versorgt und verliert seine Funktionsfähigkeit.


Bei Saugferkeln tritt die Ödemkrankheit nur äußerst selten auf. Das liegt zum Teil sicherlich daran, dass die Rezeptoren im Dünndarm für die F18-Fimbrien in den ersten drei Lebenswochen noch weitgehend von anderen Kohlenhydraten der Zellmembran verdeckt und erst ab der 4. Woche voll zugänglich sind.


Noch nahezu ungeklärt ist, welche Faktoren nach dem Absetzen die massive Vermehrung der EDEC-Bakterien im Ferkeldarm auslösen. Sicherlich spielt hier der Rohproteingehalt des Absetzfutters eine wichtige Rolle. Kritisch sind Gehalte von mehr als 20 %. Aber ähnlich wie bei den Colidurchfällen der Absetzferkel kann bereits ein geringerer Eiweißgehalt Krankheitsausbrüche provozieren. In Fütterungsversuchen schienen EDEC-infizierte Absetzferkel zwar äußerlich gesund, wenn ihr Futter nur 17 % Rohprotein enthielt. Bei genauer Untersuchung waren aber bereits bei der Hälfte der Tiere die Blutgefäße geschädigt.


Nachweis über frische Kotproben:

Um sicher zu sein, dass es sich um die Ödemkrankheit handelt, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:


  • Die kranken Ferkel müssen die typischen Symptome aufweisen wie zentralnervöse Störungen und Ödeme.
  • In Kotproben erkrankter Ferkel müssen sich vermehrungsfähige EDEC-Bakterien nachweisen lassen.


Wichtig ist, dass die Proben bereits in den ersten beiden Krankheitstagen und möglichst von mehreren erkrankten Tieren genommen werden. Denn schon während der Inkubationszeit nimmt die Erregerzahl im Kot wieder ab. Wenige Stunden nach Krankheitsbeginn kann die Erregerzahl im Kot bereits wieder so gering sein, dass der diagnostische Test fälschlich negativ ausfällt. Man kann auch Dünndarminhalt von frisch verstorbenen oder eingeschläferten Ferkeln verwenden.


Blut oder Organproben sind dagegen für den Nachweis ungeeignet. Denn der Erreger dringt normalerweise nicht selbst in die Blutbahn ein. Theoretisch könnte man versuchen, das Shigatoxin 2e im Darminhalt bzw. im Blut nachzuweisen. Dafür gibt es allerdings noch keinen ausreichend empfindlichen Test.


Im Labor erfolgt der Nachweis der EDEC-Bakterien per Anzuchtverfahren und Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Um als EDEC zu gelten, muss das E. coli-Isolat Gene sowohl für das Shigatoxin 2e als auch für F18-Fimbrien besitzen. Zurzeit wird die Untersuchung auf EDEC und andere Colistämme aber noch nicht von jedem Labor angeboten. Im Zweifelsfall sollte man daher vor Probenahme und Versand mit dem anvisierten Labor Kontakt aufnehmen.


Kaum zu behandeln:

Therapeutisch lässt sich gegen die Ödemkrankheit wenig ausrichten. Denn die Zeitspanne zwischen dem Auftreten erster Symptome und dem Tod der Tiere beträgt oftmals nur 24 bis 48 Stunden. Treten erste Symptome auf, ist es für eine antibiotische Behandlung in der Regel schon zu spät. Denn die Bakterien haben das Shigatoxin ja bereits gebildet.


Eine Antibiotikagabe kann die Symptomatik sogar noch verschlimmern. Denn Antibiotika setzen die EDEC-Bakterien unter Stress, auf den sie mit verstärkter Bildung und Freisetzung von Shigatoxin 2e reagieren.


In der Vergangenheit wurden zwar immer wieder Vorschläge zur Behandlung gemacht. Sie konnten jedoch nicht überzeugen, weil sich die Erfolge entweder nur selten einstellten oder weil sie zu teuer waren. Und ein Medikament, mit dem sich die Wirkung der Shigatoxine im Körper aufheben ließe, gibt es zurzeit leider noch nicht.


Vorbeugen, aber wie?

Deshalb ist es wichtig, einem Ausbruch der Ödemkrankheit so gut wie möglich vorzubeugen. Dafür gibt es verschiedene Ansätze:


  • Züchtung: Ein eleganter Weg wäre es, den Schweinen den Rezeptor für die F 18- Fimbrien „wegzuzüchten“. Zu-mal diese Andockstation ohnehin nicht bei allen Ferkeln vorhanden ist. Das Problem: Die Anwesenheit des Rezeptors wird dominant vererbt und ist mit der Stressresistenz der Tiere gekoppelt. Deshalb gibt es in den heutigen Zuchtpopulationen kaum Tiere, die den Rezeptor nicht vererben.
  • Fütterung: Versuche zeigen, dass man die Ödemkrankheit durch eine drastische Senkung des Rohproteingehaltes und gleichzeitiges Anheben des Rohfaseranteils in der Ration verhindern kann. Darunter leiden jedoch die Zunahmen der Tiere.


Viele schwören auch auf das Ansäuern des Futters oder den Zusatz von Probiotika bzw. Laktulose. In kontrollierten Untersuchungen konnten Probiotika und Laktulose die in sie gesetzten Erwartungen aber nicht erfüllen. Und bei Säurezusatz waren die Resultate widersprüchlich.


  • Metaphylaxe: Einige Betriebe setzen metaphylaktisch Colistin, Apramycin, Gentamicin, Neomycin oder Enrofloxacin ein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Antibiotikaresistenz-Problematik verbieten sich jedoch derartige Überlegungen.
  • Zink: Als Alternative zu Antibiotika werden in einigen Ländern wie z. B. Dänemark nach dem Absetzen vermehrt Zinksalze bzw. Zinkoxid verabreicht. Tatsächlich hat Zinkoxid einen antibakteriellen und leistungsfördernden Effekt.


Um gegen darmpathogene E. coli wirksam zu sein, muss das Zinkoxid jedoch hoch dosiert werden (über der zulässigen EU-Höchstmenge für Alleinfuttermittel). Und das führt dazu, dass große Zinkmengen unverstoffwechselt mit der Gülle ausgeschieden werden und sich im Boden anreichern.


Neuer Toxoid-Impfstoff:

Bislang spielt die Impfung gegen die Ödemkrankheit kaum eine Rolle. Denn abgesehen von stallspezifischen Impfstoffen waren Vakzinen bislang nicht verfügbar.


Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten der Immunisierung:


  • Die aktive oder passive Immunisierung gegen die F18-Fimbrien.
  • Oder die aktive Immunisierung gegen das Shigatoxin 2e.


Derzeit am weitesten entwickelt ist der zweite Weg, die Entwicklung von Stx2e-Toxoid-Impfstoffen. Hierbei wird den Ferkeln unter die Haut oder in den Muskel inaktiviertes Shigatoxin 2e zusammen mit immunologischen Wirkungsverstärkern verabreicht, so genannten Adjuvantien. Die geimpften Tiere bilden daraufhin Antikörper, die im gesamten Körper zirkulieren und das aus dem Darm aufgenommene Toxin neutralisieren, bevor es seine Zielzellen erreichen kann.


Zu diesen Toxoid-Impfstoffen gehören sowohl die derzeit eingesetzten stallspezifischen Vakzinen, die nur für den Einzelfall und jeden Betrieb individuell hergestellt werden, als auch die neue, kommerzielle Vakzine der IDT Biologika GmbH. Dieser neue Impfstoff durchläuft zurzeit noch das europäische Zulassungsverfahren. Er darf deshalb im Moment nur mit Ausnahmegenehmigung nach § 17c der Tierimpfstoffverordnung in ausgewählten Betrieben eingesetzt werden.


Die bisherigen, im Praxiseinsatz gewonnenen Ergebnisse sind vielversprechend (siehe Interview unten). Der neue Impfstoff mit dem Namen „Ecoporc Shiga“ ist so leistungsfähig, dass eine einmalige Verabreichung am 4. Lebenstag ausreicht, um die Tiere auch noch zum Zeitpunkt des Absetzens mit drei bis vier Wochen sicher vor der Wirkung der Shigatoxine zu schützen. In tierexperimentellen Untersuchungen war der Impfschutz sogar noch am 91. Lebenstag vollständig gegeben. Der Hersteller erwartet, das „Ecoporc Shiga“ Anfang 2013 seine Zulassung erhält.

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