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Gelegenheit macht Liebe

Lesezeit: 6 Minuten

Sommer 1976: Die Düsseldorferin Marianne reist mit ihrenbeiden Kindern in den Luftkurort Schönwald im Schwarzwald.Die beliebteste Aktivität für den Nachwuchs ist das Ponyreiten bei Bauer Lukas. Eine Patchwork-Familie entsteht.


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Lukas bezirzte mich aufs Allerfeinste. Fast jeden Nachmittag kamen wir auf seinen Hof. Eine halbe Stunde Ponyreiten kostete fünf Mark, das weiß ich noch genau.


Mein herzkranker Sohn Ulrich (13) verschmähte damals gern die Kuranwendungen. Viel lieber wollte er Zeit auf dem Bauernhof verbringen, dessen Pferde wir von unserem Ferienzimmer aus beobachten konnten. Auf dem Hof hielt der kernige Landwirt – wohlgemerkt Witwer und siebenfacher Vater – mit seinen Avancen nicht lange hinterm Berg. ‚Eine Frau wie Sie, die bräuchte ich hier! Ich würde Sie sofort heiraten!‘


Mir schmeichelten die Komplimente, doch wirklich glauben und annehmen konnte ich sie nicht. Vor der Abreise in den Schwarzwald hatte ich zu Hause die Scheidung eingereicht. Mir ging einiges an Fragen und Zukunftssorgen durch den Kopf. Düsseldorf war meine Heimat. Ich, die Großstädterin aus der Verwaltung, würde niemals woanders leben.


Nach drei Wochen stieg ich mit Ulrich und meiner Tochter Ute (damals 16) wieder in den Zug. Zurück im Rheinland und im Alltagstrott klingelte es an der Tür. Lukas! Er sei auf Werbe-Reise für die Urlaubsregion Schwarzwald und da liege es nahe, in Düsseldorf anzuhalten. Drei Monate später zog ich mit Ulrich, Ute und meinem gesamten Hausrat auf Lukas Hof. Das Risiko war groß. Wie würden die Kinder reagieren? Sie kannten Dorfhelferinnen und Haushälterinnen. Doch eine neue Partnerin? Die eigene Mutter hatten sie vor erst zwei Jahren verloren. Nun aber standen wir drei mit viel zu dünnen Jacken und feinen Lederschuhen auf der Matte.


Wagemutig, vielleicht blauäugig:

Unser Start als Großfamilie war schwer. Spannungsgeladen. Fünfmal nahm ich Reißaus – und kehrte zurück. Im Dorf schlossen sie Wetten ab, wie lange ich überhaupt bleiben würde. Nach einem letzten, großen Anflug von Zweifeln und Zerrissenheit ließ ich mich voll und ganz auf die Situation ein. Das veränderte alles. 1979 heirateten wir, 1981 kam unser Sohn Mark zur Welt. Zu dieser Zeit war ich 44, Lukas 52 Jahre alt. Es war ein Wunder oder Fügung.


Nun zählten wir zehn Kinder: Meine beiden, die sieben von Lukas und unseren Mark. Parallel zu Schwangerschaft und Geburt bot die Nachbarin ihren 400 Jahre alten Betrieb mit Ländereien – genannt Reinertonishof – zum Kauf an. Wir griffen zu, sofort.


Auf dem Stammhof, unserem sogenannten Schneiderjockenhof, wohnten wir mit der ganzen Familie und boten Reiterferien für Kinder an. Auf der neuen, zweiten Hofstelle – nur 400 Meter entfernt – planten wir, die bestehende Mutterkuhhaltung und Pferdezucht zu erweitern und Schnaps zu brennen. Früchte von unseren Streuobstwiesen hatten wir reichlich. Zudem barg das Haupthaus des Reinertonishofes einen Schatz: eine historische Schwarzküche von 1619. ‚Hier haben elf Generationen von Frauen gekocht, gewaschen und gebadet. Im Hochgewölbe räucherte man das Fleisch‘, sagte die Vorbesitzerin.


Lukas und mir war klar: Hier machen wir was draus! Wir renovierten das gesamte Gebäude. Das Denkmalamt erklärte die Hofstelle mitsamt Mühle, Brennerei und Stallungen zum Kulturerbe. Sofort kamen Besichtigungsgäste, wandernd oder mit dem Reisebus. Meist fragten sie nach einer Bewirtung.


Doch in diesen ersten Jahren als Patchwork-Familie entwickelte sich nicht nur der Betrieb mit viel Dynamik. Auch privat ging es rund: Sympathie, Distanz, Hassliebe – über lange Zeit durchliefen meine Tochter Ute und Lukas dritter Sohn (und erklärter Hofnachfolger) Siegfried alle Stufen der Zu- und Abneigung, die es zwischen Mann und Frau gibt.


Es knisterte zwischen ihnen, das war unübersehbar. Dennoch zog Ute in eine eigene Wohnung und ließ sich zur Verwaltungsfachangestellten ausbilden. Dann kriselte es in ihrer bisherigen Beziehung heftig. Und bei wem suchte meine temperamentvolle Tochter jetzt Verständnis und Trost? Klar, bei ihrem bodenständigen, stillen, verlässlichen Stiefbruder! Ute und Siegfried heirateten im November 1984.


Ab sofort war meine Tochter auch meine Schwiegertochter. Siegfried war Stiefsohn und Schwiegersohn zugleich. Ihre drei Jungs, unsere Enkel, die in den nächsten Jahren zur Welt kamen, spielten und tobten mit unserem Mark. Er war nur wenige Jahre älter.


Heute, zum Jahreswechsel 2016/17, lebe ich 40 Jahre an diesem Ort. In der Region, die mir mit ihrem Wald und dem meterhohen Schnee in den ersten Wintern Angst einjagte.


Lukas hat sich kaum verändert. Er sagt, was er denkt. Er diskutiert, er provoziert, ist ein Mann der Tat. Immer voller Ideen und Pläne. Ein stolzer Mann. Bis vor drei Jahren saß er für die SPD im Kreistag. So langsam haben wir etwas mehr Zeit für uns und schlafen auch einmal länger.


Ute, Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft, und Siegfried, staatlich geprüfter Wirtschafter für Landbau, haben den Betrieb 1995 übernommen und eine beachtliche Direktvermarktung aufgebaut. Im ‚Vesperhäusle‘ bieten sie hofeigenes Rindfleisch, Schinken, Obstbrände und sogar Topinambur-Schnaps an. Ihr Gespür, noch stärker auf touristische Angebote und vor allem die Gastronomie zu setzen, war genau richtig.


Inzwischen werden auch die Enkelsöhne Sebastian und Stefan aktiv. Oft diskutieren wir jetzt über neue Angebote für Kinder und einen Online-Shop für Fleisch und Wurst.


Unser Zuhause ist weiterhin der Schneiderjockenhof. Zwei Enkel, Ute und Siegfried sowie Lukas und ich teilen uns das dreistöckige Gebäude, doch alle haben ihre eigene Haustür und ihr eigenes Bad. Auch unser Sohn Mark lebt noch auf dem Hof. Er hat Medizintechnik studiert und einen ganz anderen als den bäuerlichen Weg eingeschlagen.


Unser Haus ist ein offenes Haus, es ist immer lebhaft und lebendig. Wenn’s mal Ärger gibt, gehen wir uns für ein paar Stunden aus dem Weg. Manchmal schweigen die Männer den ganzen Tag. ‚Stille Messe‘ nennen sie das. Ute und ich lächeln darüber. Keiner von uns hält die Schweigsamkeit lange aus – egal, ob nun die rheinische Frohnatur oder die Schwarzwälder Sturheit überwiegt. Oft lachen wir, oft schütteln wir aber auch übereinander den Kopf. So ist das Zusammensein in der Großfamilie.


Den Blick nach vorn:

Einschneidend war der Tag, an dem unser Reinertonishof abbrannte. 2006, im Januar, frühmorgens um fünf alarmierten uns die Nachbarn. Wir eilten los, doch die Flammen fraßen das Gebäude bereits vor unseren Augen auf. Es war Brandstiftung.


Als Denkmal-Projekt vermessen und mit Gutachten gekrönt, lagen uns alle Baudaten des niedergebrannten Hauses vor. Unser Entschluss: Wir bauen es originalgetreu wieder auf, wir sind Optimisten! Vieles war zerstört, doch längst nicht alles. Das Vorhaben zeigte sich als große Aufgabe, vor allem für Siegfried und die Enkelsöhne. Und dann, im Sommer 2012 – mit Gottesdienst, Trachtenkapelle und Ministerpräsident – eröffneten wir den Reinertonishof neu.


Die fast 400 Jahre alte Schwarzküche mit ihren Granitflächen und massiven Balken konnten wir erhalten. Auch die Ausstattung des 400 m2 großen Hauses mit antikem Hausrat gelang. Postsäcke, Leinenwäsche, rot-schwarze Bollenhüte und hohe, schlanke Strohhüte: So viele Menschen schenkten uns ihre Erbstücke oder Aussteuer. Das neue-alte Haus ist heute ein Museum. Mein Arbeitsplatz! Täglich ab 13 Uhr biete ich Rundgänge an. Wenn mal keine Gäste erscheinen, klappe ich meinen Laptop auf und lese online die Zeitung.“Reingard Bröcker

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