„Sonntags, wenn ich nicht melke, steh ich um fünf Uhr auf, sitze zwei bis drei Stunden auf dem Rad, dusche und frühstücke mit meiner Frau. Das ist schön! Echte Lebensqualität! Doch es ist auch eine relativ neue Situation.

Früher hatte mich der Betrieb voll im Griff. Über Jahre hinweg sind wir stetig gewachsen. Das Melken hielt mich dabei in Bewegung. Doch ich spürte auch, dass ich immer langsamer und behäbiger wurde. Ich hatte oft „Rücken“ und begegnete dem Stress mit bis zu 60 Zigaretten am Tag.

Seit Januar 2014 ist das Geschichte. Damals zog ich ganz bewusst die Notbremse. Wieder Krebs im Freundeskreis, wieder Rückenschmerzen und viel Frust. Kurz vor Silvester ging ich mit meiner Frau ins Kino. Ich kann es nur schwer beschreiben: Es war, als hätte sich an diesem Abend ein Schalter umgelegt. Vielleicht war es auch ein Punkt im Leben, an dem ich mir selbst noch mal was beweisen wollte.

Seitdem nehme ich mir Zeit, Rennrad zu fahren und rauche nicht mehr. Nach und nach habe ich ihn wiederentdeckt: den Kick, den Spaß am Sport!

Im Sommer steige ich pro Woche fünfmal aufs Rad, im Winter dreimal. Immer nachmittags. Als Frühaufsteher bin ich morgens der Erste im Stall. Bis 14/15 Uhr habe ich meine acht oder neun Stunden dann bereits gearbeitet. Meine Touren sind 60 bis 70 km lang. Rees, Rheinbrücke, Wesel… und zurück zum Hof. Beim Fahren denke ich über Betriebliches nach, so wie früher beim Pflügen. Oder ich genieße die Landschaft und den Fahrtwind und schalte ganz ab.

Vor Kurzem hat mein Sohn dafür gesorgt, dass am Wochenende immer einer von uns frei hat. Ich muss zugeben: Ausgleich und Pausen sind wichtig, auch wenn ich das lange Zeit nicht glauben wollte. Mein Hobby tut mir gut. Ich bin heute fitter und gesünder als vor zehn Jahren. Denn: Auf dem Rad komme ich ordentlich ins Schwitzen, das zählt! Dieses Training gibt mir die normale Hofarbeit nicht.“

Wilfried Oestrich (55), Issum, NRW,

Milchvieh, Ackerbau und Grünlandverheiratet, zwei Kinder