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Kastration: Machtkampf auf Kosten der Bauern

Lesezeit: 7 Minuten

Die Politik macht Sommerpause und lässt die Sauenhalter beim Thema Kastration im Regen stehen. top agrar erklärt, was derzeit diskutiert wird und welche Position die Tierärzte einnehmen.


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Warum ist die Lokalanästhesie, also der 4. Weg, für viele unverzichtbar?


Für viele Landwirte, praktizierende Tierärzte, bäuerliche Interessenverbände und auch die Schlachtindustrie reichen die drei bisher anerkannten Kastrations-Alternativen Ebermast, Improvac-Behandlung und Vollnarkose per Injektion bzw. mit Isofluran nicht aus. Denn alle drei Verfahren weisen nachweislich noch Mängel und Unsicherheiten auf. Daher ist es wichtig, weitere Alternativen wie die Lokalanästhesie zu erforschen und nicht aus ideologischen Gründen von vornherein auszuschließen.


Mehrere Interessenverbände aus der Landwirtschaft warnen außerdem vor Wettbewerbsverzerrungen. Denn in Schweden ist die Lokalanästhesie mit Lidocain durch den Landwirt bereits seit zwei Jahren erlaubt. Und auch in Dänemark darf der Landwirt seit Jahresbeginn die männlichen Ferkel vor der Kastration mit Procain selbst örtlich betäuben.


Welche Verfahren der örtlichen Betäubung werden bei uns diskutiert?


  • Bei der ersten Variante werden 0,5 ml des Betäubungsmittels (Lokalanästhetikums) direkt in die Hoden gespritzt.
  • Beim zweiten Verfahren wird das Mittel in den Hodensack und in die Leiste neben die Samenstränge injiziert.
  • Und beim dritten Verfahren, dass der Schweinegesundheitsdienst Niedersachsen in seinem Leitfaden in die Diskussion gebracht hat, werden 0,2 ml des Narkosemittels (z.B. Pronestesic) per Druckluft-Injektor unter die Haut direkt in das Nervengeflecht zwischen Hoden und After verabreicht.


Welche Lokalanästhetika sind aktuell zugelassen?


  • Procain ist für die Anwendung beim Schwein zugelassen, nicht jedoch für die örtliche Betäubung zur Kastration. Das Mittel müsste also vom Tierarzt umgewidmet werden und gilt zudem als nicht ganz so wirksam.
  • Pronestesic besteht aus herkömmlichem Procain, dem ein sogenannter Sperrkörper zugesetzt wird. Er bewirkt, dass die Wirkung des Narkosemittels schneller eintritt und im Körper länger anhält als beim reinen Procain. Pronestesic ist für das Schwein zwar zugelassen, bisher aber nicht für die Betäubung zur Kastration.
  • Lidocain ist deutlich wirksamer als Procain. Das Mittel ist bisher aber nicht zur Anwendung beim Schwein zugelassen.


Was spricht gegen die örtliche Betäubung als weitere Alternative?


Die größte Hürde scheint momentan das Deutsche Tierschutzgesetz zu sein. Der Gesetzgeber hat hier den Begriff „Schmerzausschaltung“ verwendet. Kritiker der Lokalanästhesie verweisen darauf, dass der Einsatz von z.B. Procain oder Lidocain nicht zu einer vollständigen Schmerzausschaltung führt.


Zudem sind die wirksameren Mittel bislang nicht für das Schwein bzw. diese Anwendung zugelassen. Dazu müsste von den Pharmafirmen eine Zulassung bzw. Zulassungserweiterung beantragt werden. Das Verfahren dauert jedoch lange und kostet viel Geld. Davor schrecken die Pharmafirmen zurzeit noch zurück. Ihnen fehlt das klare politische Signal, dass die Lokalanästhesie zugelassen wird und sich entsprechend vermarkten lässt.


Auf welchen rechtlichen Wegen wäre die Zulassung möglich?


In diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander: Einige Experten behaupten, dass eine Regelung rein über den Verordnungsweg möglich wäre. Der Bayerische Bauernverband hat dazu ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das diese Sichtweise bestätigen soll. In diesem Fall könnte eine Bundesratsinitiative den Weg freimachen, sofern das den Antrag stellende Bundesland die nötige Mehrheit zusammenbekommt. Andere Experten sehen den Verordnungsweg kritisch, sie glauben, er ist juristisch anfechtbar. Sie halten zwingend eine Änderung des Tierschutzgesetzes für erforderlich, weil hier auch das Ausstiegsdatum 31.12.2018 festgeschrieben wurde. In diesem Fall hätten auch die Bundesregierung und der Bundestag ein Mitspracherecht.


Welche Länder sind für eine Bundesratsinitiative, welche dagegen?


Stand Mitte Juli will Bayern direkt nach der Sommerpause eine Bundesratsinitiative starten. Unterstützt werden die Bayern dabei von Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Dagegen sind unter anderem Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen. Wie sich NRW verhält, war lange unklar. Durch den Ministerwechsel im Landwirtschaftsministerium musste die eigene Position neu festgelegt werden. Nach derzeitigem Informationsstand unterstützt NRW eine Bundesratsinitiative.


Welches Ziel hat die Länderinitiative über den Bundesrat?


Das ist noch offen, vorrangiges Ziel dürfte jedoch eine Fristverlängerung sein. Viele Politiker glauben, dass sich für eine Verschiebung des Ausstiegsdatums eher Mehrheiten finden lassen als für die Öffnung des Tierschutzgesetzes, um den Begriff „Schmerzausschaltung“ durch „wirksame Schmerzminderung“ zu ersetzen.


Wie positioniert sich das BMEL?


Im BMEL hofft man, dass nach der Sommerpause eine Ländermehrheit im Bundesrat steht. Im Bundeskabinett könnte man dann mit dem Votum einiger SPD-Ministerpräsidenten die SPD-Bundesminister sowie die sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten von den Vorteilen der Fristverlängerung überzeugen. Klar ist: Für die notwendige Änderung des Tierschutzgesetzes braucht man die Zustimmung der SPD.


Wird es einen bayerischen Alleingang geben?


Lange Zeit wurde kolportiert, dass Bayern einen Alleingang z.B. über eine Landesverordnung wagen wird, wenn alle anderen Wege scheitern. Gerade die bayerischen berufsständischen Organisationen plädieren vehement dafür, weil sie sonst das Wegbrechen der klein strukturierten süddeutschen Sauen haltenden Betriebe befürchten. Das Vorhaben scheint aber inzwischen ausgeschlossen, da rechtlich keine entsprechenden Möglichkeiten vorliegen.


Wann kann ein Gesetzgebungsverfahren frühestens starten?


Der Bundesrat tagt erst nach der Sommerpause Ende September wieder. Sollte die Länderinitiative erfolgreich sein, blieben dem Gesetzgeber nur noch gut 100 Tage, um den „4. Weg“ auf rechtlich saubere Füße zu stellen.


Welche Chance hätte der österreichische Weg in Deutschland?


Die Sauenhalter in Österreich dürfen so lange weiter betäubungslos Ferkel kastrieren, bis eine praktikable Alternative entwickelt wurde. Verpflichtend ist bis dahin allerdings die Verabreichung eines Schmerzmittels. In Deutschland dürfte dieser zeitlich nicht begrenzte Weg allerdings kaum eine Chance haben. Einige Parteien sprechen sich deshalb für eine zeitlich befristete Verlängerung des Status quo von maximal fünf Jahren aus. Andere bringen ein Moratorium von maximal einem Jahr ins Spiel.


Wie stehen die Tierärzte zum 4. Weg?


Die Schweinepraktiker befürworten größtenteils die Lokalanästhesie durch den Landwirt. Denn erstens hätten sie gar nicht genug Personal, um jede Betäubung zur Kastration selbst durchzuführen. Und zweitens wissen sie durch die jahrelange partnerschaftliche Zusammenarbeit, dass man diese Arbeit – ebenso wie das Kastrieren selbst – getrost den Landwirten überantworten kann. Voraussetzung ist, dass der Landwirt entsprechende Schulungen absolviert und die Sachkunde nachweisen kann.


Demgegenüber steht die Bundestierärztekammer, in deren Gremien kaum noch Schweinepraktiker vertreten sind. Die Berufsvertretung der Tierärzte lehnt die Lokalanästhesie durch den Landwirt rigoros ab. Die Betäubung gehöre nicht in Laienhand. Gegenargumente wie zu hohe Kosten und mangelnde Praktikabilität lassen die Vertreter der „reinen Lehre“ nicht gelten. Eine Ausnahme stellen die regionalen Tierärztekammern im Rheinland und Westfalen-Lippe dar. Sie befürworten ganz klar den „4. Weg“.


Greift bei der Lokalanästhesie überhaupt der Tierärztevorbehalt?


Der Tierärztevorbehalt besagt, dass bestimmte Eingriffe am Tier Veterinären vorbehalten bleiben müssen. Dazu gehört auch die Narkose. Einige Experten argumentieren jedoch, dass der Tierärztevorbehalt nach §5 des Tierschutzgesetzes nur dann gilt, wenn die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit der Schweine durch die Narkose komplett ausgeschaltet wird. Das sei bei der Lokalanästhesie aber nicht der Fall. Hier werde nur das lokale Schmerz-empfinden wirkungsvoll vermindert.


Welche Schulungen für Landwirte wären dringend erforderlich?


Der landwirtschaftliche Berufsstand und viele praktische Tierärzte plädieren für einen verpflichtenden Sachkundenachweis. Sie favorisieren ein zweistufiges Verfahren mit Theorieteil und praktischer Unterweisung durch den bestandsbetreuenden Tierarzt. Genauso wird es in Dänemark und Schweden bereits praktiziert.


Um Wildwuchs bei den Zulassungsbescheinigungen zu verhindern, wird derzeit über eine zentrale Zulassung der Prüfer und Prüfkriterien und die Vergabe der Sachkundenachweise nachgedacht (s. Kasten auf Seite S8). Die Festlegung der Prüfungsinhalte und die Zulassung der Prüfer könnte die Bildungsgenossenschaft „EQA sce“ übernehmen. Und für die Vergabe der Sachkundenachweise könnte die bundesweit tätige Tiergesundheitsagentur (TiGa) zuständig sein.Kontakt:


marcus.arden@topagrar.com


henning.lehnert@topagrar.com

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