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Aus dem Heft

Milliarden für Konze rne,Peanuts für Bauern

Lesezeit: 10 Minuten

Energiekonzerne investieren Milliarden in neue Erdgas-Pipelines. Die Bauern, durch deren Flächen die Rohre verlegt werden sollen, werden mit Mini-Entschädigungen abgespeist. Das muss sich ändern.


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Es ist wie beim Kampf David gegen Goliath. Auf der einen Seite der Energieriese E.ON Ruhrgas (Umsatz 2008 = 86,7 Mrd. €), der zusammen mit der Kasseler Wingas die 435 km lange Norddeutsche Erdgasleitung (NEL) plant. Diese soll künftig sibirisches Erdgas aus der Nähe von Greifswald (Endpunkt der neuen Ostsee-Pipeline) quer durch Mecklenburg-Vorpommern bis nach Rehden in Niedersachsen transportieren.


Die Davids auf der anderen Seite, das sind mehrere tausend Landwirte, die als Grundeigentümer und/oder Pächter von der Pipeline betroffen sind. Denn durch ihre Flächen sollen die Gasrohre mit 1,40 m Durchmesser verlegt werden. Vor allem für das 193 km lange Teilstück auf niedersächsischem Boden ist inzwischen ein heftiger Streit über die angemessene Entschädigungshöhe zwischen der Landwirtschaft und den Energieversorgern entbrannt.


Die Energiekonzerne pochen auf die jahrzehntelang übliche Entschädigungspraxis, die auch von den Gerichten abgesegnet sei. Danach steht den Grundeigentümern für die Duldung der Pipeline – die durch Eintragung einer entsprechenden Dienstbarkeit im Grundbuch dokumentiert wird – nur eine einmalige Entschädigung in Höhe von 15 bis 20 % des Verkehrswerts der betroffenen Flächen zu.


Verhandlungen geplatzt


Auf dieser Basis bietet E.ON den niedersächsischen Grundeigentümern – für den 10 m breiten Schutzstreifen – eine einmalige Zahlung von 0,70 €/m2 an (Dienstbarkeitsentschädigung). Dazu kämen 0,30 €/m2 als pauschaler Eilzuschlag für die zügige Abwicklung, insgesamt also 1 €/m2.


„Wir haben jedoch 1,80 €/m2 gefordert, was zumindest den derzeit üblichen Entschädigungssätzen im benachbarten Nord­rhein-Westfalen entsprechen würde“, so Rechtsanwalt Jens Haarstrich, der für den niedersächsischen Landvolkverband mit E.ON Ruhrgas verhandelte. Vor der Unterschrift unter eine entsprechende Rahmenvereinbarung wollte sich der Verband die ausgehandelte Entschädigung von seinen Mitgliedern absegnen lassen. Doch dazu kam es nicht, weil die Pipeline-Planer bei der Entschädigungshöhe auf stur schalteten. Die Verhandlungen wurden für gescheitert erklärt. Das war im Sommer 2009.


Jetzt versuchen E.ON-Beauftragte, entlang der Trasse erste Grundeigentümer „freiwillig“ zur Unterschrift zu überreden – bei unverändert 1 €/m2 als Entschädigung (einschließlich Eilzuschlag). In einzelnen Fällen soll ihnen dies auch gelungen sein, z. B. bei nichtlandwirtschaftlichen Eigentümern, die nur mit kleinen Flächen und Beträgen betroffen sind.


Die meisten Landwirte wollen die „Mauertaktik“ des Energiemultis jedoch nicht widerstandslos hinnehmen. Nicht wenige sind sogar fest entschlossen, es notfalls auf ein Enteignungsverfahren ankommen zu lassen. Damit würden sie zwar einerseits riskieren, am Ende vielleicht sogar weniger Entschädigung zu erhalten als bei einer „freiwilligen“ Einigung. Doch nur so bekämen die Gerichte überhaupt die Chance, die derzeitige Entschädigungspraxis kritisch zu überprüfen – und womöglich einen Schwenk der Rechtsprechung zugunsten der Bauern einzuleiten.


Der Bau der Pipeline könnte sich dadurch spürbar verzögern, auch die Kosten für die Betreiber würden steigen. Und welchen Eindruck es in der Öffentlichkeit macht, wenn zahlreiche Bauern mit Enteignungsverfahren überzogen würden, kann man sich auch bei E.ON Ruhrgas ausrechnen. In den letzten Jahrzehnten waren solche Fälle äußerst selten. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass die bäuerlichen „Davids“ dem mächtigen Gas-Multi vielleicht doch noch wichtige Zugeständnisse abringen können.


„Das System ist falsch“


Eines macht der Streit um die Norddeutsche Erdgasleitung aber in jedem Fall deutlich: Die bisherige Entschädigungspraxis beim Bau von Strom- und Gasleitungen muss generell auf den Prüfstand. Diese wurde in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt und ist aus vielen Gründen nicht mehr zeitgemäß – weder gerecht noch angemessen.


Denn die Entschädigung wird vom Verkehrswert der vom Leitungsbau betroffenen Flächen abgeleitet. Sie beträgt einmalig 15 bis 20 % des Verkehrswerts, bezogen auf einen meist 8 bis 10 m breiten Schutzstreifen. Die Folge: In Regionen mit niedrigen Bodenpreisen beträgt die angebotene Entschädigung für die Bauern häufig nur 0,80 bis 1,00 €/m2. An der Spitze der Entschädigungssätze lag zuletzt Nord­rhein-Westfalen mit 1,50 €/m2, plus 0,30 €/m2 Eilzuschlag, insgesamt also 1,80 €/m2. Aber auch damit wollen sich die regionalen Bauernverbände beim nächsten Großprojekt nicht mehr zufrieden geben.


„Der Fehler liegt im System“, urteilt Rechtsanwalt Hubertus Schmitte, erfahrener „Energie-Verhandler“ beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband in Münster. Für eine sichere Energieversorgung der Bevölkerung hätten neue Öl- oder Gasleitungen überall den gleichen Wert. „Wieso dann derart unterschiedliche Entschädigungen für die betroffenen Bauern?“, fragt WLV-Jurist Schmitte zurecht.


Die bisherige Entschädigung nach dem Verkehrswert hat aber noch weitere Schwächen:


Flächen, durch die Gasrohre verlegt werden, entfallen als künftige Standorte für neue Ställe, Teilaussiedlungen, Biogasanlagen usw. Dies verschärft die Flächenknappheit im Außenbereich und ist mit nur 15 bis 20 % des Verkehrswerts nicht ausreichend berücksichtigt.


Wo Pipelines im Boden liegen, werden Städte und Kommunen künftig keine neuen Gewerbe- oder Baugebiete mehr ausweisen. Damit entgehen Landwirten möglicherweise wichtige Erlös- und Entwicklungschancen für ihre Betriebe. Zwar werden häufig Nachentschädigungs-Klauseln für solche Fälle vereinbart – die in der Praxis aber nur ganz selten greifen.


Der Anbau bestimmter Sonderkulturen wird auf Trassenflächen erschwert oder u. U. sogar unmöglich gemacht, weil die Gasrohre nur etwa 1 m unter der Oberfläche liegen und bei tiefer Bearbeitung beschädigt werden könnten.


Der Verkehrswert landwirtschaftlicher Flächen ist immer nur eine Momentaufnahme. In vielen ostdeutschen Landkreisen sind die Bodenpreise in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Die Entschädigungshöhe für betroffene Landwirte wäre also vom Zeitpunkt – und damit vom Zufall – abhängig gewesen.


Auch die Unterschiede in der Entschädigung von Strom- und Gasleitungen sind für Rechtsanwalt Schmitte vom WLV nicht plausibel. Der Jurist: „Bei oberirdischen Stromtrassen (Hochspannungsleitungen) haben wir oft bis zu 80 m breite Schutzstreifen. Schon bei einer Entschädigung von 0,90 €/m2 ergeben sich dadurch Beträge von über 70 € je laufenden Meter der Trasse. Beim Gas muss der Landwirt dagegen sogar die Rohre in seinem Boden dulden, der Schutzstreifen ist aber nur 10 m breit. Dadurch ergeben sich selbst bei unseren NRW-Sätzen nur Entschädigungen von 18 € je laufenden Meter Trasse. In vielen anderen Regionen ist es sogar nur die Hälfte oder weniger. Das passt einfach nicht zusammen!“


Das Fazit des Experten ist klar: Die Bindung der Entschädigungshöhe an den Verkehrswert des Bodens ist nicht mehr akzeptabel. Die Landwirtschaft muss deshalb auf neue Regeln und höhere Entschädigungssätze drängen. Aber wie?


Gesetzgeber gefordert


Von den Energieversorgern und Netzbetreibern ist wohl nur wenig Entgegenkommen zu erwarten. Sie fahren – Milliardengewinne hin oder her – bestens mit der bisherigen Entschädigungspraxis. Ob und wieweit die Gerichte den Argumenten der Bauern folgen und ihre festgefahrene Rechtsprechung ändern werden, ist schwer abzusehen. „Notfalls müssen wir das Bundesverfassungsgericht anrufen, auch wenn ein solches Verfahren mehrere Jahre dauern kann“, so WLV-Jurist Schmitte.


Gefordert ist aber auch der Gesetz-geber. Dieser könne durchaus von den bisher entwickelten Grundsätzen abweichen und für die Zukunft andere Entschädigungsmaßstäbe festlegen, erklärt Dr. Bernd Holznagel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Münster. In einem aktuellen Gutachten für den Deutschen Bauernverband hebt der Jurist zwei Punkte besonders hervor:


Die Entschädigung für Leitungsrechte kann zwar nach dem Verkehrswert erfolgen – muss aber nicht! Jedenfalls sei dem Grundgesetz ein starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung fremd.


Und der Gesetzgeber müsse stets „gerecht“ abwägen zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Interessen der Beteiligten, also der betroffenen Landwirte. Die bisherige Entschädigungspraxis hält er unter diesem Aspekt für verfassungsrechtlich bedenklich.


Hier liegt der entscheidende Knackpunkt. Zwar hat der Jurist aus Münster wenig Zweifel, dass auch die neuen Mega-Pipelines der Sicherung der Energieversorgung und damit dem Allgemeinwohl dienen. Dieses vermischt sich jedoch, vor allem bei den großen Ferngasleitungen, immer mehr mit den Geschäftsinteressen der großen Energiekonzerne, die mit dem Gasverkauf Umsätze und Gewinne in Milliardenhöhe erwirtschaften (und regelmäßig hohe Dividenden an ihre Eigentümer ausschütten).


Für solche Fälle könne der Gesetzgeber andere Entschädigungsmaßstäbe festlegen, so Prof. Holznagel in seinem Gutachten. So könne sich die Entschädigung statt am Verkehrswert der betroffenen Flächen am Wert des Leitungsrechtes orientieren, das die Landwirte dem Netzbetreiber einräumen müssen.


Oder die Entschädigung wird an den wirtschaftlichen Nutzen geknüpft, der aus dem Betrieb der Energieleitungen gezogen wird. In diesem Fall wäre es durchaus möglich, jährliche Entschädigungszahlungen für die Bauern mit einer entsprechenden Anpassungsklausel zu vereinbaren.


Bauern wollen jährliche Zahlungen


Solche Regelungen gibt es im Ausland teilweise schon. Und auch den deutschen Energieversorgern sind jährliche Zahlungen dieser Art keineswegs unbekannt. So kassieren die Kommunen regelmäßige „Konzessionsabgaben“ dafür, dass sie den Energie- und Wasserversorgern die Benutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen im Gemeindegebiet gestatten. Diese werden für Strom und Gas in Cent-Beträgen je gelieferte Kilowattstunde abgerechnet. Das jährliche Aufkommen beträgt mehrere Milliarden Euro.


Warum sollte den Bauern verwehrt werden, was den Kommunen längst zugestanden wird?


Jeder laufende Meter der neuen Mega-Pipelines kostet tausende Euro. Die Bauern werden derzeit mit Mini-Beträgen von unter 10 € bis höchstens 18 € pro Meter Trasse abgespeist. Ein krasses Missverhältnis! Höhere Entschädigungen für die Bauern würden sich deshalb in der Gesamtkalkulation kaum auswirken. Auch die Verbraucher müssten nicht mehr für ihr Gas bezahlen. Im Vergleich zu den drastischen Preisschwankungen beim Stahl und beim Gaseinkauf durch die Konzerne sind die an die Bauern gezahlten Dienstbarkeitsentschädigungen fast eine zu vernachlässigende Größe.


So sieht es auch Werner Maß, stellvertretender Geschäftsführer des Landvolk-Kreisverbandes Harburg (südlich von Hamburg). Auf 85 km Länge wird die Norddeutsche Erdgasleitung das Kreisgebiet durchqueren. „Unsere Bauern sehen es absolut nicht ein“, so Maß gegenüber top agrar, „dass ihre Entschädigung mit dem Hinweis auf eine sonst drohende Enteignung auf 1 €/m2 gedrückt werden soll, während gleichzeitig verkündet wird, dass das Gas, das künftig durch die NEL fließt, in 12 europäische Nachbarländer weiterverkauft werden soll. Die Schieflage ist doch offensichtlich.“


Im Kreisgebiet sind in den letzten Jahren viele neue Windkraftanlagen errichtet worden. Hier bekommen die Bauern, deren Flächen in Anspruch genommen werden, jährliche Zahlungen, die sie zumindest indirekt an den auf ihren Flächen erwirtschafteten Erträgen beteiligen.


Eine vergleichbare Lösung verlangen die Landwirte, unterstützt von ihrem Kreisverband, jetzt auch für die Verlegung der Gas-Pipeline. „Warum soll beim Gas nicht möglich sein, was bei der Windkraft seit langem üblich ist“, fragt Werner Maß. Seine Bauern, da ist sich der Geschäftsführer sicher, werden in den nächsten Monaten intensiv mit den Energieversorgern um eine bessere Entschädigungsregelung ringen.H.-G. Topüth

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