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Preispoker: Erpresst der Handel die Molkereien?

Lesezeit: 9 Minuten

Sind die Molkereien tatsächlich zu schwach gegenüber dem Handel? Kann der Handel sie erpressen? Sollte die Politik ­eingreifen? Antworten liefert ein Autorenteam der Universität Göttingen.*


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*Unsere Autoren:


Prof. Dr. Achim Spiller, Anneke Hellberg-Bahr, Stephanie Schlecht, Nina Steffen; Georg August-Universität Göttingen


Die Diskussion um niedrige Milchpreise hat eine Vielzahl an Protesten ausgelöst. Die EU-Kommission diskutiert in jüngster Zeit verstärkt darüber, ob die schlechten Erzeugerpreise auch durch eine zu große Machtfülle des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) ausgelöst werden. Es wird kritisch hinterfragt, welchen Verhandlungs­spielraum die Molkereien gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel noch geltend machen können. Der folgende Beitrag untersucht die Machtposition zwischen Handel und Molkereien auf Basis aktueller Daten.


Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel ist im internationalen Vergleich eine der am stärksten konzentrierten Branchen. Rund 90 % des Umsatzes entfällt auf die sechs größten Unternehmen.


Nachdem Edeka den Discounter Plus übernommen hat, ist die Position der „Großen Vier“ noch ein Stück besser geworden. Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi dominieren den Markt (Übersicht 2, Seite R 35).


Metro (mit den Real-Märkten) sowie Kaisers-Tengelmann sind schon ein ganzes Stück abgeschlagen.


Dahinter kommt eine zunehmend kleiner werdende Gruppe von mittelständischen Handelsunternehmen: Globus, Bartels-Langness, Norma, Bünting, Dohle, Tegut, Netto Nord, Ratio, die alle nur noch 5 bis 10 % des Umsatzes der führenden Edeka-Gruppe erreichen.


Neben der hohen Konzentrationsrate ist der starke Discountanteil charakteristisch für den deutschen Lebensmittelhandel. Deutschland ist das „Mutterland“ des Discounts – weltweit gibt es kein anderes Land mit so starken und preisaggressiven Discountern. Das Discountsystem ist sogar ein Exportschlager und wird zunehmend in anderen europäischen Ländern etabliert (Übersicht 1). Etwa jedes zweite Lebensmittel in Deutschland geht heute über die Kassen der Discounter Aldi, Lidl, Netto und Norma.


Hinzu kommt, dass in Deutschland zu viel Verkaufsfläche im Lebensmittelhandel entstanden ist. In den letzten Jahren wurden viele große Handelsgeschäfte und Discountmärkte eröffnet, so dass es hier deutliche Überkapazitäten gibt. Diese führen meistens zu Verdrängungswettbewerb.


Druck auf die Milchpreise?


Vor diesem Hintergrund gewinnt die Auseinandersetzung um Nachfragemacht an politischer Brisanz. Ist die Position der Molkereien so schwach, dass der LEH die Unternehmen erpressen kann und dadurch auch die Auszahlungspreise an die Landwirte schlechter sind?


Hierzu wurde vor kurzem eine neue Studie vom Institut für Handelsforschung an der Universität Köln und der Unternehmensberatung BBE Retail Experts vorgelegt. Kern des Gutachtens ist die Analyse von drei zentralen Kenngrößen:


1. Hat die Lebensmittelindustrie Ausweichalternativen zum Lebensmittel-Einzelhandel, d. h. welche Möglichkeiten gibt es bei Milchprodukten, den LEH zu umgehen? Alternativen stellen z. B. die Belieferung des Außer-Haus-Marktes und des Handwerks, das Industriekundengeschäft oder der Export dar.


2. Vergleich der Konzentration auf Industrie- bzw. Handelsseite, d. h. wo konzen-triert sich der Umsatz auf weniger Unternehmen?


3. Vergleich von Markentreue gegen Geschäftsstättentreue der Verbraucher, d. h. wechselt der Verbraucher eher die Marke oder eher das Handelsgeschäft?


Ein Blick auf den inländischen Markt zeigt, dass 82 % des Molkerei-Umsatzvolumens (Nettobeschaffungswert) auf den LEH entfallen, nur 6 % auf andere Vertriebswege (Fachhandel, Kiosk usw.) sowie 12 % auf den Außer-Haus-Markt (Gastronomie, Großverbraucher). Damit gehört die Molkereiwirtschaft zu den Branchen mit der stärksten Konzentration des Absatzes auf den LEH.


Im Durchschnitt aller Lebensmittel wird rund ein Drittel über die Gastronomie abgesetzt. Bei Tabak gehen nur knapp 40 % über die Kassen des LEH, über 60 % werden über alternative Wege wie Automaten, Tankstellen usw. verkauft. Bei solchen Produkten sind die Hersteller natürlich in einer besseren Position als bei Milch und Käse, die es fast nur im Handel zu kaufen gibt. Hinzu kommt, dass der Discountanteil bei Milchprodukten im Vergleich zu vielen anderen Warengruppen mit durch­schnittlich 54 % der Menge sehr hoch liegt.


Zwischenfazit: Es gibt für Molkereien mit ihren gekühlten Produkten wenig Aus­weichalternativen, andere Branchen sind hier besser dran. Mittel- bis langfristig sollte die Industrie daher versuchen, mehr Milchprodukte in alternative Absatzkanäle zu bringen (Schulen und Unis, Fast-Food, Lebensmittelindustrie), um unabhängiger vom konzentrierten LEH zu wirtschaften.


Preise zwischen Industrie und Handel werden in den so genannten Jahresgesprächen ausgehandelt, wobei der Name inzwischen nur noch für einen Teil der Produkte zutrifft. Während früher Preisverhandlungen für alle Molkereiprodukte nur einmal im Jahr stattfanden, ist dies heute nur noch für hochpreisige Markenartikel der Fall. Preise für günstigere Handelsmarken und Standardartikel werden hingegen häufiger nachverhandelt (halbjährig bei Handelsmarken, monatlich bei Butter).


Marktanteile bestimmen Preisverhandlungen


Doch was bestimmt die Ver­hand­lungsposition in diesen Preisgesprächen? Eine wichtige Größe ist der Vergleich der Marktanteile der fünf größten Unternehmen auf Industrie- und Handelsseite. Beim Blick auf die Milchwirtschaft sticht ein Ungleichgewicht ins Auge.


Mit 40 % Marktanteil in der Milchproduktion stehen die fünf führenden Hersteller einem mit über 60 % wesentlich stärker positionierten LEH gegenüber (Übersicht 3 und 4, Seite R 36).


Beim Vergleich zwischen der Milchwirtschaft und anderen Lebensmittelbranchen kristallisiert sich die deutlich schwächere Verhandlungsposition der Milchverarbeiter heraus. Darüber hinaus ist der Marktanteil der Händler bei Molkereiprodukten mit über 60 % besonders hoch. Ähnliche Werte erreichen lediglich Konserven. Hersteller- wie Handelskonzentration sind im Übrigen bei der Weißen Linie etwas höher als in der Gelben Linie (Käse).


Betrachtet man zum Vergleich die Fleischbranche, haben hier die fünf führenden Schlachtunternehmen den gleichen Marktanteil wie die Molkereien, aber die fünf führenden Händler sind hier schwächer. Der Grund ist, dass es bei Fleisch mit den Metzgereien noch einen weiteren wichtigen Vertriebskanal gibt. Auch ist der Anteil der Gastronomie hier größer. Aufschlussreich sind auch die Zahlen, die das Bundeskartellamt in einer aktuellen Untersuchung zum Milchsektor vorgelegt hat. In dieser Studie hat das Bundeskartellamt (2009) eine Befragung von Molkereien durchgeführt. Danach sehen sich 60 % der Molkereien durch die Nachfragemacht des LEH geschwächt, wobei sich die Position für Hersteller von Standardprodukten schwieriger darstellt als für Markenartikelproduzenten.


Zudem existiert bei einigen Molkereien eine hohe Abhängigkeit von nur einer Handelskette. Es gibt Molkereien, die zwischen 30 bis 50 % des Absatzes über einen Abnehmer (insbesondere Lidl) realisieren. Ein Verlust dieses Handelspartners wäre wirtschaftlich schwierig zu verkraften, so dass hier Zeichen von Nachfragemacht zu erkennen sind.


Stärke der Marke?


Der dritte Punkt ist die Stärke der Marken: Das Institut für Handelsforschung hat hierzu eine Befragung durchgeführt, die ergab, dass nur rund 25 % der Befragten bei Milchprodukten wie Joghurt und Frischkäse eine bestimmte Marke bevorzugen. Die Übrigen wechseln eher die Marke als das Geschäft. Auch hier ist der Handel also klar im Vorteil und kann diesen durch einen steigenden Anteil an Handelsmarken noch ausbauen. Dieser liegt bei H-Milch bereits bei 82,3 % und erschwert somit die Etablierung von gewinnbringenden Herstellermarken.


Die aktuelle Kommunikations-Analyse 2010 der Zeitschrift Brigitte, die den Marken­dreiklang bestehend aus Bekanntheit, Sympathie und Verwendung der Marke beschreibt (Übersicht 5), verdeutlicht, dass die Markteinführung gerade für Genossenschaftsmolkereien eine Herausforderung ist. Die Herstellermarken von Nordmilch und Humana nehmen in diesem Ranking Plätze im hinteren Bereich ein. Dabei rangiert Nordmilch mit Milram (Bekanntheit: 79 %, Sympathie: 33 %, Verwendung: 25 %) deutlich vor Humana mit Ravensberger (Bekanntheit: 36 %, Sympathie: 9 %, Verwendung: 5 %).


Eine Möglichkeit, die Marktposition zu verbessern, könnte daher die Spezialisierung auf Handelsmarken sein. Allerdings zeigt sich am Beispiel des Handelsmarkenspezialisten Milch-Union Hocheifel (MUH), dass diese Entwicklung nicht unbedingt Marktanteile sichert. Zwar produziert die MUH zu rund 85 % Handelsmarken, trotzdem liegt ihr Marktanteil bei H-Milch unter 15 %. Selbst Nord-Contor (Vertriebskooperation von Nordmilch und Humana) erreicht als Marktführer in diesem Segment nur knapp 25 % Marktanteil.


Export und Spezialitäten weiter ausbauen?


Um der wachsenden inländischen Abhängigkeit zu entgehen, könnte der Export eine gute Vertriebsalternative darstellen. Ein Exportanteil von über 35 % bei Milchprodukten bestätigt auf den ersten Blick diese Vermutung.


Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass ein beachtlicher Anteil des Exportes über deutsche Discounter im Ausland erfolgt, da diese heimische Lieferanten auch für einen Teil ihrer Auslandmärkte nutzen. Insofern verringert die Exportaktivität der Milchindustrie die Abhängigkeit von den Großunternehmen des LEH nur bedingt, denn der deutsche Handel ist heute schon internationaler aufgestellt als die Molkereien.


Die Molkereiwirtschaft wird hier über kurz oder lang kapitalintensivere Internationalisierungsschritte unternehmen müssen, z. B. Tochtergesellschaften im Ausland gründen. Im Inland sind Marken und innovative Produkte die wichtigste Chance, an Verhandlungsstärke gegenüber dem Handel zu gewinnen.


Angesichts der im internationalen Ver­gleich überragenden Wettbewerbsposition der deutschen Discounter und einer deutlichen Konzentration des Umsatzes auf die Top 4 (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl/Kaufland) ist der Verhandlungsspielraum für die Molkereien insgesamt schlechter als bei anderen Warengruppen wie Obst, Gemüse oder Fleisch. Starker Wettbewerb, hoher Preisdruck, kaum alternative Vertriebswege, ein wachsender Anteil an Handelsmarken und eine weitgehende Austauschbarkeit der Lieferanten erschweren zzt. jeden Versuch, in den Verhandlungen bessere Preise zu erzielen.


Vor dem Hintergrund des ungleichen Machtverhältnisses hat die Strategische Allianz von Nordmilch und Humana, die in eine Fusion münden soll, Sinn. Landwirte sollten aber nicht erwarten, dass dies kurzfristig bessere Preise ermöglicht. Vielmehr muss das Größenwachstum durch massive Investitionen in Innovationen und kostenoptimale Werke begleitet sein.


Kleinere und mittlere Molkereien können in diesem Kostenwettbewerb selbst bei Spezialisierung auf bestimmte Produkte kaum mithalten. Allerdings gibt es gute Chancen für diejenigen, die über Spezialitäten im wachsenden Premiumsegment verfügen. In Marktsegmenten wie Bio oder geschützten Spezialitäten können auch kleine Spezialisten über eine gute Ausgangsposition verfügen.


Kann die Politik ­eingreifen?


Doch rechtfertigen die beschriebenen Tendenzen ein Eingreifen der Politik? Die Konzentration im deutschen LEH auf die Top 4 ist weitgehend „gelaufen“, hier sind nur noch wenige Mittelständler übrig geblieben. Der einzige noch mögliche größere Fusionsschritt, den Marktbeobachter erwarten, wäre der Verkauf der Real-Märkte der Metro an einen Wettbewerber.


Was der Politik und dem Bundeskartellamt lediglich bleibt, ist damit die so genannte Missbrauchsaufsicht, d. h. die Überwachung der marktbeherrschenden Unternehmen, damit diese ihre Stärke nicht unfair ausnutzen.


Aus einem einfachen Grund darf man hiervon aber nicht allzu viel erwarten: In der Regel gibt es keinen Kläger, denn welche Molkerei wird ihren wichtigsten Abnehmer beim Kartellamt anschwärzen und so Gefahr laufen, diesen Kunden zu verlieren? Wo kein Kläger, da kein Richter. An dieser Regel würden auch strengere Gesetze nichts ändern. Im Ergebnis müssen sich Molkereien und ihre Landwirte letztlich alleine „durchbeißen“.


Dazu mehr auf Seite R 38.j

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