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Stallverbot für H1N1-Grippekranke

Lesezeit: 8 Minuten

Wie gefährlich ist das neue Influenzavirus für Schweine? Und lassen sich die Tiere per Impfung schützen? top agrar hat das Thema mit Experten diskutiert.


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Braungebrannt kommt Ferkelerzeuger Rainer Fiebig (Name geändert) von einem fünftägigen Mallorca-Kurzurlaub mit seinen Kegelbrüdern zurück. Wetter gut, Stimmung gut und jede Menge Party. Wenn jetzt nur nicht das lästige Kratzen im Hals, ein leichter Schnupfen und die quälenden Gliederschmerzen wären. Lag es an der Klimaanlage im Hotel? Oder brütet er eine dicke Erkältung aus?


Auf Drängen seiner Frau beschließt der junge Betriebsleiter, zum Arzt zu gehen. Schließlich kann es ja auch die berüchtigte „Mexiko-Grippe“ sein, von der im Moment alle reden. Vorher nur noch mal schnell in den Stall huschen zur Rauschekontrolle, damit er rechtzeitig die nötigen Spermaportionen ordern kann.


Doch halt! Darf Fiebig überhaupt noch in den Stall? Oder steckt er dann womöglich auch seine Schweine an? Wie leicht überträgt sich der neue Grippeerreger? Und wie kann Fiebig seinen Sauenbestand am besten schützen?


Gefahr durch neue Mutanten


Aufgrund von Praxisfällen in Kanada, Argentinien und Australien weiß man inzwischen, dass das neue H 1N 1-Influenzavirus auch vom Menschen auf Schweine übertragen werden kann. Experimentelle Infektionsversuche, die am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Ostsee-Insel Riems durchgeführt wurden, bestätigen diesen Verdacht.


Fünf gesunde Schweine, die über die Luft mit den neuen H 1N 1-Influenzaviren infiziert wurden, zeigten schon bald darauf typische Grippesymptome, unter denen auch H 1N 1-infizierte Menschen leiden: Niesen, Schnupfen, Fieber sowie Durchfall. Und drei gesunde Schweine, die ebenfalls mit in den Stall gesteckt wurden, schieden bereits drei Tage später selbst das neue Virus aus. Tags darauf wurden sie krank.


„Für die Tiere selbst ist das zunächst gar nicht weiter schlimm“, stellt Virologe Dr. Thomas Vahlenkamp vom Friedrich-Loeffler-Institut klar. Denn die Infektion verläuft nach bisherigen Erfahrungen recht mild. Der Schweinebestand durchseucht, und oftmals merkt der betroffene Tierhalter vermutlich nicht einmal, dass seine Schweine überhaupt erkrankt sind.


Was dem Wissenschaftler Sorge bereitet, ist jedoch, wie schnell der Erreger von den Schweinen aufgenommen und weitergegeben wird. „In einem Schweinebestand haben wir ein zigfach höheres Infektionspotenzial als unter Urlaubern am Ballermann auf Mallorca. Das neue H 1N 1-Virus könnte sich daher in der Schweinepopulation rasend schnell vermehren und früher oder später über die Luft wieder auf Menschen zurück übertragen werden“, gibt der Riemser Virologe zu bedenken.


Die Übertragung auf Schweine wäre nach Ansicht von Prof. Dr. Volker Moennig, dem Leiter des Instituts für Virologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover, noch aus einem weiteren Grund höchst bedenklich: „Denn das Schwein besitzt zugleich Rezeptoren für Geflügel- und menschliche Influenzaviren. Es wirkt daher wie eine Art Mischgefäß bzw. Reagenzglas. Beispiel: Wenn das neue H 1N 1-Virus ein Schwein infiziert, das bereits eine normale Schweineinfluenza durchmacht, besteht die Gefahr, dass es zum Vermischen von Genombausteinen beider Viren kommt. Auf diese Weise könnten sich ganz neue, noch aggressivere Erregerstämme entwickeln.“


Die Folge: Das genetische Grundgerüst der Influenzaviren, das sich in den letzten Jahren stabilisiert hat, könnte sich dadurch entscheidend verändern. Vorhandene, aber auch der in Entwicklung befindliche Impfstoff gegen H1N1 wären dann unwirksam. Und im nasskalten Herbst könnten diese mutierten Erreger, so die Furcht der Wissenschaftler, dann eine noch weitaus gefährlichere zweite Erkrankungswelle auslösen.


Grippekranke haben im Stall nichts verloren!


Experten fordern daher, dass sich Schweinehalter und Tierärzte, die nachweislich mit dem neuen H 1N 1-Grippevirus infiziert sind, von Schweinen fernhalten sollten. Jeder, der die typischen Anzeichen der Mexiko-Grippe wie Nasenausfluss, Gliederschmerzen, Husten und Schniefen an sich beobachtet, hat deshalb aus Expertensicht bis zum Abklären des Erregers im Schweinestall nichts zu suchen!


Doch wie soll das in der Praxis funktionieren? Wer füttert und betreut im Ernstfall die Tiere, wenn die ganze Familie flachliegt. Der Verband der dänischen Schweineproduzenten „Danske Svineproducenter“ appelliert daher an die dänische Regierung, Schweinehalter und Tierärzte in die Gruppe der Risikopatienten mit aufzunehmen, die vorrangig schutzgeimpft werden, sobald ab Oktober die geplante Impfwelle anrollt. Da-rüber sollte man auch hier nachdenken!


Bleibt die Frage, wie man überhaupt mit Schweinebeständen umgehen will, die mit dem neuen Mexiko-Grippevirus infiziert wurden. Die EU-Kommission und internationale Organisationen wie die FAO und das internationale Tierseuchenamt OIE empfehlen eine vorübergehende Quarantäne.


„Aufgrund der bislang geringen Pathogenität des Erregers sehen wir bis jetzt nur eine siebentägige Quarantäne für Betriebe vor, deren Schweine sich nachweislich mit dem neuen Grippevirus infiziert haben. Diese Quarantäne beginnt nach Abklingen der klinischen Symptome“, stellt der zuständige Veterinär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Dr. Hans-Joachim Bätza, klar.


Da es weder eine Anzeige- noch eine Meldeplicht für die Mexikanische Grippe bei Schweinen gibt, ist eine derartige Quarantäne jedoch eher theoretischer Natur. Denn welcher Tierhalter würde angesichts der schwachen Symptomatik schon freiwillig auf H 1N 1 untersuchen lassen, geschweige denn den Befund weitermelden.


Jetzt die Schweine schutzimpfen?


Bleibt für Schweinehalter und Tierärzte die Frage, wie sie ihre Bestände vor dem Virus schützen können. Neben den üblichen Hygienemaßnahmen diskutieren derzeit einige Tierärzte auch über eine vorsorgliche Influenza-Impfung der Bestände. Dadurch ließe sich zwar keine Ansteckung verhindern, aber doch zumindest die Vermehrung des Erregers bremsen.


Doch welchen Impfstoff sollte man dazu verwenden? In den deutschen Beständen kursieren zurzeit drei Subtypen des Influenza-Erregers : H 1N 1, H 3N 2 und H 1N 2. Wobei es sich bei H 1N 1 nicht um das aktuelle Mexiko- sondern um eine ältere Virus-Variante handelt. Einen direkten Schutz vor dem neuen Influenzavirus könnte man daher weder mit den verfügbaren Zweifach-Impfstoffen von IDT, Boehringer und Fort Dodge noch mit dem derzeit in der Zulassung befindlichen neuen Dreifach-Impfstoff von IDT erzielen.


Denkbar ist, dass die Vakzinen aufgrund von Kreuzreaktionen zwischen den Virusstämmen dennoch einen gewissen Schutz bieten. Auf der Insel Riems werden die vorhandenen Influenza-Impfstoffe deshalb zurzeit im Rahmen einer Immunisierungsstudie auf ihre Wirksamkeit gegen die Mexikogrippe untersucht. Für erste Ergebnisse ist es jedoch zu früh.


Den besten Schutz würde in jedem Fall ein homologes Antigen bieten, das heißt ein speziell auf den neuen Erreger zugeschnittener Impfstoff, wie er ab Oktober beim Menschen eingesetzt wird. Die neuen Impfstoffe stehen aber für Schweine aus zweierlei Gründen nicht zur Debatte: Erstens gibt es so kurzfristig gar nicht genug Impfdosen. Sie reichen ja nicht einmal für eine flächendeckende Impfung im Humanbereich. Und zweitens dürfte die neue Vakzine rein rechtlich gar nicht an Lebensmittel produzierenden Tieren eingesetzt werden.


Impfstoffe um neues H1N1-Antigen erweitern


Bis ein neuer Impfstoff mit dem akuten H 1N 1-Antigen entwickelt und zugelassen ist, können aufgrund des derzeit sehr aufwändigen Zulassungsverfahrens jedoch vier bis fünf Jahre vergehen. „Geschickter wäre es deshalb, das Grundgerüst des Influenza-Impfstoffs beizubehalten und nur die jeweils aktuellsten Stämme auszutauschen. Bei den Grippe-Impfstoffen für Menschen und Pferde ist dies bereits gang und gäbe“, regt Professor Moennig von der Tierärztlichen Hochschule Hannover an.


„Die Tierimpfstoff-Verordnung bietet dafür theoretisch schon heute die Möglichkeit“, gibt Dr. Hans-Joachim Bätza vom Landwirtschaftsministerium in Bonn zu bedenken. „Bisher hat beim zuständigen Paul-Ehrlich-Institut nur noch kein Impfstoffhersteller den erforderlichen Antrag gestellt. Dazu bestand auch keine Notwendigkeit, da sich die bei Schweinen vorkommenden Influenzaviren bislang als weniger wandlungsfähig erwiesen als menschliche Grippeviren. Mit dem Auftreten des neuen Mexiko-Grippevirus könnte sich das jedoch schnell ändern“, räumt Dr. Bätza ein.


Noch besser wäre nach Ansicht des Tierseuchenreferenten eine EU-einheitliche Lösung. Dazu müsste der Tierarzneimittel-Ausschuss der EU allerdings entsprechende Leitlinien erarbeiten.


Rein technisch gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Impfstoff herzustellen, der auch die neue H 1N 1-Variante enthält. Eine davon ist die Herstellung einer H 1N 1-Monovakzine, die nur diesen einen, neuen Impfstamm enthält. Daran arbeitet man bei IDT in Dessau-Tornau bereits.


Alternativ könnte bei einem der vorhandenen Zwei- bzw. Dreifachimpfstoffe einer der Stämme gegen die aktuelle H 1N 1-Variante ausgetauscht werden. Oder noch besser: Man nimmt das Antigen des Mexiko-Grippevirus zusätzlich in einen Impfstoff auf. Die neue Dreifachvakzine von IDT böte nach Auskunft des Herstellers das dafür erforderliche Füllvolumen.


Bleibt die Frage, wer die Kosten für eine derartige Impfung übernimmt. Die Landwirte hätten zurzeit wenig Grund, mit der Impfung zu starten. Denn nach den bisherigen Erfahrungen verläuft die Infektion bei Schweinen recht mild. Hier dürfte die Devise daher eher lauten: „Augen zu und den Bestand in Ruhe durchseuchen lassen“.


Auch von der Tierseuchenkasse ist kein Geld zu erwarten, da die Mexiko-Grippe nicht zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen gehört. Und im Landwirtschaftsministerium gibt man sich ebenso bedeckt: „Wir sehen im Moment keine Notwendigkeit, eine Pflichtimpfung für Schweine einzuführen. Eher müsste der Mensch geimpft werden, um die Schweine zu schützen“, stellt Dr. Bätza klar.


Henning Lehnert

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