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Uns drohen Milliarden-Schäden!

Lesezeit: 7 Minuten

Ein neuer Fall von Schweinepest in Südoldenburg oder im Münsterland wäre eine wirtschaftliche Katastrophe. ISN-Referentin Jana Püttker hat den möglichen Schaden bilanziert.


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Schweinepest? Der letzte Fall ist doch schon ewig her. Da gibt es im Moment doch wirklich dringlichere Probleme, mögen viele denken. Immerhin sind schon vier Jahre vergangen, seitdem das Virus zuletzt in acht Hausschweinebeständen in den westfälischen Landkreisen Borken und Recklinghausen gefunden wurde. 120 000 Schweine wurden damals auf Anweisung der EU getötet. Und der bisher folgenschwerste Seuchenzug in Weser-Ems, in dessen Verlauf rund 1,5 Mio. Schweine ihr Leben ließen, liegt sogar schon mehr als 15 Jahre zurück.


Doch Vorsicht, wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wiegen! Denn durch die weite Verbreitung des Pest-Erregers in der Wildschweinepopulation und die explodierenden Schwarzwildbestände leben wir auf einem Pulverfass. Und die wachsende Exportabhängigkeit der deutschen Schweinebranche führt dazu, dass jeder neue Pestfall bei Hausschweinen katastrophale wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen würde.


Was wäre, wenn in Vechta die Pest ausbricht …


Welches Ausmaß die direkten und indirekten Schäden eines Pestausbruchs in den Hochburgen der deutschen Veredlung anrichten können, zeigt eine aktuelle Auswertung der ISN-Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands. Dabei werden zwei Szenarien durchgespielt:


? Im ersten Fall bricht die Schweinepest im viehintensiven Landkreis Vechta aus. Anschließend verbreitet sich das Virus rasend schnell in den Kreisen Vechta, Cloppenburg, Diepholz, Osnabrück, und Oldenburg. Zusammen werden in der viehdichtesten Region Deutschlands knapp 4 Millionen Schweine gehalten.


? Im zweiten Fall trifft es das benachbarte Münsterland. Ausgehend von einem ersten Pestfall im Landkreis Borken breitet sich das Virus durch Personen- und Tierkontakte schnell in den benachbarten Kreisen Steinfurt, Coesfeld, Warendorf und Münster aus. Hier stehen zusammen knapp 3,5 Mio. Schweine.


Zunächst zum direkten Schaden durch amtlich angeordnete Tötungen. Während früherer Seuchenzüge wurden im Nachgang eines Pest-Ausbruchs rund 21 % aller in der jeweiligen Region gehaltenen Schweine auf amtliche Anordnung getötet. Überträgt man diese Erfahrungen auf Weser-Ems, so würden im soeben beschriebenen Fall rund 836 000 Schweine gekeult. Und bei einem Pestausbruch im Münsterland müssten vermutlich 727 000 Tiere ihr Leben lassen.


Pro gekeultem Schwein wurde beim letzten Seuchenzug in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) eine Entschädigung von 188,37 € gezahlt. Darin sind bereits die Kosten für das Töten, das Reinigen und Desinfizieren sowie die Tierkörperbeseitigung enthalten. Summa summarum müssten im Fall 1 an die niedersächsischen Landwirte Entschädigungszahlungen in Höhe von 157,5 Mio. € gezahlt werden und an die Schweinehalter in NRW eine Entschädigung in Höhe von etwa 137 Mio. €.


Nur der „Gemeine Wert“ wird entschädigt


Auf diese Weise würde allerdings nur der „Gemeine Wert“ der Tiere ersetzt. Der „Reale Wert“ eines Schweines hingegen liegt laut Schätzrahmen der Tierseuchenkasse etwa 20 % darüber, also bei 215 € pro Tier. Den Schweinehaltern in Weser-Ems entstünde durch das Keulen somit ein finanzieller Verlust von rund 26 € jeTier bzw. insgesamt 21,7 Mio. €. Und für die von der Pest betroffenen Tierhalter im Münsterland ergäbe sich nach dem Keulen ihrer Tiere ein Defizit von 18,9 Mio. €.


Unter dem Strich fiele der Fehlbetrag vermutlich noch höher aus. Denn nach § 67 des Tierseuchengesetzes wird die Entschädigungszahlung bei Beständen mit mehr als 1 250 Schweinen um 20 % und in Beständen mit mehr als 2 500 Tieren sogar um 40 % des gemeinen Wertes der Tiere gemindert. Beim Seuchenzug 1994/95 in Niedersachsen wurden die Kürzungen exakt nach diesem Schema vorgenommen.


Kosten für Blutproben, Bescheinigungen etc.


Doch nicht nur den gekeulten Betrieben entsteht ein finanzieller Verlust. Auch die übrigen Schweinehalter in den von den Pestsperren betroffenen Regionen sind gebeutelt. Denn bei der Vermarktung ihrer Schweine entstehen ihnen zusätzliche Kosten. Dazu gehören z. B. Besuchsgebühren für den Tierarzt im Rahmen von Freigabe- und Transportun­tersuchungen. Darin enthalten sind aber auch Mindererlöse beim Verkauf, weil die Tiere aufgrund der Sperre über das ideale Verkaufsgewicht hinaus im Stall bleiben müssen.


Die Landwirtschaftskammer Nord-rhein-Westfalen hat die zusätzlichen Aufwendungen beispielhaft für Schweinehalter in Wildschweinepest-gefährdeten Gebieten bilanziert. Pro vermarktetem Mastschwein und Jahr belaufen sich danach die zusätzlichen Aufwendungen bzw. Mindererlöse auf 3,50 € bzw. auf 6,20 € je Ferkel und Jahr.


Im Südoldenburger Raum wären infolgedessen bei 2,6 Umtrieben rund 7,8 Mio. Mastschweine von den erhöhten Vermarktungskosten betroffen. Und im Münsterland wären es, wenn man auch hier die 21 % gekeulten Tiere abzieht, immerhin noch 6,6 Mio. Mastschweine. Unter dem Strich summieren sich die Mehrkosten bei der Vermarktung in Nieder-sachsen somit auf 27,3 Mio. € und im Münsterland auf 23,1 Mio. € pro Jahr. Bei kürzerer Sperrdauer müsste der Wert entsprechend reduziert werden.


Für die Sauenhalter in Weser-Ems würden sich analog dazu bei 22 verkauften Ferkeln pro Sau und Jahr sowie einem Sauenbestand von gut 196 000 Tieren Vermarktungs-Mehrkosten in Höhe von 26,7 Mio. € ergeben. Und im Münsterland addieren sich die Mehrkosten bei einem Gesamtbestand von knapp 290 000 Zuchtsauen auf ingesamt 39,5 Mio. €.


Nun zum Schweinemarkt. Er reagiert prompt, wenn ein neuer Schweinepestfall bekannt wird. Aufgrund der Sperren können z. B. Exportmärkte plötzlich nicht mehr beliefert werden. Der Fleisch- bzw. Lebendexport kommt zum Erliegen.


Die Westfleisch hat die möglichen Umsatzeinbußen für die nordrhein-westfälischen Schlachtbetriebe exemplarisch berechnet. Bei einem Preisrückgang um 0,20 €/kg Schlachtgewicht und 350 000 Schlachtungen pro Woche, würden der westfälischen Schlachtbranche wöchentlich rund 7 Mio. € Umsatz fehlen. In Niedersachsen fällt dieser Wert mit geschätzten 8 Mio. € sogar noch etwas höher aus. Dieses Defizit holen sich die Schlachtunternehmen von den Bauern wieder.


Hinzu kommen die finanziellen Ausfälle durch die Exportsperren. Denn der Exportanteil und damit die Exportabhängigkeit der Schlacht- und Fleischbranche nimmt stetig zu. Das Maß für den Export-anteil eines Unternehmens ist dabei die Exportquote. Sie gibt an, wie viel Prozent des Gesamtumsatzes durch Exporte ins Ausland erwirtschaftet werden.


Für Nordrhein-Westfalen ließe sich folgende Rechnung aufstellen: Im Jahr 2008 erzielte die Fleischwarenindustrie in NRW einen Umsatz von 10,5 Mrd. €. Rund 45 % dieses Umsatzes wurden mit Schweinefleisch erzielt und davon wiederum geschätzte 30 % durch Exporte. Unterstellt man einen Preisverfall durch das Wegbrechen der Drittlandexporte in Höhe von 15 %, ergibt sich dadurch für die Fleischwarenindustrie in NRW ein Umsatzrückgang von 213 Mio. € pro Jahr.


Im benachbarten Weser-Ems fallen die geschätzten Exportausfälle nicht ganz so hoch aus. Hier liegt die Exportquote zwar ebenfalls bei 30 %. Die Umsätze der niedersächsischen Fleischindustrie waren im Jahr 2006 mit fast 6 Mrd. € jedoch etwas geringer als in NRW. Und auch der Umsatzanteil des Schweinefleisches wird mit 35 % etwas niedriger eingeschätzt. Summa summarum ergäben sich so für Weser-Ems im Falle des beschriebenen Pestausbruches exportbedingte Umsatzausfälle in Höhe von 107 Mio. € pro Jahr.


Hinzu kommen Umsatzeinbußen beim Lebendexport von Schlachtschweinen, der sich im ersten Halbjahr 2009 sehr dynamisch entwickelt hat. Der Markt ist zwar großen Schwankungen unterworfen. Unter dem Strich wurden in letzter Zeit jedoch monatlich bis zu 100 000 Schlachtschweine exportiert.


Wie empfindlich der Exportmarkt auf Pestmeldungen reagiert, zeigte sich im letzten Jahr: Als zu Jahresbeginn 2009 in Nordrhein-Westfalen ein Wildschwein-Pestfall amtlich bestätigt wurde, brachen im Februar die Exporte von Schlachtschweinen schlagartig um rund 50 000 Tiere ein.


In der Modellkalkulation wurde deshalb mit einer Exportminderung um 65 000 Tieren pro Monat gerechnet. Das entspricht rund der Hälfte des Gesamtexports. Im Rechenmodell wurde unterstellt, dass die Exporttiere im Schnitt 120 kg schwer sind und mit 1,10 € je kg Lebendgewicht bezahlt werden. Ferner wurde angenommen, dass sich die Tiere aufgrund der Exportsperre nur noch mit 30 % Erlösverlust vermarkten lassen. Allein in Niedersachsen summieren sich die Exportausfälle dadurch auf monatlich rund 2,57 Mio €!


Defizit der vor- und nach-gelagerten Industrie


Beide Regionen, Weser-Ems und das Münsterland, verfügen über eine starke Agrarbranche, die eng mit der landwirtschaftlichen Erzeugung verbunden ist. Daher muss auch im vor- und nach-gelagerten Bereich mit starken Umsatz-einbußen gerechnet werden. Im Rah-men einer Promotionsarbeit wurde nach dem Schweinepest-Seuchenzug in Niedersachsen festgestellt, dass diese Ein-bußen im Schnitt rund 30 % betragen. Bedenkt man, dass die Ernährungswirt-schaft in den Landkreisen Vechta, Clop-penburg, Osnabrück, Oldenburg und Diepholz in 2006 einen Jahresumsatz von 6,8 Mrd. € erzielte, so summieren sich die geschätzten Umsatzeinbußen auf jährlich 2 Mrd. €! Ähnlich katastrophal sähe es nach einem Seuchenzug im benachbarten Münsterland aus.

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