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„Wenn nicht wir, wer dann?“

Lesezeit: 7 Minuten

Herr Schmal, Weihnachten waren Sie 100 Tage Milchpräsident des DBV. Ihr erstes Fazit?


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Schmal: Vor allem zwei Dinge haben mich überrascht: Wie regional unterschiedlich die Milchproduktion in Deutschland ist, von der Küste bis ins Allgäu. Und wie wenig unsere Molkereien miteinander sprechen.


Sie haben das Amt mitten in der Krise übernommen. Bereuen Sie die „Bamberger Beschlüsse“ des DBV zum Ausstieg aus der Milchquote?


Schmal: Nein! Ich glaube an den Markt. Ich habe für unseren Betrieb zwei Einfamilienhäuser in die Milchquote investiert. Doch sie hat es nicht geschafft, die Preise auf höherem Niveau stabil zu halten.


Wir hatten aber Grundpreise von unter 20 ct/kg. War die Branche zu euphorisch beim Quotenende?


Schmal: Ja. Die erhoffte sanfte Landung hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Derzeit erleben wir keinen Strukturwandel, sondern einen Strukturbruch. Grundpreise von 20 Cent und weniger waren eine Aufforderung zum Aufhören. Und das trifft jetzt vor allem die Betriebe, die stark investiert haben, um sich auf 2015 vorzubereiten. Bei ihnen drücken Zins und Tilgung.


Welche Folgen kann das haben?


Schmal: Nehmen wir Hessen: Hier gibt es 286000 ha Grünland, ist also prädestiniert für die Milchproduktion. Doch die Anzahl der Milcherzeuger und Milchkühe sinkt drastisch. Schon heute stehen auf etwa 100000 ha Grünland keine Kühe mehr. Da kommt die Frage: Wer nutzt die Flächen künftig und hält die Landschaft offen?


Hat der DBV in der Krise deshalb relativ schnell nach dem Staat gerufen?


Schmal: Oberste Priorität war, Liquidität auf die Höfe zu bringen. Die Poli-tik hat die dramatische Situation der Milchbauern erkannt und deshalb Geld locker gemacht. Dafür danken wir.


Kann es beim nächsten Milchpreis-Absturz auch so laufen?


Schmal: Nein. Die Politik hat bereits signalisiert, dass es mit den staatlichen Hilfen so nicht weitergeht. Ohnehin kommen solche Hilfen immer sehr spät, manchmal zu spät. Zum Beispiel gehen wir davon aus, dass sich einige Betriebe zwar für das 14 Cent-Drossel-Programm angemeldet haben, es aber nicht nutzen werden. Denn die Milchpreise sind inzwischen deutlich gestiegen. Ein Teil des Geldes könnte somit nach Brüssel zurückfließen.


Welche Vorschläge hat der DBV, Milchkrisen zu verhindern bzw. abzumildern?


Schmal: Einfache Pauschallösungen gibt es in zunehmend liberalisierten Märkten nicht. Sowohl der Staat als auch die Marktakteure müssen an sämtlichen Stellschrauben drehen, um den deutschen Milchsektor regional und global wettbewerbsfähig zu positionieren. Dabei sehen wir auch die Marktteilnehmer in der Verantwortung, also Handel, Molkereien und Erzeuger, sich besser abzustimmen.


Sie fordern eine Branchenorganisation Milch (Seite R8). Fünf Molkereien wollten diese gründen, haben aber wieder zurückgerudert. Und sie wollten den Bauernverband ausdrücklich nicht dabei haben…


Schmal: Der DBV hat das Thema vorangetrieben, ohne uns wäre es nicht so weit gekommen. Aber natürlich ist die Skepsis groß. Fünf Molkereien haben jetzt eine Interessengemeinschaft gegründet. Sie steht für über 50% der deutschen Milch. Wir begrüßen den fachlichen Austausch untereinander. Warum soll die eine Molkerei die gleichen Fehler machen, die eine andere schon gemacht hat. Wichtig ist, dass die Runde nicht im Debattier-Club endet. Wir erwarten konkrete Ergebnisse!


Welche zum Beispiel?


Schmal: Innerhalb der Landwirtschaft haben wir bei der Milch die mit Abstand älteste Vermarktungsform. Wir wollen die Andienungspflicht und Abnahmegarantie bei Genossenschaften nicht grundsätzlich in Frage stellen. Aber wir müssen prüfen, wie sich die Lieferbeziehung besser an die Marktgegebenheiten anpassen lässt. Erste Beispiele gibt es: Ammerland und frischli prüfen Absicherungsmodelle über die Warenterminbörse, Omira hat einen back-to-back-Vertrag und FrieslandCampina einen Drossel-Bonus.


Also sollen Erzeuger und Molkereien auch eine Milchmenge vereinbaren?


Schmal: In die Lieferbeziehung gehören die Parameter Preis, Menge, Qualität und Laufzeit. Und ja, eine Molkerei muss auch mal Signale setzen, dass sie die Milch nicht gebrauchen kann, wenn die Erzeuger fortlaufend ihre Ställe verdoppeln wollen. Aber wie gesagt: Das müssen die Marktpartner unter sich regeln, der Staat soll sich da heraushalten.


Selbst wenn Erzeuger und Molkereien sich einigen, kann immer noch der Handel mit seiner Macht dagegen schießen.


Schmal: In der Tat diktiert der Handel von oben herab. Deshalb muss er sich nicht wundern, dass immer mehr Milcherzeuger aufhören. Das kann ihm selbst auf die Füße fallen. Denn derzeit gibt es einen Trend zu regionalen Produkten. Doch wenn der Handel Regionalität will, muss er die Bauern auch am Leben lassen. Deshalb müssen wir weg von der Billig-Preis-Strategie: Solange die 40 Cent-Milch im Regal steht, greift der Verbraucher zu. Wir müssen das gesamte Preisniveau anheben.


Aktuell schraubt der Handel aber vielmehr die Tierwohl-Anforderungen nach oben – und bekommt tatkräftige Unterstützung von Tierschutzverbänden.


Schmal: Im weltweiten Vergleich haben wir in Deutschland mit die höchsten Standards in der Tierhaltung. Die Gesellschaft hat diese stetige Weiterentwicklung aber nicht wahrgenommen, im Gegenteil: Sie sieht die Tierhaltung zunehmend kritisch, zum Teil sind das Luxusprobleme. Nichtsdestotrotz: Wir sind gerne bereit, höhere Tierwohl-Standards zu erfüllen. Das wollen wir aber bezahlt haben.


Das Nachhaltigkeits-Modul bei QM-Milch könnte ein einheitlicher Standard sein, lässt aber noch auf sich warten.


Schmal: Gut ist, als Branche selbst etwas auf die Beine zu stellen, bevor Politik oder Handel es tun. Zum einem nimmt man die Landwirte mit, sie sehen somit ihren Vorteil. Zum anderen lässt es sich nach außen viel besser verkaufen. Die Niederländer sind dabei viel cleverer. Das Nachhaltigkeits-Modul kommt spät bei uns. Allerdings führen Standards aus Schleswig-Holstein oder Niedersachsen in Bayern oder Baden-Württemberg berechtigt zu Diskussionen. Das mussten wir klären.


Konkret: Handel, Tierschutzverbände und einige Politiker wollen den Anbindestall verbieten. Was sagt der DBV?


Schmal: Wir müssen einen Spagat hinbekommen und deshalb Kompromisse eingehen. Die Kernkritik kommt zur ganzjährigen Anbindehaltung ohne Auslauf und Weide. Doch diese Haltungsform läuft ohnehin aus. Wenn es schneller gehen soll, brauchen wir praktikable Übergangsfristen und Förderprogramme für Weidegang und den Bau von Laufhöfen. Wichtig ist, dass sich Landwirte darauf verlassen können und die Politik nicht nach einigen Jahren wieder alles umkrempelt.


Eine persönliche Frage: Mit Ihrem Betrieb haben Sie die Mitgliedschaft beim Deutschen Milchkontor gekündigt und liefern ab 2018 zu Hochwald. Warum?


Schmal: Ich wünsche mir, dass die neue Führung das DMK in die Erfolgsspur bringt. Zuletzt habe ich aber keinen Fortschritt bei der Entwicklung des Unternehmens erkannt. Jahrelang haben uns die Verantwortlichen vertröstet. Doch der Milchpreis liegt weiter spürbar unter dem Bundesschnitt. Hochwald hat in Hünfeld ein neues Werk zur Produktion von Babymilchpulver gebaut, das Konzept erscheint mir schlüssig. Deshalb wechseln wir dorthin. Insgesamt bin ich davon überzeugt: Die Milch wird in Deutschland künftig zu den Molkereien mit den besseren Milchpreisen und einer guten Kommunikation fließen.


Was müssen die Molkereien tun, um zu den Gewinnern zu zählen?


Schmal: Strukturverbesserungen sind dringend nötig. Das müssen nicht zwangsläufig Fusionen sein. Aber warum schaffen die Molkereien es nicht, ihre Produkte gebündelt dem Handel anzubieten? Dann hätten sie eine deutlich bessere Verhandlungsposition. Zudem haben viele Unternehmen Defizite im internationalen Geschäft, hier müssen sie deutlich besser werden. Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch, dass viele kleine Nischen-Molkereien erhalten bleiben. Sie sind oft die Preistreiber.


Bei all den Herausforderungen: Wie sehen Sie die Milch-Zukunft?


Schmal: Ohne Zweifel: Der Milch-Standort Deutschland hat Zukunft! Wenn nicht wir, wer dann?


Das Interview führte Patrick Liste.

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