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Behandlung streng nach Beipackzettel

Lesezeit: 6 Minuten

Ende Januar 2022 tritt das neue Tierarzneimittelgesetz in Kraft. Über drohende Stolpersteine bei der Anwendung in der Praxis sprach top agrar mit Tierarzt Dr. Torsten Pabst aus Dülmen.

Ab 28. Januar 2022 gilt das neue Tierarzneimittelgesetz. Warum mussten die bisherigen Vorgaben überarbeitet werden?

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Pabst: Das deutsche Arzneimittelgesetz wird an neue EU-Vorgaben angepasst, die ebenfalls am 28. Januar 2022 in Kraft treten. Es geht um die bereits 2019 verabschiedete EU-Tierarzneimittelverordnung VO (EU) 2019/6. Gleichzeitig wird eine Trennung von Human- und Veterinärmedizin vollzogen, die auf EU-Ebene schon länger besteht. Bisher galt für beide Bereiche ein gemeinsames Arzneimittelgesetz. Künftig gibt es für die Veterinärmedizin ein eigenes Tierarzneimittelgesetz.

Welche Schwerpunkte setzt das neue Tierarzneimittelgesetz?

Pabst: Mit der neuen EU-Verordnung sollen die Vorgaben zur Zulassung und Anwendung von Tierarzneimitteln europaweit vereinheitlicht werden. Zugleich will die EU Anreize für die Entwicklung neuer Tierarzneimittel schaffen. Bisher standen die Vermeidung von Rückständen und die Lebensmittelsicherheit im Vordergrund, künftig die Kontrolle von Antibiotikaresistenzen. Der Einsatz von Antibiotika soll weiter reduziert werden. Zusätzlich werden einige Regeln zur Anwendung von Tierarzneimitteln verschärft.

Wird sich das neue Tierarzneimittelgesetz problemlos in der Praxis anwenden lassen?

Pabst: Leider nein, es enthält noch einige Stolpersteine. Das größte Problem sehe ich darin, dass Tierarzneimittel demnächst nur noch entsprechend ihrer Zulassung eingesetzt werden dürfen. Wir Tierärzte müssen uns künftig strikt daran halten, was auf dem Beipackzettel steht. Diese Angaben sind aber mitunter veraltet. Wenn zum Beispiel neuere wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hinweisen, dass eine höhere als auf dem Beipackzettel angegebene Dosierung wirksamer ist, durfte der Tierarzt bisher die Dosis eigenverantwortlich erhöhen. Das ist künftig nicht mehr erlaubt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Pabst: In den Antibiotikaleitlinien steht, dass Antibiotika ausreichend hoch dosiert werden sollten. Stand der medizinischen Wissenschaft ist, dass man zum Beispiel bei Streptokokkeninfektionen das Antibiotikum Amoxicillin in einer Dosis von mindestens 20 mg je kg Körpergewicht (KGW) und Tag verabreichen sollte. Auf dem Beipackzettel einiger Amoxicillinpräparate beträgt die Dosierungsangabe aber nur 7 mg/kg KGW/Tag.

Wie sollen sich Tierärzte künftig verhalten? Sollen sie sich an die Vorgaben auf dem Beipackzettel halten, das Antibiotikum unterdosieren und dadurch die Resistenzsituation womöglich sogar noch verschlimmern? Oder sollen sie nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft dosieren, dem Tier helfen, dadurch aber gegen das Gesetz verstoßen?

Können die Beipackzettelangaben nicht zeitnah aktualisiert werden?

Pabst: Die Angaben auf dem Beipackzettel geben die Zulassungsbedingungen wieder. Will man sie ändern, müsste zuvor die Zulassung für das Medikament geändert bzw. erweitert werden. So ein Verfahren kann sich jedoch über Jahre hinziehen und ist sehr kostenaufwendig. Das hält viele Pharmahersteller davon ab. Das gilt insbesondere für Arzneimittel, die nur in geringem Umfang eingesetzt werden oder für die der Patentschutz abgelaufen ist.

Auf dem Beipackzettel wird auch der Anwendungszeitpunkt vorgegeben. Sind auch hier Probleme zu erwarten?

Pabst: Leider ja, wie man am Beispiel von Eiseninjektionen leicht nachvollziehen kann. Um einer Eisenmangel-anämie vorzubeugen, erhalten Saugferkel in den ersten drei Lebenstagen standardmäßig eine Eiseninjektion. Bei den meisten Eisenpräparaten sieht der Beipackzettel eine einmalige Behandlung zwischen dem ersten und dritten Lebenstag vor.

Bei durchfallerkrankten Tieren sollte die Behandlung allerdings einige Tage später erfolgen, da Eisen immunsuppresiv wirkt und somit das Immunsystem schwächt. Das ist, wenn sich der Tierarzt an die Vorgaben auf dem Beipackzettel halten muss, künftig aber nicht mehr möglich.

Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse besagen zudem, dass sich bei frohwüchsigen Herkünften eine zweite Eisengabe am 10. Lebenstag positiv auf die Gesundheit der Ferkel auswirkt. Zugelassen sind die meisten Präparate aber nur für die einmalig Anwendung.

Und wie sieht es bei der Therapiedauer aus?

Pabst: Die Antibiotikaleitlinien geben vor, dass eine antibiotische Behandlung so kurz wie möglich und so lange wie nötig erfolgt. Bei bakteriellen Infektionen mit Fieber sollte sie aber mindestens bis zum zweiten Tag nach Abklingen des Fiebers fortgesetzt werden. Kommt bei Atemwegsinfektionen das Antibiotikum Doxycyclin zum Einsatz, sieht der Beipackzettel eine fünftägige Behandlung vor.

Doch was, wenn nach fünf Tagen zwar eine Besserung erkennbar ist, aber noch keine ausreichende Wirkung erzielt wurde? Normalerweise würde man die Behandlung dann um zwei bis drei Tage verlängern. Soll der Tierarzt die Behandlung nach fünf Tagen beenden und dadurch ein erneutes Aufflackern der Erkrankung riskieren? Oder soll er weitere fünf Tage behandeln und das Antibiotikum dadurch länger als nötig einsetzen? Beides würde die Bildung von Resistenzen eher fördern statt verhindern.

Könnte es auch bei der Art der Verabreichung Probleme geben?

Pabst: Bleiben wir beim Beispiel Doxycyclin. Zurzeit gibt es kein Doxycyclinpräparat, das für die Verabreichung über das Futter zugelassen ist. Zur oralen Behandlung einer größeren Ferkelgruppe müsste der Tierarzt daher auf ein älteres Tetracyclin zurückgreifen, das aber wesentlich höher dosiert wird. In diesem Fall müssten 60 statt 20 mg je Kilogramm Körpergewicht und Tag verabreicht werden. Das ist aber weder für die Umwelt noch für die Resistenzentwicklung gut.

Ändert sich auch etwas am tierärztlichen Dispensierrecht? Dürfen Arzneimittel weiter im Voraus an Landwirte abgegeben werden?

Pabst: Hier bleibt es bei den bisherigen Vorgaben. Der Tierarzt darf zur Behandlung lebensmittelliefernder Tiere weiterhin im Voraus für maximal sieben Tage Antibiotika an den Tierhalter abgeben. Voraussetzung ist, dass der Tierarzt die Schweine zuvor behandelt und dem Anwender schriftliche Hinweise zur Anwendung des Arzneimittels übergeben hat.

Andere Arzneimittel, also keine Antibiotika, dürfen weiterhin für die Behandlung von 31 Tagen im Voraus an Tierhalter abgegeben werden.

Das neue Tierarzneimittelgesetz wirkt in vielen Punkten unausgegoren. Wurde es übers Knie gebrochen?

Pabst: Das neue Tierarzneimittelgesetz wurde innerhalb kürzester Zeit verabschiedet. Anfang 2021 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium den Entwurf veröffentlicht. Mitte Januar wurde er dann an die Verbände zur Anhörung geschickt. Den Praktikern wie dem Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) blieben aber nur drei Wochen Zeit für eine Stellungnahme. Das ist für eine ordentliche Bearbeitung und Bewertung eines so komplexen Gesetzestextes allerdings viel zu kurz.

Vieles ist auch noch nicht bis ins letzte Detail geregelt. Die Nachfolgerechtsakte beziehungsweise Verordnungen, in denen dann auf die Feinheiten eingegangen wird, beschäftigen uns vermutlich noch jahrelang.

Was erwarten Sie daher von der neuen Bundesregierung?

Pabst: Die Schwachpunkte des Tierarzneimittelgesetzes müssen dringend überarbeitet werden. Es kann nicht sein, dass ein Gesetz erlassen wird, dass in puncto Resistenzminderung, Antibiotikaeinsatzmengen und Rechtssicherheit derartige Schwachstellen aufweist. Da es sich bei dem Gesetz um die Umsetzung von EU-Richtlinien handelt, wird das jedoch ein schwieriger Weg werden.

Ihr Kontakt zur Redaktion:

henning.lehnert@topagrar.com

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