Eine Lockerung des Baurechts bei Ausläufen an Ställen in Schleswig-Holstein bedeutet nicht, dass es für solche Anbauten nun einen Freifahrtschein gibt. Welche Regeln dennoch gelten, hat top agrar mit Lena Preißler-Jebe, Syndikusrechtsanwältin beim Bauernverband Schleswig-Holstein, besprochen.
Baurechtliche Verfahrensfreistellung entbindet nicht von Genehmigungen
Frau Preißler-Jebe, Schleswig-Holstein erleichtert den Bau von Tierwohlställen. Was genau hat die Landesregierung beschlossen?
Preißler-Jebe: In Schleswig-Holstein gibt es immer schon die Regelung in der Landesbauordnung, dass landwirtschaftlich genutzte Gebäude bis zu einer Firsthöhe von maximal 4 m größenunabhängig ohne Baugenehmigung errichtet werden dürfen. Das gilt aber nur, wenn im Gebäude keine sanitären Anlagen oder Aufenthaltsräume eingebaut sind. Zudem darf ein solches Gebäude nur der Lagerung von Ernteerzeugnissen, Geräten oder zum vorübergehenden Schutz von Tieren dienen.
Die Landesregierung hat nun beschlossen, die Vollzugshinweise, in der die Anwendung der Landesbauordnung genauer erläutert wird, auszudehnen. Jetzt dürfen entsprechende Gebäude auch dann verfahrensfrei errichtet werden, wenn sie als Auslauf an vorhandene Stallgebäude angebaut werden.
Die Behörden anderer Länder könnten sich der Rechtsansicht von Schleswig-Holstein anschließen.
Können andere Bundesländer das Modell aus Schleswig-Holstein übernehmen bzw. können sich Landwirte auf die Regelung in Schleswig-Holstein berufen?
Preißler-Jebe: Die meisten anderen Bundesländer haben die Verfahrensfreistellung von Gebäuden, die dem vorübergehenden Schutz von Tieren dienen, auch in ihren jeweiligen Landesbauordnungen stehen, oder zumindest in sehr ähnlich Form. Rein theoretisch könnten die Behörden anderer Länder sich der Rechtsansicht von Schleswig-Holstein anschließen.
Es müsste nur Jemanden geben, der das für das entsprechende Bundesland vorantreibt. Einfach ohne Genehmigung drauf los bauen mit dem Verweis auf die Verfahrensweise in Schleswig-Holstein und schauen was bzw. ob was passiert, würde ich nicht empfehlen.
Was genau ist beim Bau entsprechender Ausläufe jetzt zulässig und was geht nicht?
Preißler-Jebe: Die Schweine dürfen sich dort nicht dauerhaft aufhalten. Der Auslauf muss also unmittelbar an einem angrenzenden Stallgebäude stehen, in das die Tiere zurücklaufen können. Im Auslauf darf auch kein Futter verabreicht werden. Zudem dürfen die Öffnungen vom Stall in den Auslauf die Statik des vorhandenen Stalles nicht gefährden und die Türen bzw. Öffnungen dürfen nicht mehr als 2 m breit sein.
Ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nötig, muss sich jetzt der Landwirt darum kümmern!
Muss der Landwirt andere rechtliche Vorschriften beachten und Genehmigungen einholen?
Preißler-Jebe: Häufig leider ja. Die baurechtliche Verfahrensfreistellung entbindet den Landwirt nicht davon, etwaige andere notwendige Genehmigungen einzuholen bzw. Vorgaben zu beachten. Wenn zum Beispiel das Naturschutzrecht, das Wasserrecht, das Immissionsschutzrecht oder das Tierschutzrecht von dem Bauvorhaben tangiert werden, muss sich der Landwirt selbstständig um ggf. erforderliche Genehmigungen kümmern. Der Landwirt wird also stärker in die Pflicht genommen. Ich rate dazu, dass sich Landwirte vor dem Bau mit den entsprechenden Behörden abstimmen und klären, was die jeweilige Behörde verlangt.
Das hört sich alles nach viel Aufwand und Bürokratie an. Wie viel ist die Änderung der Landesregierung denn dann überhaupt wert?
Preißler-Jebe: Grundsätzlich stellt die Anpassung der Vollzugsbekanntmachung zur Landesbauverordnung Schleswig-Holstein eine Chance gerade für baurechtlich genehmigte Betrieb dar. Denn Schweinehalter können jetzt endlich relativ unkompliziert und zeitnah eine Anpassung ihrer Stallgebäude an die Vorgaben des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes erreichen. Dafür haben wir als Verband lange gekämpft.
Nichtsdestotrotz bleibt es aber immer eine einzelbetriebliche Frage, wie hoch der Aufwand am Ende ist, ob es sich lohnt und ob ein Auslauf überhaupt gebaut werden kann. In vielen Fällen wird die Naturschutzbehörde eingebunden werden müssen, da durch die Flächenversiegelung ein naturschutzrechtlicher Eingriffsausgleich erfolgen muss.
Besser Bauaufsichtsbehörde mitnehmen
Welche Rolle spielt das Immissionsschutzrecht?
Preißler-Jebe: Durch die Öffnung der Ställe ändert sich unter Umständen die Geruchs- und Stickstoffbelastung der Umgebung. Sollten sich Anhaltspunkte für Überschreitungen maßgeblicher Richtwerte abzeichnen, werden die Bauaufsichtsbehörden bei baurechtlich genehmigten Ställen unter Umständen tätig werden. Das kann z.B. der Fall sein, wenn es zu Beschwerden kommt.
Wenn in unmittelbarer Nähe zum Stall Biotope oder Wohnbebauung vorhanden sein sollten, sollte der Landwirt sicherheitshalber der Bauaufsichtsbehörde die bauliche Veränderung anzeigen. Gegebenenfalls macht es auch Sinn, ein neues Immissionsschutzgutachten anfertigen zu lassen.
Bei nach BImSchG genehmigten Ställen muss in jedem Fall das zuständige Umweltamt informiert werden. Dieses wird dann entscheiden müssen, ob es sich um eine unwesentliche Änderung der Anlage handelt, für die es keiner Änderungsgenehmigung bedarf. Ist die Änderung erheblich, muss gemäß §16 BImSchG ein Änderungsgenehmigung mit allen erforderlichen Neubauprüfungen erfolgen. Die Kosten dafür können sich je nach Anzahl und Umfang der erforderlichen Gutachten schnell auf 40.000 bis 60.000 € belaufen.
Da die Schweine draußen koten und urinieren, müssen die Vorschriften der JGS-Anlagen-Verordnung eingehalten werden.
Welche Behörden müssen noch eingebunden werden?
Preißler-Jebe: Unter Umständen die Wasserbehörde. Da die Schweine draußen koten und urinieren, müssen die Vorschriften der JGS-Anlagen-Verordnung eingehalten werden. Der Landwirt muss u.a. sicherstellen, dass das Abwasser den Vorschriften entsprechend aufgefangen und gelagert wird. Genauso ist es beim Festmist. Auch hier gelten besondere Vorgaben für das Auffangen von Sickersäften und bei der Lagerung, insbesondere bei BImSch-Anlagen. Unter anderem muss die Betongüte den Materialvorschriften entsprechen. Eine wasserrechtliche Genehmigung ist aber in den wenigsten Fällen erforderlich.
Ich rate außerdem dazu, auch das Veterinäramt und die Versicherung zu benachrichtigen. Denn im Bereich des Brandschutzes sind u.a. die Abstände zu Nachbargebäuden zu prüfen und ausreichend dimensionierte Rettungswege freizuhalten.
Was passiert, wenn der Landwirt eine Behörde vergisst oder keine Antwort auf seinen Antrag bekommt?
Preißler-Jebe: Grundsätzlich hat jeder Bauherr für die Einhaltung der Vorschriften einzustehen. Nachträgliche Genehmigungen bzw. Anpassungen sind aber möglich. Genauso obliegt es den Behörden, eingehende Anträge und Benachrichtigungen zu bearbeiten.
Kein Freifahrtschein
Was kann der Landwirt tun, wenn sich die Auflagen von zwei Behörden widersprechen?
Preißler-Jebe: Das darf natürlich gar nicht vorkommen und ist von den Behörden umgehend zu bereinigen. Im Fall des Falles sollte der Landwirte die beiden Behörden darauf aufmerksam machen.
Die jetzige Lösung ist ein kleiner Durchbruch im Sinne des Berufsstandes für mehr Tierwohl.
Ein Freifahrtschein bzw. echter Durchbruch ist die holsteinische Lösung am Ende also doch nicht. Oder?
Preißler-Jebe: Einen Freifahrtschein gibt es im deutschen Verwaltungsrecht eigentlich nie. Aber die jetzige Lösung ist ein kleiner Durchbruch im Sinne des Berufsstandes für mehr Tierwohl und Entbürokratisierung. Die Regelung bietet die Chance für einzelne Betriebe, endlich leichter in Ställe mit höheren Haltungsformen investieren zu können. Es ist ein Anfang.
Weil das Bauamt jetzt „aus dem Spiel“ ist, muss der Landwirt die erforderlichen Genehmigungen selbst einholen. Sind Landwirte dem Behörden- bzw. Verwaltungsirrsinn in Deutschland überhaupt gewachsen und wer kann sie unterstützen?
Preißler-Jebe: Die wenigsten Landwirte werden den Auslauf genehmigungstechnisch selbst realisieren können. Helfen können Architekten oder Bauingenieure. Natürlich fällt dafür eine Gebühr an, die der Landwirt zu zahlen hat. Aber auch das Bauamt hätte eine Gebühr verlangt.
Vielen Dank für das Gespräch!