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Berufskrankheit Parkinson: Wie läuft die Anerkennung? Wer soll das bezahlen?

Beim Thema Parkinson gibt noch viele Diskussionen: Was z.B. braucht es, damit erkrankte Landwirte eine Anerkennung als Berufskrankheit bekommen? Muss allein die Berufsgenossenschaft die Kosten tragen?

Lesezeit: 5 Minuten

Seit gut einem Jahr gilt das „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ als Berufskrankheit.

Dies ermöglicht erkrankten Landwirten, ggf. die umfassenden Leistungen der Berufsgenossenschaft (BG) in Anspruch zu nehmen. Außerdem gewinnen die Präventionsmaßnahmen bei der Pflanzenschutzmittelanwendung an Bedeutung.

Andererseits: Das Antragsverfahren erweist sich für Betroffene oft als langwierig. Und viele aktive Betriebe fürchten weiter steigende BG-Beiträge. Wir zeigen den aktuellen Diskussionsstand.

Voraussetzungen für Anerkennung klären

Eine Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit ist möglich für Landwirte, die in der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) versichert sind –  aber genauso für nicht LKK-versicherte Nebenerwerbslandwirte, landwirtschaftliche Mitarbeiter und Landwirte im Ruhestand. Die Voraussetzungen:

  • Es muss ein primäres Parkinsonsyndrom vorliegen, die Erkrankung darf also nicht Folge einer anderen Grunderkrankung sein, wie z. B. eines Schlaganfalls oder einer Kopfverletzung.

  • Die erkrankte Person muss im Berufsleben langjährig mit Pflanzenschutzmitteln gearbeitet haben – mindestens 100 Anwendungstage innerhalb einer Funktionsgruppe (Herbizide, Fungizide, Insektizide).

Langjährige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln

Zur Beurteilung der Krankheit zieht die Landwirtschaftliche Sozialversicherung (SVLFG)  Befunde der behandelnden Ärzte bzw. Stellungnahmen des Beratungsarztes heran und holt ggf. neue Gutachten ein.

Für den Nachweis des Pflanzenschutzmitteleinsatzes führt die SVLFG eine Befragung der Antragsteller zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Beruf durch, evt. zieht sie auch Hinweise aus dem Umfeld der Betroffenen hinzu.

Berufskrankheit: ja oder nein?

Bislang ist Parkinson eine sog. Wie-Berufskrankheit. Das heißt: Der ÄSVB hat Parkinson  zur Aufnahme in die Berufskrankheiten-Verordnung vorgeschlagen. So können Betroffene sich ihre Krankheit als Berufskrankheit anerkennen lassen – obwohl sie formalrechtlich noch keine Berufskrankheit ist.

Anders als zunächst erwartet, erfolgte die endgültige Aufnahme in die Berufskrankheiten-Verordnung nicht zum 1. April 2025, ist aber nun mit einer weiteren Berufskrankheiten-Änderungsverordnung geplant, so das Bundesarbeitsministerium. Derzeit werden noch zahlreichen Nachfragen vom ÄSVB eingehend geprüft und diskutiert.

Nachweis der Anwendungstage herausfordernd

Eine große Herausforderung ist der Nachweis der 100 Anwendungstage, besonders wenn die Betroffenen bereits schwer erkrankt sind und für die oft weit zurückliegende Zeiten keine systematischen Dokumentationen vorliegen. 

Gut zu wissen: „Die Betroffenen haben keine Beweisführungspflichten“, betont das Bundesarbeitsministerium in einer Stellungnahme. Dennoch, so die SVLFG, könne ohne Mithilfe der Betroffenen oder deren Angehörigen kein Verfahren abgeschlossen werden.

Erkrankte sollen daher in einer Tabelle eintragen, in welcher Kultur sie in welchem Jahr welche Mittel eingesetzt haben und möglichst passende Belege beifügen.

Spritzpläne und Quittungen als Nachweise

Laut SVLFG können Betroffene in der Regel z. B. Spritzpläne oder vereinzelt Kaufquittungen vorlegen.

„Wenn entsprechende Belege nicht mehr vorliegen, kann ein Blick auf die damalige fachliche Praxis helfen. Wichtig dabei ist, dass die Angaben der Versicherten plausibel sind. Mit Blick auf die früheren Empfehlungen der Pflanzenschutzmittelhersteller und der landwirtschaftlichen Praxis dürften viele Landwirte im Laufe ihrer Berufstätigkeit auf 100 Anwendungstage kommen“, konstatiert Nicole Spieß, Referatsleiterin für Sozialpolitik beim Deutschen Bauernverband.

Wie schwierig dieser Nachweis letztlich ist, ist noch unklar, dazu gibt es unterschiedliche Berichte. Die SVLFG erklärt, dass sich in fast allen Fällen ein schlüssiges Gesamtbild erstellen lasse.

Zeitaufwendige Prüfverfahren der SVLFG

Die Prüfverfahren ziehen sich vielfach in die Länge  – einzelne Landwirte sprechen von Verzögerungen und Vertröstungen. Die SVLFG meint: Es habe sich bewahrheitet, dass die Verfahren wegen der vielen Verdachtsfälle und des umfangreichen Prüfaufwandes viel Zeit beanspruchen. Aktuell aber wurden die ersten Fälle anerkannt.

Die Details:

  • In Deutschland gibt es rund 400.000 Parkinsonfälle.

  • Für etwa 8.000 Erkrankte in der LKK hat die SVLFG im April 2024 das Prüfverfahren von Amts wegen eröffnet.

  • Rund 400 Verdachtsfälle wurden von Unternehmern oder Ärzten eingereicht.

  • In etwa 2.000 Fällen hat sich die geforderte Diagnose „Primäres Parkinsonsyndrom“ nicht bestätigt.

  • Ca. 3.000 Fälle wurden auf Wunsch der Betroffenen bzw. aufgrund fehlender Mitwirkung abgelehnt.

  • 15 Fälle sind bei Redaktionsschluss als Berufskrankheit anerkannt.

Laufende Prüfverfahren und Prognosen

Rund 2.600 Fälle befinden sich derzeit noch in der laufenden Bearbeitung.

Insgesamt rechnet die SVLFG damit, dass etwa 80 % der Fälle, in denen sich die geforderte Parkinson-Diagnose bestätigt hat, als Berufskrankheit anerkannt werden. Jeder Fall kostet die Berufsgenossenschaft rund 30.000 €/Jahr.

Kosten für Berufsgenossenschaft und Landwirte

Um die vrsl. Kosten für das Jahr 2025 zu decken, erfolgte im Jahr 2024 eine zusätzliche Betriebsmittelzuführung von 100 Mio. €. Gleichzeitig mussten die Landwirte wegen Parkinson eine Erhöhung des Risikobeitrages von 12,2 % hinnehmen.

Den Gesamtumfang der zusätzlichen Leistungsausgaben kann die SVLFG derzeit noch nicht verlässlich abschätzen. Denn die aktuellen Fällen stammen fast vollständig aus dem Versichertenbestand der LKK. Von den nicht LKK-Versicherten liegen bisher nur wenige Verdachtsfälle vor.

Parkinson müsse erst offiziell in die Berufskrankheiten-Verordnung aufgenommen werden, um die Fallzahlen zu  kalkulieren, so die SVLFG (siehe Kasten). Denn erst dann würden auch die gesetzlichen Krankenkassen ihre betroffenen Mitglieder informieren.

Mögliche weitere Beitragserhöhungen

Je nach Fallzahl sind weitere Beitragserhöhungen wohl nicht auszuschließen.

Für viele Landwirte ist das ein großes Ärgernis. Auch die Vertreterversammlung der SVLFG selbst kritisiert in einer Resolution vom November 2024 die einseitige Kostenaufbürdung zulasten der BG-Versicherten.

Nicole Spieß erklärt dazu: „Ob Pflanzenschutzmittel ursächlich für die Parkinsonerkrankung sind, ist nach wie vor umstritten. Daher dürfen die jetzt beitragszahlenden Betriebe in der LBG, deren Zahl strukturwandelbedingt stetig abnimmt, nicht allein mit der Finanzierung der neuen Berufskrankheit belastet werden.“

Hersteller haftbar machen?

Der Deutsche Bauernverband plädiert deshalb für eine gesamtgesellschaftliche Kostentragung. Auch die Vertreterversammlung der SVLFG fordert hierfür zusätzliche Bundesmittel. Zumindest, so Nicole Spieß, müssten die durch die Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit eingesparten Bundesmittel für die LKK künftig als Bundesmittelsteigerung in der Berufsgenossenschaft berücksichtigt werden.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fordert, die Pflanzenschutzmittelhersteller an den Kosten zu beteiligen. So wünscht sich Bernd Schmitz, Bundesgeschäftsführer der AbL, mehr politischen Druck auf die Chemiekonzerne, z. B. in einen Fonds für Folgeschäden einzuzahlen. Auch der DBV ist offen für eine Beteiligung der entsprechenden Konzerne. „Rechtlich dürfte es aber schwer sein, eine solche ‚Kostenbeteiligung‘ durchzusetzen“, so Spieß.

Rechtliche Herausforderungen

Im Übrigen muss auch die SVLFG bei Anerkennung einer Parkinsonerkrankung als Berufskrankheit Regressansprüche gegen Dritte prüfen. Die SVLFG selbst bewertet die Erfolgsaussichten eines solchen zivilrechtlichen Rückgriffes gegen die Pflanzenschutzmittelhersteller jedoch als gering.

Die Hersteller selbst sehen sich nicht in der Verantwortung, sich an den Kosten zu beteiligen. Sie verweisen auf Anwendungs- und Warnhinweise, auf die Zulassungsprüfungen für Pflanzenschutzmittel und betonen, dass eine Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit nichts über die heute zugelassenen Pflanzenschutzmittel aussage.

Noch in Diskussion

Strittig sind auch noch das Risiko und der Nachweis des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.

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