Seit Mitte 2022 ist die Ukraine offizieller EU-Beitrittskandidat. Die Verhandlungen laufen, doch ein Abschluss dürfte sich über Jahre hinziehen – mit offenem Ausgang.
Landwirte aus Deutschland und Österreich blicken hingegen mit Sorge auf einen möglichen EU-Beitritt des Landes. Das zeigte sich auch vergangene Woche bei der Veranstaltung „Politik trifft Praxis“ in Brüssel. top agrar hatte Europas wichtigste Agrarpolitiker mit landwirtschaftlichen Betriebsleitern an einen Tisch gebracht.
Zentraler Kritikpunkt der Landwirte: Die Ukraine sei geprägt von großflächigen, investorgesteuerten Betrieben mit niedrigeren Umwelt- und Produktionsstandards sowie günstigeren natürlichen Anbaubedingungen. Das verschaffe ukrainischen Landwirten im Wettbewerb mit europäischen Betrieben klare Vorteile.
Landwirte fürchten Großbetriebe aus der Ukraine
Der österreichische Landwirt Thomas Ulm erinnerte an den Preisverfall nach Beginn des Ukraine-Kriegs: Als Russland wichtige Exportwege blockierte, seien große Mengen ukrainischen Getreides auf den EU-Binnenmarkt gelangt – mit der Folge massiv sinkender Preise und damit geringerer Einkommen für europäische Betriebe. „Was haben sich Kommission und Parlament dabei gedacht?“, fragte Ulm in die Runde.
"Die drei größten Betriebe in der Ukraine bewirtschaften zusammen eine Fläche, die der gesamten österreichischen Agrarfläche entspricht", sagte Ackerbauer Alfred Schreiberhuber aus Oberösterreich mit Blick auf die Strukturunterscheide. Man müsse sich bei solchen Größenordnungen fragen, wem die EU dort helfe. „Man öffnet den Markt für ukrainische Großbetriebe, hilft aber nicht der Bevölkerung – und lässt die europäischen Landwirte mit der neuen Konkurrenz allein.“
Standards in der Ukraine an die EU angleichen
Der deutsche EU-Parlamentarier Norbert Lins (CDU) warb um Verständnis: Die EU habe in einer akuten Notsituation gehandelt. Gleichwohl hätte er sich feste Importquoten für die Importe aus der Ukraine gewünscht, um die Mengen begrenzen und besser steuern zu können. Mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine sagte er: "Je mehr die Ukraine die europäischen Standards erfüllt, desto stärker kann sie in den europäischen Binnenmarkt integriert werden."
Jan-Christoph Oetjen (FDP) sprach sich klar für Beitrittsgespräche aus. Man müsse an der Seite der Ukraine stehen und dürfe jetzt nicht einen "Cut machen" und die Gespräche beenden. Dennoch betonet auch er: Ein Beitritt zu den derzeitigen Bedingungen in der Ukraine sei nicht möglich.
Mercosur: Freihandel mit Risiken
Auch das geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten – Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay – war Gegenstand der Diskussion. Die EU strebt mit dem Pakt den Abbau von Zöllen auf rund 90 % der gehandelten Waren an. Die Verhandlungen sind abgeschlossen, das Abkommen jedoch bislang nicht ratifiziert. Die Zustimmung von Rat und Parlament steht noch aus. Der Widerstand in der Landwirtschaft wächst – insbesondere in Österreich, Frankreich, Polen und Teilen Deutschlands.
Befürworter betonen die wirtschaftlichen Chancen: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen könnten vom erleichterten Marktzugang profitieren. Rund 70 % der etwa 12.500 deutschen Unternehmen, die in die Mercosur-Staaten exportieren, gehören zu dieser Gruppe. Auch die Automobilindustrie drängt auf eine Umsetzung – sie verspricht sich Vorteile durch den Wegfall von Zöllen von bis zu 35 % auf Pkw und Autoteile.
Exportchancen ergäben sich zudem für Milchprodukte, Frischobst und Süßwaren. Im Gegenzug würden allerdings südamerikanisches Rindfleisch, Wein und Zucker günstiger nach Europa gelangen.
„Verbraucher werden getäuscht“
Scharfe Kritik kam aus der Landwirtschaft – insbesondere wegen des befürchteten Preisdrucks auf europäische Erzeugnisse. Christine Singer (Freie Wähler) widersprach beispielsweise der häufig geäußerten Annahme: Weil die zu erwartenden Fleischexporte aus Südamerika vermutlich nur einen Anteil von rund einem Prozent am EU-Markt haben, sind die Auswirkungen hierzulande gering bis vernachlässigbar. Die Mercosur-Staaten würden aber fast ausschließlich Edelteile nach Europa verschiffen, erklärte Singer. Daher könnten diese geringen Mengen durchaus den Preis in der EU unter Druck setzen. Zudem würden Verbraucher in die Irre geführt: Viele gingen davon aus, dass sämtliches Fleisch im Supermarkt EU-Standards entspreche – auch wenn es importiert sei. Das sei jedoch nicht der Fall.
Thomas Waitz (Grüne) sprang Singer in der Argumentation bei: „Man verlangt von uns höchste Umwelt- und Produktionsauflagen – und setzt uns dann Billigkonkurrenz ohne diese Standards vor die Nase.“ Und weiter: „Wir Bauern sollten nicht den Preis für den Erfolg der deutschen Autoindustrie zahlen.“
Bei Politik trifft Praxis wurde auch intensiv über die GAP, Pflanzenzüchtung und Pflanzenschutz diskutiert. Mehr dazu finden Sie hier:
Unsere Gäste waren:
Norbert Lins MdEP, CDU, stellv. Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament
Jan-Christoph Oetjen MdEP, FDP, Agrarpolitischer Sprecher der FDP-Gruppe im Europaparlament
Thomas Waitz MdEP, Die Grünen (Österreich), agrarpol. Sprecher der EU-Grünen und Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament
Christine Singer MdEP, Freie Wähler, Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament
Absagen musste Maria Noichl MdEP, SPD, Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament