Landwirt Manuel Borchert scheut keinen Diskurs, wenn es um die Landwirtschaft geht. Im Rahmen der diesjährigen Aktionstage "Hof mit Zukunft" organisierte das Bündnis "Wir haben es satt" einen mehrtägigen (19. - 22. Juni 2025) Aufenthalt von Aktivistinnen und Aktivisten auf landwirtschaftlichen Betrieben. Auf dem Hof von Familie Borchert waren die Aktivistinnen Lisa und Imke (Nachname wird auf Nachfrage nicht angegeben) aus Berlin zu Besuch.
Es brauche eine offene Debattenkultur, ebenso wie ein realistisches Verständnis für die Praxis, so Borchert. Demos, Dialoge und Negativschlagzeilen, gleichermaßen aus der Landwirtschaft wie aus dem Aktivismus, brachten die Fronten in den letzten Jahren näher oder trieben die Kluft weiter auseinander. Welche Themen kamen auf den Tisch?
Aktivismus hat viele Spektren
Nicht jeder Landwirt freut sich auf den Besuch von einem selbsternannten Aktivisten auf dem eigenen Betrieb. Die Ausschreitungen auf dem Betrieb von bayerischen Bauernpräsidenten Günther Felßner im letzten Jahr dürften das Bild von Aktivisten auf Landwirte weiter negativ beeinträchtigt haben. Doch der „Aktivismus" hat viele Facetten.
Was heißt Aktivismus für die Teilnehmerinnen? "Ich glaube, ich würde den Aktivismus sehr weit fassen. Auf Personen, die sich für etwas einsetzen und in dem Sinne würde ich mich schon als Aktivistin bezeichnen", erklärte Teilnehmerin Lisa, Angestellte im Bildungswesen.
Ich glaube, ich würde den Aktivismus sehr weit fassen. Auf Personen, die sich für etwas einsetzen und in dem Sinne würde ich mich schon als Aktivistin bezeichnen
"Ich glaube, es gibt inzwischen auch krasse Bilder, was ein Aktivist eigentlich ist. Das ist dann jemand, der sich irgendwo ankettet oder hinklebt. Ich glaube, das kann man sehr viel weiter fassen", erklärte Lisa weiter: "Für mich bedeutet Aktivismus, dass ich mich mit Themen auseinandersetze, mich dafür einsetze und öffentlich über die Themen diskutiere."
Für mich bedeutet Aktivismus, dass ich mich mit Themen auseinandersetze, mich dafür einsetze und öffentlich über die Themen diskutiere.
Abgrenzung von Extremen
Wie stehen die beiden Aktivistinnen zu extremen Aktionen, gerade wenn diese einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einschließen? "Ich denke es generiert auf jeden Fall Aufsehen in der Öffentlichkeit, aber es verhärtet auch die Fronten", fasste Imke, Angestellte im Organisationsbüro des Bündnisses "Wir haben es satt", zusammen. "Es sollte auf jeden Fall nicht um Einzelpersonen gehen. Es geht ja um eine größere Sache", ergänzte Lisa.
Landwirt Borchert stuft eine extreme Form von Aktivismus als „schwierig" ein. Er kenne kaum Betriebe, die nicht bereit wären, in den Diskurs zu gehen. Viele betreiben bereits Öffentlichkeitsarbeit, laden Besucher ein, in die Stallungen zu schauen oder installieren Glasfronten. "Es sind so viele Betriebe bereit sich zu zeigen. Ich finde das schöner, wenn die Themen gemeinsam angesprochen werden und keiner heimlich einsteigen müsste", so Borchert.
Ich finde das schöner, wenn die Themen gemeinsam angesprochen werden und keiner heimlich einsteigen müsste.
Mit Selbstbewusstsein in Debatten gehen
Mitreden und Zusammenhänge offenlegen. Das seien für Manuel Borchert wichtige Punkte, um die Themen der Landwirtschaft vermitteln zu können. Im Rahmen eines Studienkurses nahm der gelernte Landwirt 2024 an einer "Wir haben es satt"-Demo teil. Sein Steckenpferd sind Kartoffeln und Zuckerrüben, über deren Anbau er auch mit Demonstranten in den Diskurs ging.
Für Borchert sei es wichtig, dass alle Seiten zu Wort kommen und klar dargestellt werden. Seine Gedanken richtete er an Lisa und Imke: "Also wir wollen ja auch mit und von der Natur leben und ihr fordert mehr Naturschutz und weniger Einsatz von Spritzmitteln. Das sehen wir ja auch alles so. Wir sind zwar ein konventioneller Betrieb, aber wir gucken ganz genau, dass wir nicht übermäßig machen, was nicht nötig ist. Jede Maßnahme und alles, was unnötig gefahren wird, kostet ja auch Geld. Davon habe ich nachher keinen Mehrwert."
Nicht jeder möchte öffentlich für den Berufsstand einstehen
Auch an den Bauernprotesten nahm Borchert teil. Ein Erlebnis verwunderte den Landwirt aus Brome während der Proteste: Als ein Kamerateam des NDR auf einen Demoteilnehmer neben Borchert zuging und nach einem Statement fragte, drehte sich dieser weg und verwies auf die anderen Teilnehmer. Für Borchert war diese Reaktion unverständlich. "Du stehst doch jetzt hier und demonstrierst, sag doch deine Meinung. Wie stehst du dazu?"
Du stehst doch jetzt hier und demonstrierst, sag doch deine Meinung. Wie stehst du dazu?
Es müsste auch unter den Berufskollegen mehr Offenheit und Mut geben, so Borchert. "Vielleicht sind das dann Angestellte von Betrieben, die sich nicht so richtig trauen, für ihren Beruf eine Position einzunehmen", erklärte Borchert weiter.
Aber es gebe nicht nur schüchterne Kollegen, die einem produktiven Diskurs aus dem Weg gehen. Auch unüberlegte Statements vor der Kamera seien nicht förderlich, so Borchert. "Es gibt natürlich ruhige Charaktere, aber auch solche, die dann unvorteilhafte Sachen in die Kamera rufen, wo ich mir dann denke - ach, denk doch bitte erst nach."
Öffentliche Wahrnehmung und Landwirtschaft
Aus Borcherts Sicht hat sich das öffentliche Bild Landwirtschaft in der Gesellschaft in den letzten Jahren positiv entwickelt. Das Bild sei besser geworden, dazu haben auch soziale Medien und Agrar-Influencer beigetragen. "Es ist wichtig, dass die Wertschöpfung wieder steigt. Nicht so wie in der Schule früher, wo man noch vom "dummen Bauer" oder sowas gesprochen hat", so Borchert.
Ernährung steht im Fokus
Lisa und Imke bekräftigten, dass sie nicht für "die Gesellschaft" sprechen können. Aus eigener Wahrnehmung sei das Thema Landwirtschaft im Alltag wenig präsent. "Ich habe das Gefühl, dass das Thema Landwirtschaft nicht so präsent ist wie das Thema Ernährung."
Imke erklärte: "Also in Berlin hat man natürlich schon die Bauernproteste mitbekommen, weil sie vor den eigenen Fenstern stattgefunden hat. Aber zum Beispiel in meinem Freundeskreis ist es auch spannend, kleine Alternativen zu finden, wie die Beteiligung an einem kleinen Solawi-Hof."
"Wenn ich an meine Eltern denke, dann ist natürlich das Thema Lebensmittelpreise wichtig. Vor allem jetzt, wo alles teuer ist. Aber ich glaube, in Deutschland ist das Thema Landwirtschaft und Wertschätzung allgemein nicht so hoch", erklärte Imke weiter.
Was haben die Aktionstage gebracht?
Der Aufenthalt von Lisa und Imke ging von Donnerstag (19.06.) bis Sonntag (22.06). In dieser Zeit zeigte Manuel Borchert seinen Betrieb, ging mit den Aktivistinnen aufs Feld und sprach über aktuelle Themen in der Landwirtschaft. Was hat sich bei den Aktivistinnen seit Donnerstag verändert?
Druck von vielen Seiten
"Mir war vorher nicht bewusst, dass Landwirte von verschiedenen Seiten total unter Druck stehen. Ich habe das Gefühl, ihr seid sehr zwischen allem und habt wenig Selbstbestimmung in eurem Betrieb. Das ist keine leichte Situation", bekräftigte Lisa.
"Also dass es festgeschriebene Preise für Lebensmittel gibt, oder dass ihr viel mit der aktuellen Bürokratie zu kämpfen habt, davon hört man ab und zu was", beschrieb Lisa weiter.
Arbeitsalltag und Betriebsstrukturen
Imke fasste zusammen: "Es war schön, den Alltag mitzubekommen. Gestern (Freitag) haben wir sehr viel zum Thema Bewässerung besprochen. Vor allem, wie viel Zeit das beansprucht und wie das in der Praxis aussieht. Wir haben auch über Wasserrechte geredet. Das waren Themen, die man schon mal gehört, aber dann doch nicht so richtig verstanden hat."
Gab es auch Punkte, die Verwunderung ausgelöst haben? "Ja, z.B. die Größe der Felder." Imke erklärt weiter: "Für mich war das immer so, wenn ich mit dem Auto in so großen Feldern vorbeigegangen war, dass ich mir gedacht habe: `Das ist jetzt die Agrarindustrie, das sind die großen Felder´, und hatte eher so ein negatives Gefühl."
"Die Agrarindustrie" stand für Imke in diesem Beispiel für einen "Gegenspieler kleinbäuerlicher Betriebe", erklärt sie. "Darüber denke ich jetzt anders. So einfach ist es doch nicht. Es gibt viele Überschneidungen von Gruppen, die ich bisher nicht so im Kopf hatte."
Es gibt keine "dummen Fragen"
Landwirt Borchert habe sich gerne den Fragen gestellt. Für ihn sei es wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, dass das Gegenüber „doof" sei. Man müsse auf Augenhöhe sprechen, so Borchert. Fragen, die ihn verwundert haben, gab es keine. Nicht jeder kennt einen Landwirt, mit dem man über alle möglichen Themen ins Gespräch kommen kann.