Ich bewirtschafte seit 2004 einen Ackerbau-Betrieb mit 1 500 ha in der Zentral-Ukraine. Wir bauen Weizen, Mais und Sonnenblumen an. Meine Frau stammt aus dem Dorf, wir haben zwei Kinder. Anfangs hatten sich alle Dörfer abgeriegelt, es gab Ausgangssperren und Fahrverbote. Das ist mittlerweile aufgehoben. Zwar liegt unser Dorf nicht in einem umkämpften Gebiet, doch die Kriegsfolgen spüren wir täglich. Um es ganz deutlich zu machen: Wir sind hier im Krieg! Aus unserer Gemeinde sind bereits vier Männer gefallen. Die Beisetzung ist ein Pflichttermin für die Schüler. Unsere Tochter ist in der siebten Klasse, und sie trägt die Fahne bei den Beerdigungen.
Mitarbeiter im Militärdienst
Wir beschäftigen zwei Traktoristen und einen leitenden Mitarbeiter, der seit 16 Jahren bei uns ist. Dieser Mitarbeiter, meine rechte Hand, ist kürzlich zum Militärdienst eingezogen worden, einer der Traktoristen folgt in Kürze. Ich versuche, weibliche Mitarbeiter zu finden. Seit Kriegsbeginn braucht hier keiner mehr einen Führerschein. Meine 14-jährige Tochter unterstützt uns und bringt z. B. mit dem Geländewagen Ersatzteile zum Feld. Den Pick-up meiner Frau mussten wir ans Militär abgeben. Er ist jetzt zerschossen zurück von der Front. Gott sei Dank haben die Männer im Fahrzeug überlebt. Wir werden den Wagen reparieren und wieder zur Verfügung stellen. Insgesamt ist die Moral im Land riesig.
Der Präsident schafft es, alle zusammenzuschweißen. Dagegen ist die Moral beim Gegner extrem schlecht. Die werden hier in den Kampf geschickt und wissen nicht warum. Wir werden die russischen Invasoren aus dem Land werfen, da bin ich sicher. Was mich fassungslos macht, ist das Zaudern der deutschen Regierung bei der Lieferung von Waffen. Trotzdem halte ich nichts davon, die Situation zu dramatisieren.
Alle vier Stunden wird der Strom für die nächsten vier abgeschaltet, man nennt das hier einen „Brown out“ also kein Black out. Wir haben dann einen Generator im Betrieb. Internet und Telefon fallen auch regelmäßig aus, aber meist nur für eine recht kurze Zeit. Diesel erhalte ich für rund 1,30 €/l über einen Händler aus der Türkei oder aus Rumänien. Man muss mit einem Monat Lieferzeiten rechnen, aber eigentlich läuft das gut. Dünger ist verfügbar, aber oft teuer, vor allem Phosphor und Kali. Hier werden wir die Ausbringmengen senken. Die Grundstoffe für Pflanzenschutzmittel kommen aus China, ukrainische Unternehmen mischen daraus die fertigen Produkte. Bei uns gibt es keine Engpässe und die Preise liegen deutlich unter denen in Deutschland. Dafür sind Maschinen und Ersatzteile gerade unverschämt teuer.
In einigen Regionen war die Ernte sehr spät. Ich bin kurz vor Weihnachten Richtung Polen gefahren. Bei Lemberg standen noch riesige Flächen Mais und auch Zuckerrüben. In der ganzen Ukraine lagern noch große Mengen, das drückt den Preis.
Allein wir haben aus der Ernte 2021 noch 300 t Weizen und knapp 400 t Mais. Dazu kommt die 2022er-Ernte. Es ist schwierig, die Güter zu verkaufen, obwohl die Straßen an vielen Stellen wieder intakt sind. Bei uns gibt es ein Mischfutterwerk, die nehmen einiges ab. Bei Luftalarm stehen die Elevatoren aber oft still.
Hohe Verladegebühren
Gerade verlade ich Sonnenblumensaat, ca. 50 t am Tag. Wir haben zwei westliche Lkw mit Mulden und können bis Odessa bzw. bis zu einem kleinen Donauhafen in der Nähe davon liefern. Dort nehmen sie bei einem Weizenpreis hier von 200 $/t dann 30 $/t allein für die Verladung – und kippen direkt über improvisierte Rutschen in die Schiffe. Wir haben vier gute Jahre gehabt und Reserven aufgebaut. Auch wenn der Krieg nicht in unserem Businessplan steht, kommen wir mit Durststrecken klar. Für meine Familie und mich ist es keine Option, hier wegzugehen.“
Aufgezeichnet von Guido Höner
* Der Landwirt (44) ist der Redaktion persönlich bekannt. Er möchte aber nicht mit seinem Namen hier genannt werden.