Seit Parkinson offiziell als Berufskrankheit für Landwirte zählt, waren bis Anfang März bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) über 8.000 Anträge von Betroffenen eingegangen. Die verkündete schon 2024, dass die Beiträge dann deutlich steigen müssen, wenn die Erkrankten aus dem Topf aller Versicherten eine Entschädigung bekommen müssten.
Wie sich dann aber schnell zeigte, haben am Ende nur sehr wenige Bauern die Chance, ihre Parkinsonerkrankung anerkannt zu bekommen. Tausende Anträge wurden nach Informationen des Bayerischen Rundfunks wegen Unvollständigkeit oder unbeantworteter Nachfragen abgelehnt. Bei vielen habe sich auch die geforderte Diagnose "primäres Parkinsonsyndrom" nicht bestätigt. So waren im März nur noch 3.000 Fälle in der "laufenden Bearbeitung und Prüfung". Genehmigt ist bislang kein einziger, ist zu hören.
Lange ist es her
So ist es nicht verwunderlich, dass so langsam kritische Stimmen lauter werden, die hier eine bewusste Hürde der SVLFG unter Druck interessierter Kreise sehen, die drohenden Kosten möglichst gering zu halten.
Entscheidende Hürde ist der besagte Nachweis, dass ein Landwirt mindestens 100 Tage Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln hatte. Die heute Betroffenen sind meist im Rentenalter, ihr PSM-Einsatz betrifft die 70er und 80er Jahre. Hier verlangt die Versicherung nun detaillierte Aufzeichnungen, Rechnungen und Nachweise.
Ehefrau überfordert
Die Tageszeitung taz hat einen betroffenen Landwirt in einem Pflegeheim in Dannenberg besucht. Der 70-Jährige sitzt im Rollstuhl. Jede Bewegung fällt ihm sehr schwer, auch der geistige Zustand ist deutlich eingeschränkt.
Wie viele seiner Kollegen hat er früher die empfohlenen Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Seine Ehefrau versucht nun, die Berufskrankheit anerkennen zu lassen. Das Problem: Ihr Mann kann nicht mehr sagen, ob er an 100 Tagen Insektizide, Herbizide oder Fungizide angewendet hat.
Von der SVLFG hat die Frau eine Tabelle geschickt bekommen, die sie ausfüllen sollen. Die Berufsgenossenschaft will wissen, in welchen Jahren an wie vielen Tagen Klaus Behrens welche Pflanzen mit welcher Pestizidart behandelt hat und wie die Mittel hießen. „Ich kann diese Tabelle einfach nicht ausfüllen“, sagt sie der Zeitung. „Selbst wenn mein Mann noch klar denken könnte, der wüsste doch auch nicht mehr, was er 1985 auf welche Kartoffel gespritzt hat.“ Sie sei nicht dabei gewesen. Und sie hätten auch nicht dokumentiert, was sie spritzten: „Wir hatten Milchvieh und so viel Arbeit. Da hat sich keiner abends hingesetzt, das aufzuschreiben“, sagt sie.
Und die Dokumentationspflicht in der EU gibt es erst seit 2008. Die Unterlagen muss man auch nur drei Jahre aufheben, informiert die Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
SVLFG will es ganz genau wissen
Die Frau des betroffenen Landwirts hat sich deshalb von ihrem Agrarhändler eine zwölf DIN-A4-Seiten lange Liste geben lassen über die Mittel, die ihr Mann in mehr als zehn Jahren gekauft hat. Mehr als 160 Posten stehen auf der Liste. „Die haben wir doch nicht gekauft und in den Stubenschrank gestellt“, sagt sie.
Aber der Berufsgenossenschaft reicht das nicht, so die taz weiter. Sie forderte Behrens in einem Brief auf, die Tabelle über die Spritzeinsätze auszufüllen. „Wie soll ich das machen? Mein Mann ist dement. Ich habe das nicht mitgekriegt“, sagt sie. „Ich kann mir jetzt nicht irgendwelche Zahlen aus den Fingern saugen.“
Jeder anerkannte Fall würde 27.600 €/Jahr kosten
Laut der taz liegt die Vermutung nahe, das die Berufsgenossenschaft kein Interesse an Entschädigungen hat. Sie rechne damit, dass jeder anerkannte Fall sie im Schnitt 27.600 € pro Jahr kosten wird. Um das zu schultern, musste die Versicherung 2024 nach eigenen Angaben insgesamt 100 Mio. € mehr an Beiträgen von ihren Mitgliedern einnehmen, vor allem von den landwirtschaftlichen Betrieben. Das trug dazu bei, dass der durchschnittliche Betrieb 114 € oder 17 % mehr an Jahresbeitrag zahlen musste als 2023 – das Gros der Kostensteigerung war wegen Parkinson.
DBV gegen Anerkennung
Die Tageszeitung wirft hier auch dem Deutschen Bauernverband vor, Parkinson als anerkannte Berufskrankheit verhindern zu wollen. So hatte dieser bereits vor der Bundestagswahl vor den „Folgekosten politischer und nicht fachlich begründbarer Entscheidungen“ gewarnt. Für den Fall, dass es bei der Anerkennung bleibt, müsste der Staat für die Mehrkosten aufkaufen.
Der Bauernverband würde laut taz auch argumentieren, dass es in der Landwirtschaft prozentual nicht mehr Parkinsonerkrankungen gebe als in der übrigen Gesellschaft. Auch die Landwirtschaftliche Krankenkasse hätte behauptet, ihre Versicherten hätten nicht mehr Parkinson als die anderer Krankenkassen, heißt es.
Einen Etappensieg hätten die Kritiker nun schon erreicht: Eigentlich wollte das Arbeitsministerium im vergangenen Dezember „Parkinson durch Pestizide“ in die Verordnung über Berufskrankheiten aufnehmen lassen. Aber wegen der „Nachfragen“ zu der Empfehlung des Ärzteausschusses hat das Ministerium die Sache auf unbestimmte Zeit verschoben.
Leserstimmen
"Als wenn man es nicht geahnt hätte. Es wird jetzt ganz pingelig genau bis auf die letzte Minute alles erfragt, nur um auch ja nichts bezahlen zu müssen. Warum hat man denn dann Parkinson als Berufskrankheit akzeptiert? Nur um im Nachgang wieder Frust in der Bevölkerung zu verteilen? Welch eine Heuchelei gegenüber den Beitragspflichtigen. Hier kann man sich wirklich nur noch fremdschämen!" (Stefan Lehr)
"Aber der Beitrag zur BG wurde erst mal vorsichtshalber deutlich erhöht und niemand wird glauben das er wieder zurück genommen wird !?" (Günter Fensel)
"Das ist nichts als das "Tagesgeschäft" der landw. Berufsgenossenschaft, berechtigte Ansprüche der Versicherten anhand dubioser Nachweisforderungen abzuwehren! Das erlebe ich in einem derzeitigen Widerspruchsverfahren zur Feststellung des Grades meiner Erwerbminderung BK 4301. Die SLVG-BG mißachtet dabei gerne rechtliche Vorgaben und nimmt Einfluß auf gutachterliche Bewertungen. Die BG ist ihrer Verantwortung, den gesundheuitlichen Schutz der ldw. Beschäftigten sicher zu stellen, in der Vergangenheitnicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Somit hat die BG die Beweispflicht zu erbringen. Es kann ja nicht sein, dass der Versicherte eine Nachweisdokumentation für virtuelle Berufserkrankungen schon im Voraus anlegen soll Wie hätte die BG solche Dokumentationen, wenn sie von den Versicherten eingereicht worden wären, denn versicherungsgemäß bearbeitet? Dieselbe Problematik trfft auf die berufsbedingten Atemerkrankungen zu!" (Hans-Heinrich Wemken)
"Die Buchführungsunterlagen sind in der Regtel auch schon längst vernichtet, es grenzt an ein Wunder und ruft nach Datenschutzrechtlichen Fragen, dass der Landhändler noch Unterlagen hatte. Zahlen sollten eigentlich die Inverkehrbringer der Mittel, bzw. der "Staat", den der hat die Mittel "geprüft und zugelassen". Die Landwirte taten ja nichts illegales. Meist wurde der Anwenderschutz halt auch vernachlässigt, aber wer soll das beweisen. Im Endeffeckt sollte schon die Algemeinheit zahlen, hat doch die ganze Gessellschaft von den dadurch günstig erzeuten Lebensmitteln profitiert. Bio ist und war dann doch den allermeisten Konsumenten zu teuer....." (Werner Danzeisen)
"Die SVLFG wird durch ihre Mitglieder selbstverwaltet. Selbstverwaltung in der Sozialversicherung heißt, dass die Versicherten selbst Einfluss auf ihre Angelegenheiten nehmen: Sie treffen wichtige Entscheidungen im Rahmen der Gesetze selbst ─ nicht der Staat. Ihre gewählten Vertreter arbeiten ehrenamtlich und sind allein den Versicherten verpflichtet. Dadurch sind die Sozialversicherungsträger sehr nah an den Menschen, für die sie Leistungen erbringen. Dies führt zu hoher Akzeptanz der beschlossenen Maßnahmen bei den Versicherten. Selbstverwaltung bedeutet somit Eigenständigkeit gegenüber dem Staat und sichert den Sozialversicherungsträgern größtmögliche Entscheidungsfreiräume unter den gesetzlichen Vorgaben zu. Die Erfahrungen direkt aus dem Berufsstand fließen somit in die Ausrichtung und die Entscheidungen der SVLFG ein." (Günter Schanné)
"Zu der Anerkennung der Parkinsonschen Krankheit als Berufskrankheit von Landwirten kam es nicht, weil man einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen Kontakt mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln und der Erkrankung hat herstellen können, sondern wegen einer statistischen Häufung der Fälle in der (ehemaligen) Berufsgruppe "Landwirte". Weil man allgemein der Meinung ist, die Bauern hantieren im Gegensatz zu anderen Gruppen oft mit PSM, wurden diese kurzerhand als die ausschlaggebende Ursache angenommen. Das gibt die Statistik aber gar nicht her. So hätte eine Gruppe von Landwirten, die gar keine bzw kaum PSM einsetzen (etwa Grünlandbetriebe oder Bio), weniger betroffen sein müssen, als die Vergleichsgruppe der spritzenden Ackerbauern. Datenmaterial dazu gibt es aber gar nicht in der nötigen Differenzierung und Menge. Ebenso hätten also andere plausible Faktoren als Ursache bzw Ursachenmix in Frage kommen können. Landwirte atmen z.B. häufig stark Ammoniakhaltige Stallluft ein, haben Öl und Schmierfett an den Händen, arbeiten neben laufenden Motoren (Abgase) oder atmen Stäube oder Lösungsmittel aus Farben und Lacken ein uvm. Aber wenn es um die Erstattung geht, soll auf einmal der Betroffene konkret belegen, dass er ganze 100 Tage im Jahr mit PSM gearbeitet hat. Eine willkürlich getroffene Schwelle ohne jede wissenschaftliche Basis. Die allerwenigsten "normalen" (ehemaligen) Landwirte (auch von den mit Parkinson erkrankten) werden tatsächlich annähernd auf die Zahl an Tagen mit PSM-Kontakt gekommen sein. Gespritzt wurde mal in ein paar Wochen im Frühjahr und einzelne Tage im Herbst und das war´s im Wesentlichen.
Weiter denken! Vermutlich soll provoziert werden, dass Erkrankte angeben, sie hätten besonders oft gespritzt (nicht unbedingt wahrheitsgemäß, sondern um die Leistungen zu erhalten). Dann nimmt man diese Daten zur Hand und "belegt" damit plakativ, dass besonders oft besonders schwer betroffen ist, wer besonders oft PSM spritzte. Und schon haben gewisse Interessensgruppen wieder Material, um politisch gegen konventionelle Landwirtschaft und Pflanzenschutzvorzugehen." (Andreas Gerner)
"Teilnahme am Überaltlastausgleich + Gesundheitsumlage. Es gibt verschiedene Ursachen für Parkinsonerkrankungen. Berufsbedingt können sie nur zeitnah nach mindestens 100 Anwendungstagen von Pestiziden/Lösungsmitteln auftreten. Deshalb ist der berufsbedingte Nachweis aufwendig.
Die meisten Parkinson-Erkrankten sind bereits im Rentenalter. Die LBG hat ab März 2024 erhöhte Altlasten zugunsten der LKK. Sie belasten hauptsächlich die verbliebenen aktiven Haupterwerbsbauern (< 120.000) mit einem Vielfachen von € 114 p.a.! Der Strukturwandel sollte von der Solidargemeinschaft aller gesetzlich Versicherten finanziert werden. Deshalb sollte die LBG ab 2024 am Überaltlastausgleich der 9 gewerblichen Berufsgenossenschaften mit mehr als 40 Mio. Versicherten teilnehmen.
In der Tierhaltung und in Öko-Betrieben werden keine Pestizide eingesetzt. Nach dem Verursacherprinzip sollten die wenigen Hersteller und Importeure von Pestiziden eine Gesundheitsumlage von € 3 bis € 5 je verkaufte Anwendungsdosis/ha an soziale Ausgleichs-/Gesundheitsfonds zahlen.
Zusätzlich sollten alle SVLFG-Beiträge gemäß BVerfG Urteil vom 10. April 2018 solidarisch und realitätsgerecht von den tatsächlichen Einkünften gemäß Einkommensteuerbescheid abhängen und nicht von realitätsfernen Bewertungsmaßstäben. Jürgen Greiner Es gibt unterschiedliche Formen von Parkinson-Erkrankungen. Die meisten berufsbedingten Erkrankungen treten nach langjährigem Kontakt mit Pestiziden auf. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft sollte gemäß Solidaritätsprinzip am Überaltlastausgleich der 9 gewerblichen Berufsgenossenschaften mit mehr als 40 Mio. Versicherten teilnehmen." (Jürgen Greiner)