Die landwirtschaftlichen Betriebe in Schleswig-Holstein sehen sich im Frühjahr 2025 mit einer weiteren Verschärfung der Gänseschäden konfrontiert. Nach Angaben des Bauernverbandes Schleswig-Holstein hat sich sowohl die Bestandszahl der Gänse als auch das Ausmaß der Fraßschäden gegenüber den Vorjahren deutlich verschärft. Insbesondere geht es um erhebliche Ertragsausfälle auf Grünland- und Ackerflächen.
„Die Belastung ist nicht mehr auf die Küstenregionen beschränkt. Zunehmend kommt es an der Westküste nicht nur zu einer weiteren Ausbreitung ins Binnenland – vor allem in den küstennahen Marschen und entlang der Eider bzw. des Nord-Ostsee-Kanals – sondern in größerem Maße auch auf den Halligen und an der Ostseeküste“, berichtet Dr. Susanne Werner, Referentin für Umwelt, Naturschutz und Ökolandbau beim Bauernverband Schleswig-Holstein.
Gänsebestände auf hohem Niveau
Insgesamt bevölkern im Frühjahr 2025 rund 400.000 Gänse das nördlichste Bundesland:
Der Bestand der streng geschützten Nonnengänse steigt laut Jahresbericht 2024 zur biologischen Vielfalt von 300.000 im Jahr 2022 auf 312.000 im Frühjahr 2023.
Bei der Graugans lag der Bestand im September 2023 bei etwa 80.000 Tieren und somit etwa 10 % höher als 2021 und 2022. Auch der Mauserbestand (Mai-Juni) lag im Frühjahr mit rund 70.000 Gänsen deutlich über dem Niveau früherer Jahre.
„Für das laufende Jahr rechnen wir mit einer weiteren Zunahme“, sagt Dr. Werner.
Jagdrechtliche Anpassungen und Vergrämungsmöglichkeiten
Seit 1. August 2024 gilt in Schleswig-Holstein eine Verlängerung der Jagdzeiten. Graugänse, Kanadagänse und Nilgänse dürfen nun von Mitte Juli bis Ende Januar bejagt werden (zuvor von Anfang August bis Mitte Januar). Die streng geschützte Nonnengans darf jetzt von Oktober bis Ende Februar bejagt werden (zuvor nur bis Mitte Januar). Darüber hinaus ist eine landesweite Vergrämung dieser Art nun ebenfalls möglich, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Die jagdliche Vergrämung darf allerdings nur außerhalb europäischer Vogelschutzgebiete erfolgen und ist auf Flächen beschränkt, auf denen keine vertragliche Duldung von Gänsen vereinbart wurde. Für Flächen außerhalb der sogenannten Gänserastplatzkulisse muss die Notwendigkeit einer Schadensabwehr von einem anerkannten Sachverständigen bestätigt werden. Innerhalb der Kulisse ist eine Dokumentation der Schäden – etwa durch Fotos – erforderlich.
Das Umweltministerium hat erhebliche Zweifel, ob die Bejagung von Zugvögeln bei den derzeitigen Populationsgrößen ein geeignetes Instrument zur Vermeidung von Fraßschäden ist. Unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen einer Gänsejagd sei nicht die Reduzierung des Gesamtbestandes durch den Abschuss einzelner Tiere, sondern die Steuerung des Aufenthalts der verbleibenden Gänse entscheidend für die Schadensminderung, so das Umweltministerium.
Kompensation: Neue Richtlinie seit 2. Mai in Kraft
Seit 2023 existiert eine Richtlinie des Umweltministeriums (MEKUN) zur finanziellen Kompensation von Gänseschäden in Schleswig-Holstein. Sie betrifft allerdings ausschließlich bestimmte Sommerungen (z. B. Sommerweizen, Sommergerste). Im Jahr 2023 haben Landwirte allerdings keine Anträge gestellt, unter anderem aufgrund der komplexen Antragstellung, sagt der Bauernverband. 2024 wurden dem Bauernverband zufolge fünf Anträge eingereicht. Ein Antrag erfordert die Meldung der Gänse über die Software „Gänsemelder“, eine fotografische Dokumentation der Schäden und das vollständige Ausfüllen der Antragsunterlagen.
Nicht abgedeckt sind bislang Schäden an Winterkulturen, an Grünland sowie an Acker- und Kleegras sowie an Sommerkulturen vor dem 1. April.
Eine neue Richtlinie des Landwirtschaftsministeriums (MLLEV), die seit dem 2. Mai 2025 in Kraft ist, sieht eine Ausweitung der Ausgleichszahlungen auf diese Kulturen vor. Landwirte, deren Flächen von Fraßschäden durch ziehende Wildgänse betroffen sind, können seit dem 2. Mai in Schleswig-Holstein eine Entschädigung beantragen. "Mit dem neuen Förderrahmen wollen wir bereits bestehende Konzepte des Vertragsnaturschutzes sowie Ausgleichszahlungen durch die Landesregierung ergänzen und somit eine breitere Unterstützung der Landwirtschaft bei Gänsefraßschäden ermöglichen“, sagte Landwirtschaftsminister Werner Schwarz.
Die Landwirte können jeweils bis zum 15. Juni des Folgejahres eine Entschädigung beantragen, wenn auf ihren landwirtschaftlichen Flächen Gänsefraßschäden durch ziehende Wildgänse zwischen dem 1. Oktober und dem 31. Mai nachgewiesen worden sind. Voraussetzung ist, dass der Schaden durch einen Sachverständigen oder eine Versicherung festgestellt wurde.
Das Landwirtschaftsministerium setzt bei der Schadensabwicklung auf ein pauschaliertes Verfahren, bei dem die Fraßschäden in drei Schadensklassen (SK) eingestuft werden. Die Berechnung des Schadenwertes erfolgt dabei auf Basis der von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellten Deckungsbeiträge. Die Entschädigungsgrenze je Betrieb beträgt mindestens 500 € und maximal 25.000 €.
Was bedeutet das Gänse-Urteil aus Niedersachsen?
Für Landwirte in Schleswig-Holstein ergeben sich durch das Gänse-Urteil aus Niedersachsen grundsätzlich keine Änderungen. „Aus rechtlicher Sicht sehen wir unmittelbar keine maßgeblichen Änderungen, die sich für Schleswig-Holstein durch das Gänse-Urteil aus Niedersachsen ergeben“, sagt Dr. Lennart Schmitt, Jurist beim Bauernverband Schleswig-Holstein.
Zum einen seien die Umstände in Schleswig-Holstein anders, da eine Vergrämung zur Abwehr der Schäden innerhalb der Jagdzeiten in Schleswig-Holstein grundsätzlich möglich sei. Die Möglichkeit einer jagdlichen Vergrämung ist in Niedersachsen aufgrund der Schutzgebiete weitgehend nicht gegeben.
Zum anderen erhalten Landwirte in Schleswig-Holstein üblicherweise entsprechende Ausnahmen bewilligt, wenn auch ggf. nur in geringem Umfang. „Ein Entschädigungsanspruch besteht insbesondere nur dann, wenn der unzumutbaren Belastung nicht auf anderem Wege, insbesondere durch die Erteilung von Ausnahmen oder Befreiungen, abgeholfen werden kann“, erklärt der Jurist. So könne sich das Land zunächst einmal gut damit gegen Entschädigungsforderungen verteidigen, indem es vorschiebt, der Landwirt habe keine oder nicht genug Vergrämungs-/Abschussgenehmigungen beantragt.