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Der Krieg und die Folgen

Lesezeit: 11 Minuten

Der Krieg in der Ukraine hinterlässt unfassbares Leid bei den Menschen und treibt die Preise für Getreide, Gas und Dünger in ungeahnte Höhen. Die langfristigen Folgen sind kaum absehbar.

Unfassbares Leid und Märkte unter Schock: Der Krieg in der Ukraine verändert nicht nur das Leben der 44 Millionen Ukrainer, sondern stellt auch die bislang sicher geglaubte Marktordnung auf den Kopf.

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  • die inter- und nationalen Agrarmärkte,
  • die betroffenen Landwirte vor Ort,
  • die hiesige und europäische Agrarpolitik und darüber,
  • welche Spuren der Krieg in der Energiewirtschaft und Landtechnikindustrie hinterlässt.

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diethard.rolink@topagrar.com

Markt

Erst Preisrekorde und dann leere Teller?

Die Ukraine wird 2022 kein Getreide und keine Ölsaaten exportieren. Wenn der Krieg länger dauert, 2023 auch nicht!“ Diese düstere Prognose stellten ukrainische Agrarexperten kurz nach dem Start des russischen Angriffskrieges auf ihr Land. Die Häfen am Schwarzen und Asowschen Meer waren da schon geschlossen, gesperrt oder beschädigt. Welche Folgen der russischen Invasion zeichnen sich für die internationalen Agrarmärkte und für Landwirte in der EU ab?

  • Getreideexport: Aus Russland und der Ukraine stammen zusammen etwa ein Viertel der weltweiten Getreideexporte. Beide Länder fallen jetzt auf unbestimmte Zeit aus (Sanktionen verhindern auch russische Getreideexporte). Aus der Ukraine hätten in der laufenden Saison noch 12–15 Mio. t Mais exportiert werden können. Damit entstehen in der EU akute Engpässe beim Futtermais, aber auch bei Non-GMO Sojabohnen, die kurzfristig nicht zu ersetzen sind. Folge: Die Börsenkurse für Weizen, Mais, Ölsaaten und Co. gehen seit dem Beginn des Krieges regelrecht durch die Decke. (Details zum aktuellen Getreidemarkt siehe in diesem Heft ab Seite 150). Tierhalter, die Futtergetreide nachkaufen müssen, sehen sich mit Rekordforderungen von zuletzt z.B. 400 €/t für Gerste konfrontiert. Futterkontrakte waren zuletzt nicht zu bekommen, da sich die Preise täglich änderten – meistens nach oben.
  • Dünger: Russland und Ukraine sind wichtige Lieferanten für Dünger. Das gilt nicht nur für Stickstoff in Form von Harnstoff, sondern auch für Kali und Phosphordünger. Schon vor der Invasion waren die Düngerpreise auf ein Rekordniveau gestiegen. Mit Beginn des Krieges ist Harnstoff auf über 800 €/t und KAS auf über 600 €/t gesprungen. Inzwischen haben Hersteller die Produktion gestoppt und Händler ziehen sich aus dem Markt zurück. Hierzulande hatten nicht wenige Landwirte den Düngerkauf auf die lange Bank geschoben oder nur die erste Gabe eingekauft, weil ihnen die Notierungen über den Winter zu hoch waren. Das rächt sich jetzt, zumal inzwischen nicht einmal mehr die Verfügbarkeit garantiert wird. Damit zeichnet sich echter Mangel ab und damit sinkende Erträge. ▶
  • Energie: Erdöl, Gas und Kohle haben sich seit dem 24. Februar 2022 nochmals drastisch verteuert, der Gaspreis teils sogar verdoppelt. Auch hier zeichnet sich für viele Landwirte ein Dilemma ab: Über den Winter haben viele mit dem Einkauf gezögert, nun stehen sie vor der Ackerbausaison und leeren Tanks.

Brisante Mischung

Mit dieser dramatischen Kombination von Mangel und steigenden Preisen deuten sich herbe Einbußen auch für die heimische Landwirtschaft an: Wo nicht oder weniger gedüngt werden kann und Überfahrten eingespart werden müssen, schrumpft die Produktion. Das gilt im Übrigen auch für Veredlungsbetriebe.

Rekordpreise und Lieferengpässe sind das eine. Ein weiteres Drama droht aber in Schwellen- und Entwicklungsländern, die teils direkt von den Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine abhängig sind: Weizen und Mais von dort war in der Vergangenheit meist relativ günstig. Woher jetzt Ersatz kommen soll, ist noch offen. Sicher ist dagegen, dass noch höhere Preise für Grundnahrungsmittel in diesen Regionen für viele Menschen nicht mehr bezahlbar sein werden.

Märkte überhitzt

Bei aller berechtigten Dramatik könnte es aber noch einige wenige dünne Strohhalme der Hoffnung geben: Kurz nach dem Kriegsbeginn herrschte Panik, auch auf den Agrarmärkten und Börsen. Entsprechend „überhitzt“ sind viele Kurse und Preise. Niemand weiß aber, wie lange der Krieg wirklich andauert und ob auch die Ernte 2023 in Gefahr ist. Schon ein Stopp der russischen Angriffe, ein echter Waffenstillstand oder die Rückkehr an den Verhandlungstisch könnten für die nötige Entspannung sorgen.

Christian Brüggemann

UKRAINISCHE LANDWIRTE

Die nächsten Tage und Wochen entscheiden

Der Krieg stellt die ukrainischen Landwirte vor gewaltige Herausforderungen. So berichtet beispielsweise Betriebsleiter Dietrich Treis gegenüber top agrar von einer kaum einzuschätzenden Situation. Er leitet östlich von Kiew einen Ackerbaubetrieb mit 4500 ha. Alle Arbeiten zur Frühjahrsbestellung der Felder habe man unterbrochen, Diesel und LKW an die Armee gegeben. Treis bezweifelt, die notwendigen Betriebsmittel zeitnah zurück zu bekommen. Viele Arbeitskräfte seien zur Verteidigung der Ukraine im Einsatz und fehlen für die Arbeit auf den Feldern. Der Betriebsleiter koordiniert die Arbeiten aktuell von Deutschland aus. Gemeinsam mit seinen Kollegen vor Ort entscheide er über das weitere Vorgehen.

Auch Alex Lissitsa, Geschäftsführer der IMC Agrarholding, bereitet der Krieg große Sorgen. Ein Großteil seiner 120000 ha liegt in den belagerten Gebieten im Nordwesten der Ukraine. Niemand weiß, ob die Arbeit dort nach dem Krieg überhaupt wieder aufgenommen werden kann. Besonders groß sind seine Sorgen um einen 1000er-Milchviehbetrieb. Die Stromversorgung sei seit dem 10. März unterbrochen. „Der Melkstand wird gerade per Ölgenerator betrieben“, so Lissitsa. Zu diesem Zeitpunkt sei nur Öl für weitere 24 Stunden auf dem Hof gewesen. Neue Treibstoff- und Futterlieferungen seien durch die Belagerung nicht mehr möglich. Er vermutet, dass die Tiere maximal noch bis Ende März überleben.

Um einen Totalausfall der Ernten zu verhindern, müssen die Landwirte in der Ukraine schnellstmöglich auf die Felder. Sollte sich die Lage nicht in den nächsten Wochen beruhigen, sei mit enormen Verlusten zu rechnen, sind sich beide Betriebsleiter sicher. „Die Erntemengen werden am Weltmarkt fehlen“, weiß Treis.

Agrarwissenschaftler Lissitsa schließt ein Umdenken in der europäischen Agrarpolitik durch die drastische Lage nicht aus. Er rechnet mit starken globalen Auswirkungen und rasant steigenden Preisen. Um weiterhin zu wirtschaften sei nun für alle wichtig zu wissen, wie sich die Lage entwickelt. Das sei aktuell jedoch noch sehr schwer bis unmöglich einzuschätzen.

Agrarpolitik

EU rüttelt nicht am Green Deal

Angesichts des Krieges in der Ukraine wollte der EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski die Farm-to-Fork-Strategie und den EU-Green Deal auf den Prüfstand setzen. „Wenn die Ernährungssicherheit in Gefahr ist, dann müssen wir uns die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie noch einmal anschauen und korrigieren“, sagte er nach einem Sondertreffen der EU-Agrarminister Anfang März. Eine Woche später ruderte der Generaldirektor der Generaldirektion für Landwirtschaft der EU-Kommission, Dr. Wolfgang Burtscher, jedoch zurück und machte klar, dass die Brüsseler Behörde an ihren Nachhaltigkeits-Plänen festhalten werde.

Timmermans für Green Deal

Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, hält am europäischen Green Deal fest. Es wäre ein „historischer Fehler“ den Green Deal jetzt einzustampfen, sagte er Mitte März im Umweltausschuss des Europaparlamentes. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit stellte der Niederländer klar: „Die Farm-to-Fork-Strategie ist Teil der Antwort, nicht des Problems.“ Timmermans hält es für eine „Illusion“ zu glauben, dass man der Ernährungssicherheit helfe, indem man die Erzeugung von Lebensmitteln nicht nachhaltiger aufstellt.

Ganz ähnlich sieht das der deutsche Agrarminister Cem Özdemir. Er warnte nach dem Treffen der EU-Agrarminister davor, die Ukraine-Krise gegen die Klima- und Artenschutzkrise auszuspielen (siehe auch Interview auf Seite 36). Es müsse beides gelingen, eine nachhaltige und krisenfeste Landwirtschaft sowie gleichzeitig mehr Unabhängigkeit von globalen Entwicklungen, sagte Özdemir. „Wer in dieser Situation fordert, erste Schritte der Europäischen Agrarpolitik hin zur Förderung einer klima- und umweltschonenden Landwirtschaft zurückzudrehen, dem will ich ganz deutlich machen, dass er hier auf dem Holzweg ist“, so Özdemir.

Agrarminister im Krisenmodus

Die EU-Agrarministerinnen und Agrarminister tauschten sich über die Folgen des Krieges in der Ukraine für den europäischen Agrarsektor aus. Um kurzfristig auf den Krieg zu reagieren, hat Wojciechowski bei dem Treffen folgende Vorschläge vorgelegt:

  • Aktivierung der EU-Krisenreserve zur Vorbereitung und Reaktion auf Ernährungssicherheitskrisen.
  • Hilfen für die Produktionsbereiche, die am meisten von den hohen Betriebsmittelkosten betroffen sind.
  • Maßnahmen zur Sicherung und Freisetzung europäischer Produktionskapazitäten in Europa im Jahr 2022, wie zum Beispiel die Nutzung von Brachflächen für Eiweißpflanzen.
  • Wojciechowski hob auch nochmal hervor, dass die EU sich zu Hilfen für den Schweinefleischsektor mittels der privaten Lagerhaltung einsetzt. Die EU falle als wichtiger Lieferant von Mais, Weizen und Ölsaaten kurzfristig aus. Das werde sich auf die Tierhaltung in Europa negativ auswirken, vor allem auf die Schweinehaltung.

Die Agrarminister bekundeten ihre Solidarität mit der Ukraine und riefen dazu auf, die notwendige Nahrungsmittel- und humanitäre Hilfe zu mobilisieren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen beim nächsten regulären Agrarministerrat am 21. März weiter erörtert werden.

Energie

Biogas statt Russen-Gas

Angesichts der Ukraine-Krise will sich Deutschland unabhängiger von einzelnen Energie-Exportländern machen. Nicht ohne Grund: Über 50% der importierten Erdgasmenge kommt aus Russland.

Dazu sollen jetzt möglichst schnell drei Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel gebaut werden, um flüssiges Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG) und später auch grünen Wasserstoff zu importieren.

Eine weitere Option ist Biomethan. Verschiedene Studien belegen, dass die Biomethanerzeugung bis 2050 auf 100 bis 160 Mrd. m3 gesteigert werden könnte, was laut Europäischen Biogasverband (EBA) 30 bis 50% des künftigen EU-Gasbedarfs entspräche.

Das hat auch die EU-Kommission erkannt. Mit dem Plan „RePowerEU“ will die EU mehr Erdgas von nichtrussischen Lieferanten importieren sowie mehr Biomethan und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen produzieren und importieren. Mit der Vergärung von landwirtschaftlichen Reststoffen soll sich die Biomethanmenge bis 2030 auf jährlich 35 Mrd. m3 verdoppeln.

Das könnte auch zu sinkenden Preisen führen: Während Erdgas aktuell ca. 250 € pro Megawattstunde (MWh) kostet, lässt sich Biomethan für etwa 55 €/MWh erzeugen.

Der Fachverband Biogas drängt darauf, dass die Bundesregierung jetzt Vorschriften wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder die Gasnetzzugangsverordnung anpasst und Hürden bei der Genehmigung von neuen Anlagen abbaut.

Landtechnikindustrie

Lieferstopps, Produktionspausen & Spenden

Egal, ob mit einem eigenen Produktionsstandort, einer Vertriebsniederlassung oder über einen Importeur – die meisten deutschen Landtechnikhersteller sind auch in Russland und in der Ukraine aktiv. Nach Angaben des VDMA Landtechnik lag der Landtechnik-Export aus Deutschland in die GUS im Jahr 2021 bei etwa 1,2 Mrd. €, wovon etwa die Hälfte nach Russland ging. Der Export in die Ukraine lag im gleichen Zeitraum bei etwa 300 Mio. €.

Jetzt müssen die Unternehmen ihre Geschäftsaktivitäten neu sortieren. Denn während der russische Markt von der EU und Deutschland mit wirtschaftlichen Sanktionen belegte wurde, ist in der Ukraine noch völlig unklar, in welcher Verfassung das Land und die Landwirtschaft nach dem Ende des Krieges sein werden. So mischt sich die Sorge um die Kollegen vor Ort mit der Gewissheit, dass die Geschäfte im Osten Europas in einem noch nicht absehbaren Ausmaß beeinträchtigt, eventuell sogar komplett wegfallen werden.

Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe meldeten John Deere und Agco, der Mutterkonzern von Fendt, Massey Ferguson und Valtra, das Aussetzen von Lieferungen nach Russland und Belarus. Beide begründeten den Schritt unter anderem mit der Einhaltung der gegenüber Russland verhängten Sanktionen. Claas – seit 2005 mit einem eigenen Werk für Mähdrescher in Russland vertreten – stoppte währenddessen seine dortige Produktion mit Verweis auf unterbrochene Lieferketten. Mit Blick auf die weltweite Ernährungssituation hoffte man in Harsewinkel aber auf baldiges Wiederanlaufen des Werkes.

Die Frage, ob Lieferungen von Landmaschinen nach Russland in der aktuellen Situation rechtlich möglich oder gar sinnvoll seien, war nach Ansicht einiger Gesprächspartner ohnehin eine rein theoretische. Denn praktisch riss auch die Logistikkette: Zum einen mangelte es an Speditionen, die in die entsprechenden Regionen fahren wollen. Zum anderen gab es keine Garantie dafür, dass ein Transport, der heute startet, Tage später noch sein Ziel erreicht. Die Kombination aus Sanktionen, (schon seit längerem) eingeschränkter Verfügbarkeit von Bauteilen sowie fehlender Logistik führte bei vielen Herstellern so zu faktischen Liefer- und/oder Produktionsstopps im Bezug auf den russischen Markt.

Alle Gesprächspartner versicherten, Kontakt mit ihren Mitarbeitern in der Ukraine zu halten. Je nach Standort mussten einige ihre Leute bereits abziehen, andere konnten über sie noch Hilfe leisten. So schickte beispielsweise Horsch Sattelzüge mit Verbandsmaterial, Medikamenten und Lebensmitteln los, um sie vor Ort zu verteilen. Ähnliche Wege ging auch Grimme. John Deere, CNH Industrial und Agco sowie Claas kündigten signifikante Spenden an verschiedene Hilfseinrichtungen an.

Friedenszeichen

Landwirte zeigen Solidarität

In ganz Deutschland rufen Organisationen zu Kundgebungen für den Frieden in der Ukraine auf. Auch viele Bürger auf dem Land haben unterschiedlichste Aktionen in Bewegung gesetzt. Sie starten Spendenaufrufe und schicken Lastwagen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Kleidung auf den Weg. Andere stellen Geflüchteten auf ihren Höfen eine Unterkunft. Mit Traktoren werden Friedenssymbole erstellt.

  • XXL-Peacezeichen: Im nordrhein-westfälischen Herford haben am 26. Februar Landwirte mit 86 Traktoren ein Peacezeichen gebildet. Diese Idee hat viele andere Landwirte inspiriert, ähnliche Aktionen durchzuführen.
  • #stopthewar-Aktion in Niedersachsen: Eine Gruppe von Landwirten aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim haben am 1. März mit über 100 Schleppern den Schriftzug ,,Stop the war“ nachgestellt.

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