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20 Jahre Biogas im EEG: Das Resümee der Pioniere

Lesezeit: 9 Minuten

Welche Rahmenbedingungen waren gut, welche schlecht für die Biogasbranche? Und wie wird es mit der Branche weitergehen? Diese Fragen beantworten Biogasexperten der ersten Stunde.


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Das Votum ist eindeutig: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) war und ist der entscheidende Treiber für die Biogasbranche. Die Abhängigkeit von der Förderung macht die Branche aber auch sehr anfällig für wechselnde Rahmenbedingungen. Das zeigt unsere Umfrage unter Anlagen- und Komponentenherstellern sowie Planungsfirmen, die die Branche von Beginn an begleiten.


„Mit der Einführung des EEG wurde der Betrieb einer Biogasanlage erstmals wirtschaftlich. Die damit geschaffene Investitionssicherheit hat der Landwirtschaft eine Perspektive in den damals nicht einfachen Zeiten gegeben“, blickt Robert Bugar, Firmengründer des bayerischen Anlagenherstellers Agrikomp, zurück. Auch viele junge Betriebsleiter haben mit Biogas ein neues Aufgabenfeld bekommen. „Die Politik hat allmählich begriffen, dass Biogas ein Partner und nicht wie zunächst am Anfang durch ‚Tank oder Teller‘- und Pachtpreis-Diskussionen kolportiert, ein Gegner der Landwirtschaft ist“, sagt Henrik Borgmeyer, Geschäftsführer des niedersächsischen Anlagenherstellers Bioconstruct.


„Als großen Fortschritt sehe ich die Flexibilisierung von Biogasanlagen. Dieses 2012 eingeführte Modell hebt die Vorteile von Biogas gegenüber Wind- und Solarenergie besonders hervor“, erklärt Jens Albartus, Geschäftsführer des Anlagenherstellers Weltec Biopower aus Niedersachsen. Die sichere Versorgung sei auch künftig eine wichtige Rolle von Biogasanlagen.


Biomethan als Geschäftsfeld


Für Tobias Dollberg, Geschäftsführer der energielenker-Gruppe aus Münster, war auch die Novellierung der Gasnetzzugangsverordnung ein wichtiger Schritt, da er die Biomethanerzeugung und Einspeisung ins Erdgasnetz erleichtert hat. „So kann die Verstromung beispielsweise durch ein BHKW an einem Schwimmbad oder einem Gebäude, das ganzjährig einen hohen Wärmebedarf hat, stattfinden“, erklärt Jörg Fischer, Finanzvorstand der Envitec Biogas AG.


Als weitere wichtige Entwicklung sieht Carsten Bahlburg, Geschäftsführer der Planungsfirma BST Innova aus Westertimke, dass es schon früh mit dem Güllebonus oder den Einsatzstoffklassen im EEG 2012 Ansätze zur Reststoffvergärung gab: „Reine Maisanlagen sind mittlerweile Geschichte. Die Branche ist mit der Umstellung der Anlagen auf größere Anteile an Reststoffen auf dem richtigen Weg.“ Neben Wirtschaftsdünger gehören dazu auch Blühpflanzen wie die durchwachsene Silphie oder Landschaftspflegematerial.


Gleichzeitig bemängelt er, dass Betreiber beliebige Rohstoffe wie z.B. Energiepflanzen und Reststoffe aus der Obst- und Gemüseproduktion nicht mischen durften. Das sei in anderen Ländern möglich. Genauso behindern die starren Vorgaben von Leistungsgrößen die Entwicklung. Dazu gehört z.B. die Grenze von 75 kW bei Güllekleinanlagen. „Es gibt Betriebe, die mehr Gülle einsetzen wollen, aber wegen der Grenze das energetische Potenzial ihrer Reststoffe nicht ausnutzen“, sagt er.


Für eine deutliche Treibhausgasreduzierung in der Landwirtschaft müssten auch größere Gülle-Mist-Anlagen besser gefördert werden, fordert ebenso Jörg Meyer zu Strohe, Geschäftsführer des westfälischen Anlagenherstellers PlanET. „Zudem muss es für Bestandsanlagen nach dem EEG Anreize geben, auf Gülle-Mist-Vergärung umzustellen“, sagt er.


Unsichere Rechtslage


Aus Sicht der Biogaspioniere waren die vielen Novellierungen des EEG ein Hemmschuh. „Schwer getroffen wurde die Branche u.a. mit den neuen Rahmenbedingungen im EEG 2012. So war z.B. die darin geforderten 60% Wärmenutzung ohne größere Investitionen in der Realität oft schwer umzusetzen“, erklärt Manuel Götz, Geschäftsführer der Schmack Biogas Service GmbH. „Der heftigste Schlag und das mit Abstand negativste Ereignis war die Novelle im Jahr 2014“, meint dagegen Bioconstruct-Geschäftsführer Borgmeyer. Die Folge waren Entlassung und Insolvenzen vieler Biogasfirmen.


Das EEG 2014 hat auch Biome-than-BHKW unwirtschaftlich gemacht. „Ohne diesen Schritt wären bis heute eine Vielzahl von regenerativen Wärmeversorgungen in innerstädtischen Quartieren umgesetzt worden. Diese Entwicklung hatte bis heute sehr negative Auswirkungen auf den Biomethanmarkt“, ergänzt Dollberg.


Die schnellen EEG-Zyklen und die ständigen Gesetzesänderungen führen zu extremen Herausforderungen bei den Anlagenherstellern. „Diese mussten mit jeder EEG-Novelle das Rad neu erfinden und neue Anlagenkonzepte auf die Beine stellen“, kritisiert Agrikomp-Geschäftsführer Bugar.


Dazu kommen immer strengere Auflagen und Richtlinien, die Anlagenbetreiber, aber auch Hersteller stark einschränken. Als aktuelles Beispiel nennen die Firmen vor allem die Technische Regel Anlagensicherheit (TRAS 120). Problematisch dabei ist, wenn Richtlinien wie diese von Branchenfremden eingeführt werden und sich in der Praxis nicht umsetzen lassen. Zudem gibt es in den Bundesländern uneinheitliche Genehmigungsauflagen.


Im 20. Jubiläumsjahr des EEG ergibt sich nun laut Hendrik Becker eine paradoxe Situation: „Wir erleben leider einen Rückbau des Anlagenparks und der damit verbundenen Arbeitsplätze“, sagt der Vizepräsident des Fachverbandes Biogas. Immer höhere Anforderungen und unangemessene behördliche Auflagen – auch im Vergleich zu konventionellen Technologien – würden für ein Ungleichgewicht sorgen. „Komplizierte Ausschreibungsmechanismen und unzureichende Anreize im Strommarkt, eine geringe CO2-Bepreisung und kaum Wertschätzung für die Steigerung der Artenvielfalt zwingen Betreiber zur Aufgabe ihrer Anlagen“, schildert er die aktuelle Situation.


Viele kleinere und ältere Anlagen, die in den vergangenen Jahren nicht umfassend modernisiert und weiterentwickelt wurden, werden nach Ablauf des Förderzeitraumes vom Netz genommen werden, ist Markus Liebich überzeugt: „Denn bei den gegenwärtigen Aussichten werden die Inhaber erforderliche Investitionen scheuen. Außerdem rechnen wir in den kommenden Jahren mit einem nur marginalen Neubau von Biogasanlagen“, erklärt der Leiter Vertrieb Außendienst beim Komponentenhersteller Vogelsang aus dem niedersächsischen Essen. Bei den meisten Neubauten werde es sich um Hofbiogasanlagen bis 75 kW handeln.


Exportschlager Biogas


Die unterschiedlichen Herausforderungen haben die Hersteller aber auch fit für den Weltmarkt gemacht. „Global betrachtet war es aus unserer Sicht gut, dass Deutschland Vorreiter im Bereich der Biogaserzeugung war. Es gab den Markt vor der Haustür, es gab die technische Herausforderung, die Grenzen der Machbarkeit hat uns der Markt gezeigt“, erklärt Alois Börger, Geschäftsführer des Komponentenherstellers Börger aus Borken (Westfalen). Das Unternehmen hat heute einen Exportanteil von über 60%. „Wir merken sehr stark, dass die Welt in Sachen Biogas nach Deutschland schaut“, erklärt er. Nachdem die ersten Biogasanlagen außerhalb Deutschlands in den Benelux-Staaten und England gebaut wurden, ist heute Frankreich für Mitgliedsunternehmen des Fachverbandes Biogas der wichtigste europäische Markt.


technischer Fortschritt


Wichtig für den Erfolg der Branche war die Weiterentwicklung von Aufbereitungs-, Pump- und Rührtechnik, bei letzterem vor allem die Großflügelrührwerke, um Feststoffe besser vergären zu können. Aber auch die präzisere Anlagenführung mithilfe neuer Regelungstechnik wie z.B. Wiegesysteme und die Automatisierung gelten als Meilensteine.


Zusätzlich hat der technische Fortschritt die Lebensdauer von Komponenten gesteigert, z.B. mit Drehkolben aus Stahl in Pumpen oder Edelstahlausführungen bzw. Kunststoffauskleidungen bei Dosierbehältern. „Speziell bei den Dosiersystemen haben wir lernen müssen, dass Materialien wie Kunststoff und Edelstahl die Lebensdauer gegenüber Stahl um das Drei- oder Vierfache verlängern können“, sagt Markus Langlechner vom bayerischen Komponentenhersteller Fliegl.


Entscheidend war für die Branche aber auch die Entwicklung der Gasaufbereitung, um Biomethan herzustellen und ins Gasnetz einspeisen zu können.


Mit Blick auf die künftige Biogaserzeugung sehen die Firmen die Vergärung von Reststoffen als wichtige Option an, vor allem in Kombination mit der Tierhaltung. „Aus klimapolitischen Gründen sollte kein Stall ohne Biogasanlage mehr gebaut werden. Das mindert die Emissionen und schafft klimaneutrale Energie“, fordert Bugar.


Neue Erlösmöglichkeiten


Dazu kommt die Bereitstellung weiterer Produkte wie z.B. das Ausschleusen von Stickstoff als konzentrierte Ammoniaklösung, die bei der Gärrestaufbereitung anfällt. Diese ist eine Basis-Chemikalie für industrielle Prozesse. Auch die Verflüssigung von CO2 aus der Biogasaufbereitung und dessen Vermarktung als grünes CO2 gelten als technisch ausgereift.


Ebenso sehen die Biogasexperten die Weiterveredelung von Biomethan zum Gaskraftstoff „CNG“ oder in flüssiger Form zu LNG als wichtige Option für die Biogasanlagen. „Wir gehen davon aus, dass sich Biogas nicht mehr sehr lang im Strombereich behaupten kann. Das geht nur noch da, wo auch eine intensive Wärmenutzung stattfindet“, ist Bioconstruct-Geschäftsführer Borgmeyer überzeugt. Die Stromerzeugungskosten seien im Vergleich zu Wind- und Solarenergie zu hoch. Energiespeicher werden günstiger und können das Speicherproblem der wetterabhängigen Stromerzeugung lösen. Damit verliert Biogas sein bisheriges Alleinstellungsmerkmal. „Wir gehen daher davon aus, dass eine Nutzung im Kraftstoffsektor und dort vor allem im Schwerlastverkehr immer interessanter wird“, sagt er. Dazu sind neue technische Entwicklungen nötig wie die Gasaufbereitung für kleinere Anlagen, Verflüssigungsanlagen oder Hoftankstellentechnik.


„Anlagen, die weniger Wärme nutzen oder strategisch günstige Standorte haben, sind prädestiniert für die Kraftstoffproduktion nach den künftigen Bedingungen der EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien (RED II)“, ergänzt Carsten Bahlburg. Das Potenzial sei eventuell sogar noch höher als bei der Ausschreibung. Allerdings steige im Markt auch das unternehmerische Risiko.


Weltec-Geschäftsführer Albartus geht davon aus, dass zukünftig viele Biogasanlagen auf die Aufbereitung zu Biomethan setzen werden – entweder alleine oder im Zusammenschluss mit benachbarten Anlagen. „Mit dem vermehrten Einsatz von Wirtschaftsdüngern und die RED II ist die Klimabilanz neutral oder sogar negativ und dies führt zu interessanten Vermarktungsoptionen im Treibstoffbereich“, sagt er. Ähnlich äußert sich Manuel Götz (Viessmann): „Die Zukunft sehen wir dort – wo es möglich ist – in der Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz, da sie die effizienteste Verwertung des Gases ist.“


Wärmemarkt als Standbein


Neben dem Kraftstoffmarkt hält Jörg Fischer (Envitec) den Wärmemarkt im Gebäudesektor für einen wichtigen Absatzweg für Biomethan. Dieses könnte in BKHW, aber auch in Gasbrennwertkesseln effizient verwertet werden.


Skeptisch sehen Branchenvertreter den aktuellen Hype um Wasserstoff. „Es wäre schon kurios, wenn mit Macht versucht wird, eine neue Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, aber gleichzeitig eine vorhandene Technologie mit gleichen Vorteilen ungenutzt zu lassen“, sagt Becker. Angesichts der vom Klimawandel eingeforderten Geschwindigkeit sei jedoch beides nötig und für beide Technologien vergleichbare und faire Rahmenbedingungen.


Auch Biogasanlagen können direkt „Wasserstoff“ erzeugen, z.B. über einen speziellen biologischen Prozess oder einen klassischen Reformer. „Es ergeben sich ähnliche Kosten und Wirkungsgrade wie bei der Herstellung von Wasserstoff aus der Elektrolyse von erneuerbarem Strom. Es gilt nun darauf zu achten, dass die Anreize rund um die neue Wasserstoffstrategie der Bundesregierung auch die Möglichkeiten von Biogas angemessen berücksichtigt werden“, fordert der Fachverbands-Vizepräsident.


„Ob alle diese Entwicklungen in Deutschland stattfinden oder nicht, das hängt vom Heimatmarkt und den gegebenen politischen Rahmenbedingungen ab. Fehlt hier die Perspektive, verlagert sich immer mehr von der Wertschöpfungskette ins Ausland“, lautet das abschließende Resümee von Robert Bugar (agrikomp).


hinrich.neumann@topagrar.com

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