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Aus Windstrom wird Wasserstoff

Lesezeit: 9 Minuten

Strom aus Windrädern lässt sich als Gas günstiger speichern als in Batterien. Dass das eine Lösung für viele Windparks sein kann, zeigt das weltweit erste kommerzielle Hybridkraftwerk im brandenburgischen Prenzlau.


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Ich gehe mal eben 50 Liter Windenergie tanken“, werden in Berlin und Hamburg Fahrer von Bussen und PKW demnächst häufiger sagen. Seit April können Besitzer von Elektrofahrzeugen mit Brennstoffzellen-Antrieb an Tankstellen des Anbieters Total „grünen“ Wasserstoff als Kraftstoff tanken. Allein in Berlin gibt es fünfzig dieser Fahrzeuge, die Zahl wächst stetig.


Das Besondere an dem Wasserstoff: Er stammt aus dem brandenburgischen Prenzlau und wird aus Windstrom hergestellt. Daher wird er auch als „Wind-Wasserstoff“ oder kurz: „Windgas“ bezeichnet.


In Prenzlau steht das weltweit erste kommerzielle Hybridkraftwerk. Betreiber ist die Firma Enertrag, die in Brandenburg und anderen Regionen über 400 Windräder besitzt und ihr Geld vor allem mit der Entwicklung und dem Betrieb von Windparks verdient. Die 21 Mio. € teure Produktionsstätte in Prenzlau nennt Enertrag deshalb „Hybrid-Kraftwerk“, weil hier verschiedene Technologien zur Erzeugung und Nutzung von Energie zum Einsatz kommen.


Elektrolyse ist der Schlüssel:

Herzstück des Kraftwerks ist ein von Enertrag selbst entwickelter Elektrolyseur. Dieser spaltet mithilfe von Strom Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff auf (s. Kasten). Er hat eine Leistung von 600 Kilowatt (kW) und erzeugt in der Stunde 11 kg Wasserstoff, der Sauerstoff wird an die Atmosphäre abgegeben. Um einen Liter Wasserstoff herzustellen, wird 1 m3 Wasser benötigt. Bei Nennleistung verbraucht die Elektrolyse rund 3 m3 Wasser pro Tag.


Monatlich gibt Enertrag rund 400 kg dieses Wasserstoffs an eine Tankstelle in Berlin ab, ab 2013 sind mehrere Lieferungen wöchentlich nach Berlin und Hamburg geplant.


Wasserstoff als Energiespeicher hat viele Vorteile:


  • Er lässt sich im Gasnetz, in unterirdischen Kavernen oder in Druckluftflaschen einfacher, günstiger und verlustärmer über Monate hinweg speichern als Strom in Batterien.
  • Wasserstoff kann zur gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung in Blockheizkraftwerken, aber auch in Brennstoffzellen genutzt werden.
  • Das Gas kann auch als Treibstoff in Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb dienen.
  • Wasserstoff dient als Grundstoff in der chemischen Industrie. 95 % des dafür benötigten Wasserstoffs werden heute aus Erdgas gewonnen.


Wasserstoff als Speicher gewinnt in Industrie und Forschung immer mehr Bedeutung. Nach Berechnungen des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) ist es damit möglich, selbst bei einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien rund zwei Wochen zu überbrücken, an denen wenig Wind weht und kaum Sonne scheint.


Der Strom für die Elektrolyse in Prenzlau stammt von drei Windenergieanlagen mit jeweils 2,3 MW (Typ E 82, 138 Meter Nabenhöhe) und wird über ein Erdkabel zum Elektrolyseur übertragen. Die Anlagen speisen den größten Teil des erzeugten Stroms ganz normal ins öffentliche Stromnetz ein. „Wir können aber rund ein Zehntel der erzeugten Strommenge zu unserem Elektrolyseur für die Wasserstoffproduktion leiten“, berichtet Enertrag-Vorstand Werner Diwald.


Speichern statt abschalten:

Noch erfolgt die Umschaltung von Hand. Künftig könnte die Netzeinspeisung über eine Steuerung auch automatisch gestoppt und der anfallende Strom zur Wasserstoffproduktion umgeleitet werden. Das wäre immer dann der Fall, wenn eine bessere Verwertung des Stroms über den Verkauf von Wasserstoff möglich ist oder wenn eine Netzüberlastung und damit eine Leistungsreduzierung des Windparks droht.


Diese Leistungsreduzierung bzw. Abschaltung ganzer Windparks, zu dem der Netzbetreiber über das „Einspeisemanagement“ berechtigt ist, wird bei drohender Netzüberlastung künftig weiter zunehmen, erwartet der Bundesverband Windenergie. Selbst in dem windschwachen Jahr 2010 gab es über 1 000 Abschaltungen in Deutschland, 2011 dürfte die Zahl deutlich angestiegen sein. Zwar erhält der Windparkbetreiber dafür eine Entschädigung. Doch damit ist eine Menge Papierkram verbunden. Außerdem liefert dieses Vorgehen den Kritikern noch mehr Argumente gegen die angeblich „nicht beherrschbare“ Windkraft.


Der in der Elektrolyse erzeugte Wasserstoff wird zum Teil auf 200 bar verdichtet und in Drucktanks gespeichert. Diese Tanks sind mobil und werden per LKW zu den Wasserstoff-Tankstellen in Berlin und Hamburg transportiert. Ein weiterer Kunde ist Greenpeace Energy, der Wasserstoff in Form von „Windgas“ als Beimischungskomponente umweltbewussten Gaskunden verkauft.


Kombination mit Biogas:

Der zweite Teil des Hybridkraftwerks besteht aus einer Biogasanlage, die zurzeit ausschließlich mit Mais gefüttert wird. Das entstehende Biogas wird vor Ort in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 300 kW Leistung zur Strom- und Wärmeproduktion verbrannt.


Eine vier Kilometer lange Mikrogasleitung verbindet die Biogasfermenter mit einem weiteren BHKW mit 300 kW Leistung in der Stadt Prenzlau. Das BHKW versorgt hier ein Nahwärmenetz.


In diese Mikrogasleitung speist Enertrag 70 % Biogas sowie 30 % Wasserstoff ein. „Das ist die Höchstmenge an Wasserstoff, die der BHKW-Hersteller uns vorgegeben hat“, berichtet Diwald.


Das Gas ließe sich auch ins Erdgasnetz einspeisen. Dieser Speicher ist riesig und fast überall in Deutschland verfügbar. Darum dürfte dieser Weg auch die Zukunft für die Speicherung von Wasserstoff aus Windparks werden. Mehrere Institute wie das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) arbeiten zurzeit daran, den Wasserstoff weiter zu Methan zu synthetisieren und dann ins Erdgasnetz einzuspeisen (siehe auch nachfolgendes Interview). Enertrag hält diesen Schritt für unnötig, weil er zusätzliche Verluste verursacht.


Selbst wenn der Strom von allen rund 22 000 Windrädern in Deutschland zur Wasserstoffproduktion genutzt würde, wäre diese Höchstgrenze von 5 % im Gasnetz noch nicht erschöpft, hat Enertrag errechnet. „Aber wir wollen im Moment erforschen, wie sich ein höherer Anteil von Wasserstoff in einer Mischgasleitung verhält. Darum nutzen wir die eigene Gasleitung“, erklärt der Firmenchef. Ohnehin ist ein höherer Wasserstoffanteil nichts neues: Schon früher hatten Stadtwerke in ihrem „Stadtgas“ einen Anteil von 50 %.


Wärme aus Windstrom:

Die Einspeisung ins Mikrogasnetz ist die zweite Art der Wasserstoff-Verwertung. Auf diese Weise lässt sich aus dem gespeicherten Gas bei Bedarf wieder Strom erzeugen. Im Moment nutzt Enertrag dafür das Blockheizkraftwerk. Dieses trägt auch dazu bei, dass aus dem Windstrom Wärme erzeugt wird. „Das ist künftig sehr wichtig, da viele von Energiewende sprechen, aber nur Stromwende meinen. Doch 80 % der Energie in Privathaus-halten ist Wärmeenergie, auch dafür brauchen wir eine tragfähige Lösung“, begründet Diwald das.


Mit der Speicherung und Rückverstromung will Enertrag den Beweis antreten, dass Windenergie sehr wohl auch grundlastfähig sein kann. Denn bislang ist die schwankende und nicht auf den Bedarf angepasste Produktion von Windstrom bei den Energieversorgern nicht beliebt, da sie für Zeiten mit abflauendem Wind Reservekraftwerke vorhalten müssen. Das könnte sich künftig ändern, wenn der Windstrom als Wasserstoff gespeichert wird. „Wir halten es für realistisch, dass in Zukunft bei jedem größeren Windpark ein Elektrolyseur steht. Auf diese Weise kann man den Strom, der nicht benötigt wird, sehr elegant speichern“, stellt Diwald in Aussicht.


Nach Ansicht von Enertrag ist die Speicherung in Form von Wasserstoff wesentlich effektiver als in Batterien. Während heutige Batteriefahrzeuge höchstens auf 200 km Reichweite kommen und der Ladevorgang mehrere Stunden dauert, schafft ein Brennstoffzellenfahrzeug mit einer Tankfüllung heute schon 600 bis 700 km. Wasserstoff hat zwar bezogen auf das Volumen eine sehr geringe Energiedichte. Pro kg ist sie aber dreimal so hoch wie die von herkömmlichen Kraftstoffen (siehe Übersicht).


Um den Nachteil der geringen Energiedichte wettzumachen, wird Wasserstoff auf 700 bar (für PKW) komprimiert. Während man für 500 km Fahrstrecke nur 5 kg Wasserstoff benötigt, wäre dafür eine Lithium-Ionen-Batterie mit 540 kg Gewicht nötig.


Dazu kommt: Die Versorgung mit Wasserstoff ist nicht leitungsgebunden, eine Stromtankstelle schon. „Wenn 1 000 Menschen auf dem Parkplatz beim Einkaufscenter ihr Elektrofahrzeug an die Steckdose anschließen, bricht das Stromnetz einer Region zusammen. Das kann beim Wasserstoff nicht passieren“, macht Diwald auf ein bisher wenig diskutiertes Problem aufmerksam.


Auch ist der Ladevorgang mit drei Minuten etwa so kurz wie bei fossilen Brennstoffen. Das Laden einer Batterie dauert dagegen selbst mit einem Schnellladegerät mehrere Stunden.


Um Wasserstoff flächendeckend als Kraftstoff einzuführen, sind laut Leitfaden „Wasserstofftankstellen“ der Hessen Agentur deutschlandweit nur rund 1000 Tankstellen nötig. Im Vergleich dazu gibt es laut ADAC über 14 000 konventionelle Tankstellen.


Bald günstiger als Benzin:

Dass Elektrofahrzeuge mit Batterie oder Brennstoffzellen Fahrzeuge mit herkömmlichen Verbrennungsmotor mittelfristig ablösen werden, ist laut Diwald nur noch eine Frage der Zeit: „Autos mit Verbrennungsmotor haben einen geringen Wirkungsgrad von 20 %. Das sind eigentlich fahrende Heizungen und im Rahmen der geplanten Energiewende absolut nicht mehr zeitgemäß.“ Dazu kommt, dass bei rückläufiger Förderung von Rohöl und knapperem Angebot der Preis für Benzin und Diesel immer unerschwinglicher für die Verbraucher wird.


Ein Kilogramm Wasserstoff kostet heute an der Tankstelle 9,50 € (ohne Steuern) bzw. rund 14 € mit Steuern. Damit ist der Preis für Wasserstoff noch höher als der von Benzin oder Diesel, für die Verbraucher bei 100 km Fahrleistung zwischen 4 und 6 € bezahlen. „Doch während der Benzin- und Dieselpreis großen Schwankungen unterliegt, bleibt der Wasserstoffpreis über Jahre hinweg gleich“, nennt Diwald einen weiteren Vorteil.


Einspeisekabel entlasten:

Die Elektrolyse von Windstrom könnte künftig durch reine Einspeisenetze noch verbessert werden. Enertrag hat davon rund 600 km als Erdkabel verlegt. Diese Netze dienen ausschließlich der Leitung des Stroms von einem Windpark bis zum Verknüpfungspunkt mit dem Übertragungsnetz auf 220 oder 380 kV-(Kilovolt-) Ebene. Da sie weniger technische Vorgaben erfüllen müssen als Verteilernetze, sind sie kostengünstiger zu erstellen als herkömmliche Stromleitungen, die den Strom auch vom Übertragungsnetz zurück in Richtung Verbraucher transportieren müssen. Denn kein Verbraucher ist direkt von einem Ein-speisenetz betroffen.


Gleichzeitig entlasten sie die 110 kV-Verteilnetze, die in vielen Regionen bei viel Wind und wenig Stromverbrauch zu überlasten drohen. Einspeisenetze sind damit eine schnellere Lösung für die Energiewende als der sehr bürokratische und aufwändige Ausbau des Stromversorgungsnetzes, urteilt auch der Bundesverband Windenergie in seiner Kurzstudie „Bewertung von Einspeisenetzen“.


Am Ende der Einspeisenetze steht jeweils ein eigenes Umspannwerk. Da dabei der Strom aus mehreren Windparks gebündelt wird, kann er wesentlich genauer und gleichmäßiger ins Höchstspannungsnetz abgegeben werden, als wenn jeder Windpark einzeln einspeist. An diesen zentralen Knotenpunkten könnten künftig auch Elektrolyseure entstehen, die überschüssigen Windstrom in Wasserstoff umwandeln.


Die Kombination aus Windpark, Biogasanlage und Wasserstoffproduktion in Prenzlau zeigt also, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen kann. Gerade die moderne Art der Speicherung von Windstrom könnte auch Vorbild für andere Windparkprojekte werden.


Hinrich Neumann

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