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Biogas: Raus aus der Krise!

Lesezeit: 9 Minuten

Viele Biogasanlagen haben finanzielle Probleme. Unser Praxisbeispiel* zeigt, wie man diese erkennt und welche Auswege es gibt.


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Mit der Havarie fing der Ärger an, ist Landwirt Armin Nordmeyer (Name geändert) überzeugt. Seine Biogasanlage ist mit rund 500 Kilowatt (kW) Leistung im Jahr 2011 ans Netz gegangen. Der Hersteller hatte geworben, dass die Anlage fast nur mit Mist betrieben werden kann, von dem der Landwirt viel zur Verfügung hat.


Auslöser Monteursfehler:

Im August 2012 jedoch passierte es: Das Behälterdach war aufs Dreifache aufgebläht, die Holzbalkendecke um 80 cm angehoben, Substrat quoll oben über die Behälterwand. Wie sich später herausstellte, hatte ein Monteur versehentlich die Drehrichtung einer Pumpe vertauscht. Statt Substrat aus dem Behälter zu pumpen, wurde es hineingepumpt.


Schnelles Eingreifen von Betreiber und Monteuren sorgten zwar dafür, dass die Anlage nach wenigen Tagen wieder auf Volllast lief. Aber später zeigte sich, dass beim Absenken der Fermenterhaube Holz des Traggestells in den Behälter gefallen war und von den Rührwerken klein gehäckselt wurde. „Daraufhin fielen immer wieder Pumpen aus, weil sich Holzstücke darin verklemmten. Das führte zu einem allmählichen Absinken der Gasproduktion“, beschreibt Unternehmensberater Matthias Bäcker von Mammut Consulting aus Kiel, den der Betreiber Anfang 2014 wegen finanzieller Schwierigkeiten um Hilfe gerufen hatte.


Der Fall ist keine Ausnahme. „Die starken Boomjahre zwischen 2010 und 2012 haben auch die größten Probleme verursacht“, hat die Biogas-Sachverständige Dr. Sarah Gehrig aus Hannover festgestellt. In der Goldgräberzeit haben die Hersteller fast jedes Jahr über 1000 neue Anlagen installiert und wegen der vielen Aufträge häufig mehr auf Geschwindigkeit als auf Qualität gesetzt. Weil gute Monteure, aber auch hochwertige Komponenten ständig Mangelware waren, wurde oft minderwertiger Ersatz gewählt. „Die Betreiber haben es geduldet, damit die Anlage wegen der höheren Vergütung noch vor Jahresende ans Netz ging“, sagt Gehrig.


Die Probleme kommen jetzt nach vier bis fünf Jahren ans Licht. Viele Anlagen schreiben am Jahresende gerade einmal eine schwarze Null, weil sie nicht die erhoffte Leistung bringen. Dazu kommen ungeplante Kosten für Reparaturen und Nachinvestitionen. „Wir sprechen in dem Fall von einer Rentabilitätskrise, die sich bei rechtzeitigem Eingreifen wieder lösen lässt“, beschreibt Bäcker. Doch immer mehr Anlagen rutschen in die Insolvenz, wie die steigende Zahl von Anlagenverkäufen und -übernahmen zeigt“. Die Gründe dafür sind vielfältig:


  • Die ersten Hersteller sind insolvent und vom Markt verschwunden. Andere prozessieren mit den Betreibern.
  • Nach der anfänglichen Euphorie kündigen viele Versicherungen den Biogaserzeugern wegen der Häufung der Schadensfälle die Verträge oder erhöhen die Versicherungsbeiträge drastisch.
  • In einigen Regionen haben sich die Rohstoffe innerhalb kurzer Zeit um bis zu 30% verteuert.
  • Neue Auflagen im Wasserrecht, in der Betriebssicherheit oder im Arbeitsschutz sorgen für ungeplante Ausgaben, weil die Betreiber nachrüsten müssen. Es gibt dagegen keinen Bestandsschutz für Altanlagen. Und viele der Auflagen, die der Gesetzgeber vor drei bis vier Jahren aufgrund des Biogasbooms angestoßen hatte, treten jetzt erst in Kraft.
  • Hohe Kosten wird nach Gehrigs Auffassung vor allem die Sanierung der Fahrsilos nach sich ziehen. Diese wird nach der geplanten „Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV)“ auf alle Biogasanlagen zukommen. Auch könnte ein Siloneubau nötig werden, wenn die Silierhöhe wie geplant auf drei Meter begrenzt wird.


Dazu kommt, dass sich viele Anlagenbetreiber bezüglich Genehmigung und Dokumentation auf ihren Hersteller verlassen haben. Viele Hersteller haben aber vergleichsweise nutzlose Standarddokumente herausgegeben.


Aus Engpass wird Krise:

Das alles wird jetzt offensichtlich, weil die Behörden nach gehäuft auftretenden Umweltschäden und Havarien verstärkt kontrollieren. Außerdem müssen immer auch geeignete Nachweise des Betreibers vorliegen, um belegen zu können, dass er seinen Betriebsführungspflichten nachgekommen ist. Das ist umso wichtiger, da auch die Versicherungen nicht mehr großzügig für Schäden aufkommen, sondern Nachweise dafür einfordern, dass ein Schadensereignis ohne Verschulden des Betreibers eingetreten ist.


Daher sollte jeder Betreiber die Anlagendokumentation vorbeugend prüfen, solange er noch Zugriff auf den Hersteller hat, und von diesem Nachbesserungen einfordern. „Wenn die Krise erst da ist, ist es für das Erstellen einer umfangreichen Dokumentation meist zu spät“, warnt Gehrig.


Auch sollten Anlagenbetreiber ihre jeweiligen Genehmigungsauflagen kennen. Schon kleine Änderungen im Substratmix oder der einfache Wechsel von einem Zündstrahl-BHKW zum Gas-Otto-Motor kann ohne Anzeige bei der Behörde zum illegalen Anlagenbetrieb führen. „Wir kennen Fälle, wo die Anlage schon bei vermeintlichen Kleinigkeiten wegen Verstoß gegen die Genehmigungsauflagen stillgelegt wurde“, berichtet Bäcker.


Insolvenzen nehmen zu:

Solche Fälle führen schnell zu Verlusten. Kommen neue Störungen und eine schleichende Frustration des Betreibers zusammen mit Streit unter den Gesellschaftern oder innerhalb der Familie dazu, kann aus einem finanziellen Engpass eine echte Krise werden. Anzeichen dafür sind z.B. wiederholte Schwierigkeiten, die Ernte zu finanzieren.


Das hat auch Betreiber Armin Nordmeyer erlebt. Wegen der viel zu geringen Leistung seiner Anlage hatte ihm der Hersteller empfohlen, im zweiten Betriebsjahr (2013) einen im Rohbau bestehenden Fermenter auszubauen sowie zwei weitere BHKW zu installieren. „Diese sollten den Minderertrag ausgleichen“, erklärt Bäcker. Weil sie aber nur die Investitionskosten erhöhten, der Ertrag nach dem Einbau jedoch ausblieb, stoppte die Bank jegliche weitere Finanzierung. Die Bezahlung der Lieferanten stand auf der Kippe. Die Anlage geriet in eine schwere Liquiditätskrise, die ohne Gegensteuern unweigerlich zur Insolvenz geführt hätte.


Um sich einen Überblick über den Status der Anlage zu machen, haben Bäcker und sein Team sechs Wochen lang Daten erhoben, in Excellisten eingetragen und ausgewertet. „Wie so oft mussten wir feststellen, dass es keine ausreichende Dokumentation auf der Anlage gab“, schildert der Berater. Die mehrwöchige Analyse ergab, dass mitnichten nur die Pumpenstörungen für die Krise verantwortlich waren. Hier ein Auszug aus der Mängelliste, die Bäcker erstellte:


  • Das Behältervolumen stellte sich als viel zu klein heraus: Die Substrate hatten eine Verweilzeit von rechnerisch nur 50 Tagen – weniger als die Hälfte der bei Mist üblichen Zeit. Damit ist die Anlage definitiv nicht für die Vergärung von Mist geeignet.
  • Im Gärrestlager zeigte sich ein Restgaspotenzial von über 20%.
  • Der Betreiber hat der Fütterungsempfehlung des Herstellers blind vertraut.
  • An zwei BHKW waren Zähler falsch montiert. Das führte zu geringeren Einnahmen, weil weniger Strom abgerechnet als tatsächlich geliefert wurde.
  • Der Eigenstrombedarf war wegen ungeeigneter und defekter Rührwerke im Gärrestlager viel zu hoch.
  • Eine fehlende Heizungsregelung ließ die Fermentertemperatur schwanken, was auch den Gasertrag verminderte.


„Die Liste ließe sich noch länger fortführen“, erklärt Bäcker. Die Schäden summieren sich bis heute einschließlich Ertragsausfall auf einen siebenstelligen Betrag. Die Havarie machte dabei nur etwa 20% der Kosten aus. „Viele Krisen entstehen durch das Zusammenspiel von Pfusch im Anlagenbau und schlechter Betriebsorganisation“, hat Bäcker nicht nur bei diesem Fall erlebt.


Schnelles Handeln!

Als eine der ersten Maßnahmen empfahl er, den Anteil des ungeeigneten Mistes zu reduzieren und Mais einzusetzen. Das erhöhte zwar die Kosten für das Substrat, sorgte aber auch schnell für mehr Biogas, reduzierte Schwimmschichten und damit auch die Rührzeiten.


Ein weiterer Erfolg waren sofortige Verhandlungen mit der Versicherung, die sich bereiterklärte, einen sechsstelligen Betrag als „Abschlag“ zu zahlen, um zumindest einen Teil des Ertragsausfalls auszugleichen. Auch handelten die Parteien ein Finanzierungspaket mit der Bank zur Überbrückung der Krise aus.


Das Beispiel zeigt, wie wichtig in einer Krise schnelles Handeln nötig ist – bei Bedarf auch von externen Fachleuten. Denn viele Betreiber stoßen häufig an Kapazitätsgrenzen: „Man kann schlecht technische Probleme beheben und gleichzeitig mit Versicherungen und Banken verhandeln“, betont Bäcker.


Gerade beim Umgang mit den Banken sieht er noch Potenzial. Betreiber sollten sie genau wie Versicherungen auch in Zeiten, in denen die Anlage gut läuft, regelmäßig über den aktuellen Stand informieren. „Dann sind diese auch im Krisenfall verhandlungsbereit“, weiß Bäcker. Die gelieferten Daten sollten plausibel und transparent sein. Bei Banken und Versicherungen sitzen heute viele Experten, die sich auskennen und Fehler schnell entdecken.


Insolvenzrecht beachten!

Das Ganze hat aber auch rechtliche Relevanz: Die meisten Biogasanlagen sind als GmbH oder GmbH & Co. KG organisiert. Für sie gilt die Insolvenzordnung. Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit sind Insolvenzgründe. Nach der Insolvenzordnung gilt man schon als zahlungsunfähig, wenn man zehn Prozent der Verpflichtungen nicht mehr zahlen kann. „Liegen diese Gründe vor, ist der Betreiber zu einem Insolvenzantrag verpflichtet“, erklärt Andreas Lauven, Fachanwalt für Insolvenzrecht aus Oldenburg.


Kommt der Geschäftsführer dieser Pflicht nicht nach, kann er schadensersatzpflichtig werden. Auch wenn er mit dem Antrag zu lang wartet, können auch die Bank, das Finanzamt oder andere Gläubiger den Insolvenzantrag stellen. Während ein Eigenantrag noch die Chance zur Sanierung gibt, hat ein Fremdantrag strategische Nachteile. Daher ist das laut Lauven unbedingt zu vermeiden. „Beim Insolvenzantrag werden die Akten außerdem vom Staatsanwalt darauf geprüft, ob eine Insolvenzverschleppung vorliegt“, warnt er.


Mit einer Strafe dürfte er zehn Jahre lang kein Geschäftsführer einer Gesellschaft sein und müsste seinen Jagdschein abgegeben. Vor allem aber besteht die Gefahr, dass die Versicherung den Schaden nicht bezahlt.


Im Krisenfall schreibt die Insolvenzordnung vor, was zu tun ist. Spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit muss der Geschäftsführer den Insolvenzantrag stellen, sofern er in der Zeit kein weiteres Geld von der Bank oder Dritten mehr erhält. Diese Frist reicht aber heute meist nicht mehr aus, um einen neuen Kredit zu bekommen. Nach der Insolvenzordnung gilt: „Man kann auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit vorbeugend einen Insolvenzantrag stellen, um das Unternehmen zu sanieren“, erklärt Lauven.


Dieser Schritte blieb der Anlage Nordmeyer erspart. Nach zwei Jahren schrieb sie am Jahresende erstmals wieder eine schwarze Null. Die Liquidität stimmt wieder, der Betreiber kann Geld zur Finanzierung der Ernte ansparen.


Beispiele wie diese lehren, dass jeder Anlagenbetreiber in guten Zeiten Betriebsorganisation und Dokumentation auf den neuesten Stand bringen sollte, um Probleme rechtzeitig erkennen zu können und im Krisenfall Luft für wichtigere Sofortmaßnahmen zu haben.


Hinrich Neumann

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