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CO2 aus der Atmosphäre: Ein Geschäftsmodell?

Lesezeit: 10 Minuten

Landwirte können mit Humuszertifikaten Geld verdienen – eine ideale Ergänzung zur Biogastechnologie. Doch nicht nur die Einnahmen bringen Vorteile.


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Die Wirkung aller Maßnahmen zum Klimaschutz lassen sich mit einem Tanker auf See vergleichen: Nach dem Stoppen der Maschine gleitet er lange Zeit noch weiter durchs Wasser. So ist es auch beim Klimaschutz: Selbst wenn die Menschheit von heute an auf das Verbrennen wie Kohle, Öl oder Erdgas verzichten und damit sämtliche CO2-Emissionen vermeiden würde, ließe sich der Klimawandel erst nach Jahrhunderten aufhalten, zeigen Studien.


Es gibt zudem unvermeidbare Prozesse, bei denen es auch weiterhin CO2-Emissionen geben wird – z.B. die Zementproduktion oder die Förderung, Verarbeitung und Verteilung von Erdgas: Hier entstehen jährlich 5,9 Mio. t CO2 (Stand: Jahr 2016). Dazu kommen Lachgasemissionen beim Ackerbau oder der Ausstoß von Methan in der Tierhaltung. Bis zum Jahr 2030 erwartet das Umweltbundesamt hierbei kaum einen Rückgang. Darum kommen Maßnahmen ins Spiel, um CO2 unterirdisch zu speichern (CCS, Info auf S. 139).


Doch auch CCS reicht nicht aus, um die verbleibenden Emissionen zu kompensieren. Darum werden neben der CO2-Vermeidung und der Abscheidung auch der Entzug von CO2 aus der Atmosphäre diskutiert. Möglich wird das durch die Photosynthese der Pflanzen, die zum Wachstum CO2 aufnehmen und den Kohlenstoff einlagern.


Der Einfluss der Photosynthese auf den atmosphärischen CO2-Gehalt ist enorm, erklärt Prof. Andreas Weber vom Institut für Biochemie der Pflanzen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher des Netzwerks für Pflanzenwissenschaften CEPLAS: „Aufnahmen der Raumfahrtbehörde NASA zeigen, dass der CO2-Gehalt über der Nordhalbkugel im Winter stark ansteigt und im Sommer deutlich sinkt. Das ist allein auf die Photosynthese der Pflanzen zurückzuführen.“


Böden als Kohlenstoffsenke


Um den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu senken, sei der Anbau von speziellen Pflanzen hilfreich, die ein tiefreichendes Wurzelsystem besitzen und so den Kohlenstoff in den Boden verlagern.


Eine richtige Senke liegt aber nur vor, wenn der Kohlenstoff aus dem CO2 dauerhaft gespeichert wird. Bei dem Einsatz als Nahrung oder Futtermittel, aber auch der Verbrennung von Holz oder der Vergärung von Energiepflanzen in Biogasanlagen ist das nicht der Fall: Ein Großteil wird wieder als CO2 freigesetzt.


Ein anderer Fall liegt mit dem Aufbau von Humus vor. Böden können sehr viel Kohlenstoff binden. Laut Deutschem Bauernverband sind in ihnen weltweit 2000 Mrd. t CO2-Äquivalente in Form von organischem Material und Humus gespeichert – das ist doppelt so viel organischer Kohlenstoff, wie in Form von CO2 in der Atmosphäre enthalten ist. Damit sind die Böden nach den Ozeanen die größten Kohlenstoffspeicher der Welt.


Zertifikate für Humus


Das haben Dienstleister erkannt und bieten „Humuszertifikate“ an. Landwirte, die nachweislich dafür sorgen, den Humusgehalt auf dem Acker zu erhöhen, bekommen bis zu 30 €/t CO2-Äquivalent oder umgerechnet rund 200 €/ha und Jahr für den zusätzlich aufgebauten Humus. „1% Humus bindet 50 t CO2 und 2,5 t N/ha“, sagt Wolfgang Abler, Landwirt und Geschäftsführer der Firma CarboCert, eine der Firmen, die Humuszertifikate ausstellt. Diese Zertifikate kaufen z.B. Veranstalter von Festivals oder Reisen und kompensieren damit freiwillig ihre CO2-Emissionen.


Doch ganz so einfach ist das nicht. Um klimawirksam mehr Kohlenstoff im Boden zu speichern, muss zusätzlich mehr CO2 aus der Atmosphäre entzogen und durch Humusaufbau im Boden gebunden werden (sogenannte Sequestrierung). Der Zustand ist laut Bonares-Zentrum für Bodenforschung am Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg (Brandenburg) nicht dauerhaft: Humus muss nicht nur aufgebaut, sondern auch langfristig erhalten werden.


Als weiteres Problem bei der Zertifizierung gilt, dass Landwirte humusfördernde Maßnahmen wie die Düngung mit organischem Material nur auf die Flächen konzentrieren könnten, für die sie Humuszertifikate erhalten. Auf anderen Flächen dagegen würde diese fehlen, was zu unerwünschten Umverteilungseffekten führe. „Unsere Studie macht deutlich, dass eine zusätzliche sowie langfristige Kohlenstoffspeicherung kaum sichergestellt werden kann. Zudem lassen sich Verschiebungseffekte, die scheinbar eine positive Klimawirkung erzielen, von Zertifikatanbietern nur schwer ausschließen“, fasst Dr. Carsten Paul, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe „Folgenabschätzung von Landnutzungsänderungen“ am ZALF, die Kritik an den Humuszertifikaten zusammen.


Erfahrungen aus Österreich


„Unsere Erfahrungen zeigen etwas völlig anderes“, entgegnet Gerald Dunst, Leiter der Arbeitsgruppe Humusaufbau in der Ökoregion Kaindorf aus Österreich. Sie gilt als Begründer der Humuszertifikate und bietet sie seit zwölf Jahren an. Heute sind 300 Landwirte mit 4000 ha beteiligt. „Eine Auswertung von 150 Schlägen nach zwölf Jahren zeigt, dass die Landwirte im Schnitt 0,15% Humus aufgebaut haben“, sagt Dunst. Die Landwirte erhalten pro Tonne CO2, die im Humus gebunden ist, ca. 30 €. Die Zertifikate verkauft die Ökoregion für ca. 45 €/t, Tendenz steigend.


„Wir sind aber ein gemeinnütziger Verein und kein reiner Zertifikatehändler. Bei uns stehen nicht die Erlöse im Vordergrund, sondern die Förderung des Humusaufbaus“, betont er und macht deutlich: Wer beim Humusaufbau nur den finanziellen Vorteil sehe, hätte das System nicht verstanden. Denn Humus bietet im Ackerbau viele Vorteile: Er erhöht das Bodenporenvolumen, reduziert die Nährstoffauswaschung, mindert die Erosionsanfälligkeit, speichert und liefert Nährstoffe oder verbessert die Wasserspeicherfähigkeit. Damit sind nicht nur höhere Erträge auch in Trockenphasen, sondern unter Umständen auch weniger Pflanzenschutzmittel nötig. Damit hilft er Ackerbauern – egal, ob konventionell oder öko – auch im Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel. „Wir bauen beispielsweise Mais auf einer Mulchdecke von gemähten Zwischenfrüchten an, weshalb wir fast komplett auf Pflanzenschutzmittel verzichten können“, erklärt er. Die Landwirte wollen daher den Humusaufbau auf allen Flächen fördern.


Pflanzenkohle für den Boden


Als geeignete Maßnahmen haben sich nach seiner Erfahrung vor allem eine Dauerbegrünung, reduzierte Bodenbearbeitung, Anbau von Pflanzenmischungen mit 20 bis 30 verschiedenen Gemengepartnern, Kompostwirtschaft und die Zugabe von Pflanzenkohle erwiesen.


Pflanzenkohle wird per Pyrolyse aus Biomasse wie z.B. Waldholz hergestellt. Nach der Studie des Bonares-Zentrums trägt Pyrolysekohle, die bei über 450°C hergestellt wurde, zur Kohlenstoffbindung im Boden bei. Aus einer Tonne Biomasse (Trockenmasse) lassen sich je nach Ausgangsstoff und Pyrolyseprozess rund 200 bis 400 kg Pflanzenkohle herstellen. Je nach Rohstoff beträgt der C-Gehalt in dieser Pflanzenkohle 50 bis 90%. Üblicherweise wird Pflanzenkohle aus wirtschaftlichen Gründen nicht direkt auf die Felder gebracht, sondern kommt indirekt über Futter- oder Gülleaufbereitung, bzw. als Futterzusatz auf die Flächen. „Die Mengen, die dadurch auf die Flächen kommen, sind derzeit sehr gering“, erklärt Dunst. Für die Gülleaufbereitung werden derzeit beispielsweise 4 kg pro Kubikmeter Gülle empfohlen, wenn davon anschließend 50 m3/ha ausgebracht werden, entspricht dies also 200 kg Pflanzenkohle pro Hektar. Über die Zufütterung von Pflanzenkohle an die Tiere kommt noch weniger auf die Fläche.


Kein Allheilmittel


Pflanzenkohle dient dabei nicht nur zum zusätzlichen Humusaufbau, sondern ist auch eine Möglichkeit, Kohlenstoff aus der Biomasse wie Holz oder Stroh im Boden zu speichern. Allerdings ist die Kohle auch keine Problemlösung für alles, schränkt Dr. Nikolas Hagemann vom Ithaka Institut (Freiburg) und Agroscope (Zürich) ein und stützt sich dabei auf die Kohlenstoffeffizienz. Nur 30 bis 50% des Kohlenstoffs aus der Biomasse befinden sich nach der Pyrolyse in der Pflanzenkohle. 15 bis 45% dagegen sind im Pyrolysegas, 25 bis 50% im Pyrolyseöl. „Das Pyrolyseöl wird bisher nur eingeschränkt wirtschaftlich genutzt, das Gas wird ausschließlich verbrannt“, erklärte er. Daher plädiert er dafür, Waldholz vor allem stofflich zu nutzen, da Bauholz ein effizienter Kohlenstoffspeicher ist. „Pflanzenkohle sollte dagegen aus Rinde, Sägeresten und anderen organischen Stoffen wie Stroh oder Trester hergestellt werden“, fordert er.


Viele Einsatzmöglichkeiten


Für die Pflanzenkohle gibt es viele Verwendungen: Als Bodenhilfsstoff, als Futterzusatz in der Tierhaltung, als aktivierte Pflanzenkohle in der Abwasserreinigung, zur Optimierung von Biogasanlagen oder als Ausgangsbasis für Werkstoffe mit besonderen Eigenschaften. „In der Landwirtschaft ist die Kohle ideal für die Kaskadennutzung, man bringt sie z.B. in den Silierprozess ein, dann nehmen die Kühe die Kohle über das Futtermittel auf“, nannte er ein Beispiel. Später ist sie dann in der Gülle bzw. dem Mist enthalten und wird auf dem Acker ausgebracht.


Aber auch hier gibt der Experte zu bedenken: „Die Pflanzenkohle ist nur eine temporäre Senke. Denn sie wird im Boden von Mikroorganismen oxidiert und geht als CO2 zurück in die Atmosphäre. Allerdings dauert dieser Prozess mehrere Jahrhunderte.“ Damit Rohstoffe und Verwendung genau definiert sind und keine Schadstoffe in der Kohle enthalten sind, gibt es das Europäische Pflanzenkohle-Zertifikat (EBC).


In diesem Zusammenhang kritisierte er die Vorgabe, dass in Deutschland Pflanzenkohle als Bodenhilfsstoff aus Holz hergestellt werden und mindestens 80% Kohlenstoff enthalten muss. „Dafür gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Mit einem niedrigeren C-Gehalt könnte man aus der gleichen Biomasse mehr Pflanzenkohle herstellen“, unterstrich er.


Vergärung des Aufwuchses


Bei der Erweiterung der Fruchtfolge können Biogasanlagen helfen. Das zeigen auch Erfahrungen aus dem ökologischen Landbau: Hier sind stickstofffixierende Kulturen wie Kleegras in der Fruchtfolge ein Schlüsselfaktor. Doch bei vielen Betrieben verbleibt der Aufwuchs gemulcht auf dem Acker, weil sie ihn nicht verwerten können. Der Aufwuchs könnte in einer Biogasanlage „veredelt“ werden. Zwar sorgt auch eine Mulchschicht auf dem Acker für Humusaufbau. Zudem ist in der Fachwelt umstritten, ob die Gärrestausbringung nicht mehr Emssionen verursacht als das Verrotten der Mulchmasse. Doch der Gärrest der Biogasanlage ist ein wertvoller Dünger, der sich gezielt auch auf anderen Flächen einsetzen lässt. Darum fordern Fachverband Biogas sowie die Anbauverbände Neuland und Bioland eine entsprechende Vergütung für ökologisch wertvolle Pflanzen. Dazu zählen neben Kleegras beispielsweise Blühpflanzen oder Wildblumenmischungen, mit denen sich gleichzeitig die Artenvielfalt erhöhen lässt.


Auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sieht Biogasanlagen vorteilhaft. Er fordert, dass kleine Gülleanlagen auch dann eine Sondervergütung erhalten, wenn ein Teil des Pflichtanteils von 80% Gülle oder Mist ganz oder teilweise durch Kleegras oder ähnliche Mischkulturen ersetzt wird. Denn vor allem Klee- oder Luzernegras würden helfen, Humus im Boden aufzubauen und damit Kohlenstoff aus überschüssigem CO2 auf Dauer im Boden festzulegen sowie Insekten Nahrung und Unterschlupf zu bieten.


Gärrest allein reicht nicht


Der Anbau von Zwischenfrüchten und anderen Kulturen ist auch für konventionell wirtschaftende Biogasanlagenbetreiber wichtig – nicht nur wegen der Möglichkeit, mit dem Humusaufbau Geld zu verdienen. Denn die Rückführung von Gärresten reicht in intensiven Fruchtfolgen nicht aus, um einen ausgeglichenen Humushaushalt zu erreichen. Das ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts aus Bayern, bei dem das Technologie- und Förderzentrum (TFZ) und die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) zehn Jahre lang untersucht haben, ob die Düngung mit Gärresten langfristig zur Nachhaltigkeit der Biogasproduktion beiträgt. Zur Untersuchung von Humushaushalt, Bodenphysik und Bodenleben wurden an vier bayerischen Standorten Feldversuche mit Silomais und Winterweizen im jährlichen Wechsel durchgeführt.


Was die Wissenschaftler als bedenklich einstufen: Insgesamt zeigte sich vielerorts ein genereller Rückgang der Humusgehalte, der vor allem der einseitigen und humuszehrenden Fruchtfolge aus Silomais und Winterweizen zuzuschreiben ist. Die Gärrestdüngung kann diesen Rückgang nur mindern, aber nicht aufhalten. Dr. Maendy Fritz, Projektkoordinatorin am TFZ, zieht als Fazit: „Das Gesamtsystem muss stimmen. Für eine nachhaltige Biogaserzeugung brauchen wir eine Fruchtfolge, die zu Betrieb und Standort passt. Diese sollte mit humusmehrenden Kulturen, Zwischenfrüchten oder Untersaaten ergänzt werden, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.“


Die Erfahrungen zeigen: Die geschickte Kombination aus vielfältiger Fruchtfolge, Biogasproduktion und Humusaufbau bietet Landwirten die Chance zu Erlösen über den Strom-, Wärme- und Humuszertifikateverkauf. Gleichzeitig sorgt die Kombination für einen CO2-Rückgang aus der Atmosphäre, für mehr Artenvielfalt und einen Boden, der gegen Wassermangel und Erosion widerstandsfähiger werden kann.


hinrich.neumann@topagrar.com

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